Rechte Geflüchteter werden durch Seehofer-Deal bewusst umgangen
Zurückschiebungen aus Deutschland im Rahmen des griechisch-deutschen Zurückweisungsabkommens, dem sogenannten Seehofer-Deal, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – das unterstreichen PRO ASYL, das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Refugee Support Aegean (RSA) in ihrer Einreichung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 30. Oktober 2020. Die Drittintervention der Organisationen im Fall H.T. gegen Deutschland und Griechenland legt dar, dass Deutschland Geflüchtete nicht nach Griechenland zurückschieben darf, ohne zuvor das Risiko schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen zu prüfen. Die Rechte von Geflüchteten, die ihnen durch die Menschenrechtskonvention und die Dublin-III-Verordnung gewährt werden, werden durch das Abkommen bewusst umgangen.
H.T., ein syrischer Staatsangehöriger, wurde im September 2018 in Deutschland nach seiner Einreise über Österreich verhaftet. Noch am selben Tag wurde er nach Athen abgeschoben, weil er zuvor in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte – ein Verfahren, dass der Seehofer-Deal ermöglicht und mit dem die geltende Dublin-III-Verordnung umgangen wird. Das Abkommen, das 2018 zwischen dem deutschen Innenministerium und dem griechischen Ministerium für Migration geschlossen wurde, sieht vor, dass Personen, die bereits in Griechenland Asyl beantragt haben und über Österreich nach Deutschland kommen, die Einreise verweigert und sie innerhalb von 48 Stunden nach Griechenland zurückgeführt werden.
In Griechenland wurde H.T. nach seiner Rückkehr trotz bekannter psychischer Erkrankung umgehend zum Zwecke einer Abschiebung in die Türkei inhaftiert. H.T. reichte schließlich am 1. März 2019 eine Individualbeschwerde beim EGMR in Straßburg ein. Er macht geltend, dass seine Rückführung durch Deutschland sowie seine Behandlung und Inhaftierung in Griechenland gegen die EMRK verstoßen und etwa das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Artikel 3) und das Recht auf wirksame Beschwerde (Artikel 13) verletzen.
In ihrer Einreichung betonen das ECCHR, PRO ASYL und RSA, dass Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, nicht ohne Verfahren zurückgeschickt werden dürfen. Stattdessen müssen die Risiken in den Aufnahmeländern wie Griechenland vorab sorgfältig untersucht werden, um den menschenrechtlichen Vorgaben zu genügen. Unmenschliche Haftbedingungen, Mängel im Asylsystem und das Risiko einer Kettenabschiebung in die Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Deals dürfen dabei nicht einfach außer Acht gelassen werden. Die Dublin-Verordnung als geltender Rechtsrahmen für die Zuständigkeitsregelung ist anzuwenden.
Hintergrund
Der Seehofer-Deal zwischen Deutschland und Griechenland wurde 2018 abgeschlossen. Das Abkommen wurde zunächst nicht einmal den Bundestagsabgeordneten zugänglich gemacht. Erst dank unserer griechischen Partner*innen in Griechenland, Refugee Support Aegean, wurde es öffentlich.
Wie Gutachterin Prof. Dr. Anna Lübbe bestätigt, legt die weiterhin verbindliche europäische Dublin-Verordnung das Verfahren und die Kriterien fest, ob und wie ein*e Asylsuchende*r von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden kann – nach ausreichender Prüfung und mit effektivem Zugang zu Rechtsschutz. Diese elementaren Rechte hat auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mehrfach hervorgehoben. Der Seehofer-Deal ignoriert das und stellt sich außerhalb des geltenden Rechts.