01.02.2016
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Im November 2008 beschloss der Rat der EU-Innen- und Justizminister auf Initiative Deutschlands die Aufnahme von 10.000 irakischen Flüchtlingen in Europa. In diesem Rahmen nahm Deutschland dann 2.500 Iraker_innen, die nach Syrien oder Jordanien geflohen waren, auf. Foto: Kai Löffelbein

Deutschland war Herkunftsland zahlreicher Flüchtlinge, immer wieder aber auch Zufluchts- und Aufnahmeland. Ein Blick zurück zeigt: Deutschland hat die Möglichkeiten und die Mittel zu einer großzügigen, dauerhaften Flüchtlingsaufnahme.

Die Geschich­te Euro­pas war schon immer auch eine Geschich­te von Flucht und Ver­trei­bung – auch Deut­sche wur­den zu Flücht­lin­gen. Im 19. Jahr­hun­dert ret­te­ten sich knapp sechs Mil­lio­nen Men­schen aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum vor Armut, reli­giö­ser Unter­drü­ckung und Will­kür­herr­schaft per Schiff nach Amerika.

Im Zuge des zwei­ten Welt­kriegs wur­den ins­ge­samt 30 Mil­lio­nen Men­schen ver­jagt und ver­schleppt, eva­ku­iert und umge­sie­delt. Aus dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land flo­hen, solan­ge dies noch mög­lich war, zwi­schen 1933 und 1939 rund 340.000 Jüdin­nen und Juden ins Aus­land. Die Ver­folg­ten Nazi­deutsch­lands waren nicht über­all will­kom­men und die Staa­ten ver­wei­ger­ten zum Teil eine Aufnahme.

Den­noch konn­ten sich Zehn­tau­sen­de in die USA, nach Paläs­ti­na, Groß­bri­tan­ni­en oder auch Süd­afri­ka ret­ten. Groß­bri­tan­ni­en initi­ier­te die größ­te Auf­nah­me­ak­ti­on und ret­te­te 10.000 jüdi­schen Kin­dern und Jugend­li­chen das Leben. Am Ende des zwei­ten Welt­kriegs wur­den auch rund 12,5 Mil­lio­nen Deut­sche aus den ehe­ma­li­gen deut­schen Ost­ge­bie­ten zu Flüchtlingen.

Über ein gigan­ti­sches Pro­gramm der Neu­an­sied­lung ver­mit­tel­te die Inter­na­tio­na­le Flücht­lings­or­ga­ni­sa­ti­on (IRO) zwi­schen 1947 und 1951 mehr als eine Mil­li­on euro­päi­scher Flücht­lin­ge, die infol­ge des 2.Weltkrieges geflo­hen waren, in auf­nah­me­be­rei­te Dritt­staa­ten – die Geburts­stun­de des „Resett­le­ment“.

Die meis­ten euro­päi­schen Kriegs­flücht­lin­ge fan­den in Staa­ten außer­halb Euro­pas Auf­nah­me. Inzwi­schen hat das Resett­le­ment von Flücht­lin­gen in eini­gen Län­dern auch Euro­pas, vor allem in Skan­di­na­vi­en eine lan­ge Tradition.

1 Mio

euro­päi­sche Flücht­lin­ge wur­den nach dem 2. Welt­krieg von ande­ren Staa­ten aufgenommen

Immer wie­der hal­fen Staa­ten außer­halb Euro­pas: Zehn­tau­sen­de tsche­cho­slo­wa­ki­sche Flücht­lin­ge fan­den nach der blu­ti­gen Been­di­gung des „Pra­ger Früh­lings“ 1968 dau­er­haft Auf­nah­me im außer­eu­ro­päi­schen Ausland.

Deutschland als Aufnahmeland

Deutsch­land hat sich lan­ge Zeit, bis 2012, nicht am Resett­le­ment­pro­gramm betei­ligt, des­sen Durch­füh­rung mitt­ler­wei­le das Flücht­lings­hilfs­werk der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR), in Koope­ra­ti­on mit den jewei­li­gen Staa­ten, über­nom­men hat.

