08.05.2023
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Deutliche Zeichen der Machtkämpfe im Sudan: Rauch über der Hauptstadt Khartum. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Marwan Ali

Die Lage im Sudan ist verheerend. Seit Mitte April tobt ein Machtkampf zwischen dem Militär (SAF) und paramilitärischen Kräften (RSF). PRO ASYL hat mit Mustafa Hussein, Aktivist bei Sudan Uprising Germany und Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat Brandenburg, zur aktuellen Lage und Hintergründen gesprochen.

Seit dem 15. April 2023 sind im Sudan zwi­schen dem suda­ne­si­schen Mili­tär (SAF) und den para­mi­li­tä­ri­schen Mili­zen (RSF), die sich seit 2021 gemein­sam an der Macht befan­den, krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen aus­ge­bro­chen. Es wäre jedoch zu ein­fach, dies ledig­lich als innen­po­li­ti­schen Kon­flikt abzu­stem­peln. Denn sowohl Euro­pa als auch ande­re geo­po­li­ti­sche Play­er, wie z.B. Russ­land, haben in den letz­ten Jah­ren dazu bei­getra­gen und tun dies noch heu­te, dass die Situa­ti­on nun eska­liert. Dar­un­ter lei­den am aller­meis­ten die Zivilist*innen im Sudan.

PRO ASYL: Lie­ber Mus­ta­fa, vie­len Dank, dass du dei­ne Exper­ti­se zum Kon­flikt im Sudan mit uns teilst. Viel­leicht zunächst die Fra­ge, wie ist die Situa­ti­on der­zeit vor Ort, was berich­ten dir Freund*innen und Verwandte?

Mus­ta­fa Hus­sein: Wir haben enor­men Stress. Aktu­ell soll­te ges­tern eine Feu­er­pau­se statt­fin­den (Anm. Das Inter­view wur­de am 25. April geführt), die nicht mal eine Stun­de gehal­ten hat. Somit wur­de das Weni­ge, was erreicht wur­de, sofort wie­der zu zer­stört. Die Kämp­fe sind immer noch all­ge­gen­wär­tig z.B. in Khar­tum, aller­dings etwas weni­ger sicht­bar als letz­ten Sams­tag. Aber jetzt ist die huma­ni­tä­re Situa­ti­on eine völ­li­ge Kata­stro­phe. Mehr als 70 % der Kran­ken­häu­ser funk­tio­nie­ren nicht mehr, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist zusam­men gebro­chen. Es gibt auch kei­nen Strom, des­halb auch vie­ler­orts kein Was­ser und viel zu wenig Nah­rungs­mit­tel. Lebens­mit­tel wie bei­spiels­wei­se Brot kos­ten jetzt sehr viel Geld. Außer­dem fällt das Inter­net stän­dig aus, sodass die Men­schen sich weder kon­tak­tie­ren noch infor­mie­ren kön­nen. Bis jetzt sind in unse­rer Haupt­stadt 178 Men­schen getö­tet wur­den. Tau­sen­de haben die Stadt ver­las­sen oder ver­su­chen es.

»Mehr als 70 % der Kran­ken­häu­ser funk­tio­nie­ren nicht mehr, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist zusam­men gebro­chen. Es gibt auch kei­nen Strom, des­halb auch vie­ler­orts kein Was­ser und viel zu wenig Nahrungsmittel.«

Mus­ta­fa Hus­sein, Akti­vist Sudan Upri­sing Germany

PRO ASYL: Ver­su­chen die Men­schen, nicht nur die Stadt, son­dern auch das Land zu verlassen?

Mus­ta­fa Hus­sein: Ja genau, vie­le Men­schen ver­su­chen zu flie­hen. Aber es ist sehr schwie­rig. Ent­we­der nach Osten, nach Liby­en oder in den Nor­den nach Ägyp­ten, wie vie­le Freund*innen und Bekann­te von mir. Aber vie­le flie­hen auch in den Süd­su­dan. Wir bekom­men unter­schied­li­che Nach­rich­ten von den Regie­run­gen der angren­zen­den Län­der, die den Berich­ten von unse­ren Bekann­ten, Ver­wand­ten und von Aktivist*innen von den Gren­zen wider­spre­chen. Ägyp­ten sprach zum Bei­spiel in der Öffent­lich­keit von offe­nen Gren­zen für suda­ne­si­sche Flücht­lin­ge. Es gibt tat­säch­lich seit zwölf Jah­ren einen Deal mit dem Sudan, dass Frau­en, Kin­der und Män­ner unter 18 oder über 50 Jah­re visum­frei ein­rei­sen kön­nen. Inso­fern ist das nichts Neu­es. Und trotz­dem hören wir auch von dort von Zurück­wei­sun­gen an der Grenze.

