23.08.2023
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Die Bundesregierung hat eine Neuregelung des deutschen Staatsbürgerrechts beschlossen. Foto: PRO ASYL / Jonas Bickmann

Für Geflüchtete ist sie ein letzter Schritt in eine dauerhafte Sicherheit – die Einbürgerung. Jetzt soll das Einbürgerungsrecht reformiert werden. Einer herabgesetzten Voraufenthaltszeit und der Hinnahme der Mehrstaatigkeit stehen aber hohe Hürden bei der Lebensunterhaltssicherung gegenüber. Notwendige Verbesserungen für Geflüchtete fehlen.

Die Rea­li­tät des Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­rens ist schon mit Blick auf die lan­gen Bear­bei­tungs­zei­ten ernüch­ternd: Bear­bei­tungs­staus bei den Ein­bür­ge­rungs­be­hör­den (künf­tig: Staats­an­ge­hö­rig­keits­be­hör­den) und damit mona­te- bis jah­re­lan­ge Ver­fah­ren sind die Fol­gen der der­zei­tig knap­pen Res­sour­cen. Der Medi­en­dienst Inte­gra­ti­on stell­te im März 2023 mehr als 115.000 offe­ne Anträ­ge in 22 Städ­ten fest und gab War­te­zei­ten von 1 bis 1,5 Jah­ren an.

Neben den über­lan­gen Ver­fah­rens­dau­ern schei­tern vie­le Ein­bür­ge­run­gen bis­her aber auch an hohen Vor­aus­set­zun­gen, deren Not­wen­dig­keit schon viel­fach in Fra­ge gestellt wurde.

Weil dem so ist, hat die Bun­des­re­gie­rung bereits im Koali­ti­ons­ver­trag ein »moder­nes Ein­bür­ge­rungs­recht« ange­kün­digt. Am 19. Mai 2023 hat das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um einen Geset­zes­ent­wurf vor­ge­legt, der die­sem Ziel Rech­nung tra­gen soll. Nun hat das Kabi­nett am 23. August 2023 hier­zu einen Kabi­netts­be­schluss gefasst. Als nächs­tes äußert sich der Bun­des­rat, bevor der Bun­des­tag das Gesetz berät.

Tat­säch­lich sind dar­in eini­ge Ver­bes­se­run­gen vorgesehen:

Herabsetzung der Voraufenthaltszeiten

Der­zeit wird für die Ein­bür­ge­rung noch eine Vor­auf­ent­halts­zeit von acht Jah­ren ver­langt – die bei erfolg­rei­cher Teil­nah­me am Inte­gra­ti­ons­kurs auf sie­ben Jah­re und bei beson­de­ren Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen auf sechs Jah­re ver­kürzt wer­den kann. Nach dem Geset­zes­ent­wurf soll der gefor­der­te Vor­auf­ent­halt auf fünf Jah­re her­ab­ge­setzt wer­den. Bei beson­de­ren Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen wie bei­spiels­wei­se beson­ders guten schu­li­schen oder beruf­li­chen Leis­tun­gen oder ehren­amt­li­chem Enga­ge­ment soll er bis auf drei Jah­re ver­kürzt wer­den kön­nen. Damit passt Deutsch­land die größ­te Ein­bür­ge­rungs­hür­de end­lich an euro­päi­sche Stan­dards an.

Auch beim Erwerb der Staats­an­ge­hö­rig­keit durch Geburt, wenn bei­de Eltern­tei­le Ausländer*innen sind, soll es eine Erleich­te­rung geben. War bis­her erfor­der­lich, dass min­des­tens ein Eltern­teil seit 8 Jah­ren einen recht­mä­ßi­gen und gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im Bun­des­ge­biet vor­wei­sen muss, sol­len künf­tig auch hier 5 Jah­re genügen.

