06.12.2012
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"Ergebnisse der Verhandlungen zu Asyl und Zuwanderung"

Am 6. Dezember 1992 einigten sich CDU/CSU, FDP und SPD darauf, das Asylgrundrecht zu ändern. Die Einschränkung des deutschen Asylrechts ging einher mit dem Versprechen, ein europäisches Asylsystem zu schaffen. Dieses wurde bis heute nicht eingelöst.

Der soge­nann­te Asyl­kom­pro­miss vor 20 Jah­ren stell­te einen vor­läu­fi­gen Höhe­punkt eines lang­jäh­ri­gen Pro­zes­ses regel­mä­ßi­ger Geset­zes­ver­schär­fun­gen dar. Ihm ging eine lan­ge Kam­pa­gne gegen das Asyl­grund­recht vor­aus. Seit dem Beginn der neun­zi­ger Jah­re nah­men die Ver­bal­at­ta­cken gegen Flücht­lin­ge dra­ma­tisch zu. Mit Paro­len wie »Das Boot ist voll« und Schlag­wor­ten wie »Asy­lan­ten­flut« oder »Miss­brauch des Asyl­rechts« wur­den Res­sen­ti­ments gegen Flücht­lin­ge geschürt.

In einem Rund­brief vom 12. Sep­tem­ber 1991 for­der­te der dama­li­ge Gene­ral­se­kre­tär der CDU, Vol­ker Rühe, alle CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den in Land­ta­gen, Kreis­ta­gen, Stadt- und Gemein­de­rä­ten und Bür­ger­schaf­ten dazu auf, »die Asyl­po­li­tik zum The­ma zu machen und die SPD dort her­aus­zu­for­dern, gegen­über den Bür­gern zu begrün­den, war­um sie sich gegen eine Ände­rung des Grund­ge­set­zes sperrt“.

Die Kam­pa­gne gegen das Asyl­recht war der Nähr­bo­den für zahl­rei­che Angrif­fe auf Flücht­lin­ge, die seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung an der Tages­ord­nung waren. Im August 1992 setz­te in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen ein ras­sis­ti­scher Mob unter dem Bei­fall der umste­hen­den deut­schen Nach­barn ein Haus in Brand, in dem 120 Viet­na­me­sen ein­ge­schlos­sen waren. 

Die Instru­men­ta­li­sie­rung der Opfer

Aber auch die­ses schreck­li­che Ereig­nis führ­te nicht dazu, dass die Bon­ner Poli­ti­ker ihre Kam­pa­gne gegen das Asyl­grund­recht ein­stell­ten. Im Gegen­teil: Nach dem Pogrom von Ros­tock-Lich­ten­ha­gen wur­de die For­de­run­gen nach der Grund­ge­setz­än­de­rung noch vehe­men­ter  vor­ge­tra­gen. Man führ­te die ras­sis­ti­sche Gewalt auf die angeb­lich zu hohen Asyl­be­wer­ber­zah­len zurück. Dies wur­de mit der War­nung vor der »Gefähr­dung des inne­ren Frie­dens« verbunden.

Der dama­li­ge Kanz­ler­amts­mi­nis­ter Fried­rich Bohl wies im August 1992 die For­de­rung, Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl (CDU) sol­le sich nach Ros­tock bege­ben, mit dem Argu­ment der »unnö­ti­gen Dra­ma­ti­sie­rung« zurück. Statt­des­sen wies Bohl dar­auf hin, man müs­se die Über­for­de­rung der Men­schen been­den. „Das wird nur dadurch gesche­hen, dass wir dem Miss­brauch des Asyl­rechts begegnen.“

Das lee­re Ver­spre­chen eines euro­päi­schen Asylrechts

Am 6. Dezem­ber 1992 kapi­tu­lier­te die SPD. Mit CDU/CSU und FDP ver­ab­re­de­ten die Sozi­al­de­mo­kra­ten die Ände­rung des Grund­rechts auf Asyl. Pro Asyl kom­men­tier­te damals: „Dies ist ein Sieg der Stra­ße und eine Nie­der­la­ge des Rechtsstaates“.

Wer über einen siche­ren Dritt­staat ein­rei­se, müs­se dort Asyl bean­tra­gen, aber nicht bei uns, so sah es der Asyl­kom­pro­miss vor. Eine prak­ti­sche Regel: Deutsch­land sah sich von siche­ren Dritt­staa­ten umge­ben – wer auf dem Land­weg kam, hat­te kaum eine Chan­ce. Und für Flücht­lin­ge, die mit dem Flug­zeug lan­de­ten, droh­te im Rah­men des soge­nann­ten Flug­ha­fen­ver­fah­rens ein kur­zer Pro­zess. Und wer all die­se Hür­den über­wand, wur­de durch das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz dis­kri­mi­niert und ausgegrenzt.

In einer his­to­ri­schen Debat­te beschloss der Deut­sche Bun­des­tag am 26. Mai 1993 die Ände­rung des Grund­rechts auf Asyl. „Wir müs­sen die Sin­gu­la­ri­sie­rung Deutsch­lands been­den“ – so der dama­li­ge Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der CDU/CSU Wolf­gang Schäub­le im Deut­schen Bun­des­tag am 26. Mai. Wie ein roter Faden zog sich durch die Debat­te, dass das deut­sche Asyl­recht euro­pa­fä­hig wer­den müs­se. „Wir, die CDU/CSU und FDP haben immer gesagt, dass mit der Abschaf­fung der Bin­nen­gren­zen in Euro­pa eine Har­mo­ni­sie­rung des Asyl­rechts zwin­gend not­wen­dig wird“, so Schäuble.

