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Licht und Schatten bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
Für Geflüchtete ist sie ein letzter Schritt in eine dauerhafte Sicherheit – die Einbürgerung. Jetzt soll das Einbürgerungsrecht reformiert werden. Einer herabgesetzten Voraufenthaltszeit und der Hinnahme der Mehrstaatigkeit stehen aber hohe Hürden bei der Lebensunterhaltssicherung gegenüber. Notwendige Verbesserungen für Geflüchtete fehlen.
Die Realität des Einbürgerungsverfahrens ist schon mit Blick auf die langen Bearbeitungszeiten ernüchternd: Bearbeitungsstaus bei den Einbürgerungsbehörden (künftig: Staatsangehörigkeitsbehörden) und damit monate- bis jahrelange Verfahren sind die Folgen der derzeitig knappen Ressourcen. Der Mediendienst Integration stellte im März 2023 mehr als 115.000 offene Anträge in 22 Städten fest und gab Wartezeiten von 1 bis 1,5 Jahren an.
Neben den überlangen Verfahrensdauern scheitern viele Einbürgerungen bisher aber auch an hohen Voraussetzungen, deren Notwendigkeit schon vielfach in Frage gestellt wurde.
Weil dem so ist, hat die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag ein »modernes Einbürgerungsrecht« angekündigt. Am 19. Mai 2023 hat das Bundesinnenministerium einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der diesem Ziel Rechnung tragen soll. Nun hat das Kabinett am 23. August 2023 hierzu einen Kabinettsbeschluss gefasst. Als nächstes äußert sich der Bundesrat, bevor der Bundestag das Gesetz berät.
Tatsächlich sind darin einige Verbesserungen vorgesehen:
Herabsetzung der Voraufenthaltszeiten
Derzeit wird für die Einbürgerung noch eine Voraufenthaltszeit von acht Jahren verlangt – die bei erfolgreicher Teilnahme am Integrationskurs auf sieben Jahre und bei besonderen Integrationsleistungen auf sechs Jahre verkürzt werden kann. Nach dem Gesetzesentwurf soll der geforderte Voraufenthalt auf fünf Jahre herabgesetzt werden. Bei besonderen Integrationsleistungen wie beispielsweise besonders guten schulischen oder beruflichen Leistungen oder ehrenamtlichem Engagement soll er bis auf drei Jahre verkürzt werden können. Damit passt Deutschland die größte Einbürgerungshürde endlich an europäische Standards an.
Auch beim Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt, wenn beide Elternteile Ausländer*innen sind, soll es eine Erleichterung geben. War bisher erforderlich, dass mindestens ein Elternteil seit 8 Jahren einen rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet vorweisen muss, sollen künftig auch hier 5 Jahre genügen.
Hinnahme von Mehrstaatigkeit
Das deutsche Einbürgerungsrecht verlangt bislang für den Regelfall eigentlich, dass die ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgegeben werden muss. Dass die bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten werden darf, soll nach der bisherigen gesetzlichen Konzeption demgegenüber nur den Ausnahmefall darstellen. Dies gilt etwa für EU-Bürger*innen und für jene Fälle, in denen der Herkunftsstaat die Aufgabe der Staatsangehörigkeit nicht zulässt. Dies ist u.a. beim Iran, bei Afghanistan und Syrien der Fall. Die vielen Anwendungsfälle für die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit sorgen aber dafür, dass sich das Regel-Ausnahmeverhältnis in der Praxis längst in sein Gegenteil verkehrt hat. So werden nach Angaben des Bundesinnenministeriums bereits seit über 15 Jahren fast durchgängig mehr als die Hälfte aller Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vollzogen. Im Jahr 2021 wurde bei mehr als zwei Dritteln der Einbürgerungen (69 Prozent) die Mehrstaatigkeit zugelassen.
Koalitionsvertrag und Gesetzentwurf sehen deshalb vor, sich dieser Realität zu stellen, in dem mehrere Staatsangehörigkeiten künftig für alle Einbürgerungsbewerber*innen zugelassen werden soll.