Aber die Bun­des­re­pu­blik hat in ihrer Geschich­te immer wie­der eige­ne klei­ne­re und grö­ße­re Auf­nah­me­kon­tin­gen­te für bestimm­te Flücht­lings­grup­pen bereit­ge­stellt: Zwi­schen 1973 und 1980 bei­spiels­wei­se waren es 2.500 Plät­ze für Chi­le­nen (von denen letzt­lich nur knapp 1.300 wirk­lich kom­men durf­ten), 400 für Argentinier_innen, 87 Plät­ze für Kurd_innen und 277 Plät­ze für Kubaner_innen. 1990 nahm Deutsch­land rund 3.000 Bot­schafts­flücht­lin­ge aus Alba­ni­en auf, deren recht­li­cher Sta­tus aller­dings teil­wei­se umstrit­ten war.Auch in den letz­ten Jah­ren kam es zu so genann­ten „Ad-hoc“-Aufnahmen aus Kri­sen­si­tua­tio­nen, die in der Regel nur eini­ge Dut­zend oder weni­ge Hun­dert Men­schen umfassten.

Auch gro­ße Grup­pen von Flücht­lin­gen fan­den in der Bun­des­re­pu­blik Auf­nah­me. Die Bedin­gun­gen dafür unter­schie­den sich aller­dings erheb­lich von­ein­an­der: Sie rei­chen von herz­li­cher Auf­nah­me mit Inte­gra­ti­ons­ver­spre­chen bis hin zu kurz­fris­ti­ger Dul­dung. Die Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit zei­gen: Deutsch­land hat die Mög­lich­kei­ten und die Mit­tel zu einer groß­zü­gi­gen, dau­er­haf­ten Flücht­lings­auf­nah­me. Und: Vie­le Flücht­lin­ge sind dau­er­haft auf Schutz angewiesen.

1956 flo­hen im Zuge der gewalt­sa­men Been­di­gung des Ungarn-Auf­stands über 200.000 Ungarn ins west­li­che Aus­land, sie wur­den von vie­len euro­päi­schen Staa­ten mit Sym­pa­thie und Soli­da­ri­tät auf­ge­nom­men. Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nahm bis Anfang 1957 rund 13.000 Ungarn-Flücht­lin­ge als poli­tisch Ver­folg­te auf und stat­te­te sie mit einem siche­ren Auf­ent­halts­recht und sozia­len Rech­ten aus.

Dabei kämpf­te Deutsch­land zu die­sem Zeit­punkt noch mit den Kriegs­fol­gen und hat­te zehn Mil­lio­nen Ver­trie­be­ne und Flücht­lin­ge wie­der ein­zu­glie­dern, pro Monat rech­ne­te man damals mit 30.000 Neu­zu­gän­gen an Sowjet­zo­nen-Flücht­lin­gen und Ver­trie­be­nen. Hil­fe erhiel­ten die euro­päi­schen Staa­ten durch die klas­si­schen Resett­le­ment­län­der: Allein die USA nah­men den euro­päi­schen Staa­ten etwa 37.000 Ungarn­flücht­lin­ge ab, Kana­da 25.000 und Aus­tra­li­en rund 20.000.

In den 1970er und 1980er Jah­ren waren es die „Boat­peo­p­le“ aus Indo­chi­na (vor allem Viet­nam, aber zum Teil auch Kam­bo­dscha), die mit ihrer Flucht in klei­nen Boo­ten aufs offe­ne Meer in dra­ma­ti­scher Wei­se auf ihre Not­la­ge auf­merk­sam mach­ten. Über 1,6 Mil­lio­nen Viet­na­me­sen ver­such­ten, Repres­sa­li­en und Hun­ger zu ent­kom­men, geschätz­te 250.000 Men­schen fan­den im Süd­chi­ne­si­schen Meer den Tod.

Ange­sto­ßen durch die Ret­tungs­ak­tio­nen des Schif­fes „Cap Ana­mur“ erklär­te sich die Bun­des­re­gie­rung 1979 zur Auf­nah­me von rund 26.000 viet­na­me­si­schen Flücht­lin­gen bereit. In der Öffent­lich­keit wur­de die Ret­tungs­ak­ti­on beglei­tet von einer Wel­le der Hilfs­be­reit­schaft, Bis Mit­te der 1980er Jah­re erhiel­ten die indo­chi­ne­si­schen Boat­peo­p­le in Deutsch­land einen siche­ren Auf­ent­halts­sta­tus als Kon­tin­gent­flücht­lin­ge und konn­ten sich zügig integrieren.

