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»Der Khartum-Prozess war nur der Anfang der schmutzigen Europa-Deals in Afrika«
Adam Bahar, Aktivist von Sudan Uprising Germany und Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat Berlin, berichtet von der aktuellen Situation im Sudan und wie diese von Europa durch den Khartum-Prozess und den Tunesien-Deal beeinflusst wird.
Adam, wie ist die aktuelle Situation im Sudan im Vergleich zu der Situation zu Beginn des derzeitigen Krieges? Wie geht es den Menschen vor Ort?
Die Situation ist sehr schlecht. Nach drei Monaten ohne Arbeit, ohne funktionierendes Gesundheitssystem, ohne die Möglichkeit, das Land zu verlassen, sind viele Menschen sehr verzweifelt. Meiner Familie, wie auch anderen Familien mit Angehörigen in Europa, geht es ein bisschen besser, weil sie wenigstens etwas Geld von uns geschickt bekommen.
Auch die Situation an der Grenze zu Ägypten ist verheerend. Sudanesische Flüchtlinge warten dort zum Teil seit Monaten unter äußerst prekären Bedingungen darauf, durchgelassen zu werden, aber wenn sie keinen Pass haben, funktioniert das nicht. Leider haben viele Sudanes*innen keinen Pass, für sie sind die Grenzen geschlossen.
Gibt es für Menschen im Sudan überhaupt die Möglichkeit, Pässe zu beantragen, um mit diesen das Land zu verlassen?
Nein. Die gesamte Verwaltungsstruktur im Sudan ist zusammengebrochen. Außerdem mussten Tausende Menschen ihre Pässe bei ausländischen Botschaften abgeben, weil sie auf ein Visum zum Beispiel für den Familiennachzug gewartet haben. Wo die Pässe nach der Evakuierung des Botschaftspersonals zu Kriegsbeginn hingekommen sind, weiß niemand. Allein in der deutschen Botschaft wurden 600 Pässe zurückgelassen, nicht mitgezählt Hunderte von Pässen von geflüchteten Menschen aus beispielsweise Eritrea oder Somalia, die den Familiennachzug über die deutsche Botschaft im Sudan beantragt hatten. Nur in sudanesischen Auslandsvertretungen außerhalb des Landes sind noch Passverlängerungen von dort lebenden Sudanes*innen möglich.
Wie tauschen die Menschen vor Ort überhaupt noch Geld aus, wenn die ganze Verwaltungsstruktur nicht mehr existiert?
Zum Glück kann man dort jetzt über eine Onlinebanking-App bezahlen. Da die Kriegsparteien das Internet für ihre Propaganda brauchen, funktioniert das relativ gut. Im Gegensatz zu der Zeit der Revolution im Sudan, als allererstes das Internet abgestellt wurde. Aber wer kein Smartphone hat oder kein Onlinebanking nutzen kann, kann nirgendwo bezahlen und ist auf die Solidarität zwischen den Menschen angewiesen, die sich oft gegenseitig helfen, soweit es geht.
Und wie sieht es politisch aus? Gibt es Bewegung?
Politisch bewegt sich nichts, auch wenn immer wieder Gespräche zwischen den Kriegsparteien, also dem Militär (SAF) und den paramilitärischen Kräften (RSF), gibt. Es werden Waffenruhen vereinbart, die aber nicht eingehalten werden, und Abmachungen getroffen, die dann gebrochen werden. Das liegt vor allem daran, dass die RSF-Milizen nicht zu kontrollieren sind und keine Vereinbarungen akzeptieren, selbst wenn sie von einigen von ihnen ausgehandelt wurden. Es gab wohl ein heimliches Treffen mit verschiedenen europäischen Politiker*innen und mit Politiker*innen der Nachbarländer Sudans sowie mit der Afrikanischen Union, aber tatsächliche Bemühungen für Frieden sieht man überhaupt nicht.
»Tatsächliche Bemühungen für Frieden sieht man überhaupt nicht. «
Gibt es denn noch offene Kämpfe?
Ja, die Situation ist weiterhin sehr unsicher. Es gibt Bodenkämpfe und Bombardierungen durch die Armee. Nicht nur in der Hauptstadt, auch in vielen anderen Regionen. Die Menschen haben große Angst. Es gibt große Fluchtbewegungen innerhalb des Landes. Die Menschen versuchen, irgendwo Sicherheit zu finden.
Mustafa Hussein hat uns am 8. Mai die Rolle Europas in dem aktuellen Konflikt im Sudan erläutert und auch den Khartum-Prozess erklärt. Wie sehr hat der damit verbundene Einfluss Europas die Migrationsbewegungen innerhalb Afrikas beeinflusst und was hat das alles mit Deutschlands aktuellem Tunesien-Deal zu tun?
Den Khartum-Prozess gibt es ja bereits seit 2014. Es ist bedauernswert, dass er medial kaum beachtet wurde, denn er war eine Art Blaupause für andere Deals Europas und Deutschlands mit afrikanischen Staaten. Aus meiner Perspektive ein erster Versuch, Abwehr von Geflüchteten nicht erst an der europäischen Grenze, sondern bereits in Afrika zu betreiben. Und es hat »gut« funktioniert, deshalb setzen Europa und Deutschland auf dieses vermeintliche Erfolgskonzept, wie jetzt auch in Tunesien. Eine Konsequenz des Khartum-Prozesses und der einhergehenden Finanzierung der RSF-Milizen für den Grenzschutz durch Europa, ist die Machtposition der Milizen im aktuellen Konflikt im Sudan, wie von Mustafa beschrieben.
