15.11.2022
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Screenshot: Afghanistan-Lagebericht des Auswärtigen Amtes von 2018, veröffentlicht nur mit vielen Schwärzungen.

Lageberichte über die Herkunftsländer von Geflüchteten sind als Verschlusssache eingestuft. Die Begründung dafür ist zweifelhaft und die Praxis inkonsequent. Öffentlich zugängliche Lageberichte könnten dagegen die Tatsachenermittlung in Asylverfahren verbessern.

Die Berich­te des Aus­wär­ti­gen Amts zur Lage in den Her­kunfts­län­dern sind eine wich­ti­ge Grund­la­ge in Asyl­ver­fah­ren. Sie wer­den aller­dings als Ver­schluss­sa­che ein­ge­stuft, nur pro­zess­be­tei­lig­te Rechtsanwält*innen erhal­ten Ein­sicht in einen Lage­be­richt. Die Wei­ter­ga­be ist ihnen bei Straf­an­dro­hung unter­sagt. Mit Hil­fe des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zes wol­len PRO ASYL und Frag­Den­Staat die Lage­be­rich­te einer brei­ten Öffent­lich­keit zugäng­lich machen: Über die Kam­pa­gne »Wie ist die Lage?« sind bereits die wich­tigs­ten Lage­be­rich­te ange­fragt. Sie wer­den dort künf­tig gesam­melt und ver­öf­fent­licht. War­um eine Ver­öf­fent­li­chung der Lage­be­rich­te nötig und sinn­voll ist, erklä­ren im Fol­gen­den Han­nah Vos und Vivi­an Kube von Frag­Den­Staat. Ihr Text ist erst­mals am 11.11.2022 unter der Lizenz CC BY-SA im Ver­fas­sungs­blog erschie­nen.

In behörd­li­chen und gericht­li­chen Asyl­ver­fah­ren spielt die Beur­tei­lung der Lage im Her­kunfts­staat eine wesent­li­che Rol­le. Die dafür erfor­der­li­chen Tat­sa­chen sind durch Behör­den und Gerich­te zu ermit­teln, was sich jedoch schwie­rig gestal­tet und viel­fach in Kri­tik gerät. Dem Pro­blem der Unein­heit­lich­keit der Recht­spre­chung will die Bun­des­re­gie­rung nun mit einem Gesetz­ent­wurf begeg­nen, der das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) dazu ermäch­ti­gen soll, bei Diver­genz selbst Tat­sa­chen zu ermit­teln und soge­nann­te Län­der­leit­ent­schei­dun­gen zu tref­fen (sie­he dazu Fene­berg und Pet­ters­son, Ver­fas­sungs­blog, 8.11.2022).

Damit bleibt jedoch ein Pro­blem unan­ge­tas­tet: Bis­her greift das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) eben­so wie Gerich­te bei der Tat­sa­chen­er­mitt­lung in beson­de­rem Umfang auf die »Berich­te über die asyl- und abschie­bungs­re­le­van­te Lage« (Lage­be­rich­te) des Aus­wär­ti­gen Amtes zurück, die sich in der Ver­gan­gen­heit teil­wei­se als feh­ler­haft erwie­sen haben. Die hin­ter der Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung und ‑auf­be­rei­tung ste­hen­de Metho­dik ist unbe­kannt. Eine öffent­li­che Debat­te hier­über erschwert, dass die Lage­be­rich­te als Ver­schluss­sa­che ein­ge­stuft und damit der Öffent­lich­keit und sogar Bera­tungs­stel­len nicht zugäng­lich sind. Nur Rechtsanwält*innen erhal­ten über das BAMF oder über die Gerich­te Ein­sicht. Die Wei­ter­ga­be der Lage­be­rich­te soll laut BAMF straf­be­wehrt sein. Ein ers­ter wich­ti­ger Schritt zur Ver­bes­se­rung der Tat­sa­chen­er­mitt­lung wäre, die Lage­be­rich­te zu ver­öf­fent­li­chen, um eine Kon­trol­le durch ande­re Insti­tu­tio­nen und die Öffent­lich­keit zu ermöglichen.

