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Endlich ohne Angst zum Arzt gehen können
PRO ASYL und über 80 weitere Organisationen fordern die Bundesregierung auf, in Deutschland lebenden Menschen ohne Aufenthaltsstatus den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Im Rahmen der Kampagne #GleichBeHandeln überreichten sie Abgeordneten der Koalitionsfraktionen eine Petition mit über 26.000 Unterschriften.
Klara aus der Mongolei lebt ohne regulären Aufenthaltsstatus in Deutschland. Nun ist sie schwanger und berichtet: »Andere Frauen gehen zur Vorsorgeuntersuchung. Ich nicht. Denn ich habe Angst entdeckt und abgeschoben zu werden. Damit wäre nicht nur mein Leben bedroht, sondern auch das meines Babys.«
Dabei hat Klara eigentlich ein Recht auf Gesundheitsversorgung: Bei Krankheiten, Schwangerschaften und Geburt übernimmt das Sozialamt die Kosten medizinischer Leistungen, auch für Menschen, die keinen Aufenthaltstitel haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 5. i.V.m. §4, 6 AsylbLG). Dafür muss Klara einen Krankenschein beim Sozialamt einholen und ihren fehlenden Aufenthaltsstatus offenlegen. Tut sie das, läuft sie jedoch Gefahr, abgeschoben zu werden, denn das Sozialamt ist nach § 87 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG dazu verpflichtet, Name und Aufenthaltsort von Menschen ohne Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörde weiterzuleiten. Faktisch wird hier also ein Menschenrecht auf Gesundheit durch eine ordnungspolitische Regelung ausgehebelt.
80 Organisationen machen Druck
Gegen diese Übermittlungspflicht hat sich im Mai 2021 die Kampagne #GleichBeHandeln formiert, der sich über 80 zivilgesellschaftliche Organisationen und Wohlfahrtsverbände angeschlossen haben – darunter PRO ASYL, die Diakonie Deutschland, Ärzte der Welt, die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Amnesty International, das Katholische Forum Leben in der Illegalität sowie diverse Medinetze und Medibüros. In der Petition »Medizinische Versorgung steht allen zu! Übermittlungspflicht jetzt einschränken!« fordern sie und über 26.000 Unterzeichner*innen den Bundestag auf, den Paragrafen so zu überarbeiten, dass bei der Gesundheitsversorgung die Übermittlungspflicht ausgenommen wird.
Das hatte 2018 auch schon der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gefordert, als er die damalige Bundesregierung dafür kritisierte, dass ein Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung die Gesundheitsleistungen nicht ohne Angst in Anspruch nehmen kann. Wie viele das genau betrifft, ist schwer zu sagen, weil Menschen ohne Aufenthaltspapiere in der Regel versuchen sich unauffällig zu verhalten. Die letzten Schätzungen aus 2014 gehen von 180.000 bis 520.000 Menschen in Deutschland aus, die keinen regulären Aufenthaltstitel haben (BAMF, 2015).
Im Bildungsbereich wird vorgemacht, wie sie trotzdem ohne Angst grundlegende Menschenrechte in Anspruch nehmen können: Seit November 2011 sind alle Schulen sowie Bildungs- und Erziehungseinrichtungen von der Übermittlungspflicht ausgenommen (siehe §87 Abs.1 und 2 AufenthG), sodass Kinder ohne Aufenthaltsstatus in die Schule gehen können, ohne dabei die Abschiebung zu riskieren. Diese Ausnahmeregelung ist auch für den Gesundheitsbereich notwendig und lange überfällig.
Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden
Ende 2021 hat die Ampel-Koalition das Vorhaben nun endlich in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen: »Die Meldepflichten von Menschen ohne Papiere wollen wir überarbeiten, damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen« (S. 139). Vertreter*innen der Kampagne #GleichBeHandeln nehmen diese Ankündigung beim Wort. Am 06. April haben sie nach über 100 Tagen neuer Regierung im Amt Vertreter*innen aller Koalitionsparteien in Berlin die Petition überreicht – und damit weiter Druck aufgebaut. Das scheint auch nötig, wie der SPD-Abgeordnete Helge Lindh (Innenausschuss), der bei der Übergabe dabei war, bestätigte: Er betonte in seiner Rede, dass es der Kampagne zu verdanken sei, dass dieses Vorhaben Eingang in die Koalitionsverhandlungen gefunden hat – und, dass es diesen Druck weiterhin braucht, damit das Vorhaben gesetzlich auch umgesetzt wird.
(fw)