Anfang 1991 ver­ein­bar­ten die Minis­ter­prä­si­den­ten der Bun­des­län­der erleich­ter­te Ein­rei­se­ver­fah­ren für Jüdin­nen und Juden aus Ost­eu­ro­pa. Aus­gangs­punkt war die Situa­ti­on der jüdi­schen Bevöl­ke­rung in der zer­fal­le­nen Sowjet­uni­on. Bei der Auf­nah­me soll­ten Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen und Här­te­fäl­le im Vor­der­grund ste­hen. Auch die Erhal­tung der Lebens­fä­hig­keit jüdi­scher Gemein­den in Deutsch­land spiel­te eine Rol­le. Bis Ende 2006 wur­den ins­ge­samt rund 107.000 Jüdin­nen und Juden aus Ost­eu­ro­pa in Deutsch­land auf­ge­nom­men, zunächst nach dem soge­nann­ten Kon­tin­gent­flücht­lings­ge­setz (Hum­HAG), seit 2007 über § 23 II des Auf­ent­halts­ge­set­zes (Auf­enthG).

Die jüdi­schen Kon­tin­gent­flücht­lin­ge erhal­ten ein unbe­fris­te­tes, ihre Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen ein zunächst befris­te­tes Auf­ent­halts­recht. Recht­lich sind sie aner­kann­ten Asyl­be­rech­tig­ten weit­ge­hend gleich­ge­stellt, erhal­ten unein­ge­schränk­ten Zugang zum Arbeits­markt und bei Bedarf Sozi­al­leis­tun­gen nach dem Sozialgesetzbuch.

Die Zahl der Jüdin­nen und Juden aus der ehe­ma­li­gen Sowjet­uni­on, die in die Bun­des­re­pu­blik über­sie­del­ten, beweg­te sich bis 2004 jähr­lich meist zwi­schen 15.000 und 20.000 Per­so­nen. Seit­dem die Län­der­in­nen­mi­nis­ter 2004 und 2005 die gesetz­li­chen Bedin­gun­gen für einen Zuzug erheb­lich ver­schärft haben, sank ihre Zahl rapi­de auf knapp 6.000 im Jahr 2005, wei­ter auf 1.100 im Jahr 2006. Seit eini­gen Jah­ren sind es nur noch weni­ge Hundert.

Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na wur­de ab 1991 zum Schau­platz des blu­tigs­ten Krie­ges in Euro­pa nach 1945. Rund 700.000 Men­schen flo­hen, 80% davon fan­den vor­über­ge­hen­den Auf­ent­halt in der Euro­päi­schen Uni­on, davon rund 330.000 in der Bun­des­re­pu­blik Deutschland.

Zwar führ­te die Bun­des­re­gie­rung direkt nach Kriegs­aus­bruch die Visums­pflicht auch für bos­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge ein. Im Mai 1992 beschlos­sen die Län­der­in­nen­mi­nis­ter aller­dings die Auf­nah­me von behand­lungs­be­dürf­ti­gen Ver­wun­de­ten und Kran­ken, spä­ter auch von Per­so­nen aus ser­bi­schen Internierungslagern.

Außer­dem konn­ten bos­ni­sche Flücht­lin­ge rela­tiv unbü­ro­kra­tisch ein Visum erhal­ten, wenn ihre Unter­brin­gung und Ver­sor­gung von in Deutsch­land leben­den Ver­wand­ten, Bekann­ten oder durch Wohl­fahrts­ver­bän­de oder kirch­li­che Ein­rich­tun­gen bezahlt wur­de. Zahl­rei­che in Deutsch­land leben­de jugo­sla­wi­sche Arbeit­neh­mer­fa­mi­li­en bil­de­ten so die „Auf­fang­struk­tur“ für die bos­ni­schen Vertriebenen.

