04.03.2014
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November 2013: Noch immer sitzen Flüchtlinge im offiziell geschlossenen Flüchtlingslager Choucha in der tunesischen Wüste fest. Unter ihnen Mohammed (2) und seine Eltern, die notgedrungen seit drei Jahren in Choucha ausharren. Foto: Chris Grodotzki

Gestern unterzeichneten die EU und Tunesien eine sogenannte „Mobilitätspartnerschaft“. Um Mobilität geht es in dem Abkommen jedoch nur am Rande. Tatsächlich geht es der EU darum, Abschiebungen nach Tunesien zu erleichtern und das Land in die Bekämpfung der sogenannten „Irregulären Migration“ miteinzubeziehen.

Schon kurz nach den Umbrü­chen in Nord­afri­ka hat­te die EU ange­kün­digt,  mit den Län­dern des süd­li­chen Mit­tel­meer­raums soge­nann­te Mobi­li­täts­part­ner­schaf­ten abschlie­ßen zu wol­len. Mit Marok­ko kam es im Juni 2013 zur Unter­zeich­nung einer sol­chen Part­ner­schaft, ges­tern nun – am Ran­de eines Tref­fens der Innen­mi­nis­ter der EU – mit Tunesien.

Zufrie­den ver­kün­de­te EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ceci­lia Malm­ström, Ziel der Mobi­li­täts­part­ner­schaft sei es, „den Per­so­nen­ver­kehr zwi­schen der EU und Tune­si­en zu erleich­tern und zur gemein­sa­men, ver­ant­wor­tungs­vol­len Steue­rung der vor­han­de­nen Migra­ti­ons­strö­me, ins­be­son­de­re durch Ver­ein­fa­chung der Ver­fah­ren zur Visa-Ver­ga­be, beizutragen.“

„Immo­bi­li­täts­part­ner­schaft“ für Flüchtlinge

Der Begriff Mobi­li­täts­part­ner­schaft und die Rede vom erleich­ter­ten Per­so­nen­ver­kehr sind jedoch trü­ge­risch: Euro­pas zen­tra­les Inter­es­se liegt dar­in, im Rah­men der Part­ner­schaft ein soge­nann­tes Rück­über­nah­me­ab­kom­men zu schlie­ßen, das Abschie­bun­gen nach Tune­si­en erleichtert.

Auch die Stär­kung der Kapa­zi­tä­ten der Län­der im „Bereich Grenz­ma­nage­ment, Doku­men­ten­si­cher­heit und Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung, um irre­gu­lä­re Migra­ti­on wei­ter ein­zu­däm­men“ ist vor­ge­se­hen, wie aus einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Lin­ken her­vor­geht. Als Gegen­leis­tung sol­len für „bestimm­te Per­so­nen­grup­pen“ Visa­er­leich­te­run­gen ver­han­delt wer­den: „für tune­si­sche Stu­die­ren­de, Hoch­schul­leh­rer und For­scher zu Studien‑, Aus­bil­dungs- oder Arbeits­zwe­cken“. So wird mit Mobi­li­täts­ver­spre­chen für pri­vi­le­gier­ter Grup­pen der tune­si­schen Bevöl­ke­rung die Koope­ra­ti­on bei der Flücht­lings- und Migra­ti­ons­ab­wehr erkauft.

Die Part­ner­schaft umfasst auch den Aus­bau der Kapa­zi­tä­ten der tune­si­schen Behör­den, „unter den Migran­ten in Tune­si­en die­je­ni­gen zu ermit­teln, die Anspruch auf inter­na­tio­na­len Schutz haben (…) und ihnen dau­er­haf­te Mög­lich­kei­ten für den Schutz anzu­bie­ten.“ Die Mobi­li­täts­part­ner­schaft ver­la­gert die Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz damit wei­ter in die süd­li­chen Mit­tel­meer­an­rai­ner – in Län­der, in denen zur­zeit noch kein Schutz­sys­tem für Flücht­lin­ge exis­tiert. Ein Abkom­men mit die­ser Reich­wei­te abzu­schlie­ßen, obwohl grund­le­gen­de Rech­te von Flücht­lin­gen und Migran­tIn­nen noch nicht gewährt wer­den, hat für die Betrof­fe­nen fata­le Folgen.

Flücht­lin­ge in Tune­si­en: Bei­spiel Choucha

Bei­spiel­haft ist dafür das Flücht­lings­la­ger Chou­cha an der libysch-tune­si­schen Gren­ze. Nach über drei Jah­ren ist die Ver­zweif­lung der nach wie vor rund 300 in Chou­cha ver­blei­ben­den Flücht­lin­ge groß, die vor dem Bür­ger­krieg in Liby­en nach Tune­si­en geflo­hen waren. Tune­si­en sol­le sich um die Auf­nah­me der Flücht­lin­ge küm­mern, so hieß es aus Euro­pa. Schließ­lich sei ein „loka­les Inte­gra­ti­ons­pro­gramm“ von der tune­si­schen Regie­rung in Zusam­men­ar­beit mit UNHCR instal­liert worden.

Eine Auf­nah­me­per­spek­ti­ve bie­tet die­ses Pro­gramm jedoch nicht: Noch immer ver­fü­gen die Flücht­lin­ge über kei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis, ein Asyl­ge­setz gibt es in Tune­si­en bis­her nicht. Auch die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung reicht nicht aus und ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung und Über­grif­fe gehö­ren zum All­tag der Schutz­su­chen­den, so der Bericht einer Dele­ga­ti­ons­rei­se vom Janu­ar 2014. Es ist zu befürch­ten, dass die Flücht­lin­ge aus Chou­cha zurück nach Liby­en gehen, um von dort aus unter Lebens­ge­fahr mit Boo­ten Rich­tung Euro­pa aufzubrechen.

 IMK Osna­brück: Appell zur Auf­nah­me von Chou­cha-Flücht­lin­gen in Deutsch­land  (05.12.13)

 Chou­cha: Hun­der­te Flücht­lin­ge ohne Schutz in der Wüs­te (04.07.13)

 Zurück­ge­las­sen und ver­ges­sen in Chou­cha – Flücht­lin­ge in bedroh­li­cher Lage (06.06.13)