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Lageberichte des Auswärtigen Amtes: 1:0 für Informationsfreiheit

Das Auswärtige Amt veröffentlicht seine Lageberichte nur geschwärzt. PRO ASYL und FragDenStaat haben dagegen geklagt – und gewonnen. Inzwischen hat die Bundesregierung Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Was das für Transparenz und Asylverfahren bedeutet, erklären Rechtsanwalt Andreas Eibelshäuser und FragDenStaat-Rechtsanwältin Hannah Vos.
Herr Eibelshäuser, Sie haben die Klage einer Referentin von PRO ASYL vor dem Berliner Verwaltungsgericht vertreten. In den Verfahren ging es um die ungeschwärzte Herausgabe der Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Nigeria und dem Iran aus dem Jahr 2022. Im Juli 2025 hat das Gericht in beiden Verfahren (Urteil Iran / Urteil Nigeria) zugunsten der Klägerin entschieden. Was hat das Gericht im Kern festgestellt?
Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Bundesrepublik Deutschland angewiesen, die Lageberichte vollständig und ohne Schwärzungen an die Klägerin herauszugeben. In seinen Urteilen hat das Gericht ausgeführt, dass die Schwärzungen widersprüchlich gerechtfertigt wurden. Denn beide Lageberichte, die unsere Klägerin nur geschwärzt erhalten hatte, waren in den verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren ohne Schwärzungen herausgegeben worden. Das muss auch so sein.
Warum?
Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass alle Erkenntnismittel in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren dem Akteneinsichtsrecht unterliegen, also den Kläger*innen zur Verfügung gestellt werden müssen. Sie dürfen auch nicht darin eingeschränkt werden, wie sie die Lageberichte zitieren oder anderweitig verwenden. Verwaltungsgerichtliche Verfahren sind öffentlich, jeder kann sich grundsätzlich jede Verhandlung ansehen. Über diese Gerichtsöffentlichkeit gelangen dieselben Lageberichte also ohnehin an die Öffentlichkeit. Es gibt nach dem Verwaltungsgericht Berlin keinen Grund, die Lageberichte außerhalb der verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegenüber der Öffentlichkeit teilweise unter Verschluss zu halten.
Frau Vos, Sie haben das Verfahren juristisch für FragDenStaat begleitet. In der gemeinsamen Kampagne von FragDenStaat und PRO ASYL »Wie ist die Lage?« geht es darum, die Informationen aus den Lageberichten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Warum ist das eigentlich so wichtig?
Weil diese Berichte eine zentrale Grundlage für Asylverfahren sind. Sie enthalten Einschätzungen zur Menschenrechtslage und zu Rückkehrbedingungen in Herkunftsstaaten – Informationen also, die zentral sind, wenn über Schutz oder Abschiebung entschieden wird. Bislang wurden diese Informationen als Verschlusssache eingestuft. Rechtsanwält*innen werden sogar darauf hingewiesen, dass sie sich bei einer Weitergabe der Berichte, etwa an Beratungsstellen, strafbar machen würden. Auch wenn an diesem Hinweis tatsächlich nichts dran sein dürfte und eine Strafbarkeit fernliegt, schüchtert so etwas natürlich ein.
Die Berichte sind bisher also nur sehr eingeschränkt verfügbar. Wir wollten das ändern. Öffentlich zugängliche Lageberichte sorgen für Transparenz, Nachprüfbarkeit und damit für fairere Verfahren. Über die einzelnen Verfahren hinaus sind sie auch für Journalist*innen, Wissenschaft und die Zivilgesellschaft von großer Bedeutung, weil sie ein authentisches Bild staatlicher Einschätzungen zur Menschenrechtslage liefern.
Öffentlich zugängliche Lageberichte sorgen für Transparenz, Nachprüfbarkeit und damit für fairere Verfahren.
Haben Sie das Ergebnis des Klageverfahrens so positiv erwartet?
