16.06.2021

PRO ASYL, die Lan­des­flücht­lings­rä­te und Jugend­li­che ohne Gren­zen for­dern anläss­lich der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz ein bun­des­wei­tes Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um nach Afgha­ni­stan und Syri­en. Des Wei­te­ren dür­fen die Innenminister*innen die Lage für aner­kann­te Flücht­lin­ge in Grie­chen­land nicht wei­ter ignorieren.

Von Mitt­woch bis Frei­tag tref­fen sich die Innenminister*innen ‑und sena­to­ren zu ihrer Kon­fe­renz, dies­mal im baden-würt­tem­ber­gi­schen Rust.  PRO ASYL, die Lan­des­flücht­lings­rä­te und Jugend­li­che ohne Gren­zen war­nen davor, dass innen­po­li­ti­sche Erwä­gun­gen zur Migra­ti­on außen­po­li­ti­sche Tat­sa­chen über­la­gern – kon­kret: Dass dem Ziel der Bun­des­re­gie­rung – „weni­ger Flücht­lin­ge“ – alles ande­re unter­ge­ord­net wird.

So droht etwa Afgha­ni­stan mit dem Abzug der NATO-Trup­pen erneut im Cha­os zu ver­sin­ken, hoch­ran­gi­ge Sicher­heits­exper­ten war­nen vor bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den und einem Sturm der Tali­ban auf Kabul. Doch von Deutsch­land aus wer­den nichts­des­to­trotz wei­ter­hin Men­schen nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben. Wäh­rend die­ser Tage die west­li­chen Trup­pen eva­ku­iert und in Sicher­heit gebracht wer­den, star­ten gleich­zei­tig Abschie­be­flie­ger in das nach wie vor gefähr­lichs­te Land der Welt.

Deutsch­land muss EuGH-Urteil zu sub­si­diä­rem Schutz schnell umsetzen

Das zeigt: Die der­zei­ti­ge Poli­tik der Bun­des­re­gie­rung und der Bun­des­län­der strotzt nur so vor Igno­ranz. Die ver­ant­wort­li­chen Entscheidungsträger*innen berück­sich­ti­gen weder die gut doku­men­tier­ten, dra­ma­ti­schen Zustän­de vor Ort noch wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en zum The­ma Rück­kehr­ri­si­ken, etwa jene der Afgha­ni­stan-Exper­tin Frie­de­ri­ke Stahl­mann. Die Innenminister*innen igno­rie­ren selbst Gerichts­ur­tei­le. So hat bei­spiels­wei­se der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof in Baden-Würt­tem­berg fest­ge­stellt, dass abge­lehn­ten Afgha­nen eine Rück­kehr ohne ein sta­bi­les fami­liä­res oder sozia­les Netz­werk in Afgha­ni­stan nicht zuzu­mu­ten ist. Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist das Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) vom 10. Juni. Dar­in hat die­ser die Vor­aus­set­zun­gen, die zur Gewäh­rung sub­si­diä­ren Schut­zes füh­ren, im Ver­gleich zur Rechts­pra­xis der Bun­des­re­pu­blik maß­geb­lich erwei­tert. Das hat ins­be­son­de­re für Geflüch­te­te aus Afgha­ni­stan Kon­se­quen­zen – und kann Leben ret­ten. Deut­sche Gerich­te und Behör­den müs­sen nun sowohl die Gewäh­rung eines Schutz­sta­tus als auch die Pra­xis der Abschie­bun­gen ent­spre­chend ändern und an die euro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben anpas­sen. Deutsch­land kann sich nach dem EuGH-Urteil nicht län­ger herausreden!

Syri­en: Im zehn­ten Jahr des Bür­ger­kriegs ist das Land mit­nich­ten sicher 

UNHCR und die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on fei­ern in die­sem Jahr ihr 70-jäh­ri­ges Bestehen. Sie bil­den das Fun­da­ment des moder­nen inter­na­tio­na­len Sys­tems zum Schutz von Flücht­lin­gen. Doch die Bun­des­re­pu­blik höhlt die­ses Fun­da­ment suk­zes­si­ve aus. Das gilt auch mit Blick auf Syri­en. Dass der Abschie­bungs­stopp für Syri­en nach der letz­ten Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz aus­ge­lau­fen ist und aktiv an der Durch­set­zung von Abschie­bun­gen gear­bei­tet wird, ist ein men­schen­recht­li­cher Skan­dal und wider­spricht den Emp­feh­lun­gen des UNHCR. Auch das Euro­päi­sche Par­la­ment hat anläss­lich des zehn­ten Jah­res­tags des Beginns des Auf­stands in Syri­en »alle Mit­glied­staa­ten dar­an [erin­nert], dass Syri­en kein siche­res Land für die Rück­kehr ist«. Wie Medi­en­be­rich­ten zu ent­neh­men ist, arbei­tet das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um jedoch dar­an, Abschie­bun­gen von Straf­tä­tern und »Gefähr­dern« zu ermög­li­chen – zum Bei­spiel in die kur­di­schen Regio­nen im Nord­os­ten Syri­ens. Damit eifert das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um Asyl-Hard­li­nern wie Däne­mark nach.

