07.04.2022
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Übergabe der Petition #GleichBeHandeln am 06. April 2022 in Berlin. Foto: Wiebke Judith, PRO ASYL

PRO ASYL und über 80 weitere Organisationen fordern die Bundesregierung auf, in Deutschland lebenden Menschen ohne Aufenthaltsstatus den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Im Rahmen der Kampagne #GleichBeHandeln überreichten sie Abgeordneten der Koalitionsfraktionen eine Petition mit über 26.000 Unterschriften.

Kla­ra aus der Mon­go­lei lebt ohne regu­lä­ren Auf­ent­halts­sta­tus in Deutsch­land. Nun ist sie schwan­ger und berich­tet: »Ande­re Frau­en gehen zur Vor­sor­ge­un­ter­su­chung. Ich nicht. Denn ich habe Angst ent­deckt und abge­scho­ben zu wer­den. Damit wäre nicht nur mein Leben bedroht, son­dern auch das mei­nes Babys.«

Dabei hat Kla­ra eigent­lich ein Recht auf Gesund­heits­ver­sor­gung: Bei Krank­hei­ten, Schwan­ger­schaf­ten und Geburt über­nimmt das Sozi­al­amt die Kos­ten medi­zi­ni­scher Leis­tun­gen, auch für Men­schen, die kei­nen Auf­ent­halts­ti­tel haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 5. i.V.m. §4, 6 Asyl­bLG). Dafür muss Kla­ra einen Kran­ken­schein beim Sozi­al­amt ein­ho­len und ihren feh­len­den Auf­ent­halts­sta­tus offen­le­gen. Tut sie das, läuft sie jedoch Gefahr, abge­scho­ben zu wer­den, denn das Sozi­al­amt ist nach § 87 Abs. 2 Nr. 1 Auf­enthG dazu ver­pflich­tet, Name und Auf­ent­halts­ort von Men­schen ohne Auf­ent­halts­sta­tus an die Aus­län­der­be­hör­de wei­ter­zu­lei­ten. Fak­tisch wird hier also ein Men­schen­recht auf Gesund­heit durch eine ord­nungs­po­li­ti­sche Rege­lung ausgehebelt.

80 Organisationen machen Druck

Gegen die­se Über­mitt­lungs­pflicht hat sich im Mai 2021 die Kam­pa­gne #Gleich­Be­Han­deln for­miert, der sich über 80 zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen und Wohl­fahrts­ver­bän­de ange­schlos­sen haben – dar­un­ter PRO ASYL, die Dia­ko­nie Deutsch­land, Ärz­te der Welt, die Gesell­schaft für Frei­heits­rech­te, Amnes­ty Inter­na­tio­nal, das Katho­li­sche Forum Leben in der Ille­ga­li­tät sowie diver­se Medi­net­ze und Medi­bü­ros. In der Peti­ti­on »Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung steht allen zu! Über­mitt­lungs­pflicht jetzt ein­schrän­ken!« for­dern sie und über 26.000 Unterzeichner*innen den Bun­des­tag auf, den Para­gra­fen so zu über­ar­bei­ten, dass bei der Gesund­heits­ver­sor­gung die Über­mitt­lungs­pflicht aus­ge­nom­men wird.

Das hat­te 2018 auch schon der UN-Aus­schuss für wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Rech­te gefor­dert, als er die dama­li­ge Bun­des­re­gie­rung dafür kri­ti­sier­te, dass ein Teil der in Deutsch­land leben­den Bevöl­ke­rung die Gesund­heits­leis­tun­gen nicht ohne Angst in Anspruch neh­men kann. Wie vie­le das genau betrifft, ist schwer zu sagen, weil Men­schen ohne Auf­ent­halts­pa­pie­re in der Regel ver­su­chen sich unauf­fäl­lig zu ver­hal­ten. Die letz­ten Schät­zun­gen aus 2014 gehen von 180.000 bis 520.000 Men­schen in Deutsch­land aus, die kei­nen regu­lä­ren Auf­ent­halts­ti­tel haben (BAMF, 2015).

Im Bil­dungs­be­reich wird vor­ge­macht, wie sie trotz­dem ohne Angst grund­le­gen­de Men­schen­rech­te in Anspruch neh­men kön­nen:  Seit Novem­ber 2011 sind alle Schu­len sowie Bil­dungs- und Erzie­hungs­ein­rich­tun­gen von der Über­mitt­lungs­pflicht aus­ge­nom­men (sie­he §87 Abs.1 und 2 Auf­enthG), sodass Kin­der ohne Auf­ent­halts­sta­tus in die Schu­le gehen kön­nen, ohne dabei die Abschie­bung zu ris­kie­ren. Die­se Aus­nah­me­re­ge­lung ist auch für den Gesund­heits­be­reich not­wen­dig und lan­ge überfällig.

Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden

Ende 2021 hat die Ampel-Koali­ti­on das Vor­ha­ben nun end­lich in ihren Koali­ti­ons­ver­trag auf­ge­nom­men: »Die Mel­de­pflich­ten von Men­schen ohne Papie­re wol­len wir über­ar­bei­ten, damit Kran­ke nicht davon abge­hal­ten wer­den, sich behan­deln zu las­sen« (S. 139). Vertreter*innen der Kam­pa­gne #Gleich­Be­Han­deln neh­men die­se Ankün­di­gung beim Wort. Am 06. April haben sie nach über 100 Tagen neu­er Regie­rung im Amt Vertreter*innen aller Koali­ti­ons­par­tei­en in Ber­lin die Peti­ti­on über­reicht – und damit wei­ter Druck auf­ge­baut. Das scheint auch nötig, wie der SPD-Abge­ord­ne­te Hel­ge Lindh (Innen­aus­schuss), der bei der Über­ga­be dabei war, bestä­tig­te: Er beton­te in sei­ner Rede, dass es der Kam­pa­gne zu ver­dan­ken sei, dass die­ses Vor­ha­ben Ein­gang in die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen gefun­den hat – und, dass es die­sen Druck wei­ter­hin braucht, damit das Vor­ha­ben gesetz­lich auch umge­setzt wird.

(fw)