Dass die Voraufenthaltszeit herabgesetzt und die Mehrstaatigkeit zugelassen wird, ist vollumfänglich zu begrüßen. PRO ASYL kritisiert aber einige weitere beabsichtigte Änderungen (siehe hierzu auch die ausführliche Stellungnahme von PRO ASYL). Während man zunächst den Eindruck gewinnen könnte, dass sich nach der Reform viel mehr Menschen, die sich schon lange dem deutschen Staat zugehörig fühlen, einbürgern lassen können als zuvor, werden durch die Hintertür weitere Voraussetzungen so eng gefasst, dass eine deutsche Staatsangehörigkeit für viele ein Ding der Unmöglichkeit wird.
Einbürgerung als Belohnung für harte Arbeit?
Das gilt besonders in Bezug auf die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts und der diesbezüglichen Ausnahmen. Ohne Verweis im Koalitionsvertrag scheint sich hier eine »Nützlichkeitsdebatte« auf das Staatsangehörigkeitsrecht niedergeschlagen zu haben. So verkündete Bundesjustizminister Marco Buschmann am Tag der Vorlage des Gesetzentwurfes: »Wir machen Einbürgerung für Menschen leichter, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Regeln für Menschen, die vom Sozialstaat leben, werden verschärft. Das setzt Anreize zur Aufnahme von Arbeit und zeigt: Wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Nicht in den Sozialstaat.«
Ohne Verweis im Koalitionsvertrag scheint sich eine »Nützlichkeitsdebatte« auf das Staatsangehörigkeitsrecht niedergeschlagen zu haben.
PRO ASYL ist entsetzt über die geplante Abschaffung der bisherigen Regelung zum Absehen von der Lebensunterhaltssicherung durch eigene Erwerbstätigkeit, die vorsieht, dass ein Bezug von (ergänzenden) Sozialleistungen unschädlich ist, wenn dieser Bezug »nicht zu vertreten« ist. Nach dem Gesetzentwurf soll der Bezug von (ergänzenden) Sozialleistungen künftig nur noch bei drei Fallgruppen unschädlich sein: Erstens bei Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeitnehmer*innen, zweitens bei Personen, die in den letzten 24 Monaten 20 Monate vollzeitbeschäftigt waren und dennoch auf Sozialleistungen angewiesen sind, und schließlich bei Ehegatt*innen oder eingetragenen Lebenspartner*innen von Personen aus den beiden vorgenannten Gruppen, wenn sie mit einem minderjährigen Kind in familiärer Gemeinschaft leben.
Zahlreiche Personengruppen, die von der bisherigen Ausnahmeregelung erfasst waren, würden so über lange Zeiträume und in manchen Fallgestaltungen sogar für ihr ganzes Leben von einem Anspruch auf Einbürgerung ausgeschlossen werden. Für sie soll nach dem Gesetzentwurf lediglich noch die Möglichkeit verbleiben, bei Vorliegen einer »besonderen Härte« nach Ermessen eingebürgert werden zu können (dazu unten). Betroffen von dem Ausschluss im Rahmen der Anspruchseinbürgerung sind folgende Personengruppen:
Alleinerziehende – in aller Regel Frauen – sind in vielen Fällen nicht in der Lage, Vollzeit tätig zu sein und so eigenständig vollständig den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind oder sogar mehrere Kinder zu erwirtschaften. Sie und ihre Kinder blieben nach der vorgesehenen Änderung für die entsprechende Zeit – die viele Jahre betragen kann – von der Einbürgerung ausgeschlossen. In der Rechtsprechung zu der derzeit geltenden Ausnahme wurde demgegenüber anerkannt, dass das Erfordernis der vollständigen Lebensunterhaltssicherung hier zu Kindeswohlgefährdungen führen kann und daher ein (ergänzender) Sozialleistungsbezug nicht zu vertreten ist (vergleiche VG Stuttgart, Urteil vom 04.12.2007, 11 K 2187/06 für den alleinerziehenden Elternteil dreier Kinder).
Aber auch Eltern, die sich die Aufgaben der Lebensunterhaltssicherung und der Kindeserziehung teilen, würden nicht von den engen Ausnahmeregelungen des Gesetzentwurfes erfasst, da keiner der Elternteile in Vollzeit erwerbstätig ist. Hier wird deutlich, dass der Gesetzentwurf überkommene Rollenverteilungen zementiert, wenn nur Eltern, von denen ein Elternteil in Vollzeit beschäftigt ist, von einer Ausnahmeregelung erfasst werden.
Die Kinder der oben genannten Gruppe hätten nach der geplanten Neuregelung ebenfalls keinen Einbürgerungsanspruch, da auch hierfür mindestens ein Elternteil eine Vollzeitbeschäftigung ausüben müsste.
