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»Es ist skandalös, welche Fehler in Abschiebungshaft passieren«
Am 29. Juli jährt sich das »Gesetz zur besseren Durchsetzung zur Ausreisepflicht« zum fünften Mal. Essentieller Bestandteil war eine Verschärfung der Abschiebehaft. Und auch die neue Bundesregierung will diese erneut verschärfen. Im Interview erklärt Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der Menschen in Abschiebehaft vertritt, wieso das problematisch ist.
Jedes Jahr werden Tausende Menschen in Deutschland allein aus dem Grund inhaftiert, dass sie das Land verlassen müssen – nicht, weil sie irgendeine Straftat begangen hätten. Dementsprechend ist die Abschiebungshaft umstritten. Trotzdem wurde sie in den letzten Jahren durch verschiedene Gesetzesänderungen stetig erweitert – so vor genau fünf Jahren, 2017, mit dem »Gesetz zur besseren Durchsetzung zur Ausreisepflicht« (»Hau-Ab-Gesetz I«) und vor drei Jahren, 2019, mit dem »Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung zur Ausreisepflicht« (»Hau-Ab-Gesetz II«), das beschönigend auch »Geordnetes-Rückkehr-Gesetz« genannt wurde.
Auch die neue Bundesregierung will die Abschiebungshaft erneut verschärfen und schrieb eine entsprechende Regelung in den Gesetzesentwurf zum Chancen-Aufenthaltsrecht (zur Kritik von PRO ASYL siehe hier).
Die Rechte der Betroffenen bleiben dabei auf der Strecke, obwohl Abschiebungshaft erschreckend häufig rechtswidrig angewendet wird, wie Rechtsanwalt Peter Fahlbusch durch seine anwaltliche Tätigkeit für Menschen in Abschiebungshaft weiß. Für seinen Einsatz hat die Stiftung PRO ASYL ihn im Jahr 2019 – passend zum »Hau-Ab-Gesetz I« – mit ihrem Menschenrechtspreis ausgezeichnet.
In den letzten 21 Jahren hast du als Anwalt rund 2.250 Menschen in Abschiebehaftverfahren vertreten. Regelmäßig erstellst du dazu deine persönlichen Statistiken. Zu welchem Ergebnis bist du in deiner jüngsten Auswertung gekommen?
Die Hälfte meiner Mandant*innen sitzt – jedenfalls teilweise – zu Unrecht in Abschiebungshaft. Das ist nicht etwa meine »gefühlte Statistik«, sondern es handelt sich um rechtskräftig entschiedene Verfahren, bei denen die Entscheidung erging: Dieser Mensch war zu Unrecht in Haft. Ich erstelle diese Statistiken nicht etwa aus Langeweile, sondern weil es von offizieller Seite aus angeblich keine Zahlen gibt. In einem Statistik-Weltmeisterland wie Deutschland, in dem jeder Baum gezählt wird, ist es schon verwunderlich, dass nicht erhoben wird, wie viele Menschen zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt werden. Dass das hierzulande möglich ist, hätte ich mir zu Studienzeiten nicht vorstellen können.
»In einem Statistik-Weltmeisterland wie Deutschland, in dem jeder Baum gezählt wird, ist es schon verwunderlich, dass nicht erhoben wird, wie viele Menschen zu Unrecht ihrer Freiheit beraubt werden.«
Wie lange werden die Menschen zu Unrecht eingesperrt?
Im Durchschnitt befindet sich jede*r Abschiebehäftling knapp einen Monat zu Unrecht in Abschiebungshaft. An dieser skandalösen Situation hat sich seit Jahren nichts verändert, egal, ob es viele oder wenige Gefangene gibt. Zusammengezählt komme ich momentan auf weit über 30.000 rechtswidrige Hafttage. Das sind rund 84 Jahre – länger, als der Beginn des Zweiten Weltkriegs zurückliegt.
Wer eingesperrt wird, muss irgendwie gefährlich sein – das ist wohl die erste Assoziation, die viele Menschen haben. Ist da was dran?
Ein klares Nein! In Abschiebungshaft sitzt niemand, weil er Straftäter ist, sondern nur, weil man ihn aus dem Land bringen will. Vorausgesetzt wird hier zweierlei: Erstens müssen die Menschen vollziehbar ausreisepflichtig sein, und zweitens muss die Sorge bestehen, dass sie sich ihrer Abschiebung womöglich entziehen könnten. Da gibt es allerdings einen großen Interpretationsspielraum. Man muss es ganz klar sagen: Abschiebungshaft ist Freiheitsentziehung, ist Knast – mit dem Ziel, Menschen von A nach B zu bringen. A sind wir, B ist Pakistan oder auch Italien, so im Falle von Dublin-Abschiebungen. Man kann und muss sich fragen, was wir hier eigentlich tun.
Das Interview mit Peter Fahlbusch im Podcast Hören:
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Wie meinst du das?
