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Grundgesetz, Artikel 20. Foto: Max Klöckner

PRO ASYL setzt sich mit 18 weiteren Sozial-, Gewerkschafts- und Wohlfahrtsverbänden für den Erhalt des Sozialstaats ein und stellt sich gegen Hetze, abwertende Diskurse und Praktiken, die schutz- und hilfebedürftige Menschen entrechten.

In einem am 31. Janu­ar 2025 ver­öf­fent­lich­ten Auf­ruf für sozia­le Sicher­heit und gerech­te Ver­tei­lung wer­ben 19 Bun­des­or­ga­ni­sa­tio­nen gemein­sam für sozia­le Sicher­heit und gerech­te Ver­tei­lung zum Nut­zen aller gesell­schaft­li­chen Grup­pen. PRO ASYL stellt sich mit dem Auf­ruf ent­schie­den gegen Het­ze und aus­gren­zen­de Dis­kur­se auf dem Rücken von Bür­ger­geld­be­zie­hen­den und Geflüch­te­ten, die Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz erhal­ten. Leis­tungs­kür­zun­gen, die das Exis­tenz­mi­ni­mum unter­schrei­ten, miss­ach­ten die Wür­de eines jeden Men­schen und unter­gra­ben das Sozialstaatsprinzip.

Abgleitende Debatte

In den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren wur­den sozia­le Leis­tun­gen, vor allem das Bür­ger­geld und die Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen, immer wie­der poli­tisch atta­ckiert. Das Bür­ger­geld sei angeb­lich zu hoch, ins­ge­samt zu teu­er oder wer­de zu oft »miss­bräuch­lich« in Anspruch genom­men. An über­trie­be­nen Sze­na­ri­en, Pau­scha­li­sie­run­gen und dif­fa­mie­ren­den Begriff­lich­kei­ten für Bezie­hen­de von Bür­ger­geld man­gelt es nicht. Ein sol­cher popu­lis­ti­scher Dis­kurs treibt nicht nur die gesell­schaft­li­che Spal­tung vor­an. Er ist auch ein Angriff auf die Grund­wer­te unse­rer Verfassung:

Alle Men­schen haben das Recht auf ein Leben in Wür­de – so steht es in unse­rem Grund­ge­setz. Arti­kel 1, die Men­schen­wür­de, und Arti­kel 20, das Sozi­al­staats­prin­zip, sind für unse­ren demo­kra­ti­schen Staat unver­han­del­bar. Des­halb sind sie auch durch eine »Ewig­keits­ga­ran­tie« vor der Ver­än­de­rung geschützt.

Nicht weni­ger als vier dras­ti­sche Ver­schlech­te­run­gen haben Bund und Län­der im Ver­lauf des Jah­res 2024 beschlossen.

Asylbewerberleistungen: Populistische Verschärfungen statt Menschenwürde 

Die Wür­de des Men­schen gilt für alle – auch für Geflüch­te­te. Den­noch lie­gen die Leis­tun­gen für Geflüch­te­te nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) noch unter­halb des Niveaus von Bür­ger­geld­be­zie­hen­den. Eigent­lich hat­te die Ampel-Regie­rung im Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­chen, das dis­kri­mi­nie­ren­de Gesetz end­lich gemäß den Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zu refor­mie­ren. Die dis­kri­mi­nie­ren­de Schlech­ter­stel­lung von Geflüch­te­ten hät­te schon seit vie­len Jah­ren besei­tigt wer­den müs­sen. Getan hat auch die letz­te Regie­rung das Gegen­teil. Nicht weni­ger als vier dras­ti­sche Ver­schlech­te­run­gen haben Bund und Län­der im Ver­lauf des Jah­res 2024 beschlossen:

  • Zu Jah­res­be­ginn 2024 wur­de die Zeit, in der geflüch­te­te Men­schen mit den aus­gren­zen­den und redu­zier­ten Grund­leis­tun­gen des Asyl­bLG leben müs­sen, von 18 auf 36 Mona­te ver­dop­pelt. Weil wäh­rend­des­sen auch der Zugang zu einer regu­lä­ren Gesund­heits­ver­sor­gung ein­ge­schränkt ist, dro­hen erns­te Aus­wir­kun­gen für die Gesund­heit der betrof­fe­nen Menschen.
  • 2024/2025 erhal­ten Geflüch­te­te schritt­wei­se eine »Bezahl­kar­te« anstel­le einer Geld­leis­tung. Die in ihren Zahl­funk­tio­nen ein­ge­schränk­te Kar­te wur­de von Poli­tik mit frei her­bei­fan­ta­sier­ten Behaup­tun­gen ein­ge­führt und als Abschre­ckungs­in­stru­ment gefei­ert. In der Pra­xis macht die Kar­te nichts bes­ser, ver­ur­sacht aber eine Men­ge Ärger.
  • Seit Anfang 2025 erhal­ten Men­schen, die Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz erhal­ten, noch weni­ger Unter­stüt­zung als im ver­gan­ge­nen Jahr: Die Bun­des­re­gie­rung ord­ne­te eine Kür­zung zwi­schen 13 und 19 Euro monat­lich an. Das ist das Ergeb­nis der Anpas­sung an die jähr­li­che Lohn- und Preis­ent­wick­lung durch das sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Bun­des­so­zi­al­mi­nis­te­ri­um. Die­se »Minus­run­de« gilt für Geflüch­te­te – nicht aber für Sozi­al­hil­fe- und Bürgergeldempfänger*innen. Die­se erhal­ten zwar auch kei­nen Infla­ti­ons­aus­gleich, aber die glei­chen Leis­tun­gen wie 2024 und erlei­den so »nur« einen Kauf­kraft­ver­lust. Die Abzü­ge bei den Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen ver­grö­ßert ein­mal mehr die Ungleich­heit zwi­schen bei­den Gruppen.
  • Die bis­lang wei­test­ge­hen­de Ver­let­zung der sozia­len Rech­te Geflüch­te­ter ist eine im Novem­ber 2024 in Kraft getre­te­ne gesetz­li­che Rege­lung, die Men­schen wäh­rend des Asyl-Zustän­dig­keits­ver­fah­rens (Dub­lin-Ver­fah­ren) jeg­li­ches Recht auf Unter­kunft und Ver­sor­gung voll­stän­dig ent­zieht. Wohl weil die­se Rege­lung auf wack­li­gen Füßen steht und von vie­len Jurist*innen für ver­fas­sungs­wid­rig gehal­ten wird, wur­de sie bis­lang noch nicht in vol­ler Här­te ange­wen­det, und in Ein­zel­fäl­len ver­hin­der­ten Gerich­te bereits ent­spre­chen­de Verfügungen.

