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Nicht nur die Pose mutet martialisch an: Deutsche Beamt*innen sind an den EU-Grenzen offenbar auch an illegalen Pushbacks beteiligt. Foto: picture alliance / dpa | Christian Charisius

Indirekte und direkte Beteiligung an Pushbacks: Der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden zuletzt mehrere Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen. Ihr Direktor hat dies bis zuletzt abgestritten. Jetzt stellt sich heraus: Auch Beamt*innen der deutschen Bundespolizei waren an der illegalen Zurückweisung von Schutzsuchenden in der Ägäis beteiligt.

Am 26.11.2020 ver­öf­fent­licht ein jour­na­lis­ti­sches Recher­che­kol­lek­tiv den ent­schei­den­den Aus­schnitt aus einem soge­nann­ten Serious Inci­dent Report über einen Push­back im April die­ses Jah­res. Aus die­sem wird deut­lich, dass die EU-Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex Zeu­gin von einem Push­back in der Ägä­is durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che gewor­den ist und die­ser dem »Fron­tex Situa­ti­on Cent­re« in War­schau ord­nungs­ge­mäß berich­tet wur­de. Wie­der­holt hat­ten Vertreter*innen der Agen­tur, allen vor­an ihr Direk­tor Fabri­ce Leg­ge­ri genau die­ses Wis­sen abge­strit­ten.

Mein Name ist Leggeri, ich weiß von nichts 

Bereits im Okto­ber 2020 leg­te ein Recher­che-Team um das Maga­zin der Spie­gel die akti­ve Betei­li­gung eines Schiffs im Fron­tex-Man­dat an einem Push­back in der Ägä­is offen. Wei­te­re an Mis­sio­nen von Fron­tex oder NATO betei­lig­te Schif­fe und Flug­zeu­ge haben nach­weis­lich Kennt­nis­se über Push­backs durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che gehabt. Es sind kei­ne Über­ra­schun­gen, aber Beweise, auf die vie­le gewar­tet haben.

Trotz der sich anhäu­fen­den Bewei­se soll Leg­ge­ri in der Dring­lich­keits­sit­zung des Fron­tex-Manage­ment-Boards zu den vor­ge­wor­fe­nen Men­schen­rechts­ver­stö­ßen im Novem­ber sinn­ge­mäß gesagt haben: Wo es kei­ne Berich­te gibt, gibt es auch kei­ne Rechtsverstöße.

Am 08. Juni blo­ckiert die MAI 1103, ein Schiff im Fron­tex-Ein­satz unter rumä­ni­scher Flag­ge, ein Boot mit Schutz­su­chen­den an Bord. Das Fron­tex-Schiff erzeugt Wel­len, die das Flücht­lings­boot in Rich­tung Tür­kei zurück­drän­gen. Dann ver­lässt die MAI 1103 die Sze­ne­rie und ein Schiff der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che über­nimmt. Eine Ret­tung bleibt aus.

Der Bericht des Recher­che­kol­lek­tivs zeigt, dass zahl­rei­che Crews in Fron­tex-Man­dat Zeug*innen von Push­backs gewor­den sind, ohne einzugreifen.

Der Bericht des Recher­che­kol­lek­tivs zeigt außer­dem, dass zahl­rei­che Crews in Fron­tex-Man­dat Zeu­gin­nen von Push­backs gewor­den sind, ohne ein­zu­grei­fen. Die Besat­zun­gen hät­ten sol­che Vor­fäl­le in Serious Inci­dent Reports mel­den müs­sen – wie jenen Push­back im April. Doch die­ser inter­ne Kon­troll­me­cha­nis­mus funk­tio­niert in der Regel nicht. Auch der Serious Inci­dent Report im April wur­de fälsch­li­cher­wei­se nicht als Grund­rechts­ver­let­zung eingestuft.

