25.11.2025
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Demonstration Frauenrechte

Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen veröffentlicht das Bündnis Istanbul Konvention (BIK) einen Bericht zur Lage. Seine Erkenntnisse im Bereich Asyl und Migration machen deutlich: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wird die Situation von geflüchteten Frauen verschärfen und ihr Recht auf ein Leben frei von Gewalt konterkarieren.

Mit der soge­nann­ten Istan­bul-Kon­ven­ti­on (kurz für »Über­ein­kom­men des Euro­pa­rats zur Ver­hü­tung und Bekämp­fung von Gewalt gegen Frau­en und häus­li­cher Gewalt«) hat sich die Bun­des­re­pu­blik zum umfas­sen­den Schutz aller Frau­en vor Gewalt ver­pflich­tet. Deutsch­land hat­te das Über­ein­kom­men von 2011 im Jahr 2017 rati­fi­ziert, seit 2023 gilt es unein­ge­schränkt. Aber wie ist es tat­säch­lich um den Schutz aller Frau­en in Deutsch­land bestellt? Das Bünd­nis Istan­bul-Kon­ven­ti­on (BIK), in dem PRO ASYL mit­ar­bei­tet, hat nach sei­ner ers­ten Bestands­auf­nah­me 2021 nun einen neu­en Bericht zur Umset­zung des Über­ein­kom­mens vor­ge­legt. Dar­in ana­ly­siert es umfas­send die Struk­tu­ren für den Gewalt­schutz von Frau­en in Deutsch­land. Das zusam­men­fas­sen­de For­de­rungs­pa­pier ent­hält unter ande­rem Emp­feh­lun­gen zur Finan­zie­rung von Gewalt­schutz­struk­tu­ren wie Frau­en­häu­sern, zur dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Umset­zung und zu Stra­te­gie und Moni­to­ring der Istan­bul Konvention.

Auf eini­gen Sei­ten des rund 124 star­ken Berichts kri­ti­siert das BIK anhal­ten­de und sogar wach­sen­de Defi­zi­te im Bereich des  Asyl- und Migra­ti­ons­rechts (sie­he dazu Sei­te 9 ff. des Berichts). Die wesent­li­chen Ent­wick­lun­gen für geflüch­te­te Frau­en stel­len wir im Fol­gen­den dar.

GEAS: Neue Härte statt Schutz vor Gewalt 

Seit Jah­ren wer­den benach­tei­lig­te und dis­kri­mi­nier­te Grup­pen wie geflüch­te­te Frau­en und Mäd­chen bei der Umset­zung des Gewalt­schutz­ver­pflich­tun­gen von Poli­tik und Ver­wal­tung ver­nach­läs­sigt. Die Istan­bul-Kon­ven­ti­on ver­langt aber einen dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Schutz vor Gewalt. Künf­tig gel­ten die Asyl­re­geln des refor­mier­ten Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) deren Umset­zung in das deut­sche Recht sich der­zeit im par­la­men­ta­ri­schen Ver­fah­ren als GEAS-Anpas­sungs­ge­setz befin­det. Fest steht schon jetzt: Der Schutz von geflüch­te­ten Frau­en vor Gewalt wird sich nicht nur nicht ver­bes­sern, son­dern erheb­lich ver­schlech­tern – GEAS selbst ist dabei Teil des Problems.

Die GEAS-Reform, die 2026 in Kraft tritt, sieht unter ande­rem vor:

  • Haft­ähn­li­che Grenz­un­ter­brin­gung für Asyl­su­chen­de: Die geplan­ten euro­päi­schen Groß­la­ger hin­ter Sta­chel­draht mit Aus­gangs­ver­bot wer­fen die Fra­ge auf: Wie kön­nen Frau­en (bezie­hungs­wei­se beson­ders vul­nerable Per­so­nen), die Gewalt erlit­ten haben, trau­ma­ti­siert, krank oder beson­ders schutz­be­dürf­tig sind, unter sol­chen Umstän­den leben, ohne wei­te­ren Scha­den zu neh­men? Denn Frau­en und Kin­der wer­den hier in struk­tu­rell gewalt­vol­le Ver­hält­nis­se gezwun­gen – und dar­über hin­aus der Gefahr aus­ge­setzt, erneut Opfer von Gewalt durch ande­re Per­so­nen zu werden.
  • Asyl-Schnell­ver­fah­ren für einen erheb­li­chen Teil der Asyl­su­chen­den: Sol­che Ver­fah­ren las­sen den Betrof­fe­nen kaum Zeit, Gewalt­er­fah­run­gen zu offen­ba­ren, und set­zen die Schwel­le, erlit­te­ne oder dro­hen­de Gewalt gegen­über den Behör­den zu doku­men­tie­ren, noch ein­mal deut­lich höher als in einem regu­lä­ren Asyl­ver­fah­ren. Die Chan­cen für Frau­en, in einem sol­chen Sys­tem gut bera­ten zu wer­den, Mut zu fas­sen und schließ­lich über­zeu­gend dar­zu­le­gen, was ihnen ange­tan wur­de, sin­ken dras­tisch – und damit auch die Chan­ce auf Schutz in Deutsch­land. Ein »gen­der­sen­si­bles« Asyl­ver­fah­ren, wie es die Istan­bul-Kon­ven­ti­on ver­langt, ist unter sol­chen Bedin­gun­gen unmöglich.
  • Abschie­bun­gen in so genann­te »siche­re Dritt­staa­ten«: Das erneu­er­te euro­päi­sche Asyl­sys­tem ermög­licht mit Abschie­bun­gen in so genann­te »siche­re Dritt­staa­ten« ohne vor­he­ri­ge Asyl­prü­fung, dass sich die euro­päi­schen Staa­ten jeder Ver­ant­wor­tung für schutz­su­chen­de Men­schen ent­le­di­gen kön­nen. Wenn ohne hin­zu­hö­ren abge­scho­ben wird, bleibt vie­les auf der Stre­cke – auch der Gewalt­schutz von Frauen.

Das unter GEAS geplan­te Grenz­re­gime kon­ter­ka­riert die Ansprü­che geflüch­te­ter Frau­en nach der Istan­bul Konvention.

Erkennung besonderer Schutzbedarfe?

Zwar ist nach GEAS die Erken­nung von »beson­de­ren Schutz­be­dar­fen« per Scree­ning vor­ge­se­hen – also inwie­fern eine Per­son Hil­fe und Unter­stüt­zung braucht bei Behin­de­rung, eines Trau­mas oder auch auf­grund einer Gewalt­er­fah­rung. Dass ein sol­ches Scree­ning wirk­sam durch­ge­führt wird, ist aber zwei­fel­haft: In Deutsch­land soll nach den Regie­rungs­plä­nen die Bun­des­po­li­zei, im Lan­des­in­nern mög­li­cher­wei­se auch die Lan­des­po­li­zei­en das ers­te Scree­ning und eine Iden­ti­fi­zie­rung von vul­ner­ablen Per­so­nen über­neh­men. Eine zuver­läs­si­ge Erken­nung von Schutz­be­dar­fen ist so auch unter GEAS nicht zu erwar­ten.  Zudem hat das Scree­ning kei­ne ver­bind­li­chen Kon­se­quen­zen. Somit kön­nen sogar Frau­en mit ihren Kin­dern in De-fac­to-Haft lan­den. Aus Gewalt­schutz­per­spek­ti­ve ist das in kei­ner Wei­se zu rechtfertigen.

Freiheitsbeschränkungen: Gefangen im »Schutzraum«?

