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Leistungskürzungen für Geflüchtete: Ein Angriff auf die Menschenwürde
Kein Ende der Debatte: Merz, Dürr, Söder und Co. wollen die Sozialleistungen für Geflüchtete kürzen. Doch das verbieten sowohl der menschliche Anstand als auch die Verfassung. Die aktuellen Äußerungen dagegen zeugen von Empathielosigkeit und völliger Unkenntnis der Lebensrealität von geflüchteten Menschen
Die Debatte über die Forderung nach Sachleistungen und nach Leistungskürzungen für Geflüchtete reißt nicht ab. Vor allem aus der Bundes-FDP kommt die Forderung nach Bezahlkarten, um den Menschen Bargeld zu entziehen, CSU-Chef Söder hat eine solche Bezahlkarte für Bayern angekündigt. Dass CDU-Chef Friedrich Merz mit falschen Behauptungen über die angebliche Vorzugsbehandlung von Geflüchteten bei Zahnärzten versucht hat, in der Öffentlichkeit zu punkten, fiel noch weitgehend auf ihn selbst zurück. Inzwischen hat er sich offenbar über die Rechtslage informieren lassen und fordert jetzt, den Zeitraum der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gekürzten Leistungen von derzeit 18 Monaten erheblich auszudehnen.
All diese Äußerungen passen in eine in Wahlkampfzeiten aufgeheizte Flucht- und Migrationsdebatte und sind offenbar dem sinnlosen Versuch geschuldet, die potenzielle AFD-Wählerschaft mit nach rechtsaußen driftenden, populistischen Parolen einzufangen. Dabei entbehren die Forderungen nach Leistungskürzungen jeglicher Vernunft, Empathie und Mitmenschlichkeit und sind ein Angriff auf Artikel eins unserer Verfassung: die Menschenwürde.
Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum
Aus der Verbindung von Artikel 1 (Menschenwürde) mit Artikel 20 (Sozialstaatsprinzip) ergibt sich das Recht jedes Menschen auf ein menschenwürdiges Existenzminimum – so hat es das Bundesverfassungsgericht 2012 festgehalten. Damals verurteilte das Bundesverfassungsgericht die Grundleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz als »evident unzureichend« und hob sie auf annähernd das damalige »Hartz-IV«-Niveau an. In diesem Zusammenhang machte das Verfassungsgericht auch klar, dass der vollständige Entzug von Bargeld nicht mit der Verfassung vereinbar ist – ein Vorschlag, den ausgerechnet der Bundesjustizminister ernsthaft vorbrachte. Zuletzt verurteilte das höchste deutsche Gericht eine erst 2019 eingeführte 10-prozentige Kürzung der Grundleistungen für alleinstehende Geflüchtete, die in »Gemeinschaftsunterkünften« leben müssen, als verfassungswidrig. Weitere Verfahren gegen Asylbewerberleistungen sind vor dem Bundesverfassungsgericht noch anhängig. Eine erneute oder weitergehende Kürzung der Sozialleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz dürfte einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht Stand halten.
Sachleistungen sind inakzeptabel
An Bedürftige Sachleistungen auszugeben anstelle von Bargeld, ist in mehrfacher Hinsicht inakzeptabel: Zum einen entmündigt und diskriminiert es die Betroffenen und zum anderen stellt es de facto eine Leistungskürzung dar, weil Sachleistungen nie den individuellen Bedarf decken können, wie PRO ASYL und der Berliner Flüchtlingsrat 2022 umfassend analysiert haben. Bereits jetzt erhalten Geflüchtete vor allem in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder neben einem Platz im Mehrbettzimmer, Essen in der Kantine, Hygienepakete und Kleidung aus der Kleiderkammer zumeist sehr wenig Bargeld. Sachleistungen sind überdies durch den Verwaltungsaufwand deutlich teurer als die Gewährung von Geldleistungen. (Siehe auch unsere News Warum Sachleistungen eine schlechte Idee sind).