Ein Jahr Coro­na-Pan­de­mie: Situa­ti­on vie­ler Geflüch­te­ter wei­ter­hin prekär

Seit über einem Jahr beschäf­tigt sich die deut­sche Bun­des- und Län­der­po­li­tik inten­siv mit dem Umgang mit der Covid-19 Pan­de­mie – die Situa­ti­on von Geflüch­te­ten wur­de und wird dabei aber zu wenig in den Blick genom­men. Obwohl sie auf­grund ihrer Wohn­si­tua­ti­on ein hohes Infi­zie­rungs­ri­si­ko haben, sind vie­ler­orts Imp­fun­gen in Sam­mel­un­ter­künf­ten erst spät ange­lau­fen. PRO ASYL, die Lan­des­flücht­lings­rä­te und Jugend­li­che ohne Gren­zen for­dern einen unge­hin­der­ten Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung für alle Geflüch­te­ten und ille­ga­li­sier­ten Men­schen.  Bei vie­len Geflüch­te­ten hän­gen Zukunft und Blei­be­recht in Deutsch­land davon ab, ob sie durch­gän­gig arbei­ten und ihren Lebens­un­ter­halt selbst bestrei­ten kön­nen. Doch dies ist zahl­rei­chen Betrof­fe­nen unter Pan­de­mie­be­din­gun­gen nicht mög­lich. Ein pan­de­mie­be­ding­ter Ver­lust der Arbeits­ oder Aus­bil­dungs­stel­le darf nicht zu auf­ent­halts­recht­li­chen Nach­tei­len führen.

Abschie­bun­gen nach Grie­chen­land stop­pen, wei­te­re Men­schen aufnehmen

Dar­über hin­aus müs­sen die Innenminister*innen sich drin­gend mit der Lage in Grie­chen­land beschäf­ti­gen. Sogar Men­schen, die dort einen Schutz­sta­tus erhal­ten haben, ste­hen oft vor dem Nichts, vie­le von ihnen lan­den in der Obdach­lo­sig­keit. Aner­kann­te Flücht­lin­ge kön­nen nicht ein­mal grund­le­gen­de Bedürf­nis­se (»Bett, Brot und Sei­fe«) befrie­di­gen. Das haben auch deut­sche (Ober)Verwaltungsgerichte fest­ge­stellt und ver­bie­ten des­halb Abschie­bun­gen von Deutsch­land nach Grie­chen­land. Es reicht jedoch nicht, die Asyl­ver­fah­ren von in Grie­chen­land Aner­kann­ten ein­fach auf Eis zu legen, wie es der­zeit in Deutsch­land geschieht. So müs­sen die Betrof­fe­nen in einem uner­träg­li­chen Schwe­be­zu­stand ver­har­ren. Statt­des­sen soll­ten Abschie­bun­gen nach Grie­chen­land gänz­lich ein­ge­stellt werden.

Ange­sichts der Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den an den EU-Außen­gren­zen und des hohen Bedarfs des UNHCRs an Resett­le­ment-Plät­zen for­dern PRO ASYL, Jugend­li­che ohne Gren­zen und die Flücht­lings­rä­te eine deut­li­che Erhö­hung und Ver­viel­fa­chung der Län­der­auf­nah­me­pro­gram­me, die Ermög­li­chung kom­mu­na­ler Auf­nah­men sowie deren kon­se­quen­te und schnellst­mög­li­che Umsetzung.

Die voll­stän­di­gen Anlie­gen von PRO ASYL zur Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz vom 16.–18. Juni 2021 fin­den Sie hier.

Für Pres­se­an­fra­gen wen­den Sie sich bit­te an:

PRO ASYL: presse@proasyl.de; Tel.: 069 2423 1430

Flücht­lings­rat Baden-Würt­tem­berg: info@fluechtlingsrat-bw.de; Tel.: 0151 6579 7628

Jugend­li­che ohne Gren­zen: Jibran Kha­lil, presse@jogspace.net; Tel.: 0176 24519228

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