Lageberichte als Erkenntnismittel in Asylverfahren

Die Tat­sa­chen­er­mitt­lung ist Auf­ga­be der Behör­den und Fach­ge­rich­te, die von Amts wegen zur voll­stän­di­gen und zutref­fen­den Ermitt­lung des Sach­ver­hal­tes ver­pflich­tet sind (§ 24 Abs. 1 VwVfG, § 86 Abs. 1 VwGO). Wäh­rend also bei­spiels­wei­se im Asyl­ver­fah­ren Asyl­su­chen­de dafür ver­ant­wort­lich sind, ihre indi­vi­du­el­len Flucht­grün­de vor­zu­tra­gen (vgl. §§ 15, 25 AsylG), obliegt es dem BAMF und den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten die tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­se im betrof­fe­nen Land zu ermitteln.

Bei der Aus­wahl und Bewer­tung der Beweis­mit­tel steht den Gerich­ten ein Aus­wahler­mes­sen zu, § 86 Abs. 1 VwGO, § 108 VwGO. Da es für die Gerich­te natur­ge­mäß schwie­rig ist, Infor­ma­tio­nen über die Lage in ande­ren Län­dern zu gewin­nen, füh­ren sie Lis­ten mit soge­nann­ten Erkennt­nis­mit­teln. Ein wesent­li­cher Bestand­teil der Erkennt­nis­mit­tel sind die Lage­be­rich­te des Aus­wär­ti­gen Amts. Dar­über hin­aus gehö­ren hier­zu etwa Berich­te ande­rer Staa­ten, wie USA, Groß­bri­tan­ni­en, Schweiz oder Öster­reich, aber auch Ein­schät­zun­gen des UNHCR oder von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Amnes­ty International.

Dabei sind die Lage­be­rich­te des Aus­wär­ti­gen Amts eine beson­ders belieb­te Refe­renz. Häu­fig geht aus der Urteils­be­grün­dung in Asyl­kla­ge­ver­fah­ren her­vor, dass sich die Ent­schei­dung wesent­lich auf den jewei­li­gen Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amts stützt.

Die Aus­lands­ver­tre­tun­gen des Aus­wär­ti­gen Amts erstel­len die Lage­be­rich­te in regel­mä­ßi­gen Abstän­den für die wich­tigs­ten Her­kunfts­län­der von Schutz­su­chen­den. Dies geschieht aus­drück­lich im Wege der Amts­hil­fe für das BAMF und die Aus­län­der­be­hör­den sowie die zustän­di­gen Ver­wal­tungs­ge­rich­te, um die­sen Ent­schei­dungs­hil­fen an die Hand zu geben.

Dabei sind die Lage­be­rich­te des Aus­wär­ti­gen Amts eine beson­ders belieb­te Refe­renz. Häu­fig geht aus der Urteils­be­grün­dung her­vor, dass sich die Ent­schei­dung wesent­lich auf den jewei­li­gen Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amts stützt (sie­he zum Bei­spiel die Aus­wer­tung gericht­li­cher Ent­schei­dun­gen zur Fra­ge der Mit­wir­kungs­pflicht bei der Doku­men­ten­be­schaf­fung bei eri­tre­ischen Aus­lands­ver­tre­tun­gen von Corin­na Ujkaše­vić, ZAR 2022, 263, 265).

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die­se ent­schei­den­de Rol­le der Lage­be­rich­te zur Tat­sa­chen­er­mitt­lung – im kon­kre­ten Fall zur Bestim­mung von siche­ren Her­kunfts­staa­ten nach Art. 16a Abs. 3 GG durch den Gesetz­ge­ber – aner­kannt. Es beton­te jedoch auch, dass den »Aus­lands­ver­tre­tun­gen eine Ver­ant­wor­tung zu[falle], die sie zu beson­de­rer Sorg­falt bei der Abfas­sung ihrer ein­schlä­gi­gen Berich­te ver­pflich­tet, da die­se […] für die Exe­ku­ti­ve eine wesent­li­che Ent­schei­dungs­grund­la­ge bil­den.« Nach dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt sind die Gerich­te dazu gehal­ten, sich anhand des jeweils aktu­el­len Lage­be­richts des Aus­wär­ti­gen Amtes zu informieren.

