Hintergrund
Kalte Herberge: Wie die Orban-Regierung ihre flüchtlingsfeindlichen Maßnahmen verstärkt

Auf der Suche nach Schutz inmitten eines zynischen Abschottungsspiels der europäischen Staaten landen immer mehr Flüchtlinge in Ungarn. Doch das Land und seine rechtspopulistische Regierung geben vor allem ein Ziel aus: Die Abschreckung.
Als Aufnahmeland für Flüchtlinge hat sich Ungarn nie verstanden. Das ist nicht erst so, seit die rechte Regierung des Premiers Viktor Orbán am Ruder ist. Die allerdings hat sich, nachdem die Zahl der Asylsuchenden in Ungarn seit September 2014 in die Höhe geschnellt ist, des Themas in der ihr eigenen Art angenommen. Sie plane Maßnahmen, die den Rechtsstaat weiter aushöhlen würden, so das ungarische Helsinki- Komitee, das Rechtsberatung für tausende von Asylsuchenden anbietet.
2014: ZEHNTAUSENDE FLÜCHTEN ÜBER UNGARN
Mit mehr als 42.000 Asylanträgen, die im Jahr 2014 registriert wurden, hat sich die Zahl der Asylsuchenden von 2012 bis 2014 verzwanzigfacht. Der Trend ging in den ersten Monaten des Jahres 2015 weiter. Das Helsinki-Komitee hat versucht, die komplexen Ursachen aus den Gesprächen und Erfahrungen mit ankommenden Flüchtlingen herauszufiltern. Es handele sich bei der hohen Zahl kosovarischer Asylsuchender um die Folgen extremer Armut und Korruption, weiter trieben die problematische Sicherheitssituation in Afghanistan und die bewaffneten Konflikte in Syrien und im Irak Menschen in großer Zahl außer Landes. Ein weiterer Grund für die Zunahme der Zahlen Asylsuchender in Ungarn sei das weitgehende Versagen des griechischen, serbischen und mazedonischen Asylsystems sowie schwerwiegende Mängel in Bulgarien.
Im Februar 2015 war die Zahl afghanischer und syrischer Asylantragsteller erstmals größer als die aus dem Kosovo. 80 Prozent der Asylsuchenden verlassen Ungarn innerhalb von zehn Tagen nach Asylantragstellung. Sie wissen: In Ungarn gibt es bislang kaum migrantische Communities, keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt und kein Wohlfahrtssystem. Schon das sind Gründe für die Weiterflucht. Das Helsinki-Komitee weist jedoch auch darauf hin, dass es die systemischen Mängel des ungarischen Asylsystems sind, die diese Weiterfluchtbewegung herbeiführen.
Ungarn verfolgt eine Politik der strikten Inhaftierung, auch für ankommende Asylerstantragsteller. Im Jahre 2014 wurden zehn Prozent aller Asylsuchenden zum Teil für längere Zeiträume inhaftiert. Zu manchen Zeiten waren 30 bis 40 Prozent der erwachsenen Asylsuchenden in Haft. Wo Asylsuchende nicht inhaftiert werden, werden sie in großen Aufnahmezentren untergebracht. Dort gibt es von staatlicher Seite weder eine psychosoziale Versorgung noch überhaupt eine Betreuung besonders schutzbedürftiger Personen. Rechtsberatung und psychotherapeutische Hilfe im Einzelfall ist komplett von den Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen abhängig, die über keine ausreichenden Mittel verfügen.
KEINE CHANCE FÜR ANERKANNTE FLÜCHTLINGE
Die Anerkennungsquoten in Ungarn sind im europäischen Vergleich sehr niedrig. Wer anerkannt ist, sieht sich mit unüberwindlichen Schwierigkeiten der Integration in die ungarische Gesellschaft konfrontiert. Flüchtlinge müssen einen Integrationsvertrag mit ihren Lokalbehörden schließen und dort regelmäßig vor sprechen, um überhaupt eine Form von Unterstützung zu unterhalten. In diesem Prozess stellt der Staat keine Dolmetscher zur Verfügung – für die als eine der schwierigsten Sprachen der Welt geltende ungarische Sprache. Sprachkurse für Flüchtlinge gibt es nicht. So ist es häufig gar nicht möglich, dass Flüchtlinge und Sachbearbeiter sich in irgendeiner Weise verständigen. Eine Familienzusammenführung für anerkannte Flüchtlinge scheitert an vielen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten. Für diejenigen, die einen sogenannten subsidiären Schutz erhalten haben, ist sie rechtlich ausgeschlossen.

Der »Ausländer«-Anteil an der Bevölkerung in Ungarn beträgt nur 1,4 Prozent, von denen 75 Prozent aus europäischen Staaten kommen. Nach Schätzungen leben ganze 3.000 anerkannte Flüchtlinge oder Personen im subsidiären Schutz in Ungarn. Trotz (oder wegen) dieser verschwindend geringen Zahlen, so das ungarische Helsinki-Komitee, gehört die ungarische Gesellschaft nach Meinungsumfragen zu den fremdenfeindlichsten innerhalb der EU. Und die Orbán-Regierung steht ganz an der Spitze.
Ausgehend von dem extrem schlechten Niveau plant man noch weitere Verschlechterungen. Künftig sollen alle »irregulären Migranten« sofort inhaftiert und möglichst umgehend abgeschoben werden. Unter »irreguläre Migranten« werden auch Asylsuchende verstanden, die als »Lebensunterhaltsflüchtlinge« adressiert werden. Für sie soll ein beschleunigtes Asylverfahren mit einer abschließenden Entscheidung binnen weniger Tage eingeführt werden. Um zu überleben, sollen sie arbeiten dürfen, was liberal klingt, aber im Umkehrschluss wohl den Empfang sozialer Leistungen aus- und Formen der Zwangsarbeit einschließt.
ABSCHRECKUNG MIT ALLEN MITTELN
Deutlich wird: Ungarn folgt in einigen Teilen dem deutschen und österreichischen Vorbild und verschärft es noch. Dies hat Premierminister Viktor Orbán in einem Interview am 13. Februar 2015 auch betont und darauf hingewiesen, dass die Österreicher und die Deutschen »irreguläre Migration« künftig nicht mehr tolerieren würden. Dann würden Flüchtlinge in Ungarn stranden. Mit Haft, Abschiebung und Arbeitszwang müsse man sie abschrecken.
Orbán verband dies mit einer Generalkritik am europäischen Recht: »EU-Richtlinien sind unvernünftig und provozieren Missbrauch.« Die Verletzung europäischen Rechts wird nicht nur in Kauf genommen, sie wird offensiv betrieben. Antal Rogan, Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei FIDESZ: »Wir bereiten eine Entscheidung vor, die eine sehr strenge Behandlung von Immigranten einführt und die in einem gewissen Sinn im Konflikt steht mit der Praxis, wie sie in Brüssel akzeptiert wird.« Das muss man sehr ernst nehmen. Die Rechts populisten wissen, dass ihre Politik der Missachtung des Flüchtlingsschutzes auch in der EU Freunde hat.
Bernd Mesovic