25.08.2022
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Foto: Das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, Schauplatz des Pogroms 1992. Quelle: wikimedia commons

Vor 30 Jahren brannte in Rostock-Lichtenhagen ein Hochhaus. Im Wohnheim durchlitten mehr als 100 Männer, Frauen und Kinder Todesangst, draußen randalierten Hunderte, warfen Brandsätze, skandierten rassistische Parolen, johlten und behinderten die Feuerwehr. Die Erinnerung an den rassistischen Angriff bringt Forderungen für die Gegenwart mit sich.

Schon Tage vor dem 24. August 1992 hat­te sich der ras­sis­ti­sche Mob vor der Zen­tra­len Auf­nah­me­stel­le für Asyl­be­wer­ber (ZAst) und dem dane­ben­ste­hen­den Wohn­heim für ehe­ma­li­ge viet­na­me­si­sche Vertragsarbeiter*innen zusam­men­ge­rot­tet; die Lokal­zei­tung berich­te­te von einem anony­men Anru­fer, der eine »hei­ße Nacht« ankündigte.

Bilder vom brennenden Haus bis heute im Kopf 

»Auch, wenn es 30 Jah­re her ist, bei mir sind die Bil­der im Kopf. Das waren die zwei Stun­den in mei­nem Leben, die die schwie­rigs­ten für mich gewe­sen sind«, sag­te der dama­li­ge Ros­to­cker Aus­län­der­be­auf­tra­ge Wolf­gang Rich­ter, der selbst in dem bren­nen­den Haus war, kürz­lich dem Deutsch­land­funk.

Ein paar Tage nach dem Brand­an­schlag kam Hei­ko Kauff­mann, damals Inlands­re­fe­rent von terre des hom­mes und  Vor­stands­mit­glied von PRO ASYL, in das ver­wüs­te­te Wohn­heim: »Ich war erschüt­tert über das Aus­maß der Zer­stö­rung – es war, als ob Bom­ben in das Wohn­heim gefal­len wären. Die Flu­re waren beschä­digt, alles war schwarz«, sag­te er jetzt im Inter­view mit PRO ASYL.

Vietnames*innen organisieren sich

Und die Erin­ne­run­gen der Men­schen, die damals in der ZAst und in dem bren­nen­den Haus waren? Die vor­wie­gend rumä­ni­schen Roma wur­den bald abge­scho­ben, da Deutsch­land schon einen Monat spä­ter, im Sep­tem­ber 1992, ein Rück­nah­me­ab­kom­men mit Rumä­ni­en schloss. Die viet­na­me­si­schen Vertragsarbeiter*innen grün­de­ten unmit­tel­bar nach den Aus­schrei­tun­gen gegen sie eine Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, den Ver­ein Diên Hông – Gemein­sam unter einem Dach, der sich laut Selbst­be­schrei­bung enga­giert »für ein bes­se­res Zusam­men­le­ben und für Chan­cen­gleich­heit zwi­schen Deut­schen und Zuge­wan­der­ten in und um Ros­tock« mit dem Schwer­punkt der sprach­li­chen Qualifizierung.

»Sie sind nicht laut zu sagen: Ich bin ein Opfer, mir muss jemand hel­fen. Sie machen es umge­kehrt: Sie hel­fen sich selbst.«

Tanh Van Vut vom Ver­ein Diên Hông 

Über ihre Erin­ne­run­gen an die Angrif­fe wol­len die meis­ten Vietnames*innen aber nicht spre­chen. »Es gibt vie­le Sachen, die haben sie nie­man­den erzählt und selbst, wenn man nur die­se Fra­gen stellt, dann kocht alles hoch und dann wol­len sie nicht«, sag­te Vor­stands­mit­glied  Tanh Van Vut kürz­lich dem Deutsch­land­funk und ergänz­te: »Sie machen es nach ihrer Art. Sie sind nicht laut zu sagen: Ich bin ein Opfer, mir muss jemand hel­fen. Sie machen es umge­kehrt: Sie hel­fen sich selbst.«