Ob die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt vor­aus­ge­setz­te beson­de­re Sorg­falt stets ein­ge­hal­ten wird, erscheint aller­dings frag­lich. Zwei­fel dar­an weckt etwa die Fehl­ein­schät­zung des Aus­wär­ti­gen Amts zu Afgha­ni­stan. Noch im Juli 2021 – einen Monat vor der Macht­über­nah­me der Tali­ban – leg­te das Aus­wär­ti­ge Amt sei­nen Lage­be­richt für Afgha­ni­stan vor, in der die Sicher­heits­la­ge für vie­le Regio­nen als ver­gleichs­wei­se sta­bil beschrie­ben wur­de. Auch sonst soll der Bericht an vie­len Stel­len ver­al­tet gewe­sen sein, einer ande­ren maß­geb­li­chen Stu­die wider­spro­chen und Berich­te der UN unbe­rück­sich­tigt gelas­sen haben, (vgl. Tho­mas Rut­tig, taz, 23. Juli 2021; Pro Asyl vom 27. Juli 2021). Den­noch soll­te die­ser Bericht als Ent­schei­dungs­hil­fe für Asylrichter*innen und Behör­den dienen.

Auch über sol­che Ein­zel­fäl­le hin­aus bestehen grund­sätz­li­che Beden­ken, ob die erfor­der­li­che Sorg­falt gewähr­leis­tet wer­den kann. Denn die Lage­be­rich­te wer­den auch dafür kri­ti­siert, dass aus ihnen oft nicht her­vor­geht, wel­che Metho­dik der Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung und ‑aus­wer­tung ihnen zu Grun­de liegt oder über wel­che fach­li­che Exper­ti­se die Ersteller*innen ver­fü­gen (vgl. Kluth, ZAR 2018, 331, 335). So schätzt bei­spiels­wei­se das Aus­wär­ti­ge Amt anders als ande­re inter­na­tio­na­le Akteu­re die Haft­be­din­gun­gen in Côte d’Ivoire aus­drück­lich nicht als Fol­ter ein (Lage­be­richt über die Côte d’Ivoire aus dem Jahr 2019, S. 14), gibt dafür jedoch kei­ne Begründung.

Ein wei­te­res Pro­blem sind Infor­ma­ti­ons­de­fi­zi­te (sie­he auch Leh­mann, NVwZ 2018, 293, 297), die oft nicht aus­rei­chend gekenn­zeich­net wer­den. Gerich­te schlie­ßen so von der feh­len­den Kennt­nis des Aus­wär­ti­ges Amtes über ein­schlä­gi­ge Fäl­le von Ver­fol­gung oft auf das Nicht­vor­lie­gen einer Gefähr­dung (vgl. Ujkaše­vić, ZAR 2022, 263, 265).

Die Verschlusssachenproblematik

Eine öffent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit den Inhal­ten der Lage­be­rich­te und mög­li­chen Defi­zi­ten fand bis­her – abge­se­hen von der Fehl­ein­schät­zung zu Afgha­ni­stan – kaum statt. Sie sind näm­lich, anders als ver­gleich­ba­re Berich­te ande­rer Staa­ten, die teil­wei­se im Inter­net frei zugäng­lich sind (etwa Groß­bri­tan­ni­en, USA oder Schweiz), seit März 1995 als Ver­schluss­sa­chen – Nur für den Dienst­ge­brauch (VS-NfD) eingestuft.

Eine Ein­stu­fung als Ver­schluss­sa­che bedeu­tet in der Pra­xis, dass vor allem Bera­tungs­stel­len, die Asyl­su­chen­de ehren­amt­lich betreu­en, nicht ohne Wei­te­res Zugang zu den Lage­be­rich­ten haben, die für den Aus­gang der Asyl­ver­fah­ren und die Bera­tung rele­vant sind.

Eine sol­che Ein­stu­fung bedeu­tet unter ande­rem, dass die Wei­ter­ga­be an nicht­öf­fent­li­che Stel­len nur zuläs­sig ist, wenn sie im staat­li­chen Inter­es­se erfor­der­lich ist (§ 25 Ver­schluss­sa­chen­an­wei­sung). In der Pra­xis folgt dar­aus, dass vor allem Bera­tungs­stel­len, die Asyl­su­chen­de ehren­amt­lich betreu­en, wie etwa stu­den­ti­sche Refu­gee Law Cli­nics, nicht ohne Wei­te­res Zugang zu den Lage­be­rich­ten haben, die für den Aus­gang der Asyl­ver­fah­ren und die Bera­tung rele­vant sind.

