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Familienzerstörungsgesetz in Kraft

Am 24. Juli ist das Familienzerstörungsgesetz in Kraft getreten: Für zwei Jahre ist der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt. Tausende Familien, die seit Jahren auf ihre engen Angehörigen warten, sind verzweifelt. Nur über eine restriktive Einzelfallprüfung sollen in besonderen Härtefällen noch Ausnahmen gemacht werden.
Die Aussetzung des Familiennachzugs trifft alle engen Angehörigen von subsidiär Schutzberechtigten – egal, ob sie seit kurzem oder schon seit zwei Jahren auf der Warteliste für einen Termin zur Antragstellung stehen, ob ihr Antrag bereits in Bearbeitung ist und nur noch die Zustimmung der Ausländerbehörde fehlt oder ob sie im Klageverfahren stecken und seit vielen Jahren getrennt sind. Solange sie vor Inkrafttreten keine Einladung zur Visierung beziehungsweise Visumabholung erhalten haben oder das Gericht entschieden hat, wird das Visumsverfahren für sie alle ausgesetzt, so die Gesetzesbegründung.
PRO ASYL und andere Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen kritisierten den Gesetzentwurf. Es gab Proteste und Aufrufe gegen dieses Gesetz, das Familien zerstört. Doch all das konnte nicht verhindern, dass das Gesetz am 27. Juni 2025 in unverändertem Wortlaut vom Bundestag beschlossen wurde. Seit dem 24. Juli ist das »Gesetz zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten« in Kraft: Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird für zwei Jahre ausgesetzt, also bis zum 23. Juli 2027. Nur in Härtefällen können noch Visa erteilt werden.
Doch Menschen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, droht laut Definition im Herkunftsland »ernsthafter Schaden« durch Bürgerkriege oder die Gefahr von Todesstrafe oder Folter. Der Unterschied zur Flüchtlingseigenschaft besteht oftmals nur darin, dass ein Verfolgungsgrund wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder eine politische Überzeugung fehlt; die drohende Gefahr aber ist die gleiche. Da Kriege und autoritäre Regime meist über viele Jahre bestehen, bleiben die meisten subsidiär Schutzberechtigten dauerhaft in diesem Status. Ein sicheres Leben mit der Familie ist für sie meist nur in Deutschland möglich.
Das Recht auf Familie
Aus Sicht von PRO ASYL verletzt das Gesetz das Recht auf Familie. Das Menschenrecht, als Familie zusammenzuleben, ist auf nationaler und internationaler durch das Grundgesetz (Art. 6), die EU-Grundrechtecharta (Art. 7) und die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK (Art. 8) geschützt.
Bei der Auslegung dieser Rechte, etwa in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Verfassungsgerichts, fordern die Gerichte einen »angemessenen Ausgleich zwischen dem staatlichen Interesse an Einwanderungskontrolle und dem privaten Interesse an Herstellung der Familieneinheit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls« (EU‑6–3000-012/25).
Angesichts der sinkenden Zahlen von Asylanträgen und der bisher geltenden Begrenzung des Familiennachzugs auf 1.000 Personen pro Monat steht grundsätzlich in Frage, ob die Aussetzung verhältnismäßig ist. Je länger die Trennung andauert, auch, weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland unmöglich ist, desto gewichtiger aber wird das private Interesse an einem Familienleben.
Jahrelange Wartezeiten schon ohne Aussetzung
Die Wartezeiten, mit denen Familien im Nachzugsverfahren aktuell konfrontiert sind, sind bereits ohne die Aussetzung enorm. Erst nach dem Abschluss des Asylverfahrens kann ein Termin bei der deutschen Auslandsvertretung gebucht werden. Von der Buchung auf der Terminwarteliste bis zum Termin zur Antragstellung vergehen der Erfahrung nach meist eineinhalb bis zwei Jahre. Bei der Auslandsvertretung in Beirut etwa betrug die Wartezeit im August 2024 durchschnittlich 22 Monate (VG Berlin, Beschluss vom 22.08.24, 32 L 206/24, Rn. 20).
Sowohl bei der Antragstellung als auch bei der Einholung der Zustimmung von den Ausländerbehörden kann es zu weiteren monatelangen Verzögerungen kommen. All diese Verzögerungen liegen in der Verantwortung der Behörden, nicht in der Hand der Familien. Sie haben derzeit selbst in außergewöhnlichen Fällen, zum Beispiel bei schweren Erkrankungen, nur in den seltensten Fällen eine Chance auf eine beschleunigte Terminvergabe und Bearbeitung.