Ein siche­res Auf­ent­halts­recht und Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­te erhiel­ten die Betrof­fe­nen aber nicht. Statt­des­sen beka­men sie nur Dul­dun­gen mit ein­ge­schränk­tem Arbeits­markt­zu­gang. Nach den beruf­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen der Kriegs­flücht­lin­ge wur­de nicht gefragt geschwei­ge denn, dass sie aner­kannt wur­den. Ein Wohn­ort­wech­sel wur­de nach eini­ger Zeit – auch zu engen Ver­wand­ten oder wenn eine kon­kre­te Arbeits­mög­lich­keit vor­lag – kaum mehr erlaubt. Die bos­ni­schen Flücht­lin­ge muss­ten in Lagern leben und erhiel­ten redu­zier­te Sozi­al­leis­tun­gen und eine nur rudi­men­tä­re Gesund­heits­ver­sor­gung. So wur­den tau­sen­de Men­schen jah­re­lang vor­sätz­lich des­in­te­griert und dis­kri­mi­niert und wuch­sen den­noch in die deut­sche Gesell­schaft hinein.

Unmit­tel­bar nach Abschluss des Day­ton-Abkom­mens 1995 war die deut­sche Bereit­schaft, den Bosnier_innen wei­ter­hin Schutz zu gewäh­ren, erschöpft. Wäh­rend ande­re euro­päi­sche Staa­ten (Nor­we­gen, Schwe­den, Däne­mark, Hol­land) den Betrof­fe­nen schon wegen der Dau­er des Krie­ges ein Auf­ent­halts­recht in ihren Län­dern zubil­lig­ten, wur­de das Gros der bos­ni­schen Flücht­lin­ge von Deutsch­land zur Rück­kehr genö­tigt. Eini­ge medi­en­ge­recht insze­nier­te Mas­sen­ab­schie­bun­gen gekop­pelt mit der Zusa­ge gerin­ger finan­zi­el­ler Zuwen­dun­gen bei „frei­wil­li­ger Aus­rei­se“ brach­ten die Betrof­fe­nen dazu aufzugeben.

Sie kehr­ten trotz Minen, man­geln­den Wohn­raums und feh­len­der Arbeits­per­spek­ti­ven in ein Land zurück, das sie kaum wie­der­erkann­ten und in dem ihnen – den Bestim­mun­gen des Day­to­ner Abkom­mens zum Trotz – eine Rück­kehr zu ihrem Haus und Hof in der Regel ver­wei­gert wurde.

Von den weni­gen, die in Deutsch­land blie­ben, leb­ten vie­le jah­re­lang wei­ter mit ein­ge­schränk­ten Rech­ten und unter dis­kri­mi­nie­ren­den sozia­len Bedin­gun­gen wie einem fak­ti­schen Arbeits­ver­bot, gekürz­ten Sozi­al­leis­tun­gen, Sach­leis­tungs­ver­sor­gung, Lager­un­ter­brin­gung und dem Ver­bot, aus dem frü­her ein­mal gewähl­ten Wohn­ort umzu­zie­hen. Nur indi­vi­du­ell und zöger­lich wur­den eini­ge Bosnier_innen als „Här­te­fäl­le“ (Alte, Trau­ma­ti­sier­te, Lager­in­sas­sen) akzep­tiert. Die Prü­fun­gen, ob eine kriegs­be­ding­te Trau­ma­ti­sie­rung vor­lag, zogen sich viel­fach jah­re­lang hin. Ab 2001 wur­de unter dem Druck von inlän­di­schen Arbeit­ge­bern eini­gen tau­send beschäf­tig­ten bos­ni­schen Flücht­lin­gen unter bestimm­ten Bedin­gun­gen ein Auf­ent­halts­recht zugebilligt.

Hil­fe kam schließ­lich durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka. Rund 50.000 der in Deutsch­land leben­den Bosnier/innen fan­den als Resett­le­ment-Flücht­lin­ge in den USA dau­er­haft Auf­nah­me. Sie hat­ten oft kei­ne Bin­dun­gen in die USA und waren in Deutsch­land längst inte­griert, fühl­ten sich aber durch aus­län­der­recht­li­che Maß­nah­men außer Lan­des gedrängt.