Zwar steht Anwält*innen im Ver­wal­tungs- sowie im gericht­li­chen Ver­fah­ren ein Akten­ein­sichts­recht zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2020 – 2 BvR 113/20). Das Aus­wär­ti­ge Amt infor­miert die Anwält*innen aller­dings dar­über, dass eine Wei­ter­ga­be der Berich­te einen Ver­stoß gegen § 19 der anwalt­li­chen Berufs­ord­nung dar­stel­le. Das BAMF geht noch einen Schritt wei­ter und teilt den Anwält*innen mit, dass bei Wei­ter­ga­be der Berich­te eine Straf­bar­keit nach den §§ 93 – 99 StGB (Lan­des­ver­rat und Gefähr­dung äuße­rer Sicher­heit) sowie § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Ver­let­zung von Pri­vat­ge­heim­nis­sen) in Betracht kom­me. Sie dürf­ten die Lage­be­rich­te “ins­be­son­de­re nicht an die Man­dan­ten von anfra­gen­den Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten” wei­ter­ge­ben. Die Rechts­an­sicht des BAMF ist mehr als zwei­fel­haft: Die §§ 93 – 99 StGB set­zen vor­aus, dass Staats­ge­heim­nis­se betrof­fen sind. Staats­ge­heim­nis­se sind Tat­sa­chen, Gegen­stän­de oder Erkennt­nis­se, die nur einem begrenz­ten Per­so­nen­kreis zugäng­lich sind und vor einer frem­den Macht geheim gehal­ten wer­den müs­sen, um die Gefahr eines schwe­ren Nach­teils für die äuße­re Sicher­heit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land abzu­wen­den, § 93 Abs. 1 StGB. Dass der­ar­ti­ge Staats­ge­heim­nis­se “nur” mit VS-NfD, also der schwächs­ten Ein­stu­fungs­ka­te­go­rie, ver­se­hen wer­den, erscheint abwe­gig. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB schützt das Ver­trau­ens­ver­hält­nis zwi­schen Rechtsanwält*innen und Mandant*innen (vgl. AGH Ros­tock, Beschluss vom 01.08.2007 – I AG 6/07).

Begründung der Einstufung trägt nicht

Davon abge­se­hen ist bei nähe­rer Betrach­tung kein Grund dafür ersicht­lich, war­um die Lage­be­rich­te pau­schal als VS-NfD ein­ge­stuft sind. § 4 Absatz 2 Num­mer 4 Sicher­heits­über­prü­fungs­ge­setz (SÜG) setzt dafür vor­aus, dass eine Kennt­nis­nah­me durch Unbe­fug­te für die Inter­es­sen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder eines ihrer Län­der nach­tei­lig sein kann.

Das Aus­wär­ti­ge Amt begrün­det die Ein­stu­fung unter ande­rem, damit, dass für die Gewin­nung der Erkennt­nis­se in »Ein­zel­fäl­len« Ver­trau­lich­keit zuge­si­chert wor­den sei. Nur die Ein­stu­fung kön­ne sicher­stel­len, dass die Berich­te »ohne Rück­sicht­nah­me auf außen­po­li­ti­sche Inter­es­sen for­mu­liert wer­den« könn­ten. Wie­der­um »in Ein­zel­fäl­len« sei die Ein­stu­fung dar­über hin­aus sogar im per­sön­li­chen Inter­es­se von Mit­ar­bei­ten­den des Aus­wär­ti­gen Amts geboten.

Bereits die mehr­fa­che Bezug­nah­me auf »Ein­zel­fäl­le« in der Begrün­dung des Aus­wär­ti­gen Amts stellt in Fra­ge, ob die pau­scha­le Ein­stu­fung des gesam­ten Inhalts sämt­li­cher Berich­te not­wen­dig ist. Auch der Umstand, dass die Berich­te ande­rer Staa­ten sowie des UNHCR und von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen frei ver­füg­bar sind, spricht gegen eine Ein­stu­fung der Lage­be­rich­te als VS-NfD.