Vos: Das VG Berlin hat in der Sache absolut richtig entschieden und wir haben natürlich auf einen positiven Ausgang gehofft. Dennoch wussten wir auch, dass es zum Teil schwierig werden könnte. Das Auswärtige Amt hat sich insbesondere auf eine mögliche Gefährdung internationaler Beziehungen berufen. In diesem Bereich kommt der Regierung ein sehr weiter Beurteilungsspielraum zu, den die Gerichte nur eingeschränkt überprüfen können. Das Gericht darf in solchen Fällen nur nachprüfen, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ihre Prognose einleuchtend begründet hat und keine offensichtlich fehlerhafte, insbesondere in sich widersprüchliche Einschätzung getroffen hat. Dass das Gericht in unserem Verfahren am Ende zu dem Schluss kommt, dass die Lageberichte völlig ungeschwärzt zur Verfügung gestellt werden müssen, war vor diesem Hintergrund nur zu hoffen.
Was sagen Sie zu dem im Gerichtsverfahren vorgebrachten Argument des Auswärtigen Amtes, mit den Schwärzungen internationale Beziehungen schützen zu wollen?
Vos: Das VG Berlin ging hier davon aus, dass die Einschätzung des Auswärtige Amtes in sich widersprüchlich ist. Einerseits fehlten nachvollziehbare Maßstäbe dafür, welche Passagen das Amt geschwärzt hat und welche nicht. Das Auswärtige Amt begründete etwa einzelne Schwärzungen damit, dass es sich um wertende Aussagen handele. Diese Begründung ließe sich aber genauso auf ungeschwärzte Teile der Berichte anwenden. Unabhängig davon hält das VG Berlin die Einschätzung des Auswärtigen Amtes für widersprüchlich, da es, wie gesagt, die Berichte den Verwaltungsgerichten ungeschwärzt zur Verfügung stellt. Aufgrund dieser Verwendung der Berichte hat das Auswärtige Amt die Kontrolle darüber, ob und welche Passagen der Berichte öffentlich werden, ohnehin abgegeben. So zitieren Gerichte etwa teils sehr ausführlich aus den Berichten, um ihre Entscheidungen zu begründen.
Eibelshäuser: Auch die weiteren Rechtfertigungen des Auswärtigen Amtes hat das Gericht als unzureichend zurückgewiesen. So wurde zum Beispiel pauschal behauptet, dass die Veröffentlichung der Lageberichte genutzt würden, um Asylverfahren zu manipulieren. Das Gericht hat diese Rechtfertigung als fernliegend verworfen. In der Tat führt nach der wissenschaftlichen Erkenntnislage eine bessere Informiertheit von Asylsuchenden über die dem Asylverfahren zugrundeliegenden Entscheidungskriterien in Tatsachen- und Rechtsfragen zu schnelleren und weniger fehleranfälligen Verwaltungsverfahren. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch die allgemeine Asylverfahrensberatung eingeführt.
Was sagen Sie denen, die meinen, der Staat müsse in unser aller Interesse selbst entscheiden können, wo Diplomatie und innere Sicherheit es erfordern, bestimmte Sachen nicht in der Öffentlichkeit preiszugeben?
Vos: Natürlich gibt es Konstellationen, in denen Diplomatie und innere Sicherheit Vertraulichkeit erfordern. Wenn eine Regierung eine Entscheidung für Geheimhaltung trifft, muss sie diese Entscheidung aber wenigstens nachvollziehbar begründen können. Dieser Gedanke entspricht auch der Grundkonzeption des Informationsfreiheitsgesetzes, wonach Gründe für die Ablehnung des Informationszugangs jeweils eng auszulegen und konkret darzulegen sind. Im Fall der Lageberichte gibt es schlicht keine plausible Begründung für die Geheimhaltung. Vielmehr gilt hier, wie an vielen anderen Stellen auch, dass Transparenz und öffentliche Kontrolle hilfreich sind und die Arbeit von Behörden verbessern. So würde die grundsätzliche Veröffentlichung der Lageberichte auch den notwendigen wissenschaftlichen Diskurs über die inhaltliche Richtigkeit und die Methodik der Lageberichte ermöglichen und könnte so erheblich zur Verbesserung der Tatsachenermittlung in Asylverfahren beitragen. Viele andere Staaten haben dies erkannt und veröffentlichen vergleichbare Berichte ungeschwärzt und proaktiv.
Die Lageberichte stellen eine der maßgeblichen Tatsachengrundlagen der Asylentscheidungen dar. Es ist wichtig für Betroffene, sich mit diesen Grundlagen im Verwaltungsverfahren auseinandersetzen zu können.