PRO ASYL: Gab es einen Aus­lö­ser, der zum Aus­bruch des aktu­el­len Kon­flikts geführt hat?

Mus­ta­fa Hus­sein: Vor­ab muss ich sagen, dass ich mit 10-jäh­ri­ger poli­ti­scher Erfah­rung auch im Sudan, so wie auch vie­le ande­re poli­tisch Akti­ve, nicht davon aus­ge­he, dass die­ser Kon­flikt bald been­det wer­den kann. Der Kon­flikt war schon da, er hat einen poli­ti­schen Hin­ter­grund, der sich seit über fünf Jah­re auf­ge­baut hat und jetzt sicht­bar wird. Wir alle wis­sen, dass es 2018 eine Revo­lu­ti­on im Sudan gab, wor­auf­hin der dama­li­ge Dik­ta­tor Omar al-Bas­hir gestürzt wur­de und ein Bünd­nis aus Mili­tär (SAF), der Miliz (RSF) und Zivilist*innen der Revo­lu­ti­on die Regie­rung übernahm.

Die Koali­ti­on nann­te sich FFC – Forces of Free­dom an Chan­ge. Und die­ses Bünd­nis wur­de auch von der Euro­päi­schen Uni­on unter­stützt, weil es ihr wich­tig war, die Miliz an der Macht zu behal­ten. Die Miliz ist sehr wich­tig für Euro­pa und Deutsch­land, schon wäh­rend der Dik­ta­tur von Omar al-Bas­hir haben sie mit ihr wegen des »Grenz­schut­zes« zusam­men gear­bei­tet. Für die­se Zusam­men­ar­beit gibt es ein bekann­tes Abkom­men von 2015, mit dem Namen »Khar­to­um Pro­zess«.

Aller­dings war schon damals die wich­ti­ge Rol­le der Miliz (RSF) bei den Gräu­el­ta­ten, Mor­den und Ver­ge­wal­ti­gun­gen von Zivilist*innen in Dar­fur bekannt, die qua­si gleich­zei­tig statt­fan­den. Trotz­dem schloss die EU und auch Deutsch­land genau mit die­ser Miliz das Abkom­men. Inhalt war u.a. die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Miliz durch die Euro­päi­sche Uni­on, um so die Gren­zen Sudans »zu schüt­zen«, da der Sudan ein sehr wich­ti­ges Tran­sit­land für geflüch­te­te Men­schen z.B. aus Eri­trea, Soma­lia und Äthio­pi­en auf dem Weg nach Nord­afri­ka und Euro­pa ist. So konn­te sich die Miliz ver­grö­ßern, bewaff­nen und stär­ker werden.

Als dann die Revo­lu­ti­on 2018 den dama­li­gen Dik­ta­tor Omar al-Bas­hir stürz­te, sah die Miliz ihre Chan­ce gekom­men. Und Deutsch­land und die Euro­päi­sche Uni­on unter­stüt­zen die Miliz als Teil der neu­en Regie­rung. Kurz nach dem Sturz des Dik­ta­tors reis­te Hei­ko Maas in den Sudan, um Gesprä­che zu füh­ren und den Khar­to­um-Deal auch unter der neu­en Regie­rung zu fortzuführen.

»Seit dem Putsch 2021 regier­ten Mili­tär und Miliz zusam­men, stan­den jedoch immer im Kampf um die Macht. Die­ser Macht­kampf ist nun aktu­ell sicht­bar ausgebrochen.«

Mus­ta­fa Hus­sein, Akti­vist Sudan Upri­sing Germany

In der neu­en Regie­rung waren also dann das Mili­tär, die Miliz und ein Zivilist*innenbündnis, das die Revo­lu­ti­on geführt hat­te (FFC – Forces of Free­dom an Chan­ge). Die­se Regie­rung wur­de jedoch ent­ge­gen aller Ver­spre­chen von Mili­tär und Miliz 2021 geputscht und der demo­kra­ti­sche Pro­zess zer­stört. Sie brach­ten sehr vie­le Zivilist*innen ins Gefäng­nis. Seit dem Putsch 2021 regier­ten Mili­tär und Miliz zusam­men, stan­den jedoch immer im Kampf um die Macht. Die­ser Macht­kampf ist nun aktu­ell sicht­bar aus­ge­bro­chen. Wich­tig zu sagen ist auch, dass vie­le Unter­stüt­zer aus der ehe­ma­li­gen Dik­ta­tur von al-Bas­hir auch heu­te noch im Hin­ter­grund im Mili­tär agie­ren. Sie haben auch immer wie­der Vor­stö­ße der Zivilist*innen, ein Abkom­men mit der Mili­tär-Miliz-Regie­rung zu schlie­ßen, blockiert.

