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»Wer ein Asylgesuch stellt, wird eingesperrt«

Seit 1. August werden Flüchtlinge im Zuge der Dublin-Verordnung wieder nach Polen abgeschoben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behauptet, das dortige Asylsystem weise keine systematischen Schwächen auf. Wir haben bei der polnischen Rechtsanwältin Maria Poszytek nachgefragt, die von frappierenden rechtsstaatlichen Mängeln berichtet.
Maria, du arbeitest für die Menschenrechtsorganisation Helsinki Foundation for Human Rights in Warschau. Was genau sind deine Aufgaben?
Ich biete rechtliche Beratung in den Lagern an, in die Schutzsuchende gesteckt werden. Und ich begleite Geflüchtete, die besonders schutzbedürftig sind, zum Beispiel Familien mit Kindern oder Menschen mit Behinderungen.
Wer kommt in solche Haftzentren?
Asylbewerber*innen werden dort ebenso untergebracht wie Migrant*innen, die straffällig geworden sind und vor der Abschiebung stehen. Es gibt Haftzentren für Familien und solche für alleinstehende Männer.
Warum werden die Schutzsuchenden überhaupt eingesperrt?
Die Menschen werden inhaftiert, um einer angeblichen Fluchtgefahr vorzubeugen oder eine Identitätsprüfung vorzunehmen. Bevor sie interniert werden, muss ein polnisches Gericht dem zustimmen. Aber das Gericht entscheidet über die Inhaftnahme auf Grundlage dessen, was das Grenzpersonal aussagt. Das ist sehr selektiv. Die Schutzsuchenden werden nicht nach ihren Gründen für Asyl gefragt oder danach, was sie erlebt haben. Auch deren gesundheitliche Situation wird in der Regel außer Acht gelassen. Die Richter*innen verlangen lediglich eine Bestätigung der Geflüchteten, dass sie die Grenze illegal überquert haben. Das ist für sie meistens ausreichend, um festzustellen, dass Fluchtgefahr besteht und somit ein Grund für die Inhaftierung vorliegt. Später, im Berufungsverfahren oder bei der Verlängerung der Haftzeit, werden die Geflüchteten überhaupt nicht mehr vor Gericht angehört.
Wie lange müssen sie dort bleiben?
Häufig werden sie monatelang dort festgehalten. Die meisten werden mehrfach von einem Lager in ein anderes verlegt. Wir haben es auch schon erlebt, dass einige Grenzbeamte einzelne Geflüchtete in ein offenes Lager gebracht haben, von wo aus diese dann weiterreisen konnten, zum Beispiel nach Deutschland. Aber das sind Ausnahmen. Wer sofort ein Asylgesuch stellt, darf maximal sechs Monate eingesperrt werden. Häufig wird den Menschen aber gesagt: »Ihr habt Zeit damit, einen Asylantrag zu stellen«. Wenn sie sich also nicht umgehend als Asylsuchende registrieren, können sie sogar bis zu 18 Monate inhaftiert werden und dann nochmal für weitere sechs Monate während des Asylverfahrens.
Die Asylverfahren finden also statt, während die Menschen inhaftiert sind?
Ja, das läuft meistens digital ab, mithilfe von Videotelefonie. Die übersetzende Person sitzt in Warschau, wo auch das Gesprächsprotokoll angefertigt wird – in polnischer Sprache. Das muss die asylsuchende Person dann unterzeichnen. Viele beschweren sich, dass sie etwas unterschreiben müssen, das sie gar nicht verstehen. In den Gefängnissen, in denen ich juristisch berate, gibt es keine offiziellen Übersetzer*innen.
Wie sind die Zustände in den »bewachten Lagern für Ausländer«, wie die Haftzentren offiziell heißen?