»Jeden Morgen wache ich mit der Hoffnung auf, dass es der Tag sein wird, an dem ich mit meiner Familie zusammenlebe. Aber das Warten ist lang, und die Enttäuschung ist mein ständiger Begleiter geworden. Hoffnungslos. Die Sicherheit, die Deutschland mir gegeben hat, ist ohne meine Familie blass, stumpf und seelenlos. Die Hälfte meines Herzens bleibt bei meiner Familie auf der anderen Seite, in einem Land, in das ich nicht zurückkehren kann und aus dem meine Lieben nicht entkommen können«, schreibt Mortada aus Syrien. Seine Frau und die drei Kinder stehen bereits seit über zwei Jahren auf der Warteliste, konnten aber noch keinen Antrag stellen. Sein jüngstes Kind hat der Vater noch nie gesehen.
Samira* aus Syrien lebt mit zwei Kindern in Berlin. Der Vater konnte wegen der Verfolgung durch das Assad-Regime nicht über die Grenze ausreisen. Seit 2023 warten der Vater und die weiteren Kinder auf einen Termin zur Visumsantragstellung. Sie leben unter prekären Umständen in Syrien. Die lange Wartezeit und fehlende medizinische Versorgung endeten tödlich: Im Februar 2025 starb der 14-jährige Sohn an einer Lungenentzündung mit Kreislaufschock.
Hamed aus Jemen erhielt 2022 subsidiären Schutz. Seine Ehefrau konnte im Juli 2023 bei der Botschaft einen Visumsantrag stellen, aber bis heute fehlt die Zustimmung der Ausländerbehörde. Die Trennungszeit zermürbt Hamed: »Ich bin so müde, so erschöpft und verzweifelt. Wie kann ich selbst in Sicherheit sein, während meine Frau in Kriegsgefahr lebt?«
Auch im Fall von Zarif* aus Syrien hat die Verzögerung der Ausländerbehörde dazu geführt, dass seiner Familie vor dem neuen Gesetz kein Visum mehr erteilt wurde. Obwohl Zarif sich seit neun Monaten um die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bemüht und die Voraussetzungen dafür zweifelsfrei weiterhin erfüllt, hat die Ausländerbehörde das Dokument nicht mehr verlängert – und mit der Begründung, er sei nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, den beantragten Visa nicht zugestimmt.
Die Rechtsprechung setzt Trennungsfristen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in der Entscheidung M.A. gegen Dänemark (Urteil vom 09.07.2021, 6697/18,) eine pauschale Wartezeit von drei Jahren bis zur individuellen Prüfung eines Antrags auf Familiennachzug als Verletzung von Artikel 8 EMRK gewertet, während zwei Jahre noch als akzeptabel bewertet wurden (Rn.162) – allerdings ab Erteilung des Aufenthaltstitels des Stammberechtigten. Diese Frist wird bei den meisten der Personen, die auf den Wartelisten der deutschen Botschaften stehen, schon vor Ablauf der zweijährigen Aussetzung erreicht. Diese Bewertung wurde vom EGMR damals mit den hohen Flüchtlingszahlen in den Jahren um 2015 bis 2016 gerechtfertigt. Ob ein zweijähriger Ausschluss angesichts der deutlich gesunkenen Ankunftszahlen mit Artikel 8 EMRK in Einklang zu bringen ist, ist fraglich.
Auch die Trennungsfristen, die in der Rechtsprechung zu subsidiär Schutzberechtigten genannt werden – zwei Jahre bei Kleinkindern und drei Jahre bei Ehegatten (bei Eheschließung vor der Flucht) (BVerwG 1 C 30.19, Urteil vom 17.12.2020, Rn. 36) – liegen im Bereich der aktuellen Wartezeiten auf einen Termin zur Antragstellung, nun kommt noch die zweijährige Aussetzung dazu.
Drei Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des deutschen Bundestages kamen Mitte März 2025 bei Auswertung der nationalen und internationalen Rechtsprechung zu folgendem Schluss: »Eine generelle Verunmöglichung des Familiennachzugs sowie eine starre Kontingentierung bzw. lange Wartefristen ohne jegliche Möglichkeit zu Einzelfallprüfungen dürften mit diesen Wertungen nicht in Einklang stehen« (EU‑6–3000-012/25).
