21.07.2016
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Die europäische Abschottung: In der spanischen Exklave Melilla wird sie besonders sichtbar. Foto: Jose Palazon / PRODEIN

Die europäische Politik der Fluchtverhinderung macht an den europäischen Außengrenzen nicht halt. Über Kooperationen mit Transit- und Herkunftsländern sollen Schutzsuchende und Migrant*innen bereits weit vor Erreichen des europäischen Territoriums von der Weiterflucht abgehalten werden. Riskantere und tödlichere Fluchtwege sind die Folge.

Damit Schutz­su­chen­de Her­kunfts- und Tran­sit­re­gio­nen wenn mög­lich gar nicht erst ver­las­sen kön­nen, wer­den »Dritt­staa­ten« in die Siche­rung der Gren­zen und Abwehr von Schutz­su­chen­den, Migran­tin­nen und Migran­ten ein­ge­bun­den. Dafür erhal­ten die Regie­run­gen die­ser Län­der hohe Geld­sum­men. Sie flie­ßen in Grenz­kon­troll­tech­nik, Schu­lun­gen der Grenz­po­li­zei, Rück­über­nah­me­ab­kom­men, gemein­sa­me Grenz­pa­trouil­len oder Infor­ma­ti­ons­kam­pa­gnen, mit­hil­fe derer Schutz­su­chen­de an ihrer Wei­ter­flucht gehin­dert wer­den sollen.

Auch die Bekämp­fung von »Schlep­pern« gehört zu den Auf­ga­ben, die Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern über­tra­gen wer­den. Unter einem huma­ni­tä­ren Deck­man­tel wer­den die­se Maß­nah­men als Schutz­maß­nah­men für Flücht­lin­ge, Migran­tin­nen und Migran­ten dekla­riert. Doch statt Flücht­lin­ge zu schüt­zen, füh­ren sie dazu, dass die­se immer gefähr­li­che­re und töd­li­che­re Rou­ten auf sich neh­men müs­sen und dabei auf zwei­fel­haf­te Flucht­hel­fer ange­wie­sen sind.

Mit der Aus­la­ge­rung von Grenz­kon­trol­len über euro­päi­sche Gren­zen hin­aus, wird auf unter­schied­li­chen Ebe­nen Ver­ant­wor­tung aus- und ver­la­gert. Natio­nal­staat­li­che, euro­päi­sche Recht­spre­chun­gen sowie Men­schen­rechts­ver­pflich­tun­gen kön­nen so umgan­gen werden.

Eckdaten: Europas Politik der Externalisierung

Der Gesamt­an­satz für Migra­ti­on von 2005 (seit 2011 GAMM) stellt einen wich­ti­gen Pfei­ler der euro­päi­schen Poli­tik der Aus- und Ver­la­ge­rung von Flucht- und Migra­ti­ons­kon­trol­le dar. Durch enge Koope­ra­tio­nen mit soge­nann­ten Dritt­staa­ten sol­len die Ursa­chen für Migra­ti­on eben­so wie die »ille­ga­le Ein­wan­de­rung« bekämpft wer­den. Dazu setzt die EU einer­seits auf die ver­stärk­te Kon­trol­le von Flucht und Migra­ti­on und ande­rer­seits auf die Ver­knüp­fung von Ent­wick­lungs- und Migra­ti­ons­po­li­tik. Von der Kon­fe­renz von Rabat im Juli 2006 über den im Novem­ber 2014 initi­ier­ten Khar­to­um-Pro­zess bis hin zur im ver­gan­ge­nen Jahr inten­si­vier­ten Zusam­men­ar­beit der EU mit der Tür­kei und dem EU-Afri­ka-Gip­fel in Val­let­ta wur­den von der EU und ihren Mit­glieds­staa­ten Akti­ons­plä­ne, Pro­gram­me und Pro­jek­te aufgelegt.

Die Koope­ra­ti­ons­ver­hand­lun­gen wer­den abseits der Öffent­lich­keit geführt, eine zivil­ge­sell­schaft­li­che Betei­li­gung ist nicht vor­ge­se­hen. Tran­sit- und Her­kunfts­län­der wer­den in den Ver­hand­lun­gen mit der EU und ihren Mit­glied­staa­ten regel­recht zu Vasal­len­staa­ten degra­diert, denen für Leis­tun­gen bei der Flucht­ver­hin­de­rung Gel­der, tech­ni­sche Aus­rüs­tung, Visa­li­be­ra­li­sie­rung oder vage Mobi­li­täts­zu­ge­ständ­nis­se für aus­ge­wähl­te Grup­pen in Aus­sicht gestellt wer­den. Bei man­geln­der Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft wer­den Sank­tio­nen angedroht.

