18.06.2012

Seit Jah­ren pro­tes­tie­ren Flücht­lin­ge gegen ihre Unter­brin­gung in Sam­mel­la­gern, die Ver­sor­gung mit Essens­pa­ke­ten oder ‑gut­schei­nen und die medi­zi­ni­sche Man­gel­ver­sor­gung, die aus dem im Novem­ber 1993 in Kraft getre­te­nen Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) resul­tie­ren. Flücht­lin­ge, die die­se Leis­tun­gen in bar aus­be­zahlt bekom­men, erhal­ten Leis­tun­gen, die um 40 Pro­zent[2] unter Hartz-IV-Niveau lie­gen. Die Höhe der Leis­tun­gen wur­de 1993 will­kür­lich fest­ge­setzt und seit­dem nie ange­ho­ben, obwohl die Prei­se mitt­ler­wei­le um 35 Pro­zent gestie­gen sind[3]. Nicht ein­mal die Euro-Umstel­lung ist in das Asyl­bLG eingegangen.

Nun steht das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz auf dem Prüf­stand. Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len kam zu dem Ergeb­nis, dass das Asyl­bLG ver­fas­sungs­wid­rig ist und leg­te es dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) zur Prü­fung vor. Es bezog sich auf das BVerfG-Urteil vom 9. Febru­ar 2010 zu den Hartz-IV-Regel­sät­zen, nach dem die Höhe der staat­li­chen Sozi­al­leis­tun­gen zur Siche­rung eines men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mums trans­pa­rent und nach­voll­zieh­bar ermit­telt und bedarfs­de­ckend sein muss. Dies sei beim Asyl­bLG nicht der Fall. Geklagt hat­ten Flücht­lin­ge aus Nord­rhein-West­fa­len, die die Leis­tun­gen nach dem Asyl­bLG in Form von Bar­geld erhalten. 

Noch gra­vie­ren­der sind die Ein­schrän­kun­gen des Exis­tenz­mi­ni­mums etwa in Bay­ern oder Baden-Würt­tem­berg, wo die Flücht­lin­ge regel­mä­ßig in Sam­mel­la­ger ein­ge­wie­sen wer­den, min­der­wer­ti­ge Klei­dungs- und Essens­pa­ke­te als „Sach­leis­tung“ erhal­ten und dazu einen „Bar­be­trag“ gemäß Asyl­bLG von nur 40,90 Euro/Monat. Von die­sem Bar­be­trag von 2,33 Euro am Tag muss der gesam­te per­sön­li­che Bedarf an ÖPNV-Tickets, Tele­fon, Por­to, Rechts­an­walt, Inter­net, Schreib­ma­te­ri­al, Bil­dung, Kul­tur, Frei­zeit usw. sowie alles Not­wen­di­ge, was nicht in den Pake­ten ist, bezahlt werden. 

Auch die Höhe des „Bar­be­trags“ steht in Karls­ru­he auf dem Prüf­stand. Für den ent­spre­chen­den Bedarf ist im eben­falls unzu­rei­chen­den Hartz-IV-Regel­satz[4] das Drei­fa­che als Exis­tenz­mi­ni­mum ange­setzt.[5]

Dass das Asyl­bLG ver­fas­sungs­wid­rig ist, hat die zustän­di­ge Bun­des­mi­nis­te­rin für Arbeit und Sozia­les Ursu­la von der Ley­en bereits am 10. Novem­ber 2010 in einer Ant­wort auf eine Bun­des­tags­an­fra­ge mit­ge­teilt. Das Asyl­bLG ent­spre­che „nicht den Anfor­de­run­gen des Urteils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts“ zu Hartz IV und wer­de daher von der Bun­des­re­gie­rung über­prüft.[6] Doch seit­dem ist nichts geschehen. 

PRO ASYL, die Lan­des­flücht­lings­rä­te und Cam­pact for­dern, dass in Deutsch­land leben­de Flücht­lin­ge end­lich men­schen­wür­dig behan­delt wer­den. Ein längst über­fäl­li­ger Schritt dort­hin könn­te über­mor­gen am Welt­flücht­lings­tag ein­ge­lei­tet werden.

Kon­takt:
 
· PRO ASYL, Pres­se­stel­le, Tel.: 069 – 23 06 95, presse@proasyl.de, Post­fach 160624 60069 Frank­furt a.M., www.proasyl.de

· Lan­des­flücht­lings­rä­te, Georg Clas­sen, Tel.: 030–24 34 45 672

· Cam­pact, Dr. Gün­ter Metz­ges, metzges(at)campact.de, Tel.: 0172–2426478

Hin­weis: Aus tech­ni­schen Grün­den funk­tio­niert die Web­site des Flücht­lings­ra­tes Ber­lin der­zeit zum Teil nicht wie vorgesehen

[1] Kir­chen und BAGFW (Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der frei­en Wohl­fahrts­pfle­ge) schlie­ßen sich die­ser For­de­rung an .Vgl. Stel­lung­nah­men zur Anhö­rung im Bun­des­tag am 7.02.2011, www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen.php?sid=521 bzw. www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/Archiv/Asylbewerberleistungsgesetz/index.html

[2]Regel­satz Hartz IV = 374 Euro/Monat, Regel­satz § 3 Asyl­bLG = 440 DM (bzw. 224,97 Euro)/Monat

[3]www.destatis.de > Prei­se > Ver­brau­cher­preis­in­di­zes > Tabel­len > Monats­wer­te. Der Ver­brau­cher­preis­in­dex betrug im Novem­ber 1993 83,8 und im April 2012 112,8. Das ergibt eine Stei­ge­rung um 34,61 %.

[4]Vgl. Rechts­gut­ach­ten Münder/Becker, August 2012, www.boeckler.de/37799_37810.htm

[5]Der Anteil für den per­sön­li­chen Bedarf im Hartz-IV-Regel­satz liegt bei etwa 126 €/Monat, vgl. Clas­sen, Das Asyl­bLG und das Grund­recht auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Classen_AsylbLG_Verfassung.pdf, S. 16.

[6] Bun­des­tags­druck­sa­che 17/3660, S. 4, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/036/1703660.pdf

 Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz: (18.07.12)

 BVerfG: Kri­ti­sche Fra­gen von der Rich­ter­bank (21.06.12)

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