Auch die bereits exis­tie­ren­den Unter­brin­gungs­be­din­gun­gen von geflüch­te­ten Frau­en und Mäd­chen in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten im Bun­des­ge­biet sind vie­ler­orts mit Män­geln behaf­tet – an die­sem Befund hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht viel geän­dert. Leit­li­ni­en zur Iden­ti­fi­zie­rung beson­ders schutz­be­dürf­ti­ger Per­so­nen sowie Gewalt­schutz­kon­zep­te exis­tie­ren nicht flä­chen­de­ckend und sind in vie­len Fäl­len nicht ver­bind­lich. Wenn geflüch­te­te Frau­en vor Gewalt in beson­de­re Schutz­räu­me, ins­be­son­de­re Frau­en­häu­ser, wei­ter­flüch­ten müs­sen, sehen sie sich nach wie vor mit struk­tu­rel­len und insti­tu­tio­nel­len Hin­der­nis­sen konfrontiert.

So dür­fen von Gewalt betrof­fe­ne Frau­en den ihnen zuge­wie­se­nen Auf­ent­halts­ort oft nicht ohne Wei­te­res ver­las­sen. Wohn­sitz­auf­la­gen und ört­li­che Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen (»Resi­denz­pflicht«) erschwe­ren ihnen im aku­ten Fall den Zugang zu Schutz­ein­rich­tun­gen: Denn dazu muss die Auf­he­bung der Auf­la­ge bei der Behör­de bean­tragt wer­den, was regel­mä­ßig meh­re­re Wochen dau­ert und mit über­höh­ten Anfor­de­run­gen ver­bun­den ist, die Gewalt­er­fah­rung glaub­haft zu machen. Zwar gibt es auf­grund des 2024 ver­ab­schie­de­ten Gewalt­hil­fe­ge­set­zes künf­tig einen Rechts­an­spruch auf Zugang zu Schutz­räu­men – ob der geflüch­te­ten Frau­en nützt, bleibt vor die­sem Hin­ter­grund jedoch min­des­tens fraglich.

Mit dem deut­schen GEAS-Anpas­sungs­ge­setz wird die Situa­ti­on für einen Teil der betrof­fe­nen Frau­en noch deut­lich schwie­ri­ger, denn es droht die Ver­schär­fung der Resi­denz­pflicht. Sie betrifft zum Bei­spiel Geflüch­te­te, die sich im euro­päi­schen Zustän­dig­keits­ver­fah­ren (alt: »Dub­lin-Ver­fah­ren«) befin­den und sich des­halb in einem soge­nann­ten Sekun­där­mi­gra­ti­ons­zen­trum auf­hal­ten müs­sen.  Schon das uner­laub­te Ver­las­sen der Unter­kunft soll künf­tig mit Sozi­al­leis­tungs­ent­zug sank­tio­niert wer­den kön­nen. Wie unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen gewalt­be­trof­fe­ne Frau­en im Not­fall schnel­le und wirk­sa­me Hil­fe erhal­ten sol­len, ist völ­lig unklar.

Zugang zu Hilfe und Beratung?

Ähn­lich gilt dies für sämt­li­che Bera­tungs- und Hilfs­an­ge­bo­te für von Gewalt betrof­fe­ne Frau­en. Nach der Istan­bul-Kon­ven­ti­on müs­sen alle Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te bar­rie­re­frei und dis­kri­mi­nie­rungs­frei zugäng­lich sein, auch für geflüch­te­te Frau­en und Frau­en und Mäd­chen ohne gesi­cher­ten Auf­ent­halts­sta­tus. Das sind sie aber nicht – und unter den künf­ti­gen »Aufnahme«-Bedingungen von De-fac­to-Inhaf­tie­rung schon gar nicht.