Hinnahme von Mehrstaatigkeit 

Das deut­sche Ein­bür­ge­rungs­recht ver­langt bis­lang für den Regel­fall eigent­lich, dass die ursprüng­li­che Staats­an­ge­hö­rig­keit auf­ge­ge­ben wer­den muss. Dass die bis­he­ri­ge Staats­an­ge­hö­rig­keit bei­be­hal­ten wer­den darf, soll nach der bis­he­ri­gen gesetz­li­chen Kon­zep­ti­on dem­ge­gen­über nur den Aus­nah­me­fall dar­stel­len. Dies gilt etwa für EU-Bürger*innen und für jene Fäl­le, in denen der Her­kunfts­staat die Auf­ga­be der Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht zulässt. Dies ist u.a. beim Iran, bei Afgha­ni­stan und Syri­en der Fall. Die vie­len Anwen­dungs­fäl­le für die Bei­be­hal­tung der bis­he­ri­gen Staats­an­ge­hö­rig­keit sor­gen aber dafür, dass sich das Regel-Aus­nah­me­ver­hält­nis in der Pra­xis längst in sein Gegen­teil ver­kehrt hat. So wer­den nach Anga­ben des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums bereits seit über 15 Jah­ren fast durch­gän­gig mehr als die Hälf­te aller Ein­bür­ge­run­gen unter Hin­nah­me von Mehr­staa­tig­keit voll­zo­gen. Im Jahr 2021 wur­de bei mehr als zwei Drit­teln der Ein­bür­ge­run­gen (69 Pro­zent) die Mehr­staa­tig­keit zugelassen.

Koali­ti­ons­ver­trag und Gesetz­ent­wurf sehen des­halb vor, sich die­ser Rea­li­tät zu stel­len, in dem meh­re­re Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten künf­tig für alle Einbürgerungsbewerber*innen zuge­las­sen wer­den soll.

Dass die Vor­auf­ent­halts­zeit her­ab­ge­setzt und die Mehr­staa­tig­keit zuge­las­sen wird, ist voll­um­fäng­lich zu begrü­ßen. PRO ASYL kri­ti­siert aber eini­ge wei­te­re beab­sich­tig­te Ände­run­gen (sie­he hier­zu auch die aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me von PRO ASYL). Wäh­rend man zunächst den Ein­druck gewin­nen könn­te, dass sich nach der Reform viel mehr Men­schen, die sich schon lan­ge dem deut­schen Staat zuge­hö­rig füh­len, ein­bür­gern las­sen kön­nen als zuvor, wer­den durch die Hin­ter­tür wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen so eng gefasst, dass eine deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit für vie­le ein Ding der Unmög­lich­keit wird.

Einbürgerung als Belohnung für harte Arbeit?

Das gilt beson­ders in Bezug auf die Vor­aus­set­zung der Siche­rung des Lebens­un­ter­halts und der dies­be­züg­li­chen Aus­nah­men. Ohne Ver­weis im Koali­ti­ons­ver­trag scheint sich hier eine »Nütz­lich­keits­de­bat­te« auf das Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht nie­der­ge­schla­gen zu haben. So ver­kün­de­te Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Mar­co Busch­mann am Tag der Vor­la­ge des Gesetz­ent­wur­fes: »Wir machen Ein­bür­ge­rung für Men­schen leich­ter, die von ihrer eige­nen Hän­de Arbeit leben. Regeln für Men­schen, die vom Sozi­al­staat leben, wer­den ver­schärft. Das setzt Anrei­ze zur Auf­nah­me von Arbeit und zeigt: Wir wol­len Ein­wan­de­rung in den Arbeits­markt. Nicht in den Sozialstaat.«

Ohne Ver­weis im Koali­ti­ons­ver­trag scheint sich eine »Nütz­lich­keits­de­bat­te« auf das Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht nie­der­ge­schla­gen zu haben.

PRO ASYL ist ent­setzt über die geplan­te Abschaf­fung der bis­he­ri­gen Rege­lung zum Abse­hen von der Lebens­un­ter­halts­si­che­rung durch eige­ne Erwerbs­tä­tig­keit, die vor­sieht, dass ein Bezug von (ergän­zen­den) Sozi­al­leis­tun­gen unschäd­lich ist, wenn die­ser Bezug »nicht zu ver­tre­ten« ist. Nach dem Gesetz­ent­wurf soll der Bezug von (ergän­zen­den) Sozi­al­leis­tun­gen künf­tig nur noch bei drei Fall­grup­pen unschäd­lich sein: Ers­tens bei Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeitnehmer*innen, zwei­tens bei Per­so­nen, die in den letz­ten 24 Mona­ten 20 Mona­te voll­zeit­be­schäf­tigt waren und den­noch auf Sozi­al­leis­tun­gen ange­wie­sen sind, und schließ­lich bei Ehegatt*innen oder ein­ge­tra­ge­nen Lebenspartner*innen von Per­so­nen aus den bei­den vor­ge­nann­ten Grup­pen, wenn sie mit einem min­der­jäh­ri­gen Kind in fami­liä­rer Gemein­schaft leben.

