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Zu machen Zeiten waren 30 bis 40 Prozent der Asylsuchenden in Ungarn inhaftiert. Foto: © UNHCR/Kitty McKinsey

Auf der Suche nach Schutz inmitten eines zynischen Abschottungsspiels der europäischen Staaten landen immer mehr Flüchtlinge in Ungarn. Doch das Land und seine rechtspopulistische Regierung geben vor allem ein Ziel aus: Die Abschreckung.

Als Auf­nah­me­land für Flücht­lin­ge hat sich Ungarn nie ver­stan­den. Das ist nicht erst so, seit die rech­te Regie­rung des Pre­miers Vik­tor Orbán am Ruder ist. Die aller­dings hat sich, nach­dem die Zahl der Asyl­su­chen­den in Ungarn seit Sep­tem­ber 2014 in die Höhe geschnellt ist, des The­mas in der ihr eige­nen Art ange­nom­men. Sie pla­ne Maß­nah­men, die den Rechts­staat wei­ter aus­höh­len wür­den, so das unga­ri­sche Hel­sin­ki- Komi­tee, das Rechts­be­ra­tung für tau­sen­de von Asyl­su­chen­den anbietet.

2014: ZEHNTAUSENDE FLÜCHTEN ÜBER UNGARN

Mit mehr als 42.000 Asyl­an­trä­gen, die im Jahr 2014 regis­triert wur­den, hat sich die Zahl der Asyl­su­chen­den von 2012 bis 2014 ver­zwan­zig­facht. Der Trend ging in den ers­ten Mona­ten des Jah­res 2015 wei­ter. Das Hel­sin­ki-Komi­tee hat ver­sucht, die kom­ple­xen Ursa­chen aus den Gesprä­chen und Erfah­run­gen mit ankom­men­den Flücht­lin­gen her­aus­zu­fil­tern. Es han­de­le sich bei der hohen Zahl koso­va­ri­scher Asyl­su­chen­der um die Fol­gen extre­mer Armut und Kor­rup­ti­on, wei­ter trie­ben die pro­ble­ma­ti­sche Sicher­heits­si­tua­ti­on in Afgha­ni­stan und die bewaff­ne­ten Kon­flik­te in Syri­en und im Irak Men­schen in gro­ßer Zahl außer Lan­des. Ein wei­te­rer Grund für die Zunah­me der Zah­len Asyl­su­chen­der in Ungarn sei das weit­ge­hen­de Ver­sa­gen des grie­chi­schen, ser­bi­schen und maze­do­ni­schen Asyl­sys­tems sowie schwer­wie­gen­de Män­gel in Bulgarien.

Im Febru­ar 2015 war die Zahl afgha­ni­scher und syri­scher Asyl­an­trag­stel­ler erst­mals grö­ßer als die aus dem Koso­vo. 80 Pro­zent der Asyl­su­chen­den ver­las­sen Ungarn inner­halb von zehn Tagen nach Asyl­an­trag­stel­lung. Sie wis­sen: In Ungarn gibt es bis­lang kaum migran­ti­sche Com­mu­ni­ties, kei­ne Chan­cen auf dem Arbeits­markt und kein Wohl­fahrts­sys­tem. Schon das sind Grün­de für die Wei­ter­flucht. Das Hel­sin­ki-Komi­tee weist jedoch auch dar­auf hin, dass es die sys­te­mi­schen Män­gel des unga­ri­schen Asyl­sys­tems sind, die die­se Wei­ter­flucht­be­we­gung herbeiführen.

80 Pro­zent der Asyl­su­chen­den ver­las­sen Ungarn inner­halb von zehn Tagen nach Asyl­an­trag­stel­lung. Sie wis­sen: In Ungarn haben sie kei­ne Chance.

Pro­zent der Asyl­su­chen­den ver­las­sen Ungarn inner­halb von zehn Tagen nach Asyl­an­trag­stel­lung. Sie wis­sen: In Ungarn haben sie kei­ne Chance.

Ungarn ver­folgt eine Poli­tik der strik­ten Inhaf­tie­rung, auch für ankom­men­de Asy­l­erst­an­trag­stel­ler. Im Jah­re 2014 wur­den zehn Pro­zent aller Asyl­su­chen­den zum Teil für län­ge­re Zeit­räu­me inhaf­tiert. Zu man­chen Zei­ten waren 30 bis 40 Pro­zent der erwach­se­nen Asyl­su­chen­den in Haft.  Wo Asyl­su­chen­de nicht inhaf­tiert wer­den, wer­den sie in gro­ßen Auf­nah­me­zen­tren unter­ge­bracht. Dort gibt es von staat­li­cher Sei­te weder eine psy­cho­so­zia­le Ver­sor­gung noch über­haupt eine Betreu­ung beson­ders schutz­be­dürf­ti­ger Per­so­nen. Rechts­be­ra­tung und psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Hil­fe im Ein­zel­fall ist kom­plett von den Akti­vi­tä­ten von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen abhän­gig, die über kei­ne aus­rei­chen­den Mit­tel verfügen.