Menschen, die Angehörige pflegen und deshalb keine Vollbeschäftigung ausüben können, bliebe nach der geplanten Neuregelung ebenfalls die Anspruchseinbürgerung versagt. Die Pflege von Familienmitgliedern findet (bis auf wenige Zusatzleistungen) unbezahlt statt, ist aber wegen des Mangels an und der hohen Kosten für qualifiziertes Pflegepersonal notwendig. Menschen, die sich entscheiden eine pflegebedürftige Person zu versorgen, darf nicht aufgrund ihrer Pflegeverantwortung von der Einbürgerung ausgeschlossen werden.
Der Ausschluss von der Anspruchseinbürgerung nach der vorgesehenen Regelung träfe auch kranke und behinderte Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung unverschuldet (bzw. durch die Barrieren in der Gesellschaft) nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt (vollständig) zu erwirtschaften.
Bisher ebenso von der Ausnahme des Nichtvertretenmüssens erfasste »aktuell nicht Erwerbsfähige« (im Sinne von § 8 SGB II) fielen nach dem Gesetzentwurf auch durch das Raster. Bei dieser Personengruppe wurde von der Lebensunterhaltssicherung abgesehen, wenn aus gesundheitlichen, betriebsbedingten oder konjunkturellen Gründen der Arbeitsplatz verloren gegangen ist und sich hinreichend intensiv um eine neue Beschäftigung bemüht wurde oder eine solche aufgrund eingeschränkten Leistungsvermögens auf absehbare Zeit nicht vermittelbar ist (siehe Nr. 10.1.1.3 Anwendungshinweise des BMI (VAH-StAG)).
Personen in Schule, Studium oder Ausbildung bleiben nach dem vorliegenden Gesetzentwurf in vielen Fällen ebenfalls von der Anspruchseinbürgerung ausgeschlossen. Die bisherige Regelung sieht demgegenüber vor, dass der Bezug staatlicher Leistungen während der Schulzeit, der Ausbildung und des Studiums regelmäßig nicht zu vertreten ist (Nr. 10.1.1.3 VAH-StAG, siehe hierzu auch VG Stuttgart, Urteil vom 24.1.2013 – 11 K 410/12).
Nicht zuletzt sind auch Rentner*innen betroffen, die ihre Rente aufstocken müssen. Es werden hier – soweit diese nicht von der für sogenannte Gast- und Vertragsarbeiter vorgesehenen Ausnahmereglung erfasst sind – unter Umständen Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, dauerhaft unverschuldet von einem Einbürgerungsanspruchausgeschlossen.
Bei der geltenden Regelung wird demgegenüber beim Bezug von Grundsicherung im Alter geprüft, ob und inwieweit das Nichtvorhandensein hinreichenden Einkommens oder Vermögens dem Hilfsbedürftigen zuzurechnen ist. Eine Zurechnung erfolgt danach beispielsweise in Fällen, in denen Einbürgerungsbewerber*innen grundlos über längere Zeiträume nicht erwerbstätig waren. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang kann aber nach geltendem Recht durch Zeitablauf entfallen; dies ist laut der aktuellen Rechtsprechung regelmäßig nach acht Jahren der Fall (BVerwG, Urteil vom 19. 2. 2009 – 5 C 22/08). Auch hier zeigt sich, dass die bisherige Regelung wesentlich differenzierter ausgestaltet ist und der Gesetzentwurf eine dramatische Verschlechterung darstellt.
Auch der geplante Entwurf zur Entlastung von Personen, die als Gastarbeitnehmer*innen oder Vertragsarbeitnehmer*innen eingereist sind, ist zu eng gefasst. Personen, die beispielsweise aus Spanien im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Deutschland kamen sind in dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Es besteht kein sachlicher Grund, diese schlechter zu stellen. Insbesondere müssten auch Ehepartner*innen von Gastarbeitenden von der Regelung erfasst werden, was aber derzeit nicht vorgesehen ist. Da hier – wie bereits nach geltender Rechtslage – zusätzlich ein Nichtvertretenmüssen der Inanspruchnahme von Sozialleistungen erforderlich sein soll wird, wäre der gesamte Personenkreis bei Beibehaltung der aktuellen Rechtslage nicht schlechter gestellt.