Es ist wirklich wie im Gefängnis. In ganz Polen gibt es sechs solcher Zentren, wobei das in Wędrzyn besonders berüchtigt ist. Ein Richter hat in einem Bericht von November 2021 aufgelistet, in welchen Situationen physische Gewalt angewandt wird – und hat 15 Fallbeispiele genannt. Die Beschreibungen sind schrecklich. Menschen werden isoliert, fixiert, und vieles mehr. Besonders schlimm ist, dass viele der Menschen, mit denen so umgegangen wurde, wohl psychische Probleme hatten. Es gibt zwar Psycholog*innen, aber normalerweise dürfen unabhängige Psycholog*innen die Haftzentren nicht betreten. Im Haftzentrum von Bialystok beispielsweise gibt es einen Psychologen, der zu den Einheiten der Grenzbeamten gehört. Es gibt auch viel zu wenig Ärzt*innen – von rechtlicher Beratung ganz zu schweigen. Einmal im Monat gehe ich oder eine meiner Kolleg*innen von der Helsinki Foundation for Human Rights ins Lager nach Bialystok, um rechtliche Beratung anzubieten. Weitere regelmäßige und unabhängige Beratungsangebote vor Ort gibt es nicht. Im vergangenen Jahr wurde mir der Zutritt zu einem Haftlager und damit zu einem Mandanten sogar verboten. Ihre Wertsachen, darunter auch Smartphones, müssen die Menschen abgeben. Erlaubt sind nur Handys ohne Kamerafunktion, und die gibt es ja kaum noch. Das bedeutet, dass es extrem schwierig für die Menschen ist, mit ihren Angehörigen und mit Anwält*innen in Kontakt zu bleiben.
Die Beschreibungen sind schrecklich. Menschen werden isoliert, fixiert, und vieles mehr.
Uns haben Geflüchtete auch von der Enge der Zellen erzählt…
Ja, in manchen Lagern werden so viele Menschen in einen Raum gesperrt, dass eine Person nur noch zwei Quadratmeter zur Verfügung hat. Das ist seit August 2021 in Krisenfällen in Polen erlaubt, widerspricht aber EU-Standards und international festgelegten Mindeststandards. Für Strafgefangene empfiehlt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Mindestgröße von vier Quadratmetern pro Person und äußert für unter 3 Quadratmetern die starke Vermutung, dass dies gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention [Verbot der Folter] verstößt. Auch die nationale Stelle gegen Folter in Polen fordert als Minimum vier Quadratmeter pro Person.
Vor einem Jahr hat Lukaschenko Menschen eingeflogen mit dem Versprechen, sie könnten von Belarus aus weiter in die EU ziehen. Versuchen denn mittlerweile immer noch viele Menschen, diesen Weg zu gehen?
Genaue Zahlen zu erhalten, ist schwierig, aber an einem einzigen Tag im Juli hat das Hilfsbündnis Grupa Granica allein 54 Anfragen von Schutzsuchenden erhalten. Und das sind nur diejenigen, die sich aktiv an die Gruppe gewandt haben. Werden sie vom Grenzschutz entdeckt, werden sie angeschrieen, Hunde werden auf sie gehetzt, sie werden entweder sofort zurückgewiesen oder eingesperrt. Ich höre von Schutzsuchenden zahlreiche Klagen sowohl über den belarussischen als auch über den polnischen Grenzschutz.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen schon im Juli 2020 wegen der Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze zu Belarus verurteilt. Das Gericht sieht systematische Missstände und Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. So habe Polen gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung und gegen das Verbot der kollektiven Ausweisung an Grenzen verstoßen. Was hat sich seit diesem Urteil getan?
Leider hat sich die Situation seit dem Urteil nicht verbessert. Die polnische Regierung ignoriert die Rechtsprechung des EGMR schlichtweg. Wenn jemand ein Asylgesuch äußert, wird das häufig von den Grenzbeamt*innen »überhört«. Seit 2020 wird die Covid-Pandemie dafür genutzt, zahlreiche Verschärfungen durchzusetzen, etwa ein Betretungsverbot über die belarussische Seite. Die Regelung, dass Schutzsuchende, die unerlaubt die Grenze überqueren, zurückgewiesen werden dürfen und dass diese Pushbacks nicht einmal registriert werden müssen, wurde im August 2021 eingeführt und ist immer noch in Kraft. Wir von der Helsinki Foundation reichen weiterhin Klagen vor dem EGMR ein.
Polen hat sogar Pushbacks legalisiert, die nach internationalem Recht illegal sind. Schutzsuchende dürfen nun nach polnischem Recht ganz legal zurückgewiesen werden. Wie geschieht das in der Praxis?