KEINE CHANCE FÜR ANERKANNTE FLÜCHTLINGE

Die Aner­ken­nungs­quo­ten in Ungarn sind im euro­päi­schen Ver­gleich sehr nied­rig. Wer aner­kannt ist, sieht sich mit unüber­wind­li­chen Schwie­rig­kei­ten der Inte­gra­ti­on in die unga­ri­sche Gesell­schaft kon­fron­tiert. Flücht­lin­ge müs­sen einen Inte­gra­ti­ons­ver­trag mit ihren Lokal­be­hör­den schlie­ßen und dort regel­mä­ßig vor spre­chen, um über­haupt eine Form von Unter­stüt­zung zu unter­hal­ten. In die­sem Pro­zess stellt der Staat kei­ne Dol­met­scher zur Ver­fü­gung – für die als eine der schwie­rigs­ten Spra­chen der Welt gel­ten­de unga­ri­sche Spra­che. Sprach­kur­se für Flücht­lin­ge gibt es nicht. So ist es häu­fig gar nicht mög­lich, dass Flücht­lin­ge und Sach­be­ar­bei­ter sich in irgend­ei­ner Wei­se ver­stän­di­gen. Eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung für aner­kann­te Flücht­lin­ge schei­tert an vie­len recht­li­chen und prak­ti­schen Schwie­rig­kei­ten. Für die­je­ni­gen, die einen soge­nann­ten sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten haben, ist sie recht­lich ausgeschlossen.

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Die unga­ri­sche Flücht­lings­haft­an­stalt Debre­cen. Foto: Gus­tav Pursche

Der »Ausländer«-Anteil an der Bevöl­ke­rung in Ungarn beträgt nur 1,4 Pro­zent, von denen 75 Pro­zent aus euro­päi­schen Staa­ten kom­men. Nach Schät­zun­gen leben gan­ze 3.000 aner­kann­te Flücht­lin­ge oder Per­so­nen im sub­si­diä­ren Schutz in Ungarn. Trotz (oder wegen) die­ser ver­schwin­dend gerin­gen Zah­len, so das unga­ri­sche Hel­sin­ki-Komi­tee, gehört die unga­ri­sche Gesell­schaft nach Mei­nungs­um­fra­gen zu den frem­den­feind­lichs­ten inner­halb der EU. Und die Orbán-Regie­rung steht ganz an der Spitze.

1,4 %

beträgt die Aus­län­der­quo­te in Ungarn. Trotz (oder wegen) die­ser ver­schwin­dend gerin­gen Zah­len gilt die unga­ri­sche Gesell­schaft als eine der frem­den­feind­lichs­te der EU.

Aus­ge­hend von dem extrem schlech­ten Niveau plant man noch wei­te­re Ver­schlech­te­run­gen. Künf­tig sol­len alle »irre­gu­lä­ren Migran­ten« sofort inhaf­tiert und mög­lichst umge­hend abge­scho­ben wer­den. Unter »irre­gu­lä­re Migran­ten« wer­den auch Asyl­su­chen­de ver­stan­den, die als »Lebens­un­ter­halts­flücht­lin­ge« adres­siert wer­den. Für sie soll ein beschleu­nig­tes Asyl­ver­fah­ren mit einer abschlie­ßen­den Ent­schei­dung bin­nen weni­ger Tage ein­ge­führt wer­den. Um zu über­le­ben, sol­len sie arbei­ten dür­fen, was libe­ral klingt, aber im Umkehr­schluss wohl den Emp­fang sozia­ler Leis­tun­gen aus- und For­men der Zwangs­ar­beit einschließt.

ABSCHRECKUNG MIT ALLEN MITTELN

Deut­lich wird: Ungarn folgt in eini­gen Tei­len dem deut­schen und öster­rei­chi­schen Vor­bild und ver­schärft es noch. Dies hat Pre­mier­mi­nis­ter Vik­tor Orbán in einem Inter­view am 13. Febru­ar 2015 auch betont und dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Öster­rei­cher und die Deut­schen »irre­gu­lä­re Migra­ti­on« künf­tig nicht mehr tole­rie­ren wür­den. Dann wür­den Flücht­lin­ge in Ungarn stran­den. Mit Haft, Abschie­bung und Arbeits­zwang müs­se man sie abschrecken.

Orbán ver­band dies mit einer Gene­ral­kri­tik am euro­päi­schen Recht: »EU-Richt­li­ni­en sind unver­nünf­tig und pro­vo­zie­ren Miss­brauch.« Die Ver­let­zung euro­päi­schen Rechts wird nicht nur in Kauf genom­men, sie wird offen­siv betrie­ben. Antal Rogan, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Regie­rungs­par­tei FIDESZ: »Wir berei­ten eine Ent­schei­dung vor, die eine sehr stren­ge Behand­lung von Immi­gran­ten ein­führt und die in einem gewis­sen Sinn im Kon­flikt steht mit der Pra­xis, wie sie in Brüs­sel akzep­tiert wird.« Das muss man sehr ernst neh­men. Die Rechts popu­lis­ten wis­sen, dass ihre Poli­tik der Miss­ach­tung des Flücht­lings­schut­zes auch in der EU Freun­de hat.

Bernd Meso­vic


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