Nur, weil es die Härtefallklausel mit der Möglichkeit einer Einzelfallprüfung gibt, ist das Aussetzungsgesetz also nicht von vornherein offensichtlich rechtswidrig. Die Praxiserfahrungen mit dem überaus hürdenreichen, intransparenten und komplizierten Familiennachzugsprozess lässt Anwält*innen und Berater*innen jedoch befürchten, dass auch hier – entgegen den rechtlichen Vorgaben – keine faire, zügige und effiziente individuelle Überprüfung garantiert wird.
Einzelfallprüfung muss transparent und zugänglich sein
Ein transparentes und zugängliches Verfahren der Einzelfallprüfung hat es zumindest 2016 bis 2018, als der Familiennachzug schon einmal ausgesetzt wurde, nicht gegeben: Damals gab es keinerlei öffentlich zugängliche Informationen, wie und wo die Angehörigen einen Antrag auf eine Härtefallprüfung stellen konnten. Erst nach einiger Zeit wurde Berater*innen und Anwält*innen eine Mailadresse des Auswärtigen Amtes bekannt, an das sich die Familien wenden konnten. Das Auswärtige Amt führte in den eingegangenen Fällen eine Vorprüfung durch und gewährte nur in als aussichtsreich bewerteten Fällen einen Termin zur Antragstellung. In anderen Fällen wurde per Mail benachrichtigt, ohne dass eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung möglich war (Stellungnahme International Refugee Assistance Project IRAP).
Diese am 23. Juni 2025 in der Anhörung des Innenausschusses zum Gesetzesentwurf vorgebrachte Kritik hatte wohl zumindest eine kleine Wirkung. Die Protokollerklärung der Regierungsfraktionen macht Hoffnung, dass dieses Mal ein effektiver Zugang zu dem Verfahren gewährleistet werden soll: »Um die Härtefallregelung gemäß § 22 Aufenthaltsgesetz transparent zu gestalten, müssen die Zuständigkeiten und das Antragsformat inklusive des Rechtschutzes gegen ablehnende Entscheidungen klar definiert sein. Informationen zum Verfahren nach § 22 AufenthG müssen zugänglich sein.«Noch sind die Details eines solchen Verfahrens nicht bekannt. Zu befürchten ist aber, dass diese Härtefallregelung kaum angewandt wird. So wie auch bei der letzten Aussetzung nur 280 Visa erteilt wurden (BT-Drs. 19/14640),
Maha* aus Syrien ist verzweifelt: »Ich habe meine Kinder nicht im Stich gelassen, um ein besseres Leben zu suchen. Ich habe Syrien verlassen, weil ich um ihr Überleben kämpfe. Ich bin mit einem Holzboot über das Mittelmeer geflüchtet – wissend, dass ich vielleicht nie ankommen würde. Ich habe alles riskiert, um ihnen Sicherheit und medizinische Versorgung zu ermöglichen. Ich will meine Kinder endlich wieder in die Arme schließen. Jeder weitere Tag des Wartens ist für uns eine Qual.« Maha ist seit fast zwei Jahren in Deutschland. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die in Syrien bei der Oma leben. Das jüngste Kind ist zehn Jahre alt und ist aufgrund einer seltenen Erkrankung auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen – eine Behandlung, die in Syrien kaum verfügbar ist. Die Kinder stehen auf der Warteliste, ein Termin für die persönliche Antragstellung wurde bisher nicht vergeben.
Dringende humanitäre Gründe
Als Rechtsgrundlage für diese Einzelfallprüfung wird im Gesetz auf § 22 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verwiesen. Nach dieser Norm »kann für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden« (§22 Satz 1 AufenthG). Es handelt sich dabei also um eine Ermessensentscheidung der Behörden. Eine Aufnahme aus dringenden humanitären Gründen setzt laut Verwaltungsvorschriften voraus, »dass sich der Ausländer in einer besonders gelagerten Notsituation befindet. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift ist weiter Voraussetzung, dass sich der Schutzsuchende in einer Sondersituation befindet, die ein Eingreifen zwingend erfordert und es rechtfertigt, ihn – im Gegensatz zu anderen Ausländern in vergleichbarer Lage – aufzunehmen. Dabei muss die Aufnahme des Schutzsuchenden im konkreten Einzelfall ein Gebot der Menschlichkeit sein.« Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es sich nur in einem Prozent der Fälle um Härtefälle handelt, die weiterhin bearbeitet werden müssen.
