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Foto: picture alliance / Fabian Sommer / dpa

Mit zwei aktuellen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte von Geflüchteten in Dublin-Verfahren gestärkt. Es gab den Verfassungsbeschwerden eines Afghanen, der nach Griechenland abgeschoben werden sollte, und eines somalischen Kindes, das die Bundesrepublik gemeinsam mit seiner Mutter nach Italien überstellen will, recht.

Dabei ver­pflich­te­ten die Verfassungsrichter*innen ihre Kolleg*innen an den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten zu gründ­li­che­rer Prüfung

Im Fall des soma­li­schen Kin­des wur­de vor allem dar­um gestrit­ten, ob die huma­ni­tä­ren Ver­hält­nis­se infol­ge des sog. »Sal­vi­ni-Dekrets« unzu­mut­bar gewor­den sind. Mit dem Dekret, spä­ter vom Par­la­ment gebil­ligt, wur­den im Herbst 2018 die Unter­brin­gungs­be­din­gun­gen für Geflüch­te­te in Ita­li­en deut­lich ver­schlech­tert. Dies betrifft beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen – also z. B. Fami­li­en mit klei­nen Kin­dern – beson­ders stark.

BVerfG: Lage durch Salvini-Dekret verschärft

Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te hat­te schon 2014 ange­sichts der dama­li­gen, eben­falls besorg­nis­er­re­gen­den Ver­hält­nis­se ent­schie­den, dass Fami­li­en mit Kin­dern nur nach Ita­li­en über­stellt wer­den dür­fen, wenn eine indi­vi­du­el­le Zusi­che­rung für eine kind­ge­rech­te Unter­brin­gung vor­liegt. An die­ses Urteil sieht sich aber das BAMF seit eini­ger Zeit nicht mehr gebun­den. Auf Grund­la­ge einer glo­ba­len Zusa­ge der ita­lie­ni­schen Regie­rung vom Janu­ar 2019, Fami­li­en grund­sätz­lich ange­mes­sen unter­zu­brin­gen, sei die Abschie­bung gene­rell wie­der möglich.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Würz­burg hielt auf die­ser Grund­la­ge die Abschie­bung des Kin­des und sei­ner Mut­ter für zuläs­sig und lehn­te deren Eil­an­trag ab. Dem wider­sprach nun das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt: Die Lage habe sich durch das Sal­vi­ni-Dekret grund­le­gend ver­än­dert. Es kön­nen nicht ohne Wei­te­res davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass eine fami­li­en- und kind­ge­rech­te Unter­brin­gung in Ita­li­en gewähr­leis­tet sei. Ein Risi­ko, dass Mut­ter und Kind vor­über­ge­hend obdach­los wer­den könn­ten, sei schlüs­sig dar­ge­legt. Zu Unrecht habe das Ver­wal­tungs­ge­richt die vom Klä­ger vor­ge­leg­ten Berich­te zur Lage in Ita­li­en nicht voll­stän­dig gewür­digt. Die Ableh­nung des Eil­an­trags war dar­um rechtswidrig.

Ein Risi­ko, dass Mut­ter und Kind in Ita­li­en vor­über­ge­hend obdach­los wer­den könn­ten, sei schlüs­sig dargelegt. 

Im Fall des Afgha­nen kri­ti­sier­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt eben­falls eine zu wenig gründ­li­che Prü­fung durch das Ver­wal­tungs­ge­richt. Zwar hat­te es eine Zusi­che­rung der grie­chi­schen Behör­den gege­ben, dass der Mann wäh­rend sei­nes Asyl­ver­fah­rens men­schen­wür­dig unter­ge­bracht wer­den sollte.

Menschenwürdige Existenz muss auch NACH dem Asylverfahren gewährleistet sein

Er berief sich aber dar­auf, dass nach einem Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs vom März die­sen Jah­res das Ver­wal­tungs­ge­richt auch hät­te prü­fen müs­sen, wie sei­ne Lebens­si­tua­ti­on nach dem Asyl­ver­fah­ren gewe­sen wäre und ob eine men­schen­wür­di­ge Exis­tenz auch nach einer Zuer­ken­nung inter­na­tio­na­len Schut­zes in Grie­chen­land gesi­chert gewe­sen wäre.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt ver­warf die­sen Gedan­ken, das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gab dem Mann recht: Auch nach einer Aner­ken­nung dür­fe ihm kei­ne men­schen­un­wür­di­ge Behand­lung auf­grund unzu­rei­chen­der Ver­sor­gung dro­hen. Die unter­las­se­ne Prü­fung durch das Ver­wal­tungs­ge­richt sei willkürlich.

Text: flucht­punkt Ham­burg, 29.10.2019 – vie­len Dank für die Erlaub­nis zur Zweitveröffentlichung