Der Gesetzesentwurf verlangt von vielen Einbürgerungswilligen nun also objektiv Unmögliches oder subjektiv Unzumutbares und raubt ihnen den Anspruch auf eine Einbürgerung. Das Verbot von Diskriminierung und Ungleichbehandlung aus dem Grundgesetz oder UN-Konventionen scheint das Bundesinnenministerium hier aus dem Blick verloren zu haben.
Die Verengung der Ausnahmen von der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts erweist sich aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt als problematisch. In einer Demokratie besteht im Idealfall eine weitgehende Übereinstimmung von Wohnbevölkerung und Wahlvolk. In der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 15 und 20) wird aber zutreffend hervorgehoben:
»Erst mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird die volle gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Dazu zählt insbesondere die zu den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gehörende politische Teilhabe durch das aktive und passive Wahlrecht auf der Ebene des Bundes, der Länder und Kommunen.«
In Deutschland leben 13,4 Millionen Menschen ohne deutschen Pass, rund zwei Drittel von ihnen seit mehr als fünf Jahren. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bis zur Einbürgerung lag 2022 bei 12,3 Jahren. Insbesondere der Ausschluss der genannten Personengruppen von der Anspruchseinbürgerung erweist sich vor diesem Hintergrund als problematisch, weil diese über lange Zeit und möglicherweise sogar für ihr ganzes Leben von eben dieser demokratischen Teilhabe durch die Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen bleiben.
Trostpflaster statt Anspruchseinbürgerung für viele Gruppen
Die Problematik hat die Bundesregierung bei Verfassung des Gesetzentwurfs durchaus gesehen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
»Durch den in § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 für einen Anspruch auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nun stärker verankerten Grundsatz einer hinreichenden wirtschaftlichen Integration können einzelne Personengruppen die Voraussetzungen für einen Einbürgerungsanspruch nicht mehr erfüllen, auch wenn sie die erforderliche Unterhaltssicherung aufgrund von Umständen nicht erreichen können, die außerhalb ihrer Beeinflussungsmöglichkeiten liegen. Dies kann etwa Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, pflegende Angehörige, Alleinerziehende, die wegen Kinderbetreuung nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sein können, oder Schüler/Auszubildende/Studierende, die, ggf. ergänzende, Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, betreffen«.
Die Bundesregierung will indessen dem von ihr selbst unnötig geschaffenen Problem lediglich ein Trostpflaster verpassen. So wird in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass für die Betroffenen noch die Möglichkeit einer Ermesseneinbürgerung nach § 8 Absatz 2 Absatz 2 StAG verbleibe. Wenn sie »alles objektiv Mögliche und subjektiv Zumutbare unternommen haben, um ihren Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern« könne im Einzelfall eine hierzu erforderliche »besondere Härte« festgestellt werden. Dies sei »bei der künftigen Auslegung der Härtefallregelung in § 8 Absatz 2 zu berücksichtigen«. Doch damit sind die Betroffenen weiterhin gegenüber der aktuellen Rechtslage deutlich schlechter gestellt. Zum einen wird ihnen der gesetzliche Anspruch auf Einbürgerung verwehrt, der bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ohne Wenn und Aber zu erfüllen ist. Stattdessen wird auf eine Regelung verwiesen, die im Ermessen der Staatsangehörigkeitsbehörden liegt. Ermessenentscheidungen sind auch – anders als bei der Verneinung eines Anspruchs – nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar und die Schwelle der »besonderen Härte« liegt höher als beim aktuellen »Nichtvertretenmüssen«. Die Gerichte müssten diese neue »besondere Härte« im Staatsangehörigkeitsrecht auch erstmal entsprechend auslegen. Absehbar wird aufgrund der Neuregelung mehr Menschen die Einbürgerung wegen fehlender finanzieller Mittel verwehrt als bisher.
Auch die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung weist in einer Stellungnahme auf die Gefahr hin, »dass die Anwendung der Härtefallregelung in der Verwaltungspraxis sehr begrenzt sein wird und mit Diskriminierungsrisiken gegenüber Menschen mit (unverschuldetem) Leistungsbezug einhergehen wird« und bemängelt, dass »im Normtext ein Verweis auf die intendierte Anwendung der Härtefallregelung« fehlt, der die Staatsangehörigkeitsbehörden eher als ein bloßer Hinweis in der Gesetzesbegründung anhalten könne, § 8 Absatz 2 StAG in der von Seiten des Gesetzgebers gewünschten Weise anzuwenden. Der Gesetzentwurf enthält neben dieser gravierenden noch weitere von PRO ASYL kritisierte Neuerungen, die in unserer Stellungnahme ausführlich behandelt werden.