Von wegen Soli­da­ri­tät. Wie das Dub­lin-Sys­tem Flücht­lin­ge an Euro­pas Gren­zen drängt

Doch es kam anders: Deutsch­land sperrt sich bis heu­te ent­schie­den dage­gen, ein euro­päi­sches Asyl­recht auf einem men­schen­recht­li­chen Niveau zu schaf­fen. Zwar wur­den im euro­päi­schen Gesetz­ge­bungs­pro­zess Fort­schrit­te erzielt, wie etwa die Aner­ken­nung von nicht­staat­li­cher und geschlechts­spe­zi­fi­scher Ver­fol­gung. Ein gemein­sa­mes euro­päi­sches Asyl­sys­tem, das die­sen Namen ver­dient und Flücht­lin­ge tat­säch­lich schützt, ist jedoch noch in wei­ter Ferne.

In Euro­pa ist immer noch in der Regel der­je­ni­ge Staat für einen Flücht­ling zustän­dig, der ihn in die EU hat ein­rei­sen las­sen. Dies ist das obers­te Rege­lungs­prin­zip in Euro­pa, das vor allem Staa­ten in der Mit­tel­la­ge wie etwa Deutsch­land mit Zäh­nen und Klau­en ver­tei­di­gen – erlaubt es doch, die Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz den Staa­ten an den Außen­gren­zen zuzu­schie­ben. Auch die neue Dub­lin III-Ver­ord­nung wird an die­sem Grund­prin­zip nichts ändern.

Das unso­li­da­ri­sche Sys­tem führt dazu, dass für die EU-Staa­ten nicht der Schutz der Flücht­lin­ge, son­dern das Abwäl­zen der Ver­ant­wor­tung auf ande­re Staa­ten im Vor­der­grund steht. Der Man­gel an Soli­da­ri­tät unter den EU-Staa­ten führt zu einem Man­gel an Soli­da­ri­tät gegen­über schutz­su­chen­den Men­schen: In vie­len Staa­ten am Ran­de der EU herr­schen kata­stro­pha­le Auf­nah­me­be­din­gun­gen. In Mal­ta, Grie­chen­land, Ungarn, Ita­li­en und ande­ren Staa­ten wer­den Flücht­lin­ge inhaf­tiert oder lan­den auf der Stra­ße.
 

Abschot­tung um jeden Preis 

„Das sich eini­gen­de Euro­pa schot­tet sich nicht ab. Wir ver­la­gern mit der Ent­schei­dung, die wir heu­te zu tref­fen haben, unse­re Pro­ble­me auch nicht auf unse­re Nach­barn in Euro­pa,“ so Wolf­gang Schäub­le am 26. Mai 1993. Doch genau dies wur­de voll­zo­gen. Die Innen­mi­nis­ter der euro­päi­schen Län­der set­zen alles dar­an, Flücht­lin­ge am Zugang nach Euro­pa zu hin­dern. Heu­te üben sie mas­si­ven Druck auf Grie­chen­land aus, die Gren­zen gegen die angeb­li­che ille­ga­le Ein­wan­de­rung bes­ser zu schüt­zen. Fron­tex-Ein­hei­ten lie­fern die tech­ni­sche Aus­rüs­tung. Mit 1 800 Poli­zis­ten rie­gelt Grie­chen­land die Land­gren­ze zur Tür­kei im Evros-Gebiet ab. Euro­pa schützt sei­ne Gren­zen – nicht jedoch die Flüchtlinge.

Die Fol­ge die­ser inhu­ma­nen Poli­tik: Die Flucht­we­ge wer­den län­ger und gefähr­li­cher. In ihrer Ver­zweif­lung bege­ben sich Flücht­lin­ge immer wie­der auf den gefähr­li­chen Weg mit klei­nen Boo­ten über das Mit­tel­meer. Trotz der vie­len töd­li­chen Flücht­lings­tra­gö­di­en, die die Öffent­lich­keit in Euro­pa immer wie­der kurz­fris­tig auf­schre­cken, per­fek­tio­niert Euro­pa die Abschot­tung. So soll das Über­wa­chungs­sys­tem EUROSUR die Außen­gren­zen mit Droh­nen und Satel­li­ten über­wa­chen. Die euro­päi­sche Grenz­agen­tur Fron­tex wird immer wei­ter aus­ge­baut. Die Über­wa­chung des Grenz­be­reichs wird vor­ver­la­gert nach Nord­afri­ka und in die Türkei.

Dem im Asyl­kom­pro­miss vom 6. Dezem­ber 1992 geschaf­fe­nen Para­gra­phen­wall folg­te kein euro­päi­sches Asyl­sys­tem, son­dern ein Sys­tem der Flücht­lings­ab­wehr, das die Ver­ant­wor­tung für Schutz­su­chen­de auf Staa­ten in der Peri­phe­rie Euro­pas abschiebt.

 26. Mai: 20 Jah­re Ände­rung des Grund­rechts auf Asyl (23.05.13)

 Zur Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz in Ros­tock-War­ne­mün­de: (06.12.12)

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