Zahl­rei­che Per­so­nen­grup­pen, die von der bis­he­ri­gen Aus­nah­me­re­ge­lung erfasst waren, wür­den so über lan­ge Zeit­räu­me und in man­chen Fall­ge­stal­tun­gen sogar für ihr gan­zes Leben von einem Anspruch auf Ein­bür­ge­rung aus­ge­schlos­sen wer­den. Für sie soll nach dem Gesetz­ent­wurf ledig­lich noch die Mög­lich­keit ver­blei­ben, bei Vor­lie­gen einer »beson­de­ren Här­te« nach Ermes­sen ein­ge­bür­gert wer­den zu kön­nen (dazu unten). Betrof­fen von dem Aus­schluss im Rah­men der Anspruchs­ein­bür­ge­rung sind fol­gen­de Personengruppen:

Allein­er­zie­hen­de – in aller Regel Frau­en – sind in vie­len Fäl­len nicht in der Lage, Voll­zeit tätig zu sein und so eigen­stän­dig voll­stän­dig den Lebens­un­ter­halt für sich und ihr Kind oder sogar meh­re­re Kin­der zu erwirt­schaf­ten. Sie und ihre Kin­der blie­ben nach der vor­ge­se­he­nen Ände­rung für die ent­spre­chen­de Zeit – die vie­le Jah­re betra­gen kann – von der Ein­bür­ge­rung aus­ge­schlos­sen. In der Recht­spre­chung zu der der­zeit gel­ten­den Aus­nah­me wur­de dem­ge­gen­über aner­kannt, dass das Erfor­der­nis der voll­stän­di­gen Lebens­un­ter­halts­si­che­rung hier zu Kin­des­wohl­ge­fähr­dun­gen füh­ren kann und daher ein  (ergän­zen­der) Sozi­al­leis­tungs­be­zug nicht zu ver­tre­ten ist (ver­glei­che VG Stutt­gart, Urteil vom 04.12.2007, 11 K 2187/06 für den allein­er­zie­hen­den Eltern­teil drei­er Kinder).

Aber auch Eltern, die sich die Auf­ga­ben der Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und der Kin­des­er­zie­hung tei­len, wür­den nicht von den engen Aus­nah­me­re­ge­lun­gen des Gesetz­ent­wur­fes erfasst, da kei­ner der Eltern­tei­le in Voll­zeit erwerbs­tä­tig ist. Hier wird deut­lich, dass der Gesetz­ent­wurf über­kom­me­ne Rol­len­ver­tei­lun­gen zemen­tiert, wenn nur Eltern, von denen ein Eltern­teil in Voll­zeit beschäf­tigt ist, von einer Aus­nah­me­re­ge­lung erfasst werden.

Die Kin­der der oben genann­ten Grup­pe hät­ten nach der geplan­ten Neu­re­ge­lung eben­falls kei­nen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch, da auch hier­für min­des­tens ein Eltern­teil eine Voll­zeit­be­schäf­ti­gung aus­üben müsste.

Men­schen, die Ange­hö­ri­ge pfle­gen und des­halb kei­ne Voll­be­schäf­ti­gung aus­üben kön­nen, blie­be nach der  geplan­ten Neu­re­ge­lung eben­falls die Anspruchs­ein­bür­ge­rung ver­sagt. Die Pfle­ge von Fami­li­en­mit­glie­dern fin­det (bis auf weni­ge Zusatz­leis­tun­gen) unbe­zahlt statt, ist aber wegen des Man­gels an und der hohen Kos­ten für qua­li­fi­zier­tes Pfle­ge­per­so­nal not­wen­dig. Men­schen, die sich ent­schei­den eine pfle­ge­be­dürf­ti­ge Per­son zu ver­sor­gen, darf nicht auf­grund ihrer Pfle­ge­ver­ant­wor­tung von der Ein­bür­ge­rung aus­ge­schlos­sen werden.

Der Aus­schluss von der Anspruchs­ein­bür­ge­rung nach der vor­ge­se­he­nen Rege­lung trä­fe auch kran­ke und behin­der­te Men­schen, die auf­grund ihrer Krank­heit oder Behin­de­rung unver­schul­det (bzw. durch die Bar­rie­ren in der Gesell­schaft) nicht in der Lage sind, ihren Lebens­un­ter­halt (voll­stän­dig) zu erwirtschaften.