In einer Kritik der äußerst restriktiven Anwendungspraxis argumentieren die Juristinnen Kummer und Wessing zu Recht, dass die Notlage »im Verhältnis zu sämtlichen Einreisebegehren bewertet werden« muss, und nicht allein mit jenen aus Krisenregionen, da dies »humanitäre Notlagen systematisch unsichtbar« macht und ansonsten den grundgesetzlichen Schutz der Familie unterläuft.
Völkerrechtliche Gründe
Die Gesetzesbegründung verweist bei den zu berücksichtigenden humanitären Gründen »vor dem Hintergrund der Gewährleistung des Artikel 8 EMRK« auf »die Dauer der Trennung, das Kindeswohl sowie unüberwindbare Hindernisse, die Familieneinheit im Herkunftsland herzustellen«. Es entspricht nicht der bisherigen Praxis, ist aber überzeugend, dass diese Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht nur als humanitäre, sondern auch als völkerrechtliche Gründe berücksichtigt werden müssen (siehe dazu auch die Diskussion in der Anhörung des Innenausschusses). Da die Urteile des EGMR für die Vertragsstaaten völkerrechtlich bindend sind, kann sich eine »völkerrechtliche Aufnahmeverpflichtung aus allgemeinem Völkerrecht oder aus Völkervertragsrecht« (Verwaltungsvorschriften) ergeben.
Ungewissheit bei den Familien
Familiennachzugsverfahren sind ohnehin undurchsichtig und lassen die betroffenen Familien in oftmals bedrohlichen oder humanitär katastrophalen Umständen verzweifeln. Sie sind dem Verfahren mit seinen endlosen Warteschleifen und Hürden ausgeliefert. Das wird durch das neue Gesetz noch einmal verstärkt, denn es ist unklar, wie eine Einzelfallprüfung durchgesetzt werden kann, wann entsprechende Kapazitäten für diese Prüfung beim Auswärtigen Amt überhaupt aufgestellt sind, welche Kriterien wie gewichtet werden.
Auch wie es nach der zweijährigen Aussetzung weitergeht, ist ungewiss. In der Gesetzesbegründung wird angekündigt, dass geprüft werden soll, ob »eine Verlängerung der Aussetzung notwendig und möglich ist«. Ansonsten tritt die bisherige Regelung nach §36a AufenthG wieder in Kraft. Auch wenn die Aussetzung anschließend nicht mehr verlängert wird, wird sich die Wartezeit angesichts der bis dahin angestauten Antragsteller*innen um viele weitere Monate verzögern. Eine erneute Begrenzung würde die Wartezeit sogar noch länger werden lassen – was eindeutig rechtswidrig wäre.
Rückwirkungsverbot
Als der Familiennachzug zu Schutzberechtigten von 2016 bis 2018 ausgesetzt war, traf es ausschließlich jene Geflüchteten, die erst nach Inkrafttreten der Aussetzung die Aufenthaltserlaubnis für subsidiär Schutzberechtigte erhielten. Mit der aktuellen Aussetzung verschlechtert sich die Rechtsposition auch jener Menschen die, zum Teil bereits seit langer Zeit, über eine solche Aufenthaltserlaubnis verfügen. Juristisch gesprochen liegt eine sogenannte echte Rückwirkung vor, die nachträglich an einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt anknüpfend eine neue Rechtsfolge vorsieht – hier durch den Ausschluss des Familiennachzugs. Obwohl Schutzberechtigte also bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis alle Voraussetzungen für den Familiennachzug erfüllten, nutzt ihnen das nun plötzlich nichts mehr. Dies widerspricht dem Rückwirkungsverbot.
Erschwerend kommt hinzu: Familien sind im Vertrauen auf ein Visumsverfahren zum Teil bereits vor Monaten oder Jahren in Drittländer gezogen. Für die Familien ist der Ausschluss auch deshalb besonders schwerwiegend.