Am Horn von Afrika sterben gerade die Ziegen. Als nächstes werden die Kinder sterben, die Alten und die Schwachen. Viele andere werden versuchen, ihr Leben zu retten und fliehen. Das kann niemand den Menschen verwehren. Woher nehmen wir das Recht, zu sagen »Wir leben hier – und ihr dürft das nicht!«? Dahinter verbergen sich schwerwiegende Fragen globaler Gerechtigkeit. Aber wenn wir als Gesellschaft schon akzeptieren, dass wir Menschen einsperren, um sie von A nach B zu bringen, dann müssen wir uns zumindest darum kümmern, was mit den Menschen geschieht, die wir inhaftieren. Es ist skandalös, welche Fehler in Deutschland in Abschiebungshaft passieren. Da werden Menschen inhaftiert, die das Land gar nicht verlassen müssen. Oder solche, die im Gefängnis einfach vergessen werden, obwohl ein Gericht entschieden hat, dass sie freigelassen werden müssen. Daneben gibt es auch Fälle, in denen aus der Haft ein Asylantrag gestellt wird, der nicht beachtet wird.
Was sind das für Menschen, die in Abschiebehaft landen?
Junge, Alte, Männer, Frauen, Kranke, Schwache, Schwangere, Kinder, Familien… Ich habe sechsmonatige Kinder in Abschiebehaft erlebt, Dreijährige, bis hin zu Sechzehnjährigen. Der Irrsinn kennt da leider keine Grenzen. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass man Kinder und Jugendliche nur in Ausnahmefällen einzusperren gedenkt. Mal davon abgesehen, dass das bereits bisher geltendes Recht war: Wer kommt denn auf die Idee, Kinder einzusperren? Eine nicht weniger dramatische Alternative ist, dass Familien, die ausreisepflichtig sind, voneinander getrennt werden. Da kommt dann beispielsweise die Mutter in Abschiebungshaft, während die Kinder in die Obhut des Jugendamtes gegeben werden bis zu dem Tag, an dem alle in den Flieger gesteckt werden. Das wird besonders in Bayern praktiziert. Man möge sich vorstellen, das wären »unsere« Kinder – was es da für einen Aufschrei gäbe. Aber es sind eben nicht »unsere« Kinder. Und das ist ein Teil des Problems, weil es viele einfach nicht interessiert. Diese Menschen haben keine Lobby.
»Ich habe sechsmonatige Kinder in Abschiebehaft erlebt, Dreijährige, bis hin zu Sechzehnjährigen. Der Irrsinn kennt da leider keine Grenzen. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass man Kinder und Jugendliche nur in Ausnahmefällen einzusperren gedenkt.«
Die Bundesregierung meint, Abschiebehaft sei ein adäquates Mittel, damit Menschen, die das Land verlassen sollen, nicht untertauchen. Das wird auch deutlich am »Gesetz zur besseren Durchsetzung zur Ausreisepflicht«, das vor fünf Jahren, am 29. Juli 2017, in Kraft getreten ist. Warum hältst du diese Herangehensweise für falsch?
Die Bundesregierung meint, wir brauchen mehr Knäste, um besser abschieben zu können. Aber das ist eine Fehlannahme. Es gibt Bundesländer wie das Land Berlin, die haben noch nicht mal eine eigene Abschiebehaftanstalt, schieben aber relativ viele Menschen ab. Bayern hingegen inhaftiert sehr viele Menschen, doch deren Abschiebequote ist vergleichsweise niedrig. Das zeigt: Mehr Haftplätze bedeutet nicht mehr Abschiebungen!
Es gab Zeiten, in denen die Abschiebehaftzentren leer waren…
Ja, im Sommer 2014 waren Abschiebungshafteinrichtungen vorübergehend leer, weil bestimmte Voraussetzungen zur Unterbringung laut Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs nicht gegeben waren. Und in dieser Zeit, als es kaum Gefangene gab, ging die Welt nicht unter. Da sind trotzdem Menschen abgeschoben worden, aber eben nicht aus der Haft heraus. Daraus hätte die Politik doch schließen können, dass Abschiebehaft unnötig ist und nicht wieder eingeführt werden muss. Aber diese Erkenntnis kam nicht. Stattdessen hat der Gesetzgeber seit 2015 in einer wilden Kaskade eine Verschärfung nach der anderen eingeführt. Da wurden die bestehenden Haftgründe erweitert, der sogenannte Ausreisegewahrsam verschärft, neue Haftgründe geschaffen etc. – und landauf, landab neue Haftanstalten gebaut: von Glückstadt an der Elbe bis Hof in Bayern.
Du hast auch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Abschiebehaft ausgewertet. Was ergeben diese?
Eine Richterin am Bundesgerichtshof schrieb schon 2014, dass 85 bis 90 Prozent aller vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren im Abschiebungshaftrecht sich als rechtswidrige Inhaftierung erweisen. Diese Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. In diesem Jahr kam der Bundesgerichtshof in zwei Dritteln aller Fälle zu der Entscheidung, dass die Haft rechtswidrig war. Und das sind nur die Fälle, die vor dem Bundesgerichtshof landen! Der Befund ist völlig klar: Das Ganze läuft desaströs. Ich frage mich: Wie kann es sein, dass ein Land, das sich den Grundsatz »in dubio pro libertate – im Zweifel für die Freiheit« auf die Fahnen schreibt, im Zweifel Menschen lieber einsperrt als sie laufen zu lassen? Klar, Fehler passieren überall. Aber eine Fehlerquote, wie wir sie seit Jahren im Haftrecht erleben, ist bei einem so schwerwiegenden Eingriff vollkommen inakzeptabel!