Bis­her eben­so von der Aus­nah­me des Nicht­ver­tre­ten­müs­sens erfass­te »aktu­ell nicht Erwerbs­fä­hi­ge« (im Sin­ne von § 8 SGB II) fie­len nach dem Gesetz­ent­wurf auch durch das Ras­ter.  Bei die­ser Per­so­nen­grup­pe wur­de von der Lebens­un­ter­halts­si­che­rung abge­se­hen, wenn aus gesund­heit­li­chen, betriebs­be­ding­ten oder kon­junk­tu­rel­len Grün­den der Arbeits­platz ver­lo­ren gegan­gen ist und sich hin­rei­chend inten­siv um eine neue Beschäf­ti­gung bemüht wur­de oder eine sol­che auf­grund ein­ge­schränk­ten Leis­tungs­ver­mö­gens auf abseh­ba­re Zeit nicht ver­mit­tel­bar ist (sie­he Nr. 10.1.1.3 Anwen­dungs­hin­wei­se des BMI (VAH-StAG)).

Per­so­nen in Schu­le, Stu­di­um oder Aus­bil­dung blei­ben nach dem vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wurf in vie­len Fäl­len eben­falls von der Anspruchs­ein­bür­ge­rung aus­ge­schlos­sen. Die bis­he­ri­ge Rege­lung sieht dem­ge­gen­über vor, dass der Bezug staat­li­cher Leis­tun­gen wäh­rend der Schul­zeit, der Aus­bil­dung und des Stu­di­ums regel­mä­ßig nicht zu ver­tre­ten ist (Nr. 10.1.1.3 VAH-StAG, sie­he hier­zu auch VG Stutt­gart, Urteil vom 24.1.2013 – 11 K 410/12).

Nicht zuletzt sind auch Rentner*innen betrof­fen, die ihre Ren­te auf­sto­cken müs­sen. Es wer­den hier –  soweit die­se nicht von der für soge­nann­te Gast- und Ver­trags­ar­bei­ter vor­ge­se­he­nen Aus­nah­me­reg­lung erfasst sind – unter Umstän­den Men­schen, die ihr gan­zes Leben gear­bei­tet haben, dau­er­haft unver­schul­det von einem Einbürgerungsanspruchausgeschlossen.

Bei der gel­ten­den Rege­lung wird dem­ge­gen­über beim Bezug von Grund­si­che­rung im Alter geprüft, ob und inwie­weit das Nicht­vor­han­den­sein hin­rei­chen­den Ein­kom­mens oder Ver­mö­gens dem Hilfs­be­dürf­ti­gen zuzu­rech­nen ist. Eine Zurech­nung erfolgt danach bei­spiels­wei­se in Fäl­len, in denen Einbürgerungsbewerber*innen grund­los über län­ge­re Zeit­räu­me nicht erwerbs­tä­tig waren. Der erfor­der­li­che Zurech­nungs­zu­sam­men­hang kann aber nach gel­ten­dem Recht durch Zeit­ab­lauf ent­fal­len; dies ist laut der aktu­el­len Recht­spre­chung regel­mä­ßig nach acht Jah­ren der Fall (BVerwG, Urteil vom 19. 2. 2009 – 5 C 22/08). Auch hier zeigt sich, dass die bis­he­ri­ge Rege­lung wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter aus­ge­stal­tet ist und der Gesetz­ent­wurf eine dra­ma­ti­sche Ver­schlech­te­rung darstellt.

Auch der geplan­te Ent­wurf zur Ent­las­tung von Per­so­nen, die als Gastarbeitnehmer*innen oder Vertragsarbeitnehmer*innen ein­ge­reist sind, ist zu eng gefasst. Per­so­nen, die bei­spiels­wei­se aus Spa­ni­en im Zuge der Arbeit­neh­mer­frei­zü­gig­keit nach Deutsch­land kamen sind in dem Gesetz­ent­wurf nicht berück­sich­tigt. Es besteht kein sach­li­cher Grund, die­se schlech­ter zu stel­len. Ins­be­son­de­re müss­ten auch Ehepartner*innen von Gast­ar­bei­ten­den von der Rege­lung erfasst wer­den, was aber der­zeit nicht vor­ge­se­hen ist. Da hier – wie bereits nach gel­ten­der Rechts­la­ge – zusätz­lich ein Nicht­ver­tre­ten­müs­sen der Inan­spruch­nah­me von Sozi­al­leis­tun­gen erfor­der­lich sein soll wird, wäre der gesam­te Per­so­nen­kreis bei Bei­be­hal­tung der aktu­el­len Rechts­la­ge nicht schlech­ter gestellt.