Kürzungen führen nicht zu weniger Asylsuchenden
Vor diesem Hintergrund ist auch die von Söder, Dürr, Merz und Co. vorgebrachte Behauptung, die Zahl der Zufluchtsuchenden in Deutschland würden sich verringern, wenn man die Lebensbedingungen Geflüchteter hier nur noch miserabler gestaltet, falsch und als Begründung unzulässig:
Menschen fliehen vor Krisen, Krieg oder Verfolgung, allen voran aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei. Keiner dieser Menschen bliebe in seiner Not, weil er wüsste, dass die Sozialleistungen in Deutschland reduziert wären. Und auch mit Blick auf das Zielland hängt die Frage, wo die Menschen Schutz suchen, nicht primär von der Frage ab, ob es dort Gutscheine oder Bezahlkarten zum Überleben gibt. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen, wie z.B. des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge »Warum Deutschland?« spielen dagegen vor allem der Aufenthaltsort von Freund*innen, Familie oder Community, die Sprache, aber auch die mutmaßlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine größere Rolle. Sozial- und asylpolitische Regelungen hingegen sind oft wenig bekannt und wirken sich nur bedingt auf solche Entscheidungen aus.
»Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren«
Im Übrigen setzt das Bundesverfassungsgericht auch mit Blick auf das vorgebliche »Ziel« eine klare Grenze: »Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren«, beschied das höchste deutsche Gericht 2012. Mit anderen Worten: Sozialleistungen dürfen gar nicht gekürzt werden, um Menschen von der Zuflucht nach Deutschland abzuhalten.
Menschenwürde statt Degradierung
Richtig ist, dass die Sozialleistungssysteme in den EU-Staaten unterschiedlich ausgeprägt sind. Deshalb suchen auch solche Menschen in Deutschland Schutz, die etwa schon in Italien oder Griechenland Asyl gesucht haben, aber ohne Dach über dem Kopf und ohne Nahrungsversorgung auf der Straße leben mussten. Aus diesem Grund verhindern deutsche Gerichte zum Teil ihre Rückschiebung in andere Staaten Europas, besonders wenn es sich um kranke oder besonders verletzliche Menschen handelt.
Wir können stolz darauf sein, dass unsere Verfassung und unsere Gesetze es nicht zulassen, dass Geflüchtete hier einfach auf die Straße gesetzt und dem Hunger oder der Ausbeutung durch Kriminelle überlassen werden. Die einzige Lösung für die soziale Schieflage liegt in einem solidarischen und menschenwürdigen Europa – und nicht in einem Wettstreit der Staaten um die mieseste Behandlung von schutzsuchenden Menschen.
Das Argument, verhindern zu wollen, dass Menschen von ihrer Sozialhilfe Geld an ihre Familien oder Schlepper in der Heimat schicken, zeugt davon, dass diejenigen, die das behaupten, keine Vorstellung davon haben, wie weit man als erwachsener Mensch mit 182 Euro Bargeld im Monat kommt. Realistisch wird es, der in Not zurückgebliebenen Familie Geld zukommen zu lassen, wenn Menschen hier ausreichend Geld verdienen können – aber nicht vorher. Nach der jetzt bereits vorhandenen Sachleistungspraxis und den geltenden Regelsätzen des Asylbewerberleistungsgesetzes ist die Behauptung relevanter Geldtransfers schlicht realitätsfern.
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
Das Asylbewerberleistungsgesetz war von Anfang an als Instrument zur Abschreckung von Geflüchteten gedacht. Seit seinem Bestehen wenden sich sämtliche Fachverbände gegen die diskriminierende Ungleichbehandlung – bis heute. 2023, im 30. Jahr seines Bestehens, fordern über 200 Organisationen, darunter bundesweite Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Anwält*innenverbände, gleiche Standards für alle: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft und die Betroffenen müssen in das reguläre Sozialleistungssystem eingegliedert werden.
(ak)