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Dem Asylpaket I zufolge sollen Geflüchtete in Deutschland in der Regel nach ihrer Anerkennung, spätestens aber 15 Monate nach ihrer Registrierung, eine elektronische Gesundheitskarte einer Krankenkasse ihrer Wahl erhalten. Foto: flickr / Tim Reckmann / CC BY-NC-SA 2.0

Seit Oktober 2015 sollen Flüchtlinge in der Regel spätestens 15 Monate nach ihrer Registrierung eine elektronische Gesundheitskarte bekommen. Ob sie auch davor eine solche Karte erhalten, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich - dabei liegen die Vorteile auf der Hand.

Par­al­lel zur rasch wach­sen­den Anzahl von Schutz­su­chen­den wuchs im ver­gan­gen Jahr auch der Hand­lungs­druck auf die Poli­tik. Es muss­ten Lösun­gen gefun­den wer­den, wie die Inte­gra­ti­on der Geflüch­te­ten in den Arbeits­markt, das Bil­dungs­sys­tem, das Gesund­heits­we­sen sowie in zivil­ge­sell­schaft­li­che Struk­tu­ren gelin­gen kann.

Mit dem Asyl­pa­ket I wur­den im Okto­ber 2015 ers­te Rege­lun­gen dazu ver­ab­schie­det, dar­in ent­hal­ten unter ande­rem die Novel­lie­rung des §264 SGB V.  Die­se sieht vor, dass Kran­ken­kas­sen durch die Lan­des­re­gie­rung dazu ver­pflich­tet wer­den kön­nen, die Gesund­heits­ver­sor­gung von Leis­tungs­emp­fän­gern nach §1 des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes (Asyl­blG) zu übernehmen.

Vor­aus­set­zung ist, dass die Lan­des­re­gie­run­gen mit den jewei­li­gen Kran­ken­kas­sen­ver­bän­den einen Rah­men­ver­trag auf Lan­des­ebe­ne schlie­ßen, der die Über­nah­me der ent­ste­hen­den Behand­lungs­kos­ten regelt und eine ange­mes­se­ne Ver­gü­tung des Ver­wal­tungs­auf­wan­des der Kran­ken­kas­sen vorsieht.

Der ein­ge­schränk­te Anspruch auf Gesund­heits­leis­tun­gen bleibt bestehen. Eine wei­te­re Geset­zes­än­de­rung im Rah­men des Asyl­pa­ke­tes I betrifft den §2 Asyl­blG. Dem­nach erhal­ten Asyl­su­chen­de nun nicht wie bis­her nach 48 Mona­ten, son­dern bereits 15 Mona­te nach ihrer Regis­trie­rung Leis­tun­gen ana­log dem Sozi­al­ge­setz­buch XII. Damit ver­bun­den ist die Über­nah­me der Gesund­heits­ver­sor­gung durch eine Kran­ken­kas­se und eine Aus­wei­tung des Leis­tungs­um­fangs ähn­lich dem gesetz­lich Krankenversicherter.

Mit der Über­nah­me der Gesund­heits­ver­sor­gung durch eine Kran­ken­kas­se ist der Erhalt einer elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te (eGK) ver­bun­den. Damit bekom­men alle Geflüch­te­ten in Deutsch­land nach ihrer Aner­ken­nung, spä­tes­tens aber 15 Mona­te nach ihrer Regis­trie­rung, eine eGK einer Kran­ken­kas­se ihrer Wahl. Aus­nah­men gel­ten für Flücht­lin­ge, die in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten leben.

Die eGK soll den Zugang zum Regel­sys­tem der Gesund­heits­ver­sor­gung ver­bes­sern, ambu­lan­ten Gesund­heits­dienst­leis­tern die Abrech­nung ver­ein­fa­chen sowie die kom­mu­na­le Ver­wal­tung entlasten.

Ob Asyl­su­chen­de bereits inner­halb der ers­ten 15 Mona­te ihres Auf­ent­halts in Deutsch­land eine eGK bekom­men, ist dahin­ge­gen abhän­gig von den Rege­lun­gen auf Lan­des- und kom­mu­na­ler Ebene.

Föderaler Flickenteppich

20 %

der Flücht­lin­ge erhal­ten der­zeit eine Gesundheitskarte.

Es ist den ein­zel­nen Bun­des­län­dern frei­ge­stellt, ob sie die Ände­rung im §264 SGB V nut­zen oder nicht, und auch die Kom­mu­nen haben die Wahl, ob sie dem Ent­schluss der Lan­des­re­gie­rung fol­gen oder dem Rah­men­ver­trag nicht bei­tre­ten. Ein Fli­cken­tep­pich ist vorprogrammiert.