Der Geset­zes­ent­wurf ver­langt von vie­len Ein­bür­ge­rungs­wil­li­gen nun also objek­tiv Unmög­li­ches oder sub­jek­tiv Unzu­mut­ba­res und raubt ihnen den Anspruch auf eine Ein­bür­ge­rung. Das Ver­bot von Dis­kri­mi­nie­rung und Ungleich­be­hand­lung aus dem Grund­ge­setz oder UN-Kon­ven­tio­nen scheint das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hier aus dem Blick ver­lo­ren zu haben.

12,3 Jah­re

bis zur Einbürgerung

Die Ver­en­gung der Aus­nah­men von der eigen­stän­di­gen Siche­rung des Lebens­un­ter­halts erweist sich aber auch unter einem ande­ren Gesichts­punkt als pro­ble­ma­tisch. In einer Demo­kra­tie besteht im Ide­al­fall eine weit­ge­hen­de Über­ein­stim­mung von Wohn­be­völ­ke­rung und Wahl­volk. In der Begrün­dung des Gesetz­ent­wurfs (S. 15 und 20) wird aber zutref­fend hervorgehoben:

»Erst mit dem Erwerb der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit wird die vol­le gleich­be­rech­tig­te Teil­ha­be ermög­licht. Dazu zählt ins­be­son­de­re die zu den zen­tra­len Berei­chen des gesell­schaft­li­chen Lebens gehö­ren­de poli­ti­sche Teil­ha­be durch das akti­ve und pas­si­ve Wahl­recht auf der Ebe­ne des Bun­des, der Län­der und Kommunen.«

In Deutsch­land leben 13,4 Mil­lio­nen Men­schen ohne deut­schen Pass, rund zwei Drit­tel von ihnen seit mehr als fünf Jah­ren. Die durch­schnitt­li­che Auf­ent­halts­dau­er bis zur Ein­bür­ge­rung lag 2022 bei 12,3 Jah­ren. Ins­be­son­de­re der Aus­schluss der genann­ten Per­so­nen­grup­pen von der Anspruchs­ein­bür­ge­rung erweist sich vor die­sem Hin­ter­grund als pro­ble­ma­tisch, weil die­se über lan­ge Zeit und mög­li­cher­wei­se sogar für ihr gan­zes Leben von eben die­ser demo­kra­ti­schen Teil­ha­be durch die Teil­nah­me an Wah­len aus­ge­schlos­sen bleiben.

Trostpflaster statt Anspruchseinbürgerung für viele Gruppen

Die Pro­ble­ma­tik hat die Bun­des­re­gie­rung bei Ver­fas­sung des Gesetz­ent­wurfs durch­aus gese­hen. In der Geset­zes­be­grün­dung heißt es dazu:

»Durch den in § 10 Absatz 1 Satz 1 Num­mer 3 für einen Anspruch auf Erwerb der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit nun stär­ker ver­an­ker­ten Grund­satz einer hin­rei­chen­den wirt­schaft­li­chen Inte­gra­ti­on kön­nen ein­zel­ne Per­so­nen­grup­pen die Vor­aus­set­zun­gen für einen Ein­bür­ge­rungs­an­spruch nicht mehr erfül­len, auch wenn sie die erfor­der­li­che Unter­halts­si­che­rung auf­grund von Umstän­den nicht errei­chen kön­nen, die außer­halb ihrer Beein­flus­sungs­mög­lich­kei­ten lie­gen. Dies kann etwa Men­schen mit einer kör­per­li­chen, geis­ti­gen oder see­li­schen Krank­heit oder Behin­de­rung, pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge, Allein­er­zie­hen­de, die wegen Kin­der­be­treu­ung nicht oder nur in Teil­zeit erwerbs­tä­tig sein kön­nen, oder Schüler/Auszubildende/Studierende, die, ggf. ergän­zen­de, Leis­tun­gen nach dem SGB II oder SGB XII bezie­hen, betref­fen«.