Rolle der Berichte als »Entscheidungshilfen«

Zum ande­ren lässt sich die Ein­stu­fung als VS-NfD nicht mit der Rol­le in Ein­klang brin­gen, die die Lage­be­rich­te in Gerichts­ver­fah­ren spie­len. Ohne dass es hier­für einer geson­der­ten Zustim­mung des Aus­wär­ti­gen Amts bedarf (vgl. Hes­si­scher VGH, Ent­schei­dung vom 07.07.1997 – 12 UE 2019/96.A), führt das Gericht die Lage­be­rich­te in das Ver­fah­ren ein und macht sie den Betei­lig­ten auf Antrag nach § 100 VwGO zugäng­lich. Das Akten­ein­sichts­recht umfasst hier­bei auch die Anfer­ti­gung von Kopien. Fer­ner gibt es in der Regel eine öffent­li­che münd­li­che Ver­hand­lung, in der die Sach- und Rechts­la­ge erör­tert wird (vgl. § 104 Abs. 1 VwGO, § 169 GVG), und zu der auch eine Erör­te­rung der Erkennt­nis­se aus den Lage­be­rich­ten gehört, jeden­falls, soweit das Gericht sei­ne Ent­schei­dung dar­auf stüt­zen möch­te. Damit ist der Kreis der Per­so­nen, die poten­zi­ell von den Inhal­ten der Lage­be­rich­te Kennt­nis haben, bereits unkon­trol­lier­bar groß. Letzt­end­lich geben ver­öf­fent­lich­te Urtei­le die Inhal­te der Lage­be­rich­te des Aus­wär­ti­gen Amtes zum Teil sehr umfang­reich und im Wort­laut wieder.

All dies ent­spricht nicht dem übli­chen Umgang mit geheim­hal­tungs­be­dürf­ti­gen Unter­la­gen in Gerichts­ver­fah­ren. Viel­mehr kön­nen Behör­den deren Her­aus­ga­be im gericht­li­chen Ver­fah­ren nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ver­wei­gern, soweit Aus­künf­te dar­über dem Wohl des Bun­des oder eines Lan­des Nach­tei­le berei­ten wür­den, und eine Sper­rer­klä­rung abge­ben (vgl. etwa die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts zu Her­kunfts­län­der-Leit­sät­zen des BAMF). Ob die Wei­ge­rung recht­mä­ßig erfolg­te, wird anschlie­ßend in einem In-Came­ra-Ver­fah­ren über­prüft, in dem die Gegen­sei­te kei­ne Ein­sicht in die Unter­la­gen erhält, vgl. § 99 Abs. 2 Satz 9 VwGO. Der­ar­ti­ge Sper­rer­klä­run­gen gibt das Aus­wär­ti­ge Amt für Lage­be­rich­te aller­dings nicht ab, son­dern stellt die­se den Gerich­ten zur Ver­fü­gung und macht auch kei­ne Ein­wän­de gegen die Wahr­neh­mung von Akten­ein­sicht durch Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te geltend.

Praxis in IFG-Verfahren

Dass das Aus­wär­ti­ge Amt die pau­scha­le Ein­stu­fung der Berich­te selbst nicht als gerecht­fer­tigt anzu­se­hen scheint, zeigt sich auch an dem Umgang mit Anfra­gen nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz auf Her­aus­ga­be von Lage­be­rich­ten. Die­sen gibt es näm­lich über­ra­schen­der­wei­se über­wie­gend statt, obwohl nach § 3 Nr. 4 Var. 2 IFG kein Anspruch auf Infor­ma­ti­ons­zu­gang besteht, sofern die Infor­ma­ti­on einer durch die Ver­schluss­sa­chen­an­ord­nung gere­gel­ten Geheim­hal­tungs- oder Ver­trau­lich­keits­pflicht unter­liegt. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ist hier­bei die for­mel­le Ein­stu­fung als Ver­schluss­sa­che nicht aus­rei­chend, um den Infor­ma­ti­ons­zu­gang zu ver­wei­gern. Die Ein­stu­fung muss mate­ri­ell gerecht­fer­tigt sein.