Nicht in der Vergangenheit bleiben

Auch für Kauff­mann darf das Geden­ken an die ras­sis­ti­schen Anschlä­ge aus den 90er Jah­ren, in deren Rei­he  Ros­tock-Lich­ten­ha­gen steht, nicht in der Ver­gan­gen­heit ste­cken blei­ben. Denn der dahin­ter ste­hen­de Ras­sis­mus besteht noch immer, sagt er: »Es ist drin­gend not­wen­dig, dass sich die Gesell­schaft ihres eige­nen Ras­sis­mus und der Grün­de dafür bewusst wird. Das ist lei­der bis heu­te nicht in der not­wen­di­gen Wei­se gesche­hen. Wir haben mit Solin­gen, NSU, Hal­le, Hanau und vie­len ande­ren schreck­li­chen Bege­ben­hei­ten eine Kon­ti­nui­tät rech­ter und ras­sis­ti­scher Gewalt – ganz zu schwei­gen von den täg­li­chen Angrif­fen und Her­ab­set­zun­gen von Flücht­lin­gen. Aus Ros­tock-Lich­ten­ha­gen kön­nen wir ler­nen: Struk­tu­rel­le und insti­tu­tio­nel­le Ungleich­hei­ten ver­let­zen nicht nur die Men­schen­wür­de und die Men­schen­rech­te der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge, son­dern sie sind auch Nähr­bo­den für Frem­den­feind­lich­keit und rechts­extre­me Gewalt. Denn staat­li­cher und all­täg­li­cher Ras­sis­mus bedin­gen einander.«

Diskriminierung und Rassismus bis heute

Vor 30 Jah­ren nah­men Politiker*innen Ros­tock-Lich­ten­ha­gen zum Anlass, das Asyl­recht zu demon­tie­ren, der soge­nann­te  Asyl­kom­pro­miss höhl­te das  Grund­recht auf Asyl immer wei­ter aus – mit fata­len Aus­wir­kun­gen. Bis heu­te wer­den Schutz­su­chen­de in Sam­mel­un­ter­künf­ten iso­liert und zer­mürbt und mit dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz dis­kri­mi­niert. Bis heu­te wer­den  Geflüch­te­te mit Base­ball­schlä­gern ver­prü­gelt,  Kin­der auf dem Weg in die Schu­le bespuckt und geschla­gen. Täg­lich wer­den in Deutsch­land im Schnitt zwei Asyl­be­wer­ber*innen ange­grif­fen. Noch immer sind Geflüch­te­ten­un­ter­künf­te Ziel­schei­be für ras­sis­ti­sche Gewalt, noch immer gibt es kei­ne Blei­be­recht für die Opfer ras­sis­ti­scher Attacken.

Massenunterkünfte abschaffen

Des­halb müs­sen Geflüch­te­te zügig in die Kom­mu­nen ver­teilt wer­den. Bund und Län­der müs­sen die struk­tu­rel­le Aus­gren­zung bei der Erst­auf­nah­me been­den. Zudem for­dern PRO ASYL und die Ama­deu Anto­nio Stif­tung  gemeinsam:

• Um Ras­sis­mus und rech­tem Ter­ror prä­ven­tiv zu begeg­nen, müs­sen iso­lie­ren­de Mas­sen­un­ter­künf­te für Schutz­su­chen­de, die als Ziel­schei­be für rech­ten Ter­ror und Ver­fes­ti­gung von Vor­ur­tei­len die­nen, auf­ge­löst wer­den. Es braucht eine schnel­le Ver­tei­lung in die Kom­mu­nen und Inte­gra­ti­on von Anfang an.

  • Das Bei­spiel Ukrai­ne zeigt, was in der Asyl­po­li­tik mög­lich ist, wenn der poli­ti­sche Wil­le zum Han­deln da ist. Es zeigt aber auch die mas­si­ve Ungleich­be­hand­lung von ukrai­ni­schen Geflüch­te­ten und Geflüch­te­ten aus Dritt­staa­ten. Wir for­dern die Gleich­stel­lung aller Geflüchteten.
  • Gewalt gegen Geflüch­te­te wird in der offi­zi­el­len Sta­tis­tik immer noch nicht ange­mes­sen abge­bil­det. Es fehlt bei der Poli­zei an Sen­si­bi­li­tät, Auf­merk­sam­keit und Res­sour­cen, die­se Straf­ta­ten zu ver­fol­gen. Hier braucht es eine voll­stän­di­ge und trans­pa­ren­te Zäh­lung durch die Innen­mi­nis­te­ri­en der Län­der sowie eine zeit­na­he Ver­öf­fent­li­chung der Fälle.
  • Die For­de­rung, dass Men­schen, die Opfer von ras­sis­ti­scher Gewalt wur­den, ein Blei­be­recht erhal­ten müs­sen, besteht seit Jah­ren. Nur so kann sicher­ge­stellt wer­den, dass sie vor Gericht aus­sa­gen und die Täter*innen ver­folgt wer­den können.

(wr)