Ein weiterer Effekt ist die Umlenkung der bisher durch den Sudan führenden Fluchtrouten von zum Beispiel Geflüchteten aus Eritrea, Somalia oder Äthiopien. Und zwar durch Grenzkontrollen und Grenzgewalt. Dadurch können die Menschen nicht mehr über den Sudan und Libyen flüchten. Stattdessen versuchen sie es jetzt über Tunesien. Wenn nun ein Deal mit Tunesien zur Abwehr von Geflüchteten gemacht wird, werden die Menschen wieder versuchen, neue Wege zu finden. Neue Fluchtwege bedeuten jedes Mal aufs Neue mehr Gefahr und mehr Tote.
Europa und auch Deutschland sind sich nicht zu schade, zur Abwehr von Geflüchteten und zur Externalisierung der Außengrenzen Deals mit Verbrechern und Autokraten zu machen: Der Khartum-Prozess im Sudan – ein Deal mit den paramilitärischen Milizen RSF, die in Darfur vergewaltigten und mordeten. Der Libyen-Deal – Zusammenarbeit mit einem Land, in dem Geflüchtete gefoltert, inhaftiert und umgebracht werden. Und nun der Deal mit der autokratischen tunesischen Regierung, die nicht nur massiv Meinungs- und Pressefreiheit, Frauen‑, LGTBIQ+- und Kinderrechte einschränkt, sondern auch Geflüchtete in der Wüste aussetzt und verdursten lässt.
So werden menschenrechtsverletzende paramilitärische Gruppen und Regierungen finanziell und politisch unterstützt und aufgebaut. Das wiederum führt zu immer neuen Konflikten und Kriegen. Ein Beispiel ist, dass die vom Khartum-Prozesse profitierende paramilitärische Miliz RSF, auch im Krieg im Jemen mitmischt, ein Krieg, über den kaum jemand in Deutschland etwas weiß oder spricht – das Gleiche gilt für die Zusammenarbeit der RSF mit der Wagner-Söldnergruppe. Europäische Interventionen in Afrika zur Abwehr von Migration haben global weitreichende negative Auswirkungen und verursachen weitere Konflikte.
Europa und auch Deutschland sind sich nicht zu schade, zur Abwehr von Geflüchteten und zur Externalisierung der Außengrenzen Deals mit Verbrechern und Autokraten zu machen.
Aber geht der Plan Europas auf, Flüchtlinge vom afrikanischen Kontinent fernzuhalten?
Die Idee Europas, Grenzen dichtzumachen, damit weniger Flüchtlinge kommen, ist einfach realitätsfern. Immer, wenn eine Route schwieriger wird, suchen sich die Menschen eine andere. Im Moment ist es Tunesien, aber manche suchen ihren Weg auch über Ägypten oder nach Israel. Die Wege werden nur schwieriger und gefährlicher.
Und die Einmischung Europas bringt Instabilität nach Afrika, siehe Sudan heute. Durch die so entstehenden Konflikte müssen wieder mehr Menschen fliehen. Das ist einfach nur verantwortungslos.
»Die Idee Europas, Grenzen dichtzumachen, damit weniger Flüchtlinge kommen, ist einfach realitätsfern.«
Warum schließen afrikanische Länder überhaupt Deals mit Europa?
Es geht um Geld. Diktaturen sind sehr offen für finanzielle Deals. Außerdem gibt es auch bei den Regierungen in Afrika immer noch die koloniale Idee, dass Europa bestimmt, was in Afrika passiert. Durch die sogenannte Entwicklungshilfe besteht der Einfluss europäischer Regierungen in Afrika fort. Sie können dann die Hilfsgelder von Gegenleistungen der afrikanischen Länder abhängig machen und eben solche Migrationsdeals einfordern. Deshalb ist die sogenannte Entwicklungshilfe für mich ein koloniales Instrument, um politisch und geopolitisch Macht auszubauen und Migration und Flucht zu verhindern beziehungsweise zu erschweren.
Warum nutzen afrikanische Länder nicht viel mehr das Druckmittel der Migration, um ihre Interessen gegenüber Europa durchzusetzen?
Viele afrikanische Regierungen haben Angst, denn sie wissen, dass sie diktatorisch sind und Menschen unterdrücken. Europäische Regierungen stabilisieren und manifestieren durch Deals und Gelder ihre Macht. Außerdem wissen sie genau, was Europa tun kann, wenn ein afrikanischer Regierungschef mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Europa verlangt. Europa hat bereits diverse Male bei afrikanischen Regierungsoberhäuptern interveniert, die als unpassend angesehen wurden, zum Beispiel in Libyen, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Mali. Auf der anderen Seite intervenieren europäische Länder nicht in den aktuellen Krieg im Sudan, wo die Bevölkerung massiv in Gefahr ist. Denn der Krieg im Sudan stoppt derzeit die Fluchtbewegungen in dieser Region. Ich denke, das wird von Europa als positiver Effekt gesehen. Wir müssen also die aktuellen und zukünftigen Deals ganz genau beobachten und in der Öffentlichkeit diskutieren.
(nb)