Nur sechs Serious Inci­dent Reports wur­den zwi­schen 2017 und 2019 bezüg­lich Push­backs an der grie­chisch-tür­ki­schen Land­gren­ze ein­ge­reicht. Die tür­ki­sche Regie­rung spricht von knapp 60.000 Push­backs allei­ne zwi­schen Novem­ber 2017 und Novem­ber 2018.

Bereits im März hat eine däni­sche Crew im Fron­tex-Ein­satz für Auf­se­hen gesorgt. Die Crew hat­te den Befehl der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che ver­wei­gert, nach­dem sie auf­ge­for­dert wur­de, zuvor geret­te­te Men­schen in die Tür­kei zurück zu schleppen.

Eine Mit­ar­bei­te­rin des Fron­tex-Medi­en­diens­tes ent­deckt die Mel­dung zu dem Vor­fall selbst erst aus der Pres­se – die däni­sche Crew hat­te den Vor­fall nicht intern gemel­det. Drei Emails und weni­ge Stun­den spä­ter ist eine abschlie­ßen­de Bewer­tung des Vor­falls getrof­fen: Es han­delt sich um einen Ein­zel­fall, ein Miss­ver­ständ­nis das ord­nungs­ge­mäß gehand­habt wur­de. Leg­ge­ri, so erklärt er selbst, habe sich selbst ein­ge­bracht, um den Vor­fall auf­zu­klä­ren (LIBE Aus­schuss-Sit­zung, 06.07.2020, 18:13:10 – 18:13:25).

Ein Missverständnis?

Der Email­ver­kehr, den frag-den-staat am 18. Novem­ber ver­öf­fent­licht, zeigt die ein­deu­ti­ge Anwei­sung zum Push­back von der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che an das Frontex-Schiff:

» HCG Liai­son Offi­cer –Tech­ni­cal Equip­ment (LO-TE)[Verbindungsbeamter der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che – Tech­ni­sches Equip­ment] infor­mier­te eine Besat­zung über einen Befehl sei­ner Behör­de, die Migran­ten zurück in das Gum­mi­boot zu brin­gen und sie in die Hoheits­ge­wäs­ser der TUR [Tür­kei] zu eskortieren/transportieren« (sic!).

Deutsche Marine und Bundespolizei an Pushbacks beteiligt

Die ille­ga­le Zurück­wei­sung von Schutz­su­chen­den in der Ägä­is geschieht auch vor den Augen deut­scher Mari­ne­schif­fe, die im Rah­men einer NATO-Mis­si­on »Stan­ding NATO Mari­ti­me Group 2« in der Ägä­is patrouil­lie­ren. Die Besat­zung der deut­schen Fre­gat­te »Ber­lin« wur­de mehr­fach Zeu­gin von Push­backs, griff jedoch nicht ein.

Anstatt Geflüch­te­te zu ret­ten, war­tet die deut­sche Besat­zung und lässt einen Push­back in tür­ki­sche Gewäs­ser geschehen.

Nun bele­gen Berich­te die Betei­li­gung der Bun­des­po­li­zei, die im Rah­men der Fron­tex-Mis­si­on in der Ägä­is ein­ge­setzt ist. Am 10. August 2020 hält das Schiff »Ucker­mark« ein über­füll­tes Boot von Schutz­su­chen­den in grie­chi­schen Gewäs­sern an. Doch anstatt die­se aus See­not zu ret­ten und nach Grie­chen­land zu brin­gen, war­ten die deut­schen Beamt*innen auf die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che, die sich des Falls annimmt. Die Schutz­su­chen­den wer­den zwei Stun­den spä­ter in tür­ki­schen Gewäs­sern durch die tür­ki­sche Küs­ten­wa­che gerettet.

Menschenrechtsverletzungen müssen Konsequenzen haben 

Arti­kel 46, Absatz 4, der Fron­tex-Ver­ord­nung sieht vor, dass der Exe­ku­tiv­di­rek­tor jed­we­de Tätig­keit der Agen­tur aus­set­zen und been­den kann, wenn »im Zusam­men­hang mit der betref­fen­den Tätig­keit schwer­wie­gen­de oder vor­aus­sicht­lich wei­ter anhal­ten­de Ver­stö­ße gegen Grund­rech­te oder Ver­pflich­tun­gen des inter­na­tio­na­len Schut­zes vorliegen«.

