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Beteiligung von Frontex und deutschen Einsatzkräften an Pushbacks muss Konsequenzen haben

Indirekte und direkte Beteiligung an Pushbacks: Der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurden zuletzt mehrere Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen. Ihr Direktor hat dies bis zuletzt abgestritten. Jetzt stellt sich heraus: Auch Beamt*innen der deutschen Bundespolizei waren an der illegalen Zurückweisung von Schutzsuchenden in der Ägäis beteiligt.
Am 26.11.2020 veröffentlicht ein journalistisches Recherchekollektiv den entscheidenden Ausschnitt aus einem sogenannten Serious Incident Report über einen Pushback im April dieses Jahres. Aus diesem wird deutlich, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex Zeugin von einem Pushback in der Ägäis durch die griechische Küstenwache geworden ist und dieser dem »Frontex Situation Centre« in Warschau ordnungsgemäß berichtet wurde. Wiederholt hatten Vertreter*innen der Agentur, allen voran ihr Direktor Fabrice Leggeri genau dieses Wissen abgestritten.
Mein Name ist Leggeri, ich weiß von nichts
Bereits im Oktober 2020 legte ein Recherche-Team um das Magazin der Spiegel die aktive Beteiligung eines Schiffs im Frontex-Mandat an einem Pushback in der Ägäis offen. Weitere an Missionen von Frontex oder NATO beteiligte Schiffe und Flugzeuge haben nachweislich Kenntnisse über Pushbacks durch die griechische Küstenwache gehabt. Es sind keine Überraschungen, aber Beweise, auf die viele gewartet haben.
Trotz der sich anhäufenden Beweise soll Leggeri in der Dringlichkeitssitzung des Frontex-Management-Boards zu den vorgeworfenen Menschenrechtsverstößen im November sinngemäß gesagt haben: Wo es keine Berichte gibt, gibt es auch keine Rechtsverstöße.
Am 08. Juni blockiert die MAI 1103, ein Schiff im Frontex-Einsatz unter rumänischer Flagge, ein Boot mit Schutzsuchenden an Bord. Das Frontex-Schiff erzeugt Wellen, die das Flüchtlingsboot in Richtung Türkei zurückdrängen. Dann verlässt die MAI 1103 die Szenerie und ein Schiff der griechischen Küstenwache übernimmt. Eine Rettung bleibt aus.
Der Bericht des Recherchekollektivs zeigt, dass zahlreiche Crews in Frontex-Mandat Zeug*innen von Pushbacks geworden sind, ohne einzugreifen.
Der Bericht des Recherchekollektivs zeigt außerdem, dass zahlreiche Crews in Frontex-Mandat Zeuginnen von Pushbacks geworden sind, ohne einzugreifen. Die Besatzungen hätten solche Vorfälle in Serious Incident Reports melden müssen – wie jenen Pushback im April. Doch dieser interne Kontrollmechanismus funktioniert in der Regel nicht. Auch der Serious Incident Report im April wurde fälschlicherweise nicht als Grundrechtsverletzung eingestuft.
Nur sechs Serious Incident Reports wurden zwischen 2017 und 2019 bezüglich Pushbacks an der griechisch-türkischen Landgrenze eingereicht. Die türkische Regierung spricht von knapp 60.000 Pushbacks alleine zwischen November 2017 und November 2018.
Bereits im März hat eine dänische Crew im Frontex-Einsatz für Aufsehen gesorgt. Die Crew hatte den Befehl der griechischen Küstenwache verweigert, nachdem sie aufgefordert wurde, zuvor gerettete Menschen in die Türkei zurück zu schleppen.
Eine Mitarbeiterin des Frontex-Mediendienstes entdeckt die Meldung zu dem Vorfall selbst erst aus der Presse – die dänische Crew hatte den Vorfall nicht intern gemeldet. Drei Emails und wenige Stunden später ist eine abschließende Bewertung des Vorfalls getroffen: Es handelt sich um einen Einzelfall, ein Missverständnis das ordnungsgemäß gehandhabt wurde. Leggeri, so erklärt er selbst, habe sich selbst eingebracht, um den Vorfall aufzuklären (LIBE Ausschuss-Sitzung, 06.07.2020, 18:13:10 – 18:13:25).
Ein Missverständnis?
Der Emailverkehr, den frag-den-staat am 18. November veröffentlicht, zeigt die eindeutige Anweisung zum Pushback von der griechischen Küstenwache an das Frontex-Schiff:
» HCG Liaison Officer –Technical Equipment (LO-TE)[Verbindungsbeamter der griechischen Küstenwache – Technisches Equipment] informierte eine Besatzung über einen Befehl seiner Behörde, die Migranten zurück in das Gummiboot zu bringen und sie in die Hoheitsgewässer der TUR [Türkei] zu eskortieren/transportieren« (sic!).
