08.12.2014
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1,14 Millionen syrische Flüchtlinge leben im Libanon, oft unter katastrophalen Bedingungen. Viele haben Trauma erlitten und Angehörige verloren. <a href="https://www.flickr.com/photos/unhcr/14602765414">UNHCR / A.McConnell</a>

Morgen findet in Genf die Syrienkonferenz des UNHCR statt. Die Bundesregierung meint, sie habe genug getan - und will mit leeren Händen nach Genf reisen. Doch nicht nur die anderen EU-Staaten müssen endlich Zusagen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien machen. Auch Deutschland steht nach wie vor in der Verantwortung.

Die Hälf­te der syri­schen Bevöl­ke­rung ist auf der Flucht. 12 Mil­lio­nen Men­schen sind laut UNHCR inzwi­schen auf huma­ni­tä­re Hil­fe ange­wie­sen, fünf Mil­lio­nen davon sind Kin­der. Die Situa­ti­on ver­schärft sich wei­ter ange­sichts der dro­hen­den Hun­ger­ka­ta­stro­phe in der Regi­on. Auf­grund man­geln­der Finan­zie­rung muss­te das UN World Food Pro­gram­me (WFP) die lebens­ret­ten­de Hil­fe für 1,7 Flücht­lin­ge ein­stel­len. In Genf müs­sen die euro­päi­schen Regie­run­gen der Kata­stro­phe end­lich ins Auge sehen und groß­zü­gi­ge Zusa­gen für die Auf­nah­me syri­scher und ira­ki­scher Flücht­lin­ge machen.

Den Wor­ten Taten fol­gen lassen

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re hat­te zuletzt ange­deu­tet, kei­ne wei­te­ren Flücht­lin­ge auf­neh­men zu wol­len. „Jetzt sind erst­mal ande­re Staa­ten dran“, hat­te er am 28. Novem­ber in einem Inter­view mit der KNA ver­lau­ten las­sen. Dies, obwohl Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel am 1. Sep­tem­ber 2014 noch bezüg­lich der Flucht von Min­der­hei­ten vor dem Ter­ror des IS in Syri­en und Irak erklärt hat­te: „Dort, wo Men­schen in Not sind, wer­den wir hel­fen, auch durch zusätz­li­che Auf­nah­me von Flücht­lin­gen.“ Die­se Regie­rungs­er­klä­rung gilt es umzusetzen.

Bis­he­ri­ge Auf­nah­me­zu­sa­gen in Deutsch­land: Weni­ger als 1 Prozent

Die Bun­des­län­der haben über Län­der­pro­gram­me mehr als 7.000 syri­sche Flücht­lin­ge mit Ver­wand­ten in Deutsch­land auf­ge­nom­men. Die Bun­des­re­gie­rung hat zudem eine Zusa­ge zur Auf­nah­me von ins­ge­samt 20.000 Flücht­lin­gen aus Syri­en abge­ge­ben. Die­se ins­ge­samt knapp 28.000 Auf­nah­me­zu­sa­gen ent­spre­chen jedoch nicht ein­mal einem Pro­zent der Gesamt­zahl der Flücht­lin­ge in den Nach­bar­staa­ten Syriens.

Die Auf­nah­me­plät­ze rei­chen auch in ande­rer Hin­sicht nicht aus: Im Rah­men der Län­der­pro­gram­me und der letz­ten bei­den Bun­des­pro­gram­me gin­gen bei den Behör­den rund 80.000 Anträ­ge von Ange­hö­ri­gen hier leben­der Syrer ein. Bei ins­ge­samt 28.000 Auf­nah­me­plät­zen bedeu­tet das, dass der Groß­teil der Men­schen, die Ange­hö­ri­ge aus Syri­en zu sich holen wol­len, kei­ne Chan­ce hat, im Rah­men eines Kon­tin­gents oder eines Län­der­pro­gramms Ange­hö­ri­ge zu sich zu ret­ten. Für Irak-Flücht­lin­ge gibt es bis­her über­haupt kei­ne Programme.

Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Deutsch­land: Hür­den zur Auf­nah­me abbauen

Einem neu­en Auf­nah­me­pro­gramm wird ent­ge­gen­ge­hal­ten, dass Deutsch­land im EU-Ver­gleich beson­ders vie­le Flücht­lin­ge aus Syri­en auf­ge­nom­men habe. Tat­säch­lich: Ange­sichts der beschä­mend nied­ri­gen Auf­nah­me­plät­ze in ande­ren EU-Staa­ten steht Deutsch­land noch gut da.

Doch kommt Deutsch­land wegen der ver­gleichs­wei­se gro­ßen syri­schen Dia­spo­ra hier­zu­lan­de eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung zu: Ende 2013 leb­ten laut Euro­stat 43.994 syri­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis in Deutsch­land. (Zum Ver­gleich: in Schwe­den lag die Zahl 2013 bei 9.067, in Ita­li­en bei 4.010 syri­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen). Auch die ira­ki­sche Dia­spo­ra ist groß: Ende 2013 leb­ten Euro­stat zufol­ge ins­ge­samt 91.342 Ira­ke­rIn­nen mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis in Deutsch­land, gefolgt von Schwe­den mit 43.234 ira­ki­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen und Däne­mark mit 15.160.

Vie­le die­ser seit Jah­ren oder Jahr­zehn­ten in Deutsch­land leben­den Fami­li­en ban­gen um Fami­li­en­mit­glie­der auf der Flucht. Die Ein­rei­se zu Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen muss ange­sichts der Situa­ti­on in Syri­en und im Irak wie auch in den Erst­auf­nah­me­staa­ten drin­gend erleich­tert werden.

Bis­lang wer­den die Kos­ten für die Auf­nah­me der Kriegs­op­fer zum gro­ßen Teil von den hier leben­den Ange­hö­ri­gen geschul­tert. Vie­le neh­men Ver­wand­te in ihre Woh­nun­gen auf und ver­pflich­ten sich, für den Lebens­un­ter­halt der Flücht­lin­ge zu sor­gen. In man­chen Bun­des­län­dern müs­sen sie – ent­ge­gen einer zwi­schen­zeit­lich getrof­fe­nen Ver­ein­ba­rung der Innen­mi­nis­ter – noch immer die tat­säch­li­chen Kos­ten für die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge über­neh­men. PRO ASYL for­dert daher die Aus­wei­tung der huma­ni­tä­ren Auf­nah­me von syri­schen und ira­ki­schen Flücht­lin­gen, ohne dass dabei die Ange­hö­ri­gen für sämt­li­che Risi­ken haf­ten müssen.

Ver­ant­wor­tung über­neh­men – Flücht­lin­ge aufnehmen

In Genf müs­sen die euro­päi­schen Regie­run­gen ihrer Ver­ant­wor­tung gerecht wer­den und end­lich ein groß­zü­gi­ges Auf­nah­me­pro­gramm für Flücht­lin­ge aus der Regi­on beschlie­ßen. Die Bun­des­re­gie­rung muss die Ein­rei­se von Irak- und Syri­en­flücht­lin­gen zu ihren hier leben­den Ver­wand­ten ermög­li­chen, z.B. durch die Aus­set­zung der Visa­be­stim­mun­gen. Dies wäre auch ein wich­ti­ges Signal gegen­über den Erst­auf­nah­me­staa­ten, ihre Gren­zen für syri­sche und ira­ki­sche Flücht­lin­ge offen zu halten.

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