News
Familiennachzug: Nicht einmal das Gnadenkontingent wird ausgeschöpft
Das Fest der Familie steht bevor, doch für viele getrennte Flüchtlingsfamilien wird es keine Wiedersehensfreude geben. Wie befürchtet wird das ohnehin dürftige Monatskontingent nicht ausgeschöpft; die Zahl der erteilten Visa bleibt seit Monaten deutlich unter 1000.
Am 1. August 2018 wurde das Grundrecht auf Familie für subsidiär Geschützte in ein Gnadenkontingent von 1.000 Personen pro Monat umgewandelt. 14 Monate später zeigt sich, dass nicht einmal dieser Minimalkonsens in der Praxis vollständig umgesetzt wird. PRO ASYL hatte bereits im Sommer vor dieser Entwicklung gewarnt.
Kontingent wird nicht ausgeschöpft
Fast 20 Prozent des von der Großen Koalition in Berlin in einem lange verhandelten Kompromiss versprochenen Visakontingents wurden bisher nicht ausgeschöpft. Nach aktuellen Zahlen des Auswärtigen Amtes wurden in den ersten 16 Monaten nach Inkrafttreten der Neuregelung der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte von den 16.000 möglichen Visa nur rund 13.000 Visa erteilt.
Das bedeutet: 3.000 Personen, die zum Jahresende 2019 längst mit ihren Angehörigen in Deutschland hätten vereint sein können, sind weiterhin von diesen getrennt.
Das bedeutet: 3.000 Personen, die zum Jahresende 2019 längst mit ihren Angehörigen in Deutschland hätten vereint sein können, sind weiterhin von diesen getrennt. Die Familienangehörigen leiden in Syrien, den Anrainerstaaten und anderen Regionen weltweit unter widrigsten und lebensbedrohlichen Bedingungen. Darunter sind auch viele Kleinkinder.
Zum 31. August 2019 warteten weltweit über 24.000 angehörige Personen, darunter viele Kinder auf einen Visumantragstermin (Bundestags-Drucksache 19/13890, S. 34 f).
Intransparenter Verfahrensdschungel
Die Gründe dafür liegen unter anderem darin, dass 2018 die Aufnahme der Visabearbeitung durch das überbürokratisierte Verfahren lange Zeit in Anspruch nahm. Von den möglichen 5.000 Visa für 2018 wurden so gerade mal 2.612 erteilt.
Die offen gebliebenen Plätze wurden jedoch nicht in das nachfolgende Jahr übertragen. Für 2019 lässt sich schon seit Juni anhand der Zahlen des AA feststellen, dass die die für eine Visaerteilung erforderlichen Zustimmungsentscheidungen des Bundesverwaltungsamtes monatlich bei unter 1.000 Personen liegen. Die Gründe hierfür bleiben in dem sehr intransparenten Verfahren vielfach unklar.
Zur Entwicklung der Zahlen Januar bis September 2019: Bundestags-Drucksache 19/14460, Seite 25.
Zur Entwicklung im Oktober bis November 2019 siehe Antwort zur Frage 31 des Plenarprotokolls 19/133 vom 28.November 2019.
Familien bleiben weiter getrennt
Für die betroffenen Familien bedeutet dies die Fortsetzung ihre Leids und der Ungewissheit. Kinder bleiben von ihren Eltern, Eltern von ihren Kindern getrennt, wie die zwei nachfolgenden Fälle zeigen.
Der heute 14-jährige Mohammed A. flüchtet Ende 2015 als 10-Jähriger zusammen mit seinem Onkel und dessen Ehefrau nach Deutschland. Mohammeds Vater ist Mitglied einer kurdischen Partei und steht wegen seiner politischen Aktivitäten und der Verweigerung des Militärdienstes auf der Fahndungsliste des syrischen Regimes.
Nach der beängstigenden Flucht zu Fuß über die Türkei, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer und dann per Bus und Zug nach Deutschland wird Mohammed mehrere Monate von seinem Onkel und seiner Tante getrennt untergebracht. Es geht ihm in dieser Zeit sehr schlecht und er weint viel. Die Gründe für eine weitere Trennung von den vertrauten Familienmitgliedern sind ihm nicht zu vermitteln.
Im Februar 2017 erhält Mohammed A. den subsidiären Schutzstatus vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Als ihm erklärt wird, dass er mit diesem Status seine Eltern zum damaligen Zeitpunkt nicht würde nachziehen lassen können, löst dies eine schwere Krise bei ihm aus. Er verweigert jegliches Gespräch über seine Eltern und versucht seinen Schmerz und seine Wut zu unterdrücken. Mohammed besucht dann aber nach langen Tiefen erfolgreich die Schule und erhält gute Unterstützung.
Die Situation seiner Familie, darunter vier Schwestern im Alter zwischen 6 und 13 Jahren, im Flüchtlingslager im Nordirak gestaltet sich als perspektivlos. Der Vater leidet unter Nierensteinen, kann sich eine Operation jedoch finanziell nicht leisten. Die Terrororganisation IS fasst in der Region zunehmend wieder Fuß.
Die Ausländerbehörde verlangt für die vier minderjährigen Schwestern jeweils eine Verpflichtungserklärung für Wohnraum und den Lebensunterhalt. Die Eltern stehen vor einem nicht auflösbaren Dilemma.
Mohammeds Familie muss in ihrer verzweifelten Lage drei Mal eine Terminnummer beim Deutschen Generalkonsulat in Erbil buchen. Zweimal werden die Terminanträge aufgrund der veränderten Rechtslage für ungültig erklärt. Bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten zum 01. August 2018 stellt die Familie beim Auswärtigen Amt einen Härtefallantrag, erfolglos.
Im Frühjahr 2019 erhält die Familie schließlich ihren Termin zur Visumantragstellung.
Die Anträge liegen mittlerweile seit mehreren Monate bei der lokalen Ausländerbehörde. Diese verlangt allerdings für die vier minderjährigen Schwestern jeweils eine Verpflichtungserklärung für Wohnraum und den Lebensunterhalt. Die Eltern stehen vor einem nicht auflösbaren Dilemma.
Herr. Z. ist 40 Jahre alt und kommt aus dem Sudan. Mitte 2015 flüchtet er nach Deutschland. Zwei Jahre später, 2017, erhält er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den subsidiären Schutzstatus. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 5 und 9 Jahren. Die Ehefrau muss sich bis heute vor den Repressalien der sudanesischen Polizei verstecken und lebt bei Verwandten auf dem Dorf.
Herr Z. erlernt die deutsche Sprache und arbeitet bereits seit rund 2 Jahren sozialversicherungspflichtig in der gehobenen Gastronomie.
Die Familie lebt seit viereinhalb Jahren voneinander getrennt.
Als zum 01. August 2018 die Neuregelung der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten nach vorheriger 2,5‑jähriger Aussetzung in Kraft tritt, beantragt die Ehefrau einen Termin zur Visumantragsstellung bei der Deutschen Botschaft Khartum. Mehrfach versucht der Unterstützer*innenkreis einen baldigen Termin zu erhalten. Die massiven Unruhen im Sudan im Jahr 2019 beunruhigten Herrn Z. und die Familie sehr.
Lange Zeit später können die Visaanträge endlich gestellt werden. Nun liegen sie bei der lokalen Ausländerbehörde. Diese weist darauf hin, dass eine Prüfung nun weitere Monate dauern werde. Die Familie lebt seit viereinhalb Jahren voneinander getrennt.
(akr)