27.11.2020
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Motiv aus einer Antirassismus-Kampagne, erschienen als Plakat und Aufkleber

Eine von PRO ASYL mitherausgegebene Studie der Universität Tübingen zeigt auf, wie Rassismus auf dem Arbeitsmarkt Geflüchteten das Leben schwer macht und ihre Integration behindert.

Um den insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus seri­ös anzu­ge­hen, bedarf es kon­kre­ter, ziel­ge­rich­te­ter Stu­di­en, die das gan­ze Aus­maß erfas­sen und eine Poli­tik, die in der Lage und wil­lens ist, fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren der Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung Geflüch­te­ter und ande­rer mar­gi­na­li­sier­ter Grup­pen sys­te­ma­tisch aufzubrechen.

89 Punk­te umfasst der Maß­nah­men­ka­ta­log des »Kabi­netts­aus­schus­ses zur Bekämp­fung von Rechts­extre­mis­mus«, ein Gre­mi­um, das nach den Mor­den von Hanau von der Bun­des­re­gie­rung ein­ge­rich­tet wur­de. Die Bekämp­fung von sys­te­mi­schen Ras­sis­mus und allen Aus­gren­zungs­for­men ist zumin­dest for­mell auf der Regie­rungs­ebe­ne ange­langt. Doch der Maß­nah­men­ka­ta­log des Kabi­netts­aus­schus­ses lässt nicht erken­nen, dass das Pro­blem Ras­sis­mus als Arbeits­markt­hin­der­nis für Geflüch­te­te benannt und ange­gan­gen wird.

Ras­sis­mus und sei­ne Fol­gen für die  Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on von Flücht­lin­gen ist in öffent­li­chen Debat­ten nur sel­ten The­ma. In der Regel ste­hen Sprach­kennt­nis­se, die Aner­ken­nung von Qua­li­fi­ka­tio­nen, büro­kra­ti­sche Hür­den oder Pro­ble­me, die sich aus dem Auf­ent­halts­sta­tus (z.B. einer Dul­dung) erge­ben, im Mittelpunkt.

Eine aktu­el­le  Unter­su­chung der Eber­hard Karls Uni­ver­si­tät Tübin­gen mit dem Titel »Ganz unten in der Hier­ar­chie« nimmt die Situa­ti­on von Geflüch­te­ten auf dem Arbeits­markt in den Fokus. Her­aus­ge­ge­ben wur­de sie von PRO ASYL und der IG Metall. Ins­ge­samt wur­den dafür 64 qua­li­ta­ti­ve Exper­ten­in­ter­views mit Behör­den, Bera­tungs­stel­len, Ehren­amt­li­chen, Gewerk­schaf­ten und Geflüch­te­ten in sechs Regio­nen in Deutsch­land geführt.

Rassismus erleiden im Alltag

Doku­men­tiert wer­den zum einen Ras­sis­mus­er­fah­run­gen, die Geflüch­te­te all­täg­lich machen müs­sen: abfäl­li­ge Bemer­kun­gen, Vor­ur­tei­le, Dis­kri­mi­nie­run­gen in Betrie­ben, in Berufs­schu­len und Insti­tu­tio­nen, die sie – allen posi­ti­ven Ent­wick­lun­gen, die es auch gibt, zum Trotz – in ihrem schu­li­schen und beruf­li­chen Fort­kom­men behindern.

Arbeitssuche erschwert

Das zen­tra­le Ergeb­nis: Ras­sis­mus- und Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen im All­tag, in Behör­den, in Berufs­schu­len und in Betrie­ben stel­len für Flücht­lin­ge ein zen­tra­les Arbeits­markt­hin­der­nis dar. »Die Arbeits­su­che von Flücht­lin­gen wird dadurch teil­wei­se mas­siv erschwert«, schluss­fol­gert Dr. Nico­lai Huke von der Uni­ver­si­tät Tübin­gen, der die Stu­die durch­ge­führt hat.