Wäh­rend der NATO-Bom­bar­die­run­gen im Koso­vo-Krieg 1999 beschloss die deut­sche Bun­des­re­gie­rung die Auf­nah­me von rund 20.000 Koso­vo-Flücht­lin­gen per Luft­brü­cke. In Deutsch­land beka­men die Eva­ku­ier­ten for­mal ein ordent­li­ches Auf­ent­halts­recht: eine Auf­ent­halts­be­fug­nis als Bür­ger­kriegs­flücht­ling nach § 32a des dama­li­gen Aus­län­der­ge­set­zes – anders als die rund 150.000 Koso­vo-Flücht­lin­ge, die auf eige­ne Faust nach Deutsch­land kamen und zumeist ledig­lich befris­tet gedul­det wurden.

Mit einer dau­er­haf­ten Schutz­ge­wäh­rung und einem Inte­gra­ti­ons­an­ge­bot hat­te aller­dings auch die Eva­ku­ie­rungs­ak­ti­on von Frau­en und Kin­dern nichts zu tun. Ihre Auf­ent­halts­be­fug­nis war in sozia­ler wie auf­ent­halts­recht­li­cher Hin­sicht kaum mehr wert als eine Duldung.

Vie­le Flücht­lings­hel­fer waren ent­setzt, als die offi­zi­ell als Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge auf­ge­nom­me­nen Men­schen in Lager ein­ge­wie­sen wur­den, sich nur inner­halb des Land­krei­ses frei bewe­gen durf­ten und gegen­über der Sozi­al­hil­fe stark abge­senk­te Leis­tun­gen in Form von Sach­leis­tun­gen nach dem  Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz erhiel­ten. Aus­ge­stellt zunächst für drei Mona­te, war die Ver­län­ge­rung der Auf­ent­halts­be­fug­nis in den Bun­des­län­dern Auslegungssache.

Ein hal­bes bis ein Jahr spä­ter war für die meis­ten Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge das Ende ihres geschütz­ten Auf­ent­halts in Sicht: Die Auf­ent­halts­be­fug­nis­se wur­den nicht ver­län­gert und die Betrof­fe­nen zur Aus­rei­se auf­ge­for­dert. Die meis­ten „Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge“ wur­den zur Rück­kehr in ein kriegs­zer­stör­tes und tief gespal­te­nes Land gedrängt, das von Frie­den und Sicher­heit weit ent­fernt war und es noch für vie­le Jah­re blei­ben sollte.

2003 begann die von den USA geführ­te Staa­ten­ko­ali­ti­on mit dem Krieg gegen den Irak. Bis 2008 flo­hen über  2,5 Mil­lio­nen Men­schen aus dem Land, wei­te­re 2,7 Mil­lio­nen wur­den inner­halb des Irak vertrieben.

Die Staa­ten sahen der dra­ma­ti­schen Flucht­be­we­gung lan­ge nur zu. UNHCR-Chef Guter­res sand­te im Früh­jahr 2007 einen dra­ma­ti­schen Appell aus: „Fast vier Mil­lio­nen Ira­ker bli­cken heu­te auf uns. Ihre Not ist so offen­sicht­lich wie der mora­li­sche Impe­ra­tiv zu helfen.“

In Deutsch­land wur­de mona­te­lang über eine Auf­nah­me ins­be­son­de­re der christ­li­chen Flücht­lin­ge debat­tiert. Eine Auf­nah­me ohne ent­spre­chen­des Enga­ge­ment auch ande­rer EU-Staa­ten lehn­te die Regie­rung jedoch ab. Im Novem­ber 2008 beschloss der Rat der EU-Innen- und Jus­tiz­mi­nis­ter auf Initia­ti­ve Deutsch­lands die Auf­nah­me von 10.000 ira­ki­schen Flücht­lin­gen in Euro­pa. In die­sem Rah­men nahm Deutsch­land dann 2.500 Iraker_innen, die nach Syri­en oder Jor­da­ni­en geflo­hen waren, auf.

Die Aus­wahl die­ser 2.500 Per­so­nen aus zwei Mil­lio­nen Flücht­lin­gen vor Ort über­ließ man pri­mär UNHCR. Zen­tra­les Kri­te­ri­um war der beson­de­re Schutz­be­darf, was frei­lich auf einen Groß­teil der Flücht­lin­ge zutraf. Die Bun­des­re­gie­rung for­mu­lier­te über die UNHCR-Kri­te­ri­en hin­aus eige­ne Ansprü­che wie etwa „Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit“. In Deutsch­land erhiel­ten die Aus­ge­wähl­ten eine drei­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis mit weit­ge­hen­den sozia­len Rech­ten, die anschlie­ßend im Regel­fall ver­län­gert wur­de. (Deut­sche Auf­nah­me­an­ord­nung im Wortlaut).