Kaum alternative Möglichkeiten
Viele Familien, die von der Aussetzung betroffen sind, werden keine andere Möglichkeit haben, als zu versuchen, mit der Hilfe von Beratungsstellen eine Einzelfallprüfung als Härtefall anzustreben. Nur subsidiär Geschützte, die schon länger in Deutschland sind, erfüllen eventuell bereits die Voraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis oder die Einbürgerung. Haben sie dies geschafft, können sie einen Familiennachzug nach den dabei geltenden Vorgaben beantragen.
Subsidiär Geschützte, die in Deutschland als Fachkraft arbeiten, können bei Beratungsstellen prüfen lassen, ob sie die Voraussetzung für eine weitere Aufenthaltserlaubnis nach 18 a, b oder 19c AufenthG erfüllen. Sie können dann einen Familiennachzug zu Fachkräften beantragen und sind von der Aussetzung nicht betroffen. Doch die Voraussetzungen sind hoch. Nur jene, die eine formale Qualifikation haben und es trotz der extremen psychischen Belastung schaffen, sich auf Spracherwerb oder die Arbeit zu konzentrieren, können die Aussetzung dadurch umgehen. Viele andere, die traumatisiert oder krank sind, haben diese Möglichkeit nicht. Besonders dramatisch ist die Situation für unbegleitete Minderjährige, die während der Aussetzung volljährig werden. Ist es nicht möglich, eine besondere Härte nachzuweisen, ist der Familiennachzug ihrer Eltern nicht mehr möglich.
Mustafa* aus Syrien ist ausgebildeter Elektrotechniker mit viel Berufserfahrung. Obwohl er noch keine zwei Jahre in Deutschland ist, arbeitet er bereits seit über einem Jahr als geschätzte Fachkraft bei einer Firma in der Gebäudeautomatisierung. Seine Qualifikation ist noch nicht offiziell anerkannt, sodass es noch schwer ist, eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft zu erhalten.
Seit eineinhalb Jahren lebt seine Frau mit den drei Kindern in Ägypten, wo sie auf den Termin zur Visumsbeantragung warten. Die Kinder können dort nicht zur Schule gehen, weil ihre Aufenthaltserlaubnisse abgelaufen sind. Die Mietkosten dort sind hoch, und Mustafa schafft es trotz seines guten Gehaltes kaum, sie ausreichend zu unterstützen. Er hat schon überlegt, Deutschland zu verlassen, aber es gibt kein Land, in das er einreisen und in dem er gemeinsam mit seiner Familie in Sicherheit leben kann.
Zahra* aus dem Sudan erlebte massive Bedrohungen durch das Militär und die Behörden wegen ihrer Tätigkeit als Ärztin. Sie floh nach Deutschland und erhielt subsidiären Schutz. Ihr Ehemann und die Kinder mussten ebenfalls fliehen. Seitdem leben sie unter prekären Umständen in einem Nachbarland, ohne Aufenthaltsstatus und ohne Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung. Seit zwei Jahren ist Zahra von ihrer Familie getrennt. Sie klagt auf die Flüchtlingseigenschaft, um von der Aussetzung nicht betroffen zu sein, lernt Deutsch und hat vor, in Deutschland wieder als Ärztin zu arbeiten.
PRO ASYL fordert effektive Verfahren
PRO ASYL fordert angesichts der menschenrechtlichen Argumente und des zu erwartenden menschlichen Leids grundsätzlich, dass die Aussetzung des Familiennachzugs vom Gesetzgeber wieder aufgehoben wird.
Akut stellen sich nun viele bisher ungeklärte Fragen in Tausenden von Einzelfällen. In der Umsetzung der neuen Regelung ist es unerlässlich, dass zumindest in allen bereits anhängigen Verfahren nun geprüft wird, ob ein Härtefall nach § 22 AufenthG vorliegt. Außerdem muss das Auswärtige Amt schnell einen effektiven Zugang zu einer individuellen Härtefallprüfung anbieten und darüber transparent informieren. Bei der Prüfung muss die EGMR-Rechtsprechung berücksichtigt werden: Viele Familien sind schon länger als zwei Jahre getrennt – und der EGMR hatte ja eine pauschale Wartezeit von drei Jahren bis zur individuellen Prüfung eines Antrags auf Familiennachzug als Verletzung von Artikel 8 EMRK gewertet. Zudem ist durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes offenkundig, dass die Familie im Herkunftsland nicht zusammenleben kann. Und auch das Kindeswohl muss berücksichtigt werden.
* Name geändert
(jb)