Deutsche Marine und Bundespolizei an Pushbacks beteiligt
Die illegale Zurückweisung von Schutzsuchenden in der Ägäis geschieht auch vor den Augen deutscher Marineschiffe, die im Rahmen einer NATO-Mission »Standing NATO Maritime Group 2« in der Ägäis patrouillieren. Die Besatzung der deutschen Fregatte »Berlin« wurde mehrfach Zeugin von Pushbacks, griff jedoch nicht ein.
Anstatt Geflüchtete zu retten, wartet die deutsche Besatzung und lässt einen Pushback in türkische Gewässer geschehen.
Nun belegen Berichte die Beteiligung der Bundespolizei, die im Rahmen der Frontex-Mission in der Ägäis eingesetzt ist. Am 10. August 2020 hält das Schiff »Uckermark« ein überfülltes Boot von Schutzsuchenden in griechischen Gewässern an. Doch anstatt diese aus Seenot zu retten und nach Griechenland zu bringen, warten die deutschen Beamt*innen auf die griechische Küstenwache, die sich des Falls annimmt. Die Schutzsuchenden werden zwei Stunden später in türkischen Gewässern durch die türkische Küstenwache gerettet.
Menschenrechtsverletzungen müssen Konsequenzen haben
Artikel 46, Absatz 4, der Frontex-Verordnung sieht vor, dass der Exekutivdirektor jedwede Tätigkeit der Agentur aussetzen und beenden kann, wenn »im Zusammenhang mit der betreffenden Tätigkeit schwerwiegende oder voraussichtlich weiter anhaltende Verstöße gegen Grundrechte oder Verpflichtungen des internationalen Schutzes vorliegen«.
Die Bundesregierung muss hier den Stein ins Rollen bringen und
- das deutsche Kontingent mitsamt technischer Ausrüstung aus dem Einsatz zurückziehen,
- die Vorwürfe gegen deutsche Beamt*innen aufarbeiten,
- weitere Einsätze deutscher Beamt*innen in Frontex-Operationen überprüfen.
- wie in Artikel 46, Absatz 2, der Frontex-Verordnung festgeschrieben als an der Operation teilnehmender Mitgliedstaat, »den Exekutivdirektor ersuchen, die operative Tätigkeit zu beenden.«
Die Institution Frontex muss auf den Prüfstand
Die Beweise gegen Frontex zeigen die Schwachstelle der Agentur. Die internen Kontrollmechanismen der Agentur reichen nicht aus, um für den Schutz der Menschenrechte an den Grenzen der EU zu garantieren. In den wenigen Berichten, die Beamt*innen ordnungsgemäß verfassen, vertuscht die Führungsspitze die Rechtsbrüche gezielt. Entgegen der entsprechenden gesetzlichen Grundlage haben Menschenrechtsverstöße an den EU Außengrenzen noch nie dazu geführt, dass die Agentur ihre Aktivitäten eingestellt hätte.
Frontex wurde erst 2019 durch eine neue Verordnung reformiert. Die Ereignisse aus 2020 machen es notwendig, die Agentur als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen.
Die Europäische Ombudsperson Emily O’Reilly hat Untersuchungen eingeleitet, um die Wirksamkeit des individuellen Beschwerdemechanimus und der Grundrechtsbeaftragten von Frontex zu prüfen. Die inzwischen öffentlich gewordenen Vorfälle machen weitere politische Reaktionen notwendig.
Fabrice Leggeri ist nicht in der Lage, die Einhaltung von Menschenrechten durch seine Agentur zu gewährleisten. Doch personelle Änderungen und punktuelle Reformen reichen nicht. Frontex wurde erst 2019 durch eine neue Verordnung reformiert. Die Ereignisse aus 2020 machen es notwendig, die Agentur als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen.
Die Verantwortung liegt bei den Nationalstaaten – und der EU-Kommission
Die Verantwortung für die systematischen Pushbacks in der Ägäis liegt in erster Linie bei der griechischen Regierung. Ihre Küstenwache und Grenzbeamt*innen brechen regelmäßig Europarecht. Die Regierung streitet jedoch alle Vorwürfe ab, nennt sie »Fake News«. In einem solchen Falle ist es an der EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Die griechische Regierung wäre dann in einem ersten Schritt gezwungen, ernsthafte Antworten auf die Vorwürfe zu liefern.
(dm / mz)