Die polnische Politik schämt sich nicht dafür, schutzsuchende Menschen einfach zurückzuschicken. Sie machen kein Geheimnis daraus. Der polnische Ombudsmann äußerte sich besorgt darüber, dass es die Genfer Flüchtlingskonvention verletzt, wenn Asylgesuche nicht angenommen werden. Aber das verhallt. Geflüchtete aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan, die es geschafft haben, über die Grenze ins Land zu kommen, erhalten von den Grenzbeamt*innen ein Dokument, in dem steht, dass sie polnisches Territorium verlassen müssen und dieses drei Jahre lang nicht mehr betreten dürfen. Eine Begründung dafür gibt es nicht. Theoretisch könnten die Betroffenen Berufung dagegen einlegen – aber wie soll man das anstellen, wenn man sich mitten im Wald befindet und keinerlei Zugang zu einem Anwalt oder einer Anwältin hat? In der Regel finden sich die Menschen wenige Stunden, nachdem sie dieses Dokument erhalten haben, ausgesetzt im Wald wieder. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Praxis zwar kürzlich verurteilt, aber die Entscheidung ist noch nicht final. Bislang geht es also so weiter wie bisher.
Was wird die Mauer verändern, die die polnische Regierung Anfang Juli zur Abwehr von Geflüchteten fertiggestellt hat?
Das Überqueren der Grenze wird noch komplizierter und gefährlicher als ohnehin schon. Die Schutzsuchenden werden verstärkt versuchen, durch die extrem sumpfigen Gebiete rüberzukommen, denn die Mauer steht nicht an der gesamten polnisch-belarussischen Grenze, sondern deckt »nur« rund 180 Kilometer ab. Die verbleibenden 200 Kilometer sind noch offen, weil der Untergrund zu morastig für eine Mauer ist, die Grenze an einem Fluss entlang geht oder es besonders schützenswerte Bereiche des Nationalparks sind. Aber auf beiden Seiten der Grenze gibt es eine militarisierte Zone, ein Niemandsland. Diese Zone ist allerdings auf polnischer Seite von drei Kilometern auf zweihundert Meter begrenzt worden. Seitdem kommen auch wieder Touristen in die Region, die ja ein beliebtes Ausflugsziel für Naturliebhaber ist. Das Problem ist allerdings, dass viele von denen die Polizei rufen, wenn sie Menschen mit dunkler Haut entdecken. Nicht nur aus böser Absicht, sondern auch, weil sie denken, die Polizei helfe ihnen.
»Danke, dass ihr dafür sorgt, die Migranten abzuwehren.«
Wie ist denn die Stimmung in Polen mit Blick auf die Geflüchteten?
Die Öffentlichkeit interessiert das Thema kaum, darüber wird wenig berichtet. Laut einer Umfrage von November 2021 unterstützen 54 Prozent der Bevölkerung die Arbeit des Grenzschutzes und den Bau der Mauer. Allerdings war das eine Umfrage in einem Boulevard-Blatt – wie aussagekräftig die ist, wage ich zu bezweifeln. Fest steht aber, dass die Regierung jede Menge Propaganda verbreitet, um ihre Sicht der Dinge zu verbreiten. Bei den Postämtern des Landes gab es eine Aktion, dass man den Grenzbeamt*innen eine Dankespostkarte senden konnte: »Danke, dass ihr dafür sorgt, die Migranten abzuwehren.« Und es wurde sogar eigens eine Münze angefertigt zur Wertschätzung des Grenzschutzes.
Wie hat sich eure Arbeit verändert?
Unserem Team der Helsinki Foundation, das zu Flucht und Migration arbeitet, wurden vor ein paar Jahren die nationalen Mittel gekürzt. Nun finanzieren wir unsere Recherche und juristische Arbeit in diesem Bereich mithilfe von internationalen Geldgeber*innen.
(er)
PRO ASYL verleiht der Anwältin Marta Górczyńska, einer Kollegin von Maria Poszytek bei der Helsinki Foundation for Human Rights Poland, den diesjährigen PRO ASYL-Menschenrechtspreis. Die Verleihung findet am 3. September in Frankfurt am Main statt.