»Im Schatten der Zitadelle«: Auswirkungen auf Gesellschaften der Transit- und Herkunftsländer

Auch die Aus­wir­kun­gen der Exter­na­li­sie­rungs­po­li­tik auf die Gesell­schaf­ten der Her­kunfts- und Tran­sit­län­der, die Euro­pa für die eige­ne Migra­ti­ons­kon­trol­le in den Dienst nimmt, sind dra­ma­tisch. Regio­na­le und natio­nal­staat­li­che Kon­flik­te in den Gesell­schaf­ten der Her­kunfts- und Tran­sit­län­der wer­den ver­schärft, wenn Men­schen gegen ihren Wil­len blo­ckiert und Gren­zen auf­ge­rüs­tet wer­den. Fra­gi­le gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Ver­hält­nis­se, wie bei­spiels­wei­se am Horn von Afri­ka, wer­den so zusätz­lich belas­tet. Flücht­lin­ge, Migran­tin­nen und Migran­ten wer­den bewusst in Tran­sit­län­dern fest­ge­hal­ten, wo es ihnen kaum mög­lich ist, ihren Lebens­un­ter­halt zu sichern. Ein ver­zwei­fel­tes Leben in der War­te­schlei­fe ist die Fol­ge. Ras­sis­mus und Xeno­pho­bie gegen­über Flücht­lin­gen, Migran­tin­nen und Migran­ten ver­schär­fen sich als Kon­se­quenz der Stig­ma­ti­sie­rung und Kri­mi­na­li­sie­rung, die von Poli­tik und Medi­en vor­an­ge­trie­ben werden.

Aktuelle Vorstöße: neue Dimension der Externalisierungspolitik

Als Ant­wort auf die Flucht­be­we­gun­gen nach Euro­pa in 2015, for­ciert die EU ihre Poli­tik der Vor- und Aus­la­ge­rung von Flucht- und Migra­ti­ons­kon­trol­le. Mit dem flücht­lings­feind­li­chen EU-Tür­kei-Deal wer­den Men­schen­rech­te aus­ge­he­belt und der euro­päi­schen Inter­es­sens­po­li­tik geop­fert. Die Tür­kei soll dafür sor­gen, dass die Flucht­be­we­gun­gen über die Ägä­is nach Grie­chen­land gestoppt wer­den. Im Gegen­zug wer­den Erdo­gans Regie­rung bis zu sechs Mil­li­ar­den Euro Hilfs­gel­der sowie Visa­er­leich­te­run­gen für tür­ki­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge in Aus­sicht gestellt. Vor­aus­set­zung dafür, dass die Flücht­lin­ge ohne wei­te­res aus Grie­chen­land in die Tür­kei abge­scho­ben wer­den kön­nen, ist die Ein­stu­fung als »siche­rer Dritt­staat« – was ange­sichts der all­ge­mei­nen Men­schen­rechts­la­ge, der kata­stro­pha­len Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den im Land voll­kom­men inak­zep­ta­bel ist.

Im Novem­ber 2014 stieß die EU mit dem »Khar­to­um-Pro­zess« einen wei­te­ren skan­dal­träch­ti­gen Koope­ra­ti­ons­rah­men mit den Staa­ten am Horn von Afri­ka an. Mit Regi­men wie der Mili­tär­dik­ta­tur unter Isay­as Afe­werki in Eri­trea oder des vom Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hof gesuch­ten suda­ne­si­schen Dik­ta­tors, Omar Al-Bas­hir, soll bei der Bekämp­fung »ille­ga­ler« Migra­ti­ons­be­we­gun­gen koope­riert wer­den. Inter­ne EU-Doku­men­te bele­gen weit­rei­chen­de Plä­ne zur Ver­bes­se­rung des Grenz­ma­nage­ments – Hilfs­leis­tun­gen im Inter­es­se der Flucht­ver­hin­de­rung. Sie flie­ßen an Regime, die zu den zen­trals­ten Flucht­ver­ur­sa­chern gehö­ren und damit zusätz­li­che Legi­ti­ma­ti­on erfahren.

Selbst mit Liby­en will die EU erneut stär­ker koope­rie­ren, um die Flucht­be­we­gun­gen über das zen­tra­le Mit­tel­meer zu stop­pen. Doch Liby­en ver­sinkt im Cha­os, an Sta­bi­li­tät ist nicht zu den­ken: Staat­li­che Struk­tu­ren sind inexis­tent, kon­kur­rie­ren­de Mili­zen kon­trol­lie­ren nach wie vor wei­te Tei­le des Lan­des, dar­un­ter die Ter­ror­trup­pen des »Isla­mi­schen Staats« (IS). Flücht­lin­ge wer­den miss­han­delt und gefol­tert. Eine neue Alli­anz mit dem nord­afri­ka­ni­schen Land hät­te fata­le Fol­gen für die betrof­fe­nen Schutzsuchenden.

Prinzip Verdrängung auf Kosten von Menschenrechten

Um die euro­päi­schen Gren­zen im Auf­trag der EU gegen Migran­tin­nen, Migran­ten und Flücht­lin­ge »abzu­si­chern«, wer­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in den Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern in Kauf genom­men. Mit ihrer Poli­tik der Aus­la­ge­rung von Grenz­kon­trol­len ver­folgt die EU eine fata­le Stra­te­gie des Unsicht­bar­ma­chens von Schutz­su­chen­den. Nur die Öff­nung gefah­ren­frei­er Wege kann ver­hin­dern, dass Euro­pa zur Hand­lan­ge­rin schwe­rer Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen vor ihren Toren wird.

Judith Kopp


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