Hat sich unter der neuen Bundesregierung mit Blick auf Abschiebehaft etwas verbessert?
Nein. Im Koalitionsvertrag steht nur ein Satz zur Abschiebungshaft, nämlich der bereits zitierte zur Inhaftierung von Kindern. Ich hatte erwartet, dass die Koalition wenigstens den längst überfälligen Schritt geht und festlegt, dass jedem in Abschiebungshaft vom Tag Eins an ein Anwalt zur Seite gestellt wird. So ist es ja auch in Fällen von Untersuchungshaft. Aber Pustekuchen! Grüne und SPD haben im Übrigen in ihrem Koalitionsvertrag für Schleswig-Holstein im Jahr 2012 noch verkündet, dass sie Abschiebungshaft für eine unangemessene Maßnahme halten und sich auf Bundesebene für deren Abschaffung einsetzen. Und im jüngsten Wahlprogramm der Grünen in NRW hieß es: »Perspektivisch setzen wir uns für die Abschaffung der Abschiebehaft ein.« Aber wenn man dann an der Macht ist, sieht die Sache ganz anders aus – nicht nur im Falle der Grünen. Das ist schon sehr bitter.
»Jeder Tag in Haft kostet zwischen 200 und 600 Euro pro Person. Auch Abschiebungen selbst kosten den Staat unfassbar viel. Ich weiß von einer Frau aus einem westafrikanischen Land, die mit einem Einzelcharter zurückgebracht wurde. Das hat 120.000 Euro gekostet. Damit hätte man sie auch bis an ihr Lebensende auf Sozialhilfeniveau in Deutschland leben lassen können.«
Was sieht der Gesetzentwurf für ein Chancen-Aufenthaltsrecht hinsichtlich Abschiebehaft vor?
Leider ist auch hier eine Verschärfung des Haftrechts vorgesehen. Anscheinend soll auch damit ein Signal ausgesendet werden an Menschen in Afrika und anderen Weltgegenden: »Seht her, wenn ihr zu uns kommt, dann sperren wir euch irgendwann ein und schicken euch zurück.« Doch die Vorstellung, dass das abschreckende Wirkung haben könnte, die ist absurd. Niemand kommt nur deshalb nicht nach Deutschland, weil er oder sie dann möglicherweise irgendwann im Abschiebungsknast landen könnte. Rational begründbar sind die Verschärfungen also nicht. Im Übrigen verschlingt das Unsummen: Jeder Tag in Haft kostet zwischen 200 und 600 Euro pro Person. Auch Abschiebungen selbst kosten den Staat unfassbar viel. Ich weiß von einer Frau aus einem westafrikanischen Land, die mit einem Einzelcharter zurückgebracht wurde. Das hat 120.000 Euro gekostet. Damit hätte man sie auch bis an ihr Lebensende auf Sozialhilfeniveau in Deutschland leben lassen können. Und das ist kein Einzelfall.
Was wäre jetzt dringend nötig?
Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, Menschen ohne anwaltliche Unterstützung in Abschiebehaft zu stecken. Das muss sich dringend ändern. Jede Entscheidung wird besser, wenn alle Seiten vernünftig vertreten werden. Wenn wir Menschen einsperren, um sie von A nach B zu bringen, müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass sie anwaltlich vertreten werden. Das ist ein Gebot des Rechtsstaates, des fairen Verfahrens und unserer Rechtskultur. Im Übrigen würde eine anwaltliche Vertretung auch verhindern, dass derart viele rechtswidrige Haftanordnungen ergehen und vollstreckt werden, der Staat hätte also auch was davon.
Der Rechtsstaat ist das tragende Fundament unserer Gesellschaft. Kommen dir bei all dem, was du in puncto Abschiebehaft erlebst, Zweifel daran, ob er noch einwandfrei funktioniert?
Ich hoffe und nehme an, dass das in anderen Bereichen sehr viel besser läuft als im Abschiebungshaftrecht. Das, was wir hier erleben, ist so gruselig, dass es einen schon nachdenklich stimmt. Mit Menschen, die wir gern mögen, die uns nahestehen, gehen wir sowieso gut um, dafür brauchen wir keine schützenden Regeln. Die Regeln, die wir im Abschiebungshaftrecht haben, sind Regeln für Menschen, die wir loswerden wollen. Und dafür ist der Rechtsstaat da: für einen fairen Umgang mit den Schwächsten, mit den Menschen, die keine Lobby haben. Wenn der Rechtsstaat aber dort in einem derartigen Maße versagt, dann ist das hochgradig bedenklich.
(er)
Das Gespräch mit Peter Fahlbusch wird auch im Rahmen unseres PRO ASYL – Podcasts in einer Folge zum Thema Abschiebehaft veröffentlicht