Fortschreitender Sozialleistungsentzug

Wegen der natio­na­len Geset­zes­ver­schär­fun­gen in den letz­ten bei­den Jah­ren kämp­fen etli­che Frau­en mit dras­tisch ver­schlech­ter­ten Bedin­gun­gen der sozia­len Ver­sor­gung nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz – was bis hin zum völ­li­gen Unter­kunfts- und Leis­tungs­ent­zug geht. Im Febru­ar 2025 hat PRO ASYL den Fall einer psy­chisch kran­ken Frau öffent­lich gemacht, die von den Behör­den auf die Stra­ße gesetzt wor­den war – zuvor war sie Opfer von Gewalt gewor­den. Obwohl die Sozi­al­ge­rich­te die­se Pra­xis in Eil­ver­fah­ren regel­mä­ßig stop­pen, wer­den immer mehr Men­schen, dar­un­ter auch Fami­li­en mit Kin­dern, von den Behör­den die Sozi­al­leis­tun­gen ver­wei­gert. Aber Armut schafft Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se, nimmt Mög­lich­kei­ten der Par­ti­zi­pa­ti­on, för­dert häus­li­che Gewalt und ver­schlech­tert oft die sozi­al-öko­no­mi­sche Gesamt­la­ge. Auch hier bleibt aus Frau­en­per­spek­ti­ve nur die bit­te­re Erkennt­nis: Gewalt­schutz sieht anders aus.

Verweigerte Asylverfahren, verweigerte Anerkennung 

Wenn die Bun­des­re­gie­rung der­zeit Asyl­su­chen­de an den Bun­des­gren­zen zurück­wei­sen lässt, ohne sich wei­ter um ihr Wohl­erge­hen und ein gere­gel­tes Asyl­ver­fah­ren zu küm­mern, ver­stößt sie damit schon heu­te nicht nur gegen das euro­päi­sche Asyl­sys­tem, es droht auch die Ver­let­zung der Istanbul-Konvention.

Arti­kel 60 der Istan­bul-Kon­ven­ti­on bekräf­tigt das Zurück­wei­sungs­ver­bot für Ver­folg­te, wie es die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) beinhal­tet, aus­drück­lich. Dazu gehört die Aner­ken­nung geschlechts­spe­zi­fi­scher Gewalt als Flucht­grund. Im ver­gan­ge­nen Jahr hat auch der Euro­päi­sche Gerichts­hof in meh­re­ren wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen klar­ge­stellt, dass Frau­en, die (allein) auf­grund ihres Geschlechts ver­folgt wer­den, den Flücht­lings­sta­tus erhal­ten kön­nen, und aus­drück­lich eine Aus­le­gung »im Lich­te der Istan­bul-Kon­ven­ti­on« ver­langt (Urteil vom Janu­ar 2024, Urteil vom Okto­ber 2024.) Den­noch ist die aktu­el­le Aner­ken­nungs­pra­xis in Deutsch­land wei­ter­hin restrik­tiv: Noch immer erken­nen Behör­den und Gerich­te Frau­en oft nicht als »sozia­le Grup­pe« an und ver­wei­gern vie­len von Gewalt betrof­fe­nen Frau­en den Flüchtlingsstatus.

Forderungen an die Bundesregierung

Im Bereich Asyl und Migra­ti­on emp­fiehlt das Bünd­nis Istan­bul-Kon­ven­ti­on der Bun­des­re­gie­rung unter anderem:

  • eine Kor­rek­tur der Aner­ken­nungs­pra­xis gemäß der Recht­spre­chung des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Union;
  • bun­des­weit ver­bind­li­che Leit­li­ni­en zur Iden­ti­fi­zie­rung von Betrof­fe­nen von Gewalt sowie Gewalt­schutz­kon­zep­te für alle Unterkünfte;
  • ver­bind­li­che und ein­heit­li­che Maß­nah­men zur Prä­ven­ti­on und zum Schutz vor häus­li­cher und frau­en­spe­zi­fi­scher Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften;
  • Ein­füh­rung eines gesetz­li­chen Anspruchs auf eine Befra­gung im Asyl­ver­fah­ren durch spe­zia­li­sier­tes Per­so­nal für gewalt­be­trof­fe­ne Antragsteller*innen;
  • Ver­zicht auf die Ein­rich­tung haft­ähn­li­cher Unter­brin­gung für Dub­lin-Fäl­le und in ande­ren Län­dern aner­kann­te Geflüchtete;
  • Ver­zicht auf frei­heits­be­schrän­ken­de Maß­nah­men in den Unter­künf­ten sowie auf Leis­tungs­strei­chun­gen oder ‑kür­zun­gen.