Das Aus­wär­ti­ge Amt über­prüft die Ein­stu­fung der Berich­te nach Ein­gang ent­spre­chen­der IFG-Anträ­ge und macht sie den Antrag­stel­len­den anschlie­ßend mit mode­ra­ten Schwär­zun­gen zugäng­lich, wobei die Ver­schluss­sa­chen­ein­stu­fung für die­se geschwärz­te Fas­sung zugleich ent­fällt. Das Aus­wär­ti­ge Amt hat bis­her nicht gel­tend gemacht, dass die mate­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­stu­fung der gesam­ten Berich­te vor­lie­gen. Viel­mehr hält es ledig­lich ein­zel­ne Schwär­zun­gen für erfor­der­lich. Die Ein­stu­fung als Ver­schluss­sa­che soll­te jedoch bezo­gen auf die jewei­li­ge Infor­ma­ti­on, nicht bezo­gen auf das gan­ze Doku­men­te erfol­gen (vgl. § 4 Abs. 1 SÜG »geheim­hal­tungs­be­dürf­ti­ge Tat­sa­chen, Gegen­stän­de oder Erkennt­nis­se« sowie § 20 Abs. 6 VSA und Mus­ter 12 in Anla­ge VIII zur VSA). Mit ande­ren Wor­ten: Das Vor­han­den­sein ein­zel­ner Absät­ze, die als geheim­hal­tungs­be­dürf­tig ange­se­hen wer­den, recht­fer­tigt nicht die Pra­xis der Ein­stu­fung von gan­zen Doku­men­ten als Verschlusssachen.

Frag­Den­Staat und PRO ASYL haben die Pra­xis des Aus­wär­ti­gen Amts in IFG-Ver­fah­ren zum Anlass für eine Kam­pa­gne genom­men, im Rah­men derer die Lage­be­rich­te zu den wich­tigs­ten Her­kunfts­län­dern ange­fragt wer­den sol­len, um sie so einer brei­ten Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen.

Wäh­rend es zwar zu begrü­ßen ist, dass das Aus­wär­ti­ge Amt auf IFG-Anfra­gen die Ein­stu­fung als Ver­schluss­sa­che über­prüft und die Doku­men­te über­wie­gend zugäng­lich macht, stellt sich doch umso mehr die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit der ursprüng­li­chen Geheim­hal­tung der Lage­be­rich­te. Die wird erst auf ein­zel­ne IFG-Anträ­ge hin auf ihre mate­ri­el­le Rich­tig­keit über­prüft, was in aller Regel dar­in resul­tiert, dass die Berich­te mit Teil­schwär­zun­gen zugäng­lich gemacht wer­den – aller­dings nur gegen Gebühr für die antrag­stel­len­de Person.

Die Trans­pa­renz­platt­form Frag­Den­Staat und PRO ASYL haben die Pra­xis des Aus­wär­ti­gen Amts in IFG-Ver­fah­ren zum Anlass für eine Kam­pa­gne genom­men, im Rah­men derer die Lage­be­rich­te zu den wich­tigs­ten Her­kunfts­län­dern ange­fragt wer­den sol­len, um sie so – wenigs­tens in teil­ge­schwärz­ter Fas­sung – einer brei­ten Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen. Dass die Her­stel­lung von Trans­pa­renz in einem so wich­ti­gen Bereich wie­der ein­mal der Zivil­ge­sell­schaft obliegt, ist mehr als bedenk­lich. Das Aus­wär­ti­ge Amt soll­te dem Bei­spiel ande­rer Staa­ten fol­gen und die Berich­te pro­ak­tiv der Öffent­lich­keit zur Ver­fü­gung stellen.

Die Ver­öf­fent­li­chung der Lage­be­rich­te wür­de den not­wen­di­gen wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs über die inhalt­li­che Rich­tig­keit und die Metho­dik der Lage­be­rich­te ermög­li­chen und könn­te so erheb­lich zur Ver­bes­se­rung der Tat­sa­chen­er­mitt­lung in Asyl­ver­fah­ren bei­tra­gen. Ange­sichts der ande­ren umfang­rei­chen Reform­vor­schlä­ge, wie der Errich­tung einer unab­hän­gi­gen wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tung ähn­lich dem Robert-Koch-Insti­tut (vgl. Kluth, ZAR 2018, 331, 335) oder der Aus­stat­tung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts mit einer neu­en Tat­sach­ent­schei­dungs­kom­pe­tenz – wäre es eine sinn­vol­le und ein­fach umsetz­ba­re Sofort­maß­nah­me, die Lage­be­rich­te pro­ak­tiv zu veröffentlichen.

Autor*innen: Han­nah Vos und Vivi­an Kube von Frag­Den­Staat. Ihr Text ist erst­mals am 11.11.2022 unter der Lizenz CC-BY-SA im Ver­fas­sungs­blog erschienen.