Probleme in Betrieben 

Um eine erfolg­rei­che Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on von Flücht­lin­gen zu ermög­li­chen, muss Ras­sis­mus auch im All­tag, am Arbeits­platz oder im Bewer­bungs­ver­fah­ren sicht­bar gemacht, kri­ti­siert und sank­tio­niert wer­den. Wo es kei­nen gleich­be­rech­tig­ten Zugang gibt, ste­hen die Türen für aus­gren­zen­de und ras­sis­ti­sche Hand­lun­gen in den Betrie­ben weit offen. Wer um sei­ne Arbeits­er­laub­nis oder gar sein Auf­ent­halts­recht fürch­ten muss, kann sich zudem gegen dis­kri­mi­nie­ren­de Vor­fäl­le und All­tags­ras­sis­mus kaum zur Wehr setzen.

Gesetz­li­che Ver­bes­se­run­gen für Geflüch­te­te, für die sich die Bun­des­re­gie­rung ger­ne fei­ern lässt, wer­den durch zu hohe Anfor­de­run­gen für Betrof­fe­ne prak­tisch uner­reich­bar gemacht.

Systemische Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt

Die For­schungs­er­geb­nis­se bestä­ti­gen zudem eine zuneh­men­de Ent­wick­lung, die PRO ASYL seit Jah­ren kri­ti­siert, wonach pro­ble­ma­ti­sche gesetz­li­che Rah­men­be­din­gun­gen den  Arbeits­markt­zu­gang für Geflüch­te­te erschweren.

Augen­schein­li­che gesetz­li­che Ver­bes­se­run­gen für Geflüch­te­te, für die sich die Bun­des­re­gie­rung ger­ne fei­ern lässt, wer­den durch zu hohe Anfor­de­run­gen für Betrof­fe­ne prak­tisch uner­reich­bar gemacht. Kon­ter­ka­riert wer­den posi­ti­ve Maß­nah­men zudem durch die Ein­füh­rung von restrik­ti­ven Maß­nah­men, die für ande­re Geflüch­te­ten­grup­pen eine Schlech­ter­stel­lung bedeuten.

Verbesserungen laufen ins Leere

Ein Bei­spiel: Vor dem Hin­ter­grund des Fach­kräf­te­man­gels und eines hohen Anteils von Lang­zeit­ge­dul­de­ten waren die Zugän­ge von Geflüch­te­ten in den Arbeits­markt in den letz­ten zehn Jah­ren schritt­wei­se ver­grö­ßert wor­den. Ab 2015 gab es wei­te­re Ver­bes­se­run­gen, etwa die Öff­nung der Deutsch­sprach­kur­se des Bun­des für (eini­ge pri­vi­le­gier­te) Asyl­su­chen­de oder den Weg­fall der Vorrangprüfung.

Par­al­lel dazu wur­den aber in diver­sen Geset­zes­pa­ke­ten neue Restrik­tio­nen beschlos­sen, vor allem gegen bestimm­te Grup­pen von Asyl­su­chen­den, die mög­lichst schnell wie­der aus dem Land gedrängt wer­den sol­len:  Schon im Okto­ber 2015 wur­den Arbeits­ver­bo­te für Ange­hö­ri­ge soge­nann­ter siche­rer Her­kunfts­län­der ver­hängt. 2019 wur­de die Ver­pflich­tung, in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung zu leben, für vie­le Schutz­su­chen­de ver­län­gert – ein­her geht damit ein aber­mals ver­län­ger­tes Arbeits­ver­bot, das für eini­ge Grup­pen sogar unbe­fris­tet gel­ten soll. Die neu ein­ge­führ­te Aus­bil­dungs­dul­dung blieb durch hohe Hür­den für vie­le unerreichbar.