In der Pra­xis war Inte­gra­ti­on grund­sätz­lich mög­lich. Pro­ble­me berei­te­ten jedoch die Zwangs­ver­tei­lung über das gesam­te Bun­des­ge­biet, die nur bei aus­rei­chend bezahl­ter, lang­fris­ti­ger Beschäf­ti­gung zu ändern war, sowie die man­geln­de Infra­struk­tur (Arbeit, Bera­tung, Deutsch­kurs­an­ge­bot) in eini­gen Regio­nen Deutschlands.

Die EU-Staa­ten hiel­ten sich kaum an die Abma­chung. Eini­ge Staa­ten nah­men ira­ki­sche Flücht­lin­ge in ihre regu­lä­ren Resett­le­ment­pro­gram­me auf, aber nicht zusätz­lich: Sie rech­ne­ten sie viel­mehr auf die Zahl an, die die Staa­ten ohne­hin jähr­lich auf­nahm. Oft geschah dies in einer Grö­ßen­ord­nung von unter oder weni­gen Hundert.

Euro­pa blieb so selbst hin­ter sei­ner mini­ma­len Selbst­ver­pflich­tung weit zurück. Dabei wären 10.000 auf­ge­nom­me­ne Flücht­lin­ge für die EU mit ihren fast 500 Mil­lio­nen Ein­woh­nern ohne­hin eine sehr gerin­ge Zahl gewe­sen – und für die Regi­on nicht mehr als ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein. PRO ASYL wies in die­sem Zusam­men­hang auf Grund­la­ge der von UNHCR ver­öf­fent­lich­ten Zah­len dar­auf hin, dass allein etwa 200.000 bis 250.000 Min­der­hei­ten­an­ge­hö­ri­ge auf der Flucht waren, die kei­ne Per­spek­ti­ve auf Rück­kehr hatten.

Im Früh­jahr 2011 brach, begin­nend mit dem Auf­stand gegen das auto­ri­tä­re Regime Assads, in Syri­en ein Kon­flikt ver­schie­de­ner Inter­es­sen­grup­pen aus.

Die demo­kra­tisch ori­en­tier­te Oppo­si­ti­on sah sich bald in einen uner­bitt­lich geführ­ten Krieg ver­wi­ckelt, zwi­schen Assad auf der einen und isla­mis­ti­schen Ter­ror­grup­pen, vor allem dem selbst ernann­ten Isla­mi­schen Staat (IS), auf der ande­ren Sei­te. Von außen misch­ten die USA mit ihren west­li­chen Ver­bün­de­ten auf Sei­ten der so genann­ten „gemä­ßig­ten Rebel­len“, Russ­land auf Sei­ten Assads und die ara­bi­schen Staa­ten mit ihren je eige­nen Inter­es­sen mit.

250.000 Todes­op­fer for­der­te der Krieg in den ers­ten Jah­ren, vor allem in der Zivil­be­völ­ke­rung. Bis Ende 2012 stieg die Zahl der von UNHCR regis­trier­ten, in die Nach­bar­staa­ten geflo­he­nen Men­schen auf eine hal­be Mil­li­on. Ein Jahr spä­ter hat­ten sich bereits 2,3 Mil­lio­nen Men­schen in die Nach­bar­staa­ten geflüchtet.

Ende 2015 befin­den sich 4,6 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge in der Regi­on, vor allem in der Tür­kei (2,5 Mio), im Liba­non (1 Mio) und in Jor­da­ni­en (650.000), sowie im Irak und in Ägyp­ten (hier aktu­el­le Zah­len des UNHCR). Inner­halb Syri­ens leben über sie­ben Mil­lio­nen Men­schen als intern Vertriebene.

Euro­pa blieb von den Nöten der syri­schen Bevöl­ke­rung lan­ge Zeit unbe­hel­ligt. Die Asyl­an­trags­zah­len von Syrer_innen beweg­ten sich mit weni­gen tau­send jähr­lich auf nied­ri­gem Niveau, die Öffent­lich­keit befass­te sich erst im Lau­fe der zwei­ten Jah­res­hälf­te 2012, als die Hil­fe­ru­fe der Anrai­ner­staa­ten lau­ter wur­den, mit den huma­ni­tä­ren Kriegs­fol­gen in der Region.