Eine Stu­die der Ber­tels­mann Stif­tung (Wäch­ter-Raquet 2016) zeich­net die Ein­füh­rung der eGK für Flücht­lin­ge in den ein­zel­nen Bun­des­län­dern nach. Dem­nach liegt für die Stadt­staa­ten Ber­lin, Bre­men und Ham­burg sowie für die Flä­chen­län­der Bran­den­burg, Rhein­land-Pfalz, Nie­der­sa­chen, Nord­rhein-West­fa­len und Schles­wig-Hol­stein ein Rah­men­ver­trag zwi­schen der Lan­des­re­gie­rung und den vor Ort zustän­di­gen Kran­ken­kas­sen vor.

Die Län­der Baden-Würt­tem­berg, Bay­ern, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und das Saar­land haben sich gegen die Ein­füh­rung der eGK für Leis­tungs­be­rech­tig­te nach §1 Asyl­blG entschieden.

Thü­rin­gen und Hes­sen sind noch unentschlossen.

Schluss­end­lich ent­schei­det sich aber die Ein­füh­rung der eGk auf kom­mu­na­ler Ebe­ne. So sind in Bran­den­burg und Rhein­land-Pfalz kei­ne, in Nie­der­sach­sen eine und in Nord­rhein-West­fa­len ledig­lich 20 von 396 Kom­mu­nen den aus­ge­han­del­ten Rah­men­ver­trä­gen beigetreten.

In Schles­wig-Hol­stein wur­den die Kom­mu­nen per Erlass dazu ver­pflich­tet, dem Rah­men­ver­trag bei­zu­tre­ten, und in den drei Stadt­staa­ten fehlt fak­tisch die kom­mu­na­le Ebe­ne, so dass in die­sen Län­dern wie geplant die Gesund­heits­kar­te an Asyl­su­chen­de aus­ge­ge­ben wer­den kann. Zusam­men­ge­nom­men erhal­ten somit knapp 20 Pro­zent der auf die Kom­mu­nen ver­teil­ten Flücht­lin­ge inner­halb der ers­ten 15 Mona­te nach ihrer Regis­trie­rung eine eGK.

Eine unver­ständ­li­che Ent­wick­lung, da die eGK den Zugang zum Regel­sys­tem der Gesund­heits­ver­sor­gung ver­bes­sern, ambu­lan­ten Gesund­heits­dienst­leis­tern die Abrech­nung ver­ein­fa­chen sowie die kom­mu­na­le Ver­wal­tung ent­las­ten soll.

Stu­di­en zei­gen, dass der Zugang zu nor­ma­len Sozi­al­leis­tun­gen kos­ten­güns­ti­ger ist als die ein­ge­schränk­te Sonderversorgung.

1,6 Mio.

Euro konn­ten in Ham­burg inner­halb eines Jah­res durch die Ein­füh­rung der eGK gespart werden.

Die Evi­denz für die Vor­tei­le kommt aus den Stadt­staa­ten Bre­men und Ham­burg, die bereits seit vie­len Jah­ren Geflüch­te­ten unmit­tel­bar nach ihrer Ankunft eine eGK aus­hän­di­gen. Eine Aus­wer­tung der Ein­füh­rung der eGK in Bre­men (Jung 2011) ergibt eine ver­bes­ser­te Inte­gra­ti­on von Geflüch­te­ten in das gesund­heit­li­che Regel­sys­tem, und auch die posi­ti­ven Erfah­run­gen in Kli­ni­ken und Pra­xen durch den Weg­fall des par­al­le­len Abrech­nungs­sys­tems auf Papier ist dort dokumentiert.

In Ham­burg zeigt eine Aus­wer­tung von Bur­mes­ter (2014), dass durch den Weg­fall von Per­so­nal­stel­len, das Frei­wer­den von Räum­lich­kei­ten, aber auch durch Ein­spa­run­gen an Com­pu­tern und Soft­ware ca. 1,6 Mil­lio­nen Euro inner­halb eines Jah­res durch die Ein­füh­rung der eGK gespart wer­den konnten.

Kei­ne Evi­denz lässt sich jedoch für die Behaup­tung fin­den, dass die Ein­füh­rung der eGK zu stei­gen­den Gesund­heits­kos­ten führt. Ganz im Gegen­teil zeigt eine Stu­die der Uni­ver­si­tä­ten Hei­del­berg und Bie­le­feld, dass es kos­ten­güns­ti­ger ist, den regel­haf­ten Zugang zu Sozi­al­leis­tun­gen von Beginn an zu gewähren.

Mit zwei Aus­nah­men waren die Kos­ten im Rah­men der ein­ge­schränk­ten Ver­sor­gung zwei Jahr­zehn­te lang höher als die Kos­ten für den regel­haf­ten Zugang zum Gesund­heits­ver­sor­gungs­sys­tem (Bozorg­mehr und Raz­um 2015).

