News
Deutschland hält am gescheiterten Asylzuständigkeitssystem fest

Verdrehung der Tatsachen: Nach einem EU-Innenministertreffen bezeichnet Innenstaatssekretär Schröder den Abschiebestopp nach Griechenland als „Geste der Solidarität“.
Am Donnerstag diskutierten die EU-Innenminister in Kopenhagen über „Solidarität“ in Hinblick auf die europäische Flüchtlingspolitik. Das Signal, das hierbei von Deutschland ausging, ist eindeutig: Ein solidarisches System zur Aufnahme von Flüchtlingen in der EU wird es mit Deutschland nicht geben. Innenstaatssekretär Ole Schröder bekräftigte, die Bundesregierung werde auf jeden Fall an der Dublin-II-Verordnung festhalten. Diese sieht vor, dass Flüchtlinge in der Regel dort ihren Asylantrag stellen müssen, wo sie europäischen Boden betreten haben.
Dass die Dublin-Verordnung unsolidarisch ist und in der Praxis zu Menschenrechtsverletzungen führt, ist offensichtlich. Die Verordnung sorgt dafür, dass die Verantwortung für die Flüchtlinge den EU-Staaten an den Außengrenzen aufgebürdet wird.
Griechenland, Italien, Malta, Ungarn und andere Staaten am Rande der EU verweigern sich jedoch einer menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen oder sehen sich außer Stande diese zu gewährleisten. Der Mangel an Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten führt so zu organisierter Verantwortungslosigkeit gegenüber schutzsuchenden Menschen.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EMGR) hat daher schon wiederholt Abschiebungen in Länder an den EU-Außengrenzen untersagt. Bereits im Januar 2011 verurteilte er Griechenland aufgrund der menschenunwürdigen Inhaftierungspraxis von Schutzsuchenden sowie Belgien, da das Land Asylsuchende nach Griechenland abgeschoben hatte. Seit dem Urteil des EMGR existiert faktisch ein europaweiter Überstellungsstopp nach Griechenland. In einem Urteil am 21.Dezember 2011 hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg – ebenfalls am Beispiel Griechenland – klargestellt: Ein blindes Abschieben der Verantwortung ist nicht im Einklang mit den Menschenrechten und der EU-Grundrechtecharta.
Für die Bundesregierung ist dies allerdings kein Anlass, endlich das Versagen des Dublin-Systems einzugestehen und sich in der EU für eine solidarische und humane Flüchtlingspolitik einzusetzen. Vielmehr zeigte Staatssekretär Ole Schröder angesichts des durch die beiden europäischen Gerichtshöfe erzwungenen Abschiebestopps nach Griechenland außerordentliche Kreativität: Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa ließ er verlauten, der Abschiebestopp nach Griechenland sei eine „Geste der Solidarität“. Dass Deutschland im Jahr 2011 rund 5000 Asylsuchende, die aus Griechenland einreisten, nicht zurückgeschickt habe, zeige, „dass wir unserer humanitären Verantwortung gerecht werden“, wird Schröder in den Medien zitiert. Eine beachtliche Verdrehung der Tatsachen.
Walls of Shame: Accounts from the Inside. The Detention Centres in Evros (englischsprachiger Bericht), April 2012
Überleben im Transit: Zur Situation von Flüchtlingen in der Türkei, März 2012
Zehn Jahre Dublin-II – zehn Jahre gescheiterte Asylpolitik in Europa (22.02.13)
Ungarn: Systematische Verletzung der Menschenrechte von Flüchtlingen (15.03.12)
Ein Euro für den Flüchtlingsschutz, 20 Euro für die Flüchtlingsabwehr (26.01.12)
EuGH: Urteil zur EU-Asylzuständigkeitsregelung Dublin II (21.12.11)