PRO ASYL: Aber war­um ist der Kon­flikt genau jetzt sicht­bar ausgebrochen?

Mus­ta­fa Hus­sein: Anfang April die­ses Jah­res hat die Miliz ver­sucht, einen Flug­ha­fen zu beset­zen und so eine Abma­chung mit dem Mili­tär gebro­chen. Die Miliz brauch­te den Flug­ha­fen, um enger mit der rus­si­schen para­mi­li­tä­ri­schen Wag­ner Söld­ner-Grup­pe zusam­men­ar­bei­ten zu kön­nen, auch für den Ein- und Aus­flug von Waf­fen. Das Mili­tär for­der­te die Miliz auf, den Flug­ha­fen zu ver­las­sen und droh­te Waf­fen­ge­walt an. So brach der jetzt sicht­ba­re bewaff­ne­te Kon­flikt aus. Es gibt natür­lich ver­schie­de­ne Ver­sio­nen dar­über, aber die­se ist für uns Aktivist*innen die glaubwürdigste.

PRO ASYL: Wir haben ja gehört, wie sehr Euro­pa und Deutsch­land in den poli­ti­schen Kon­flikt ver­wi­ckelt sind. Was erwar­test du jetzt von Deutsch­land und Europa?

Mus­ta­fa Hus­sein: Wir von Sudan Upri­sing Ger­ma­ny und vie­le ande­re for­dern die EU und Deutsch­land auf, den Krieg mit poli­ti­schem Druck zu stop­pen. Aber nur Druck von außen – wir wol­len kein mili­tä­ri­sches Ein­grei­fen, denn der Kon­flikt ist ja genau des­halb ent­stan­den, weil ande­re Län­der sich ein­ge­mischt haben. Wir for­dern außer­dem siche­re Flucht­we­ge und huma­ni­tä­re Unter­stüt­zung, also Essen, Trin­ken, Medi­zin usw. Wir wol­len außer­dem abso­lu­te Trans­pa­renz über die Zusam­men­ar­beit der EU und Deutsch­lands mit Mili­tär und Miliz im Sudan. Wir ver­su­chen auch in Ber­lin Druck zu machen, mit Öffent­lich­keit, Demons­tra­tio­nen, Auf­klä­rung usw.

PRO ASYL: Wie ist die Situa­ti­on für geflüch­te­te Men­schen aus dem Sudan in Deutschland?

Mus­ta­fa Hus­sein: Ich sel­ber bin auch als Flücht­ling nach Deutsch­land gekom­men, weil ich im Sudan gegen die Dik­ta­tur poli­tisch aktiv war. Direkt nach der Revo­lu­ti­on und dem Sturz von al-Bas­hir änder­te das Aus­wär­ti­ge Amt den Lage­be­richt zum Sudan. Dar­in wur­de alles sehr posi­tiv und demo­kra­tisch dar­ge­stellt und die Bedro­hungs­la­ge für poli­tisch Akti­ve als mini­mal ein­ge­stuft. Dar­auf­hin sank die Schutz­quo­te suda­ne­si­scher Geflüch­te­ter dras­tisch und auch ich wur­de abge­lehnt. Ich habe geklagt und jetzt im Jahr 2023 mei­nen Flücht­lings­schutz bekom­men. Nach dem Putsch durch Mili­tär und Miliz 2021 ging die Schutz­quo­te wie­der hoch.

Aber immer noch gibt es geflüch­te­te Men­schen aus dem Sudan, die kei­nen Auf­ent­halts­ti­tel haben und statt­des­sen eine Dul­dung. Wir for­dern einen Stopp aller nega­ti­ven Asy­l­ent­schei­dun­gen in noch lau­fen­den Asyl­ver­fah­ren bis zu einer neu­en Ein­schät­zung der Situa­ti­on vor Ort. Außer­dem ein Blei­be­recht für alle gedul­de­ten Sudanes*innen sowie einen bun­des­wei­ten Abschie­be­stopp in den Sudan.

Das Inter­view führ­ten am 25. April 2023 Tareq Alaows und Nora Brez­ger von PRO ASYL.