News
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sind menschenrechtswidrig
Nach der schrecklichen Tat von Mannheim sollen laut Bundeskanzler Scholz bei schweren Straftaten Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien stattfinden. Doch in beiden Ländern gibt es Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die jegliche Abschiebungen völkerrechtlich verbieten.
Der Schock nach der Tat von Mannheim ist groß. Islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Antisemitismus greifen die offene Gesellschaft in Deutschland an. Solchen menschenverachtenden Taten muss mit dem deutschen Strafrecht begegnet werden.
Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und Völkerrecht aber unvereinbar. Trotzdem hat Bundekanzler Scholz genau dies in einer Regierungserklärung gefordert und angekündigt, dass bei schweren Straftaten auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien erfolgen sollen.
Der deutsche Rechtsstaat muss sich dadurch auszeichnen, dass eine so erschreckende Tat, wie der Angriff in Mannheim, zu einem angemessenen Strafverfahren führt und keine rechtsstaatlichen Grundsätze in einer aufgeheizten Debatte aufgegeben werden.
Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen bei schweren Menschenrechtsverletzungen
Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Das ergibt sich aus dem absoluten Folterverbot, das unter anderem in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert ist. Dieses Verbot ist absolut und gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die Straftaten begangen haben. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass »aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]«.
»Aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen«
Katastrophale menschenrechtliche Lage seit Machtübernahme der Taliban in Afghanistan
Genau diese Gefahr droht bei jeder Abschiebung nach Afghanistan. Seit der Machtübernahme der islamistischen Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation im Land aktuell katastrophaler denn je.
Laut Berichten von internationalen Organisationen und den Vereinten Nationen haben die De-facto-Behörden der Taliban schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und andere Formen der Misshandlung begangen. Weitreichende Einschränkungen von fundamentalen Rechten, insbesondere von Frauen und Mädchen, werden international als Gender-Apartheid geächtet. Das UN-Flüchtlingshilfswer UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen derzeit undokumentiert bleiben und die Entwicklung und Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNCHR fordert von allen Staaten, keine Abschiebungen in das Land durchzuführen.
Hinzu kommt eine beispiellose humanitäre Krise, die durch eine Reihe schwerer Erdbeben im Herbst 2023 und starker Sturzfluten in den letzten Monaten, die viele Todesoper gefordert haben, weiter verschärft wurde. Laut der Country Guidance der Europäischen Asylagentur zu Afghanistan vom Mai 2024 gibt es nirgendwo im Land interne Schutzalternative.
Syrien ist weiterhin ein Folterstaat
In Syrien wird unter Machthaber Assad seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden auf Jahre rechtswidrig inhaftiert oder umgebracht. Unverändert ist das auch die Einschätzung von Organisationen wie UNHCR, OHCHR, Amnesty International und vielen weiteren. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (M.D. und andere gegen Russland; A.J. und andere gegen Russland), der zufolge Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten.
Auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) kommt laut Medienberichten zu der Einschätzung: »Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden.« Rückkehrende werden diesem Bericht zufolge vom Regime pauschal zu Verrätern erklärt, sodass sie »mit weitreichender systematischer Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit konfrontiert« sind. In Syrien wird systematisch gefoltert. Der AA-Bericht bezeichnet willkürliche Verhaftungen mit »häufig daran anschließender Isolationshaft« als »allgegenwärtiges Phänomen«. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst.
Dies wurde gerade vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell Ende Mai bestätigt: »While the EU would wish that returning home could be a realistic option for all refugees, everywhere and always, we concur with the UN system that, currently, the conditions for safe, voluntary, and dignified returns to Syria are not in place. We insist that it is the Assad regime that bears the primary responsibility for putting in place these conditions. You can count on our steadfast support, but we expect our partners to uphold international law – including the principle of non-refoulement – and reject and condemn any forced deportations.« Er betonte zudem, dass die humanitäre Lage in Syrien aktuell so schlecht ist wie seit dem Beginn der Kämpfe vor 13 Jahren.
Dem Machthaber Assad ist es in der letzten Zeit zunehmend gelungen, in den internationalen Beziehungen wieder Fuß zu fassen. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Regime erfordern, die diese gefährliche Entwicklung unterstützt und dem Regime in die Hände spielt. Dies läuft der Sanktionspolitik zuwider und rehabilitiert ein Regime, das für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.
(wj)