07.06.2024
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Polizeibeamte begleiten einen Abschiebeflug nach Afghanistan. Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Nach der schrecklichen Tat von Mannheim sollen laut Bundeskanzler Scholz bei schweren Straftaten Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien stattfinden. Doch in beiden Ländern gibt es Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die jegliche Abschiebungen völkerrechtlich verbieten.

Der Schock nach der Tat von Mann­heim ist groß. Isla­mis­ti­scher Ter­ror, Rechts­extre­mis­mus und Anti­se­mi­tis­mus grei­fen die offe­ne Gesell­schaft in Deutsch­land an. Sol­chen men­schen­ver­ach­ten­den Taten muss mit dem deut­schen Straf­recht begeg­net werden.

Abschie­bun­gen in Län­der, in denen Fol­ter, Miss­hand­lun­gen und wei­te­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen, sind mit dem Rechts­staat und Völ­ker­recht aber unver­ein­bar. Trotz­dem hat Bun­de­kanz­ler Scholz genau dies in einer Regie­rungs­er­klä­rung gefor­dert und ange­kün­digt, dass bei schwe­ren Straf­ta­ten auch Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan und Syri­en erfol­gen sollen.

Der deut­sche Rechts­staat muss sich dadurch aus­zeich­nen, dass eine so erschre­cken­de Tat, wie der Angriff in Mann­heim, zu einem ange­mes­se­nen Straf­ver­fah­ren führt und kei­ne rechts­staat­li­chen Grund­sät­ze in einer auf­ge­heiz­ten Debat­te auf­ge­ge­ben werden.

Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen bei schweren Menschenrechtsverletzungen

Nie­mand darf abge­scho­ben wer­den, wenn nach der Abschie­bung Fol­ter oder unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Behand­lung oder Bestra­fung droht. Das ergibt sich aus dem abso­lu­ten Fol­ter­ver­bot, das unter ande­rem in Arti­kel 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) und Arti­kel 4 der EU-Grund­rech­te­char­ta nor­miert ist. Die­ses Ver­bot ist abso­lut und gilt unein­ge­schränkt für alle Men­schen – auch für Per­so­nen, die Straf­ta­ten began­gen haben. Ihre Stra­fen müs­sen sie in Deutsch­land verbüßen.

Der wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­ta­ges kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass »auf­grund der deso­la­ten Sicher­heits­la­ge und der vie­ler­orts pre­kä­ren huma­ni­tä­ren Lage in Syri­en und Afgha­ni­stan […] Art. 3 EMRK etwa­igen Abschie­bun­gen in die­se Staa­ten regel­mä­ßig ent­ge­gen­ste­hen [wird]«.

»Auf­grund der deso­la­ten Sicher­heits­la­ge und der vie­ler­orts pre­kä­ren huma­ni­tä­ren Lage in Syri­en und Afgha­ni­stan […] Art. 3 EMRK etwa­igen Abschie­bun­gen in die­se Staa­ten regel­mä­ßig entgegenstehen«

wiss. Dienst des Bundestages

Katastrophale menschenrechtliche Lage seit Machtübernahme der Taliban in Afghanistan

Genau die­se Gefahr droht bei jeder Abschie­bung nach Afgha­ni­stan. Seit der Macht­über­nah­me der isla­mis­ti­schen Tali­ban im August 2021 ist die men­schen­recht­li­che und huma­ni­tä­re Situa­ti­on im Land aktu­ell kata­stro­pha­ler denn je.

Laut Berich­ten von inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen und den Ver­ein­ten Natio­nen haben die De-fac­to-Behör­den der Tali­ban schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen wie außer­ge­richt­li­che Tötun­gen, will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen und Inhaf­tie­run­gen, Fol­ter und ande­re For­men der Miss­hand­lung began­gen. Weit­rei­chen­de Ein­schrän­kun­gen von fun­da­men­ta­len Rech­ten, ins­be­son­de­re von Frau­en und Mäd­chen, wer­den inter­na­tio­nal als Gen­der-Apart­heid geäch­tet. Das UN-Flücht­lings­hilfs­wer UNHCR betont, dass die meis­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der­zeit undo­ku­men­tiert blei­ben und die Ent­wick­lung und Ver­fol­gungs­ge­fahr unvor­her­seh­bar ist. UNCHR for­dert von allen Staa­ten, kei­ne Abschie­bun­gen in das Land durchzuführen.