Die Bun­des­re­gie­rung will indes­sen dem von ihr selbst unnö­tig geschaf­fe­nen Pro­blem ledig­lich ein Trost­pflas­ter ver­pas­sen. So wird in der Begrün­dung des Gesetz­ent­wurfs aus­ge­führt, dass für die Betrof­fe­nen noch die Mög­lich­keit einer Ermes­sen­ein­bür­ge­rung nach § 8 Absatz 2 Absatz 2 StAG ver­blei­be. Wenn sie »alles objek­tiv Mög­li­che und sub­jek­tiv Zumut­ba­re unter­nom­men haben, um ihren Lebens­un­ter­halt dau­er­haft zu sichern« kön­ne im Ein­zel­fall eine hier­zu erfor­der­li­che »beson­de­re Här­te« fest­ge­stellt wer­den. Dies sei »bei der künf­ti­gen Aus­le­gung der Här­te­fall­re­ge­lung in § 8 Absatz 2 zu berück­sich­ti­gen«.  Doch damit sind die Betrof­fe­nen wei­ter­hin gegen­über der aktu­el­len Rechts­la­ge deut­lich schlech­ter gestellt. Zum einen wird ihnen der gesetz­li­che Anspruch auf Ein­bür­ge­rung ver­wehrt, der bei Vor­lie­gen der gesetz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ohne Wenn und Aber zu erfül­len ist. Statt­des­sen wird auf eine Rege­lung ver­wie­sen, die im Ermes­sen der Staats­an­ge­hö­rig­keits­be­hör­den liegt. Ermes­sen­ent­schei­dun­gen sind auch – anders als bei der Ver­nei­nung eines Anspruchs –  nur ein­ge­schränkt gericht­lich über­prüf­bar und die Schwel­le der »beson­de­ren Här­te« liegt höher als beim aktu­el­len »Nicht­ver­tre­ten­müs­sen«. Die Gerich­te müss­ten die­se neue »beson­de­re Här­te« im Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht auch erst­mal ent­spre­chend aus­le­gen. Abseh­bar wird auf­grund der Neu­re­ge­lung mehr Men­schen die Ein­bür­ge­rung wegen feh­len­der finan­zi­el­ler Mit­tel ver­wehrt als bisher.

Auch die Unab­hän­gi­ge Bun­des­be­auf­trag­te für Anti­dis­kri­mi­nie­rung weist in einer Stel­lung­nah­me auf die Gefahr hin, »dass die Anwen­dung der Här­te­fall­re­ge­lung in der Ver­wal­tungs­pra­xis sehr begrenzt sein wird und mit Dis­kri­mi­nie­rungs­ri­si­ken gegen­über Men­schen mit (unver­schul­de­tem) Leis­tungs­be­zug ein­her­ge­hen wird« und bemän­gelt, dass »im Norm­text ein Ver­weis auf die inten­dier­te Anwen­dung der Här­te­fall­re­ge­lung« fehlt, der die Staats­an­ge­hö­rig­keits­be­hör­den eher als ein blo­ßer Hin­weis in der Geset­zes­be­grün­dung anhal­ten kön­ne, § 8 Absatz 2 StAG in der von Sei­ten des Gesetz­ge­bers gewünsch­ten Wei­se anzu­wen­den. Der Gesetz­ent­wurf ent­hält neben die­ser gra­vie­ren­den noch wei­te­re von PRO ASYL kri­ti­sier­te Neue­run­gen, die in unse­rer Stel­lung­nah­me aus­führ­lich behan­delt werden.

Besonderes Problem für Geflüchtete: Einbürgerung nur nach Botschaftsbesuch

Eine Hoff­nung von PRO ASYL war, dass im Rah­men der Reform des Staats­an­ge­hö­rig­keits­rechts auch die Mög­lich­kei­ten zur Iden­ti­täts­klä­rung end­lich gesetz­lich ver­bes­sert wür­den. Die­se wur­de bis­her enttäuscht.