Warum ist diese Entscheidung für die Asylverfahrensberatung und Betroffene so wichtig?
Eibelshäuser: Die Lageberichte stellen eine der maßgeblichen Tatsachengrundlagen der Asylentscheidungen dar. Es ist wichtig für Betroffene, sich mit diesen Grundlagen im Verwaltungsverfahren auseinandersetzen zu können. Dies ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren fraglos anerkannt. Wenn sich nach Informationen des Auswärtigen Amtes die Tatsachenlage im Herkunftsstaat in einer bestimmten Weise darstellt, so müssen Antragsteller*innen die Gelegenheit haben, dies zu widerlegen oder darzustellen, weshalb dies in ihrem Einzelfall anders zu bewerten ist. Eine solche Auseinandersetzung ist unmöglich, wenn die tatsächlichen Erkenntnismittel nicht offengelegt werden. Das ist besonders wichtig für Personen ohne anwaltliche Vertretung, da diese auf nichtprofessionellen Helfer*innen und Beratungsstellen angewiesen sind, die bislang keinen Zugang zu den Berichten hatten.
Im Kern geht es um Rechtsstaatlichkeit: Der Staat hat die Kriterien, anhand derer er Entscheidungen trifft, gegenüber den Betroffenen offenzulegen. Ein Staat, der die Entscheidungsgrundlagen seiner Verwaltungspraxis verschleiert, handelt nicht rechtsstaatlich.
Bedeutet das Urteil nun, dass ab sofort alle Lageberichte ungeschwärzt veröffentlicht werden müssen?
Vos: Leider – noch – nicht, denn aktuell ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Darüber hinaus gilt es dann unmittelbar erst einmal nur zwischen den Beteiligten. Aber die Begründung des VG Berlin zur Rolle der Lageberichte in Gerichtsverfahren gilt für alle Lageberichte gleichermaßen. Wenn diese Begründung des VG Berlin in der nächsten Instanz Bestand hat, wird das Auswärtige Amt aus unserer Sicht die Lageberichte künftig nicht mehr unter Verschluss halten können.
Die Bundesregierung hat Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Was heißt das konkret – für das Verfahren und für die Öffentlichkeit?
Eibelshäuser: Das Verwaltungsgericht hat die Berufung nicht von sich aus zugelassen. Die nächsthöhere Instanz muss nun erst einmal entscheiden, ob die Berufung gegen das Urteil überhaupt zugelassen wird. Bis dahin ist das Urteil noch nicht rechtskräfitg. Sollte die Berufung zugelassen werden, würde die Sache beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt. Das Urteil ist aber sehr ausführlich und zutreffend begründet. Die Begründung kann auch ohne Rechtskraft als in sich überzeugende Rechtsmeinung in anderen Verfahren übernommen werden.
Welche Chancen sehen Sie, dass die Entscheidungen auch vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Bestand haben?
Eibelshäuser: Die Bundesregierung hat nun eine Großkanzlei beauftragt, um das Berufungszulassungsverfahren für sie zu übernehmen. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Urteile Bestand haben werden. Denn die Begründung stützt sich nicht auf Punkte, die schlicht nachgebessert werden können. Die Rechtfertigungen unterliegen in dieser Sache wegen des Gesichtspunktes der Gerichtsöffentlichkeit allesamt einem durchgreifenden logischen Mangel. Das Verwaltungsgericht hat die geschwärzte Herausgabe hier und die vollständige Herausgabe in den Asylprozessen sehr deutlich als einen »unauflösbaren Widerspruch” eingestuft. Ich gehe davon aus, dass auch das Oberverwaltungsgericht diesen logischen Widerspruch so sehen wird, wie die fünf Richter*innen, die beim Verwaltungsgericht Berlin gemeinsam entschieden haben.
Wie geht es mit der Kampagne »Wie ist die Lage?« nun weiter?
Vos: Die Lageberichte können auch jetzt weiter angefragt werden und wir ermutigen alle, dies zu tun. Bis das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg endgültig entschieden hat, dürfte das Auswärtige Amt allerdings weiter Teile der Berichte schwärzen. Wir werden das Thema auch weiter beobachten und begleiten, wenn das Oberverwaltungsgericht entschieden und hoffentlich bestätigt hat, dass die Berichte ohne Schwärzungen herausgegeben werden müssen.
(ak)