Im Mai 2013 schließ­lich beschloss die Bun­des­re­gie­rung für Deutsch­land die Auf­nah­me von 5.000 syri­schen Flücht­lin­gen aus dem Liba­non. Im Unter­schied zum klas­si­schen Resett­le­ment soll­ten die Auf­zu­neh­men­den mög­lichst auf eige­ne Kos­ten selbst­stän­dig ein­rei­sen, außer­dem spiel­te neben der Schutz­be­dürf­tig­keit die Bin­dun­gen zu Deutsch­land eine Rol­le. Hier leben­de Ver­wand­te konn­ten Anträ­ge stel­len. UNHCR fiel die Auf­ga­be zu, die Anträ­ge ent­ge­gen­zu­neh­men und die Vor­auswahl zu tref­fen. Die Anfra­gen waren immens und über­stie­gen bei Wei­tem die zur Ver­fü­gung gestell­ten Aufnahmeplätze.

Im Dezem­ber glei­chen Jah­res ver­stän­dig­ten sich die Innen­mi­nis­ter von Bund und Län­dern auf die Auf­nah­me wei­te­rer 5.000 Men­schen unter wei­ter gefass­ten Bedin­gun­gen, im Juli 2014 dann noch ein­mal auf wei­te­re 10.000.

Par­al­lel zu die­sen „HAP“ (Huma­ni­ta­ri­an Admis­si­on Pro­gram­me) genann­ten drei Bun­des-Auf­nah­me­ak­tio­nen erlie­ßen alle Bun­des­län­der bis auf Bay­ern Anord­nun­gen, nach denen Ange­hö­ri­ge in Deutsch­land leben­der Syrer ein Ein­rei­se­vi­sum erhal­ten konn­ten. Bedin­gung war unter ande­rem die voll­stän­di­ge Über­nah­me der Rei­se- und Lebens­hal­tungs­kos­ten durch die in Deutsch­land leben­den Ver­wand­ten. (Genaue­res zu den Län­der­re­ge­lun­gen hier)

Vie­le Men­schen, die die finan­zi­el­len oder ande­re Vor­aus­set­zun­gen der Län­der­pro­gram­me nicht erfül­len konn­ten, ver­such­ten es auch über das drit­te Bun­des­pro­gramm, das gerin­ge­re büro­kra­ti­sche Anfor­de­run­gen ent­hielt. Gleich­wohl blie­ben Anträ­ge für rund 60.000 Men­schen unberücksichtigt.

Über Bun­des­pro­gram­me wur­den so ins­ge­samt 20.000 Flücht­lin­ge aus der syri­schen Kri­sen­re­gi­on auf­ge­nom­men, hin­zu kamen bis Mit­te 2015 rund 15.000 Ein­rei­se­er­laub­nis­se auf Grund­la­ge per­sön­li­cher finan­zi­el­len Ver­pflich­tungs­er­klä­run­gen im Rah­men der Län­der­pro­gram­me, die ab Mit­te 2015 zuneh­mend nicht mehr ver­län­gert wur­den. Hin­ter­grund des­sen waren vor allem finan­zi­el­le Strei­tig­kei­ten zwi­schen Bund und Län­dern betref­fend die Kos­ten­über­nah­me für die­je­ni­gen, die über ein Lan­des­pro­gramm gekom­men waren, dann aber Asyl bean­trag­ten und auf Grund­la­ge der Aner­ken­nung Sozi­al­leis­tun­gen des Bun­des bean­spru­chen konnten.

Die auf­ge­nom­me­nen Syrer_innen erhiel­ten in Deutsch­land Auf­ent­halts­er­laub­nis­se für zwei Jah­re. Im Fall der Län­der­pro­gram­me nach § 23 I Auf­enthG , beim Bun­des­pro­gramm nach § 23 II in Ver­bin­dung mit § 24 Auf­enthG, also „zur vor­über­ge­hen­den Auf­nah­me“. 2015 leg­te das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um den Län­dern die Ver­län­ge­rung der Auf­ent­halts­er­laub­nis nahe.


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