Im Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht sind – anders als für die Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis, ins­be­son­de­re für Flücht­lin­ge, sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te und Per­so­nen mit ziel­staats­be­zo­ge­nen Abschie­bungs­ver­bo­ten – eine geklär­te Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit zwin­gen­de Vor­aus­set­zun­gen. Hier­für wird in aller Regel ein Natio­nal­pass ver­langt. Liegt ein sol­cher nicht vor, blie­be Ein­bür­ge­rungs­wil­li­gen nur der Gang zur Bot­schaft, wenn ohne den Pass die Iden­ti­täts­klä­rung nicht mög­lich wäre. Aner­kann­te Flücht­lin­ge – die vor der Ver­fol­gung ihres Her­kunfts­staa­tes geflo­hen sind – kann aber das Auf­su­chen des­sen Aus­lands­ver­tre­tung nicht zuge­mu­tet wer­den. Neh­men sie den­noch Kon­takt mit der Bot­schaft des Ver­fol­ger­staa­tes auf, droht ihnen der Ver­lust der Flücht­lings­ei­gen­schaft, weil dann regel­mä­ßig davon aus­ge­gan­gen wird, dass sie von dem Her­kunfts­staat kei­ne Ver­fol­gung mehr befürch­ten. Wür­de man trotz alle­dem auf die Vor­la­ge eines Natio­nal­pas­ses bestehen, blie­be den Betrof­fe­nen kei­ne Mög­lich­keit zur Einbürgerung.

Das in der Rechtsprechung entwickelte Stufenmodell der Identitätsklärung ins Gesetz packen

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (1 C 36.19) hat die­ses Pro­blem erkannt und des­halb für die Klä­rung von Iden­ti­tät und Staats­an­ge­hö­rig­keit ein Stu­fen­mo­dell ent­wi­ckelt. Die­ses sieht drei Stu­fen vor, wobei die jeweils nächs­te Stu­fe erreicht wird, wenn das vor­ran­gi­ge Beweis­mit­tel objek­tiv nicht erbracht wer­den kann oder des­sen Beschaf­fung sub­jek­tiv unzu­mut­bar ist. Auf der ers­ten Stu­fe steht hier der Natio­nal­pass oder ein ande­res amt­li­ches Iden­ti­täts­do­ku­ment mit Licht­bild, auf der zwei­ten ste­hen Doku­men­te mit nied­ri­ge­rem Beweis­wert wie bei­spiels­wei­se ein Füh­rer­schein oder eine Geburts­ur­kun­de und auf der drit­ten und letz­ten Stu­fe müs­sen die Staats­an­ge­hö­rig­keits­be­hör­den schließ­lich auf sons­ti­ge Beweis­mit­tel, zu denen etwa Zeu­gen­aus­sa­gen gehö­ren kön­nen, zurückgreifen.

PRO ASYL hat mit sei­ner Stel­lung­nah­me zu dem Gesetz­ent­wurf ange­regt, die­ses Stu­fen­mo­dell in das Staats­an­ge­hö­rig­keits­recht auf­zu­neh­men und dabei zugleich das mit dem Koali­ti­ons­ver­trag abge­ge­be­ne Ver­spre­chen, eine Mög­lich­keit der Iden­ti­täts­klä­rung mit­tels eides­statt­li­cher Ver­si­che­rung zu schaf­fen, umzu­set­zen, die auf der drit­ten Stu­fe anzu­sie­deln wäre.

Außer­dem hat PRO ASYL gefor­dert, die­ses Stu­fen­mo­dell auch auf jene sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te anzu­wen­den, denen zwar anders als Flücht­lin­gen kei­ne Ver­fol­gung aus den in der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on genann­ten Grün­den, aber ein ernst­haf­ter Scha­den durch ihren Her­kunfts­staat droht. Eine sol­che Kon­stel­la­ti­on ist etwa bei sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten aus Eri­trea – bei Flucht aus dem Natio­nal­dienst – und Syri­en – bei Mili­tär­dienst­ver­wei­ge­rung – zu ver­zeich­nen: ihnen droht im Fal­le der Rück­kehr zwar aner­kann­ter­ma­ßen ernst­haf­ter Scha­den durch den Her­kunfts­staat etwa durch Fol­ter, die Flücht­lings­an­er­ken­nung wird ihnen aber ver­wei­gert, weil das BAMF und die Recht­spre­chung davon aus­ge­hen, dass ihnen Ver­fol­gung nicht aus poli­ti­schen (oder ande­ren für die Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft aner­kann­ten) Grün­den droht.

Dass ein Bot­schafts­be­such für die­sen Per­so­nen­kreis eine Gefahr dar­stellt und des­halb unzu­mut­bar ist, hat PRO ASYL schon mehr­mals beleuchtet.

Lei­der wur­de im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren hier­auf bis­lang nicht ein­ge­gan­gen. PRO ASYL wird sich im nun kom­men­den par­la­men­ta­ri­schen Ver­fah­ren wei­ter für die­se Ver­bes­se­run­gen einsetzen.

(pva)