Druck auf Geflüchtete, das Land zu verlassen

Sozia­ler Aus­schluss  wäh­rend des lau­fen­den Asyl­ver­fah­rens, die Ver­wei­ge­rung der Teil­ha­be am Arbeits­markt: Maß­nah­men,  die dem Ras­sis­mus in Deutsch­land staat­li­cher­seits Vor­schub leis­ten. Bereits in den 1980er und 90er Jah­ren wur­den Geflüch­te­te in gro­ßer Zahl aus­ge­grenzt und dis­kri­mi­niert, weil sich die offi­zi­el­le Poli­tik von der Wunsch­vor­stel­lung lei­ten ließ, die Men­schen wür­den schon wie­der gehen, wenn man sie nur schä­big genug behan­del­te. Dies ist, damals wie heu­te, ein Irr­tum. Den­noch blei­ben Abschie­bung und die For­cie­rung »frei­wil­li­ger« Aus­rei­se auch bei den­je­ni­gen, die bereits lan­ge hier leben, poli­ti­sche Ziele.

Ein Staat, der einen Teil der Bevöl­ke­rung dis­kri­mi­nie­ren­den Rege­lun­gen unter­wirft, muss wis­sen, dass das Sys­tem – etwa in den Betrie­ben – all­täg­lich Wir­kung entfaltet.

Gleich­zei­tig wird von Geflüch­te­ten erwar­tet und immer wie­der mora­lisch gemahnt, sich um »Inte­gra­ti­on« zu bemü­hen. Eine Poli­tik, die den Betrof­fe­nen Inte­gra­ti­ons­be­mü­hun­gen abver­langt, aber gleich­zei­tig ihre Inte­gra­ti­on ver­hin­dert, ist zynisch und zemen­tiert die Lage Geflüch­te­ter »ganz unten in der Hier­ar­chie« auf Dauer.

Institutioneller Rassismus: Es gibt viel zu tun

Was hier­zu­lan­de immer noch fehlt, ist eine tie­fer­ge­hen­de Ein­sicht in die Wirk­mäch­tig­keit von Ras­sis­mus auch in den staat­li­chen Insti­tu­tio­nen sowie ein sys­te­ma­ti­scher Blick auf die gesetz­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, die – gera­de im Flücht­lings­be­reich – Ras­sis­mus min­des­tens begüns­ti­gen. Ein Staat, der einen Teil der Bevöl­ke­rung dis­kri­mi­nie­ren­den Rege­lun­gen unter­wirft, muss wis­sen, dass das Sys­tem – etwa in den Betrie­ben – all­täg­lich Wir­kung entfaltet.

Bezo­gen auf die Ras­sis­mus­er­fah­run­gen von Geflüch­te­ten auf dem Arbeits­markt for­dert PRO ASYL:

  • Erhalt, För­de­rung und Aus­bau eines Net­zes von unab­hän­gi­gen betrof­fe­nen­ori­en­tier­ten Bera­tungs­stel­len: Sol­che für Opfer ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung und Gewalt, außer­dem sol­che, die in Betrie­ben ver­mit­teln und für Ras­sis­mus sen­si­bi­li­sie­ren sowie eine umfas­sen­de För­de­rung von Arbeits­rechts­be­ra­tungs­stel­len und ‑pro­jek­te für Geflüchtete
  • Ände­rung der gesetz­li­chen Vor­ga­ben, die bestimm­te Grup­pen von Men­schen aus­gren­zen: Staat­li­che ange­streb­te Woh­nungs­un­ter­brin­gung anstel­le von iso­lie­ren­den und eti­ket­tie­ren­den Mas­sen­un­ter­künf­ten, Weg­fall von Freizügigkeits­beschränkungen und Arbeitsverboten.
  • Umkehr in der Sozi­al­po­li­tik, die Dis­kri­mi­nie­rung und ras­sis­ti­scher Eti­ket­tie­rung ent­ge­gen­wirkt: Alle Asyl­su­chen­den müs­sen – von Beginn des Auf­ent­hal­tes an – das Recht haben, zu ler­nen und zu arbeiten.

Eine gleich­be­rech­tig­te Teil­ha­be aller auf dem Arbeits­markt ohne Ras­sis­mus liegt über­dies nicht nur im Inter­es­se der betrof­fe­nen Men­schen, sie för­dert letzt­lich das gesell­schaft­li­che Zusam­men­le­ben und stärkt die Gesell­schaft in Gänze.

(ak/akr)