03.06.2015
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Die afghanische Armee neutralisiert eine Sprengvorrichtung. Regierungstruppen und vorrückende Taliban liefern sich seit April 2014 erneut heftige Kämpfe. Foto: flickr / Al Jazeera English

Die Zahl der zivilen Opfer ist auf einem Rekordhoch. Kämpfe zwischen Taliban und Regierung zwingen immer mehr Menschen zur Flucht. Trotzdem werden in Deutschland weiterhin Asylanträge von Afghanen abgelehnt. Mit ernsten Folgen für die Betroffenen.

Etwa 15.000 Men­schen sind allei­ne durch die jüngs­ten Kämp­fe zwi­schen Regie­rungs­trup­pen und Tali­ban in der Pro­vinz Kun­dus zur Flucht gezwun­gen wor­den. Wäh­rend die Pro­vinz­haupt­stadt als rela­tiv sicher gilt, fin­den im Umland hef­ti­ge Kämp­fe statt. Im April die­ses Jah­res hat­ten die Tali­ban ihre Früh­jahrs­of­fen­si­ve gestar­tet, die sie bis kurz vor die Tore der Pro­vinz­haup­stadt Kun­dus brach­te und tau­sen­de Men­schen zur Flucht zwang.

Zahl der zivi­len Opfer auf Rekordhoch

Der NATO-Ein­satz hat ganz offen­sicht­lich kei­ne nach­hal­ti­ge Sta­bi­li­tät gebracht. Die Bun­des­wehr hat­te sich im Herbst 2013 nach zehn Jah­ren aus der Unru­he-Pro­vinz Kun­dus zurück­ge­zo­gen. Bereits kurz danach fie­len zahl­rei­che Dör­fer zurück an die Tali­ban. Nach der jüngs­ten Offen­si­ve sind wei­te­re Dör­fer und Städ­te in Hand der Islamisten.

Die Kämp­fe zwi­schen Tali­ban und Regie­rungs­trup­pen in Afgha­ni­stan for­dern dabei immer mehr Tote. Die Zahl der zivi­len Opfer stieg laut UNO in 2014 auf ein Rekord­hoch: 3699 Tote und 6849 ver­let­ze Zivi­lis­ten wur­den gezählt. In 2015 eska­liert die Lage wei­ter.  In den ers­ten vier Mona­ten 2015 wur­den min­des­tens 974 Zivi­lis­ten getö­tet  – ein Anstieg um ein Vier­tel gegen­über dem Vor­jah­res­zeit­raum. Seit 2001 haben 68.000 Men­schen ihr Leben verloren.

Über­for­der­tes Land: Immer mehr Flücht­lin­ge leben in Slums und Zeltstädten 

Auch die Zahl der Ver­trie­be­nen in Afgha­ni­stan steigt  in 2015 dra­ma­tisch an. Mit­te 2014 zähl­te der UNHCR noch knapp 700.000 Bin­nen­flücht­lin­ge – Le Mon­de diplo­ma­tique berich­tet nun bereits von 800.000 Ver­trie­be­nen. Das Land ist mit der Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge voll­stän­dig über­for­dert. Zehn­tau­sen­de Rück­keh­rer und Ver­trie­be­ne leben seit Jah­ren in Slums und Zelt­städ­ten vor den Toren Kabuls. Es fehlt an medi­zi­ni­scher Hil­fe, Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln, sau­be­rem Trink­was­ser und Unterbringungsmöglichkeiten.

Bom­ben­an­schlä­ge durch Tali­ban und Isla­mi­scher Staat

Auch die Ter­ror­mi­liz „Isla­mi­scher Staat“ ist mitt­ler­wei­le in Afgha­ni­stan aktiv. Bei einem IS-Anschlag in Dscha­lal­abad im April 2015 star­ben 33 Men­schen, mehr als 100 Men­schen wur­den ver­letzt – es war der schwers­te Bom­ben­an­schlag seit dem offi­zi­el­len Ende des NATO-Ein­sat­zes. Auch die Haupt­stadt Kabul wird immer öfter von Anschlä­gen erschüt­tert. Seit Novem­ber 2014 deto­nie­ren mehr­mals pro Woche Bom­ben.  So auch am 19.Mai 2015: Schwer bewaff­ne­te Mili­zen stürm­ten ein Hotel und nah­men zahl­rei­che Gei­seln, kurz dar­auf wur­de ein Selbst­mord­an­schlag nahe des Flug­ha­fens ver­übt – Min­des­tens 14 Men­schen wur­den getötet.

Trotz Eska­la­ti­on der Gewalt: Asyl­an­trä­ge wer­den abgelehnt

Inter­na­tio­na­le und deut­sche Poli­tik ver­ur­teil­ten die Angrif­fe der Extre­mis­ten scharf und zei­gen sich besorgt über die Sicher­heits­la­ge. Schaf­fen es Flücht­lin­ge aus Afgha­ni­stan jedoch nach Deutsch­land, ist es oft vor­bei mit dem Mit­ge­fühl. Asyl­an­trä­ge von Afgha­nin­nen und Afgha­nen wur­den und wer­den durch das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge immer wie­der abge­lehnt, da ins­be­son­de­re die Haupt­stadt Kabul als aus­rei­chend sicher ange­se­hen wird  - 21,5% Ableh­nun­gen waren es in 2014. Trotz der kata­stro­pha­len Sicher­heits- und Ver­sor­gungs­la­ge hält das BAMF auch in 2015 dar­an fest.

15.950 Afgha­nin­nen und Afgha­nen befan­den sich Ende 2014 in Deutsch­land im Asyl­ver­fah­ren. 3.982 abge­lehn­te afgha­ni­sche Flücht­lin­ge leb­ten zu die­sem Stich­tag in Angst vor der Abschie­bung.  Bis­her fin­den zwar nur ver­ein­zelt Rück­füh­run­gen statt und es ist damit zu rech­nen, dass vie­le von ihnen über Jah­re blei­ben wer­den – die Betrof­fe­nen wer­den jedoch nur gedul­det. Für vie­le Betrof­fe­ne bedeu­tet dies, dass sie in Flücht­lings­la­gern leben müs­sen und unter Arbeits­ver­bo­ten sowie der Angst vor einer Rück­füh­rung lei­den. Jun­gen Afgha­nen wird nach der Schu­le zudem immer wie­der die Aus­bil­dung ver­bo­ten. PRO ASYL for­dert die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz drin­gend dazu auf, einen Abschie­bungs­stopp zu erlas­sen und afgha­ni­schen Flücht­lin­gen Auf­ent­halts­er­laub­nis­se zu ertei­len, um ihre Inte­gra­ti­on zu ermöglichen.

Afgha­ni­stan-Flücht­lin­ge: Abschie­bung oder Blei­be­recht? (26.11.14)

Afgha­ni­stan: Sofort auf Abschie­bun­gen ver­zich­ten! (17.02.14)