Die Bun­des­re­gie­rung muss hier den Stein ins Rol­len brin­gen und

  1. das deut­sche Kon­tin­gent mit­samt tech­ni­scher Aus­rüs­tung aus dem Ein­satz zurückziehen,
  2. die Vor­wür­fe gegen deut­sche Beamt*innen aufarbeiten,
  3. wei­te­re Ein­sät­ze deut­scher Beamt*innen in Fron­tex-Ope­ra­tio­nen überprüfen.
  4. wie in Arti­kel 46, Absatz 2, der Fron­tex-Ver­ord­nung fest­ge­schrie­ben als an der Ope­ra­ti­on teil­neh­men­der Mit­glied­staat, »den Exe­ku­tiv­di­rek­tor ersu­chen, die ope­ra­ti­ve Tätig­keit zu beenden.«

Die Institution Frontex muss auf den Prüfstand

Die Bewei­se gegen Fron­tex zei­gen die Schwach­stel­le der Agen­tur. Die inter­nen Kon­troll­me­cha­nis­men der Agen­tur rei­chen nicht aus, um für den Schutz der Men­schen­rech­te an den Gren­zen der EU zu garan­tie­ren. In den weni­gen Berich­ten, die Beamt*innen ord­nungs­ge­mäß ver­fas­sen, ver­tuscht die Füh­rungs­spit­ze die Rechts­brü­che gezielt. Ent­ge­gen der ent­spre­chen­den gesetz­li­chen Grund­la­ge haben Men­schen­rechts­ver­stö­ße an den EU Außen­gren­zen noch nie dazu geführt, dass die Agen­tur ihre Akti­vi­tä­ten ein­ge­stellt hätte.

Fron­tex wur­de erst 2019 durch eine neue Ver­ord­nung refor­miert. Die Ereig­nis­se aus 2020 machen es not­wen­dig, die Agen­tur als Gan­zes auf den Prüf­stand zu stellen.

Die Euro­päi­sche Ombuds­per­son Emi­ly O’Reilly hat Unter­su­chun­gen ein­ge­lei­tet, um die Wirk­sam­keit des indi­vi­du­el­len Beschwer­de­me­ch­ani­mus und der Grund­rechts­be­af­trag­ten von Fron­tex zu prü­fen. Die inzwi­schen öffent­lich gewor­de­nen Vor­fäl­le machen wei­te­re poli­ti­sche Reak­tio­nen notwendig.

Fabri­ce Leg­ge­ri ist nicht in der Lage, die Ein­hal­tung von Men­schen­rech­ten durch sei­ne Agen­tur zu gewähr­leis­ten. Doch per­so­nel­le Ände­run­gen und punk­tu­el­le Refor­men rei­chen nicht. Fron­tex wur­de erst 2019 durch eine neue Ver­ord­nung refor­miert. Die Ereig­nis­se aus 2020 machen es not­wen­dig, die Agen­tur als Gan­zes auf den Prüf­stand zu stellen.

Die Verantwortung liegt bei den Nationalstaaten – und der EU-Kommission

Die Ver­ant­wor­tung für die sys­te­ma­ti­schen Push­backs in der Ägä­is liegt in ers­ter Linie bei der grie­chi­schen Regie­rung. Ihre Küs­ten­wa­che und Grenzbeamt*innen bre­chen regel­mä­ßig Euro­pa­recht. Die Regie­rung strei­tet jedoch alle Vor­wür­fe ab, nennt sie »Fake News«. In einem sol­chen Fal­le ist es an der EU-Kom­mis­si­on, ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten. Die grie­chi­sche Regie­rung wäre dann in einem ers­ten Schritt gezwun­gen, ernst­haf­te Ant­wor­ten auf die Vor­wür­fe zu liefern.

(dm / mz)