Besonderes Problem für Geflüchtete: Einbürgerung nur nach Botschaftsbesuch
Eine Hoffnung von PRO ASYL war, dass im Rahmen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts auch die Möglichkeiten zur Identitätsklärung endlich gesetzlich verbessert würden. Diese wurde bisher enttäuscht.
Im Staatsangehörigkeitsrecht sind – anders als für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, insbesondere für Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte und Personen mit zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten – eine geklärte Identität und Staatsangehörigkeit zwingende Voraussetzungen. Hierfür wird in aller Regel ein Nationalpass verlangt. Liegt ein solcher nicht vor, bliebe Einbürgerungswilligen nur der Gang zur Botschaft, wenn ohne den Pass die Identitätsklärung nicht möglich wäre. Anerkannte Flüchtlinge – die vor der Verfolgung ihres Herkunftsstaates geflohen sind – kann aber das Aufsuchen dessen Auslandsvertretung nicht zugemutet werden. Nehmen sie dennoch Kontakt mit der Botschaft des Verfolgerstaates auf, droht ihnen der Verlust der Flüchtlingseigenschaft, weil dann regelmäßig davon ausgegangen wird, dass sie von dem Herkunftsstaat keine Verfolgung mehr befürchten. Würde man trotz alledem auf die Vorlage eines Nationalpasses bestehen, bliebe den Betroffenen keine Möglichkeit zur Einbürgerung.
Das in der Rechtsprechung entwickelte Stufenmodell der Identitätsklärung ins Gesetz packen
Das Bundesverwaltungsgericht (1 C 36.19) hat dieses Problem erkannt und deshalb für die Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit ein Stufenmodell entwickelt. Dieses sieht drei Stufen vor, wobei die jeweils nächste Stufe erreicht wird, wenn das vorrangige Beweismittel objektiv nicht erbracht werden kann oder dessen Beschaffung subjektiv unzumutbar ist. Auf der ersten Stufe steht hier der Nationalpass oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild, auf der zweiten stehen Dokumente mit niedrigerem Beweiswert wie beispielsweise ein Führerschein oder eine Geburtsurkunde und auf der dritten und letzten Stufe müssen die Staatsangehörigkeitsbehörden schließlich auf sonstige Beweismittel, zu denen etwa Zeugenaussagen gehören können, zurückgreifen.
PRO ASYL hat mit seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf angeregt, dieses Stufenmodell in das Staatsangehörigkeitsrecht aufzunehmen und dabei zugleich das mit dem Koalitionsvertrag abgegebene Versprechen, eine Möglichkeit der Identitätsklärung mittels eidesstattlicher Versicherung zu schaffen, umzusetzen, die auf der dritten Stufe anzusiedeln wäre.
Außerdem hat PRO ASYL gefordert, dieses Stufenmodell auch auf jene subsidiär Schutzberechtigte anzuwenden, denen zwar anders als Flüchtlingen keine Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, aber ein ernsthafter Schaden durch ihren Herkunftsstaat droht. Eine solche Konstellation ist etwa bei subsidiär Schutzberechtigten aus Eritrea – bei Flucht aus dem Nationaldienst – und Syrien – bei Militärdienstverweigerung – zu verzeichnen: ihnen droht im Falle der Rückkehr zwar anerkanntermaßen ernsthafter Schaden durch den Herkunftsstaat etwa durch Folter, die Flüchtlingsanerkennung wird ihnen aber verweigert, weil das BAMF und die Rechtsprechung davon ausgehen, dass ihnen Verfolgung nicht aus politischen (oder anderen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft anerkannten) Gründen droht.
Dass ein Botschaftsbesuch für diesen Personenkreis eine Gefahr darstellt und deshalb unzumutbar ist, hat PRO ASYL schon mehrmals beleuchtet.
Leider wurde im Gesetzgebungsverfahren hierauf bislang nicht eingegangen. PRO ASYL wird sich im nun kommenden parlamentarischen Verfahren weiter für diese Verbesserungen einsetzen.
(pva)