13.01.2011

Kurz vor Über­nah­me der EU-Prä­si­dent­schaft zum Jah­res­wech­sel hat die unga­ri­sche Regie­rung unter Pre­mier Orban zum 24.12.2010 eine erneu­te Ver­schär­fung der Asyl­ge­setz­ge­bung verfügt.

Noch skan­da­lö­ser erscheint, was ein kürz­lich vom „Bor­der Moni­to­ring Pro­ject Ukrai­ne“ (BMPU) ver­öf­fent­lich­ter Bericht doku­men­tiert: Flücht­lin­gen wird an der unga­ri­schen Ost- und damit EU-Außen­gren­ze regel­mä­ßig der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren ver­wei­gert. Sogar unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge wer­den inner­halb weni­ger Stun­den in die Ukrai­ne zurück­ge­scho­ben. Die Abge­scho­be­nen erwar­tet dort kör­per­li­che Miss­hand­lun­gen und mona­te­lan­ge Haft, ein Asyl­an­trag wird ent­we­der nicht bear­bei­tet oder abge­lehnt. Betrof­fen von die­sem offen­sicht­li­chen Bruch der inter­na­tio­na­len Flücht­lings­kon­ven­tio­nen sind nicht zuletzt Asyl­su­chen­de, die aus Bür­ger­kriegs­re­gio­nen wie Soma­lia oder Afgha­ni­stan geflo­hen sind.

„I am a refu­gee, I am a girl. Plea­se help me.“ (Ich bin ein Flücht­ling, ich bin ein Mäd­chen. Bit­te hel­fen Sie mir.) Es hat der 16jährigen Fati­ma aus Soma­lia nichts genutzt, dass sie die unga­ri­schen Grenz­po­li­zis­ten in Eng­lisch anspre­chen konn­te. Ihr Schutz­be­geh­ren wur­de den­noch igno­riert, sie wur­de in die Ukrai­ne zurück­ge­scho­ben – ein ein­deu­ti­ger Bruch sowohl der Flücht­lings- als auch der Kinderrechtskonvention.

Dut­zen­de Flücht­lin­ge, wel­che vom BMPU in den letz­ten bei­den Jah­ren befragt wur­den, berich­ten über­ein­stim­mend davon, dass ihnen ihr Recht auf Zugang zum Asyl­ver­fah­ren in Ungarn und in ähn­li­cher Wei­se auch in der Slo­wa­kei ver­wehrt und sie inner­halb von 24 Stun­den in die Ukrai­ne abge­scho­ben wur­den. Die­se Pra­xis wider­spricht dem soge­nann­ten Refou­le­ment-Ver­bot und stellt einen kla­ren Ver­stoß gegen die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on sowie gegen die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on dar. Die Anzahl und die zeit­li­che Ver­tei­lung der vom BMPU doku­men­tier­ten Rück­schie­bun­gen las­sen dar­auf schlie­ßen, dass es sich hier nicht um Ein­zel­fäl­le, son­dern um ein regel­mä­ßi­ges, rechts­wid­ri­ges Vor­ge­hen han­delt. Zum sel­ben Schluss kommt auch ein kürz­lich von „Human Rights Watch“ ver­öf­fent­lich­ter Bericht.

Wie die Betrof­fe­nen in den Inter­views aus­füh­ren, wur­den sie nach ihrer Abschie­bung in der Ukrai­ne zum Teil sogar kör­per­lich miss­han­delt und fast alle bis zu sechs Mona­te in Lagern inhaf­tiert. Das Abschie­be­haft­sys­tem der Ukrai­ne wird von der EU finan­ziert, ohne dass mini­ma­le Men­schen­rechts­stan­dards, wie bei­spiels­wei­se rich­ter­li­che Anhö­run­gen, ein­ge­hal­ten wer­den. Zwar exis­tiert for­mal ein Asyl­sys­tem, wel­ches aller­dings – ähn­lich wie in Grie­chen­land – als abso­lut dys­funk­tio­nal bezeich­net wer­den muss: So wur­de etwa von August 2009 bis August 2010 in der Ukrai­ne kein ein­zi­ger Asyl­an­trag bearbeitet.

BMPU: Marc Speer, Tel. +49 (0)89 762234, E‑Mail contact(at)bordermonitoring-ukraine.de

PRO ASYL: Pres­se­stel­le, Tel. +49 (0)69 230695, E‑Mail presse(at)proasyl.de

Hin­weis:

Der BMPU-Bericht „Acess to Pro­tec­tion Denied: Refou­le­ment of Refu­gees and Minors on the Eas­tern Bor­ders of the EU“ fin­det sich online hier. Bei Inter­es­se an einer Bericht­erstat­tung kön­nen wir Ihnen ger­ne auch eine Print-Ver­si­on zukom­men las­sen. Wei­ter­hin besteht die Mög­lich­keit, Kon­tak­te zu Betrof­fe­nen aus Soma­lia zu ver­mit­teln, die es (nach meh­re­ren Ver­su­chen) schaff­ten, in Deutsch­land Asyl zu bean­tra­gen und die zu Inter­views bereit sind.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: Human Rights Watch (2010), Buf­feted in the Bor­der­land. The Tre­at­ment of Asyl­um See­kers and Migrants in Ukraine

 UNHCR kri­ti­siert Dub­lin-II-Abschie­bun­gen nach Ungarn (11.10.12)

 UNHCR belegt Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im unga­ri­schen Asyl­sys­tem (24.04.12)

 Hun­ger­streik: Soma­li­sche Flücht­lin­ge pro­tes­tie­ren gegen Haft in der Ukrai­ne (20.01.12)

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