Hin­zu kommt eine bei­spiel­lo­se huma­ni­tä­re Kri­se, die durch eine Rei­he schwe­rer Erd­be­ben im Herbst 2023 und star­ker Sturz­flu­ten in den letz­ten Mona­ten, die vie­le Todes­oper gefor­dert haben, wei­ter ver­schärft wur­de. Laut der Coun­try Gui­dance der Euro­päi­schen Asyl­agen­tur zu Afgha­ni­stan vom Mai 2024 gibt es nir­gend­wo im Land inter­ne Schutzalternative.

Syrien ist weiterhin ein Folterstaat

In Syri­en wird unter Macht­ha­ber Assad seit Jah­ren sys­te­ma­tisch gefol­tert, Men­schen ver­schwin­den und wer­den auf Jah­re rechts­wid­rig inhaf­tiert oder umge­bracht. Unver­än­dert ist das auch die Ein­schät­zung von Orga­ni­sa­tio­nen wie UNHCR, OHCHR, Amnes­ty Inter­na­tio­nal und vie­len wei­te­ren. Dies ent­spricht auch der Recht­spre­chung des Euro­päi­sche Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) (M.D. und ande­re gegen Russ­land; A.J. und ande­re gegen Russ­land), der zufol­ge Abschie­bun­gen nach Syri­en eine Ver­let­zung von Art. 3 EMRK bedeuten.

Auch der Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes (AA) kommt laut Medi­en­be­rich­ten zu der Ein­schät­zung: »Eine siche­re Rück­kehr Geflüch­te­ter kann der­zeit für kei­ne Regi­on Syri­ens und für kei­ne Per­so­nen­grup­pe gewähr­leis­tet, vor­her­ge­sagt oder gar über­prüft wer­den.« Rück­keh­ren­de wer­den die­sem Bericht zufol­ge vom Regime pau­schal zu Ver­rä­tern erklärt, sodass sie »mit weit­rei­chen­der sys­te­ma­ti­scher Will­kür bis hin zu voll­stän­di­ger Recht­lo­sig­keit kon­fron­tiert« sind. In Syri­en wird sys­te­ma­tisch gefol­tert. Der AA-Bericht bezeich­net will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen mit »häu­fig dar­an anschlie­ßen­der Iso­la­ti­ons­haft« als »all­ge­gen­wär­ti­ges Phä­no­men«. Mehr als 100.000 Men­schen gel­ten als vermisst.

Dies wur­de gera­de vom EU-Außen­be­auf­trag­ten Josep Bor­rell Ende Mai bestä­tigt: »While the EU would wish that retur­ning home could be a rea­li­stic opti­on for all refu­gees, ever­y­whe­re and always, we con­cur with the UN sys­tem that, curr­ent­ly, the con­di­ti­ons for safe, vol­un­t­a­ry, and digni­fied returns to Syria are not in place. We insist that it is the Assad regime that bears the pri­ma­ry respon­si­bi­li­ty for put­ting in place the­se con­di­ti­ons. You can count on our stead­fast sup­port, but we expect our part­ners to uphold inter­na­tio­nal law – inclu­ding the prin­ci­ple of non-refou­le­ment – and reject and con­demn any forced depor­ta­ti­ons.« Er beton­te zudem, dass die huma­ni­tä­re Lage in Syri­en aktu­ell so schlecht ist wie seit dem Beginn der Kämp­fe vor 13 Jahren.

Dem Macht­ha­ber Assad ist es in der letz­ten Zeit zuneh­mend gelun­gen, in den inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen wie­der Fuß zu fas­sen. Abschie­bun­gen nach Syri­en wür­den eine Koope­ra­ti­on mit dem Regime erfor­dern, die die­se gefähr­li­che Ent­wick­lung unter­stützt und dem Regime in die Hän­de spielt. Dies läuft der Sank­ti­ons­po­li­tik zuwi­der und reha­bi­li­tiert ein Regime, das für sei­ne Ver­bre­chen zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den muss.

(wj)