Auch dass durch die Aus­ga­be der eGK unmit­tel­bar nach der Ankunft zusätz­li­che Anrei­ze für eine Ein­rei­se nach Deutsch­land gesetzt wer­den (MDR 5/2015), lässt sich nicht belegen.

Uneinheitlich: die Höhe der Verwaltungsgebühr

Auf kom­mu­na­ler Ebe­ne ist beson­ders die Höhe der Ver­wal­tungs­ge­bühr der Kran­ken­kas­sen ein viel kri­ti­sier­ter Punkt. Sehr unter­schied­li­che Rege­lun­gen in den Stadt­staa­ten Bre­men und Ham­burg (10 Euro pro Leistungsberechtigtem/r und Monat), Ber­lin und Bran­den­burg (6% der Behand­lungs­kos­ten, mind. aber 10 Euro pro Leistungsberechtigtem/r und Monat) sowie den Flä­chen­län­dern Rhein­land-Pfalz, Nord­rhein-West­fa­len, Nie­der­sach­sen und Schles­wig-Hol­stein, mit einer aus­ge­han­del­ten Ver­wal­tungs­ge­bühr von 8% der Behand­lungs­kos­ten, mind. aber 10 Euro pro Leistungsberechtigtem/r und Monat, las­sen auf wenig Kennt­nis der tat­säch­lich ent­ste­hen­den Ver­wal­tungs­kos­ten schließen.

Um die regio­na­len Ver­ein­ba­run­gen mög­lichst gleich­ge­rich­tet zu gestal­ten, wur­de mit Inkraft­tre­ten des Asyl­pak­tes I der GKV-Spit­zen­ver­band gesetz­lich beauf­tragt, mit den auf der Bun­des­ebe­ne bestehen­den kom­mu­na­len Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen Rah­men­emp­feh­lun­gen zu ver­ein­ba­ren, die in die Lan­des- bzw. kom­mu­na­len Ver­ein­ba­run­gen über­nom­men wer­den sol­len. Anders als geplant wur­de der Bun­des­rah­men­ver­trag aber erst Mit­te 2016 von den Ver­trags­part­nern unter­zeich­net. Zudem wur­de in eini­gen strit­ti­gen Punk­ten kei­ne Einig­keit erzielt, so dass der Ver­trag nicht als Blau­pau­se für die Rah­men­ver­trä­ge auf Lan­des­ebe­ne die­nen kann.

Mit den seit Beginn des Jah­res sin­ken­den Flücht­lings­zah­len hat auch der ein­gangs erwähn­te Hand­lungs­druck auf die Poli­tik stark abge­nom­men. Im Fokus steht nun die Inte­gra­ti­on der Geflüch­te­ten. Unlieb­sa­me Ent­schei­dun­gen, was den Umgang mit neu ankom­men­den Asyl­su­chen­den angeht, kön­nen ver­tagt oder aus­ge­ses­sen wer­den. Ohne den Druck, schnell Ent­schei­dun­gen fäl­len zu müs­sen, wer­den auf dem Rücken von Asyl­su­chen­den die Macht­kämp­fe zwi­schen den föde­ra­len Ebe­nen ausgetragen.

Mar­cus Wächter-Raquet

(Lan­des­ver­ei­ni­gung für Gesund­heit und Aka­de­mie für Sozi­al­me­di­zin Nie­der­sa­chen e.V.)

 

Lite­ra­tur

Bozorg­mehr, K., Raz­um, O. (2015): Effect of Rest­ric­ting Access to Health Care on Health Expen­dit­ures among Asyl­um-See­kers and Refu­gees: A Qua­si-Expe­ri­men­tal Stu­dy in Ger­ma­ny, 1994–2013. Down­load: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0131483 [Stand 29.06.2016].

Bur­mes­ter, F. (2014): Aus­gangs­la­ge in Ham­burg bis 2012 und Grün­de für die Ein­rich­tung der »Clea­ring­stel­le Gesund­heits­ver­sor­gung Aus­län­der« In: Gesund­heits­ver­sor­gung Aus­län­der. Best Prac­ti­ce Bei­spiel aus Ham­burg. S.13.

Jung, F. (2011) Das Bre­mer Modell – Gesund­heits­ver­sor­gung Asyl­su­chen­der . Bre­men. Gesund­heits­amt Bre­men. Down­load: http://www.gesundheitsamt.bremen.de/ [Stand 29.06.2016].

Wäch­ter-Raquet, M. (2016): Ein­füh­rung der Gesund­heits­kar­te für Flücht­lin­ge und Asyl­su­chen­de. Der Umset­zungs­stand im Über­blick der Bun­des­län­der. Güters­loh. Ber­tels­mann Stif­tung. Down­load: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/einfuehrung-der-gesundheitskarte-fuer-fluechtlinge-und-asylsuchende/ [Stand 29.06.2016].


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