PRO ASYL und Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern Konsequenzen: Aushebelung des Rechtswegs durch späte Zustellung muss beendet werden
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unternimmt einiges, um Asylsuchenden, für die angeblich ein anderer EU-Staat zuständig ist, den Rechtsweg zu verbauen. Den betroffenen Flüchtlingen wird der schriftliche Bescheid, dass ein Asylverfahren in Deutschland nicht durchgeführt wird, erst am Tag der Abschiebung ausgehändigt. Damit wird der Rechtsschutz für die Betroffenen ausgehebelt.
Das Verwaltungsgericht Hannover hat in einem Beschluss vom 10. Dezember 2009 (Az.: 13 B 6047/09) diese Praxis des Bundesamtes als Grundrechtsverstoß kritisiert. Das Bundesamt verkenne das Gebot des effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 IV GG, so das VG in seiner Kammerentscheidung. Nur wenn eine frühzeitige Zustellung des Bescheides aufgrund einer kurzfristig anberaumten Rückführung tatsächlich nicht möglich sei, dürfe der Bescheid am Tag der Abschiebung übergeben werden.
Grundsätzlich habe die Bekanntgabe des Bescheids jedoch weiterhin „so bald wie möglich“ zu erfolgen. Dies gebiete das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 IV GG). Dieses Grundrecht beinhalte eben nicht nur die formale Möglichkeit, Gerichte anzurufen, sondern auch den Anspruch, tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle zu erlangen. Der Rechtsschutz dürfe weder ausgeschlossen noch in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht gerechtfertigter Weise erschwert werden. Angewendet auf den zu entscheidenden Einzelfall stellt das Gericht fest: „Um den Anspruch des Antragstellers auf die Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes zu sichern, erachtet die Kammer eine Frist von mindestens drei Werktagen (…) in dem hier vorliegenden Fall für noch angemessen.“ Das Bundesamt saß bereits seit dem 22. Oktober 2009 auf dem fertigen Bescheid. Der Rechtsanwalt des Betroffenen erhielt ihn am 30. November.
Im vorliegenden Fall geht es um die Abschiebung eines 16-jährigen Kurden, den man nach Slowenien überstellen will. Er floh allein nach Deutschland, weil bereits sein Vater hier lebt. Festgestellt wurde, dass seine Fingerabdrücke bereits in Slowenien in die Eurodac-Datei gekommen waren. Daraufhin wurde der Minderjährige – auch dies ein massiver Skandal und ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention – in der JVA Hannover inhaftiert. Eine Prüfung, was im Interesse des Kindeswohls zu tun sei, erfolgte nicht, wie der eingeschaltete Hannoveraner Rechtsanwalt Dündar Kelloglu feststellte.
Das Verwaltungsgericht verweist in seiner Entscheidung darauf, dass das Wohl von unbegleiteten Minderjährigen gegenüber einem Wiederaufnahmegesuch eines anderen EU-Mitgliedstaates stets den Vorrang haben sollte. Die auch in Artikel 6 Absatz 1 der Dublin II-Verordnung vorgesehene Prüfung unter diesem Gesichtspunkt hat das Bundesamt jedoch nicht vorgenommen.
PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßen die Entscheidung. Sie fordern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, seine flächendeckende Praxis der Blockade des Rechtswegs zu beenden und das Rechtsschutzgebot des Artikels 19 IV GG endlich ernst zu nehmen.
Kontakt:
PRO ASYL, Tel. 069 23 06 95, presse@proasyl.de
Flüchtlingsrat Niedersachsen, Tel. 05121 15 605, kw@nds-fluerat.org
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