Beson­ders bedenk­lich: Alle die­se Ver­schär­fun­gen wur­den gegen die Ein­wän­de von Zivil­ge­sell­schaft, Expert*innen und Wis­sen­schaft beschlos­sen. PRO ASYL for­dert mit hun­der­ten wei­te­ren Orga­ni­sa­tio­nen seit Jah­ren die Abschaf­fung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes und eine men­schen­wür­di­ge Absi­che­rung für alle Men­schen in Deutschland.

Mehr noch muss die Igno­ranz erschre­cken, mit der die Regie­rung ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken schlicht über­gan­gen hat. Die CDU sieht in ihrem Wahl­pro­gramm bereits wei­te­re Ver­schär­fun­gen für Geflüch­te­te vor und schreckt eben­falls vor offen­kun­dig ver­fas­sungs­wid­ri­gen Rege­lun­gen nicht zurück. Damit grei­fen die poli­ti­schen Par­tei­en die Fun­da­men­te unse­rer Demo­kra­tie an. Es ist drin­gend an der Zeit, sich zu besinnen.

Der Sozialstaat ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben

Im gemein­sa­men Appell der Orga­ni­sa­tio­nen heißt es: »Der Sozi­al­staat ist ein wesent­li­ches Fun­da­ment der Gesell­schaft in Deutsch­land. Der Sozi­al­staat gewähr­leis­tet sozia­le Sicher­heit, unter­stützt eine gerech­te­re Ver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen Reich­tums und ist die Grund­la­ge des demo­kra­ti­schen und fried­li­chen Zusam­men­le­bens. Der Sozi­al­staat orga­ni­siert Soli­da­ri­tät unter gleich­be­rech­tig­ten Bür­ge­rin­nen und Bür­gern und bringt zum Aus­druck: wir ste­hen für­ein­an­der ein. Das gebie­tet unse­re Ver­fas­sung und das ist gut so! Demo­kra­tie und sozia­le Grund­rech­te gehö­ren zusammen.«

Demo­kra­tie und sozia­le Grund­rech­te gehö­ren zusammen.

Gemein­sam mit den Orga­ni­sa­tio­nen stellt sich PRO ASYL allen Ver­su­chen ent­ge­gen, den Sozi­al­staat in einem sei­ner Bestand­tei­le zu beschä­di­gen. Zu den im Appell ent­hal­te­nen For­de­run­gen gehören:

  • Höhe­re Löh­ne und Tarifbindung
  • Aus­kömm­li­che Leis­tun­gen bei Arbeits­lo­sig­keit, im Alter, bei Erwerbs­min­de­rung oder bei Bezug von Krankengeld
  • Anhe­bung der Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung, damit eine men­schen­wür­di­ge Exis­tenz garan­tiert ist
  • Ver­stärk­te Arbeits­för­de­rung statt hilf­lo­ser Sank­ti­ons­de­bat­ten, damit sozia­le und beruf­li­che Teil­ha­be für alle Men­schen mög­lich wird.
  • Stär­ke­rer öffent­li­cher Woh­nungs­bau für bezahl­ba­re Wohnungen

(ak)

Der Appell wird getra­gen von fol­gen­den Orga­ni­sa­tio­nen: AWO Bun­des­ver­band e.V., Deut­scher Cari­tas­ver­band e.V., Dia­ko­nie Deutsch­land, Der Pari­tä­ti­sche Gesamt­ver­band, SoVD, VdK, Volks­so­li­da­ri­tät, DGB, ver.di, IG Metall, Koor­di­nie­rungs­stel­le gewerk­schaft­li­cher Arbeits­lo­sen­grup­pen (KOS), Bünd­nis Auf­Recht bestehen, Arbeits­lo­sen­hil­fe Olden­burg e.V., Tache­les e.V., Sank­ti­ons­frei, Deut­scher Mie­ter­bund, Pro Asyl, Tafel Deutsch­land e.V., Zukunfts­fo­rum Fami­lie e.V.