Kurz vor Übernahme der EU-Präsidentschaft zum Jahreswechsel hat die ungarische Regierung unter Premier Orban zum 24.12.2010 eine erneute Verschärfung der Asylgesetzgebung verfügt.
Noch skandalöser erscheint, was ein kürzlich vom „Border Monitoring Project Ukraine“ (BMPU) veröffentlichter Bericht dokumentiert: Flüchtlingen wird an der ungarischen Ost- und damit EU-Außengrenze regelmäßig der Zugang zum Asylverfahren verweigert. Sogar unbegleitete Minderjährige werden innerhalb weniger Stunden in die Ukraine zurückgeschoben. Die Abgeschobenen erwartet dort körperliche Misshandlungen und monatelange Haft, ein Asylantrag wird entweder nicht bearbeitet oder abgelehnt. Betroffen von diesem offensichtlichen Bruch der internationalen Flüchtlingskonventionen sind nicht zuletzt Asylsuchende, die aus Bürgerkriegsregionen wie Somalia oder Afghanistan geflohen sind.
„I am a refugee, I am a girl. Please help me.“ (Ich bin ein Flüchtling, ich bin ein Mädchen. Bitte helfen Sie mir.) Es hat der 16jährigen Fatima aus Somalia nichts genutzt, dass sie die ungarischen Grenzpolizisten in Englisch ansprechen konnte. Ihr Schutzbegehren wurde dennoch ignoriert, sie wurde in die Ukraine zurückgeschoben – ein eindeutiger Bruch sowohl der Flüchtlings- als auch der Kinderrechtskonvention.
Dutzende Flüchtlinge, welche vom BMPU in den letzten beiden Jahren befragt wurden, berichten übereinstimmend davon, dass ihnen ihr Recht auf Zugang zum Asylverfahren in Ungarn und in ähnlicher Weise auch in der Slowakei verwehrt und sie innerhalb von 24 Stunden in die Ukraine abgeschoben wurden. Diese Praxis widerspricht dem sogenannten Refoulement-Verbot und stellt einen klaren Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention sowie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar. Die Anzahl und die zeitliche Verteilung der vom BMPU dokumentierten Rückschiebungen lassen darauf schließen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle, sondern um ein regelmäßiges, rechtswidriges Vorgehen handelt. Zum selben Schluss kommt auch ein kürzlich von „Human Rights Watch“ veröffentlichter Bericht.
Wie die Betroffenen in den Interviews ausführen, wurden sie nach ihrer Abschiebung in der Ukraine zum Teil sogar körperlich misshandelt und fast alle bis zu sechs Monate in Lagern inhaftiert. Das Abschiebehaftsystem der Ukraine wird von der EU finanziert, ohne dass minimale Menschenrechtsstandards, wie beispielsweise richterliche Anhörungen, eingehalten werden. Zwar existiert formal ein Asylsystem, welches allerdings – ähnlich wie in Griechenland – als absolut dysfunktional bezeichnet werden muss: So wurde etwa von August 2009 bis August 2010 in der Ukraine kein einziger Asylantrag bearbeitet.
BMPU: Marc Speer, Tel. +49 (0)89 762234, E‑Mail contact(at)bordermonitoring-ukraine.de
PRO ASYL: Pressestelle, Tel. +49 (0)69 230695, E‑Mail presse(at)proasyl.de
Hinweis:
Der BMPU-Bericht „Acess to Protection Denied: Refoulement of Refugees and Minors on the Eastern Borders of the EU“ findet sich online hier. Bei Interesse an einer Berichterstattung können wir Ihnen gerne auch eine Print-Version zukommen lassen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, Kontakte zu Betroffenen aus Somalia zu vermitteln, die es (nach mehreren Versuchen) schafften, in Deutschland Asyl zu beantragen und die zu Interviews bereit sind.
Weitere Informationen: Human Rights Watch (2010), Buffeted in the Borderland. The Treatment of Asylum Seekers and Migrants in Ukraine
UNHCR kritisiert Dublin-II-Abschiebungen nach Ungarn (11.10.12)
UNHCR belegt Menschenrechtsverletzungen im ungarischen Asylsystem (24.04.12)
Hungerstreik: Somalische Flüchtlinge protestieren gegen Haft in der Ukraine (20.01.12)