13.06.2014
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Mahmoud floh mit seinen Eltern aus Alleppo nach Ägypten. Dort ging es ihm und seinen Eltern so schlecht, dass sie ihren Sohn alleine auf ein Flüchtlingsboot nach Europa setzten. Das Boot wurde beschossen, Mahmoud landete fünf Tage in ägyptischer Haft. Dann hatte er Glück – seine Familie durfte nach Schweden ausreisen. Doch Europa bietet so wenige Aufnahmeplätze, dass vielen nichts übrig bleibt, als die gefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen. Foto: <a href="https://www.flickr.com/photos/unhcr/14000350443">flickr / UNHCR /S. Baldwin</a>

Weitere 10.000 syrische Flüchtlinge dürfen nach Deutschland kommen. Das hat die Innenministerkonferenz in Bonn entschieden. Das klingt großzügig, ist es aber nicht: Rund 60.000 syrische Schutzsuchende, die in Deutschland Angehörige haben, stehen weiterhin vor verschlossenen Grenzen.

Im euro­päi­schen Ver­gleich steht Deutsch­land bes­tens da: Mit mitt­ler­wei­le ins­ge­samt über 23.500 Auf­nah­me­plät­zen für syri­sche Flücht­lin­ge steht Deutsch­land in der EU ein­sam an der Spit­ze: Ande­re EU-Staa­ten neh­men weit­aus weni­ger Flücht­lin­ge auf, und 14 der 28 EU-Staa­ten kei­nen ein­zi­gen. Den­noch ist das Enga­ge­ment Deutsch­lands bei der Flücht­lings­auf­nah­me unbe­frie­di­gend – aus meh­re­ren Gründen:

In Deutsch­land leb­ten bereits vor dem syri­schen Bür­ger­krieg über 33.000 syri­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge und eine unbe­kann­te Zahl von Deut­schen mit syri­schen Wur­zeln – die größ­te syri­sche Exil­ge­mein­de in Euro­pa. Seit Aus­bruch des Krie­ges in Syri­en ver­su­chen vie­le die­ser Men­schen ver­zwei­felt Ange­hö­ri­ge, die sich noch in Syri­en befin­den oder in Nach­bar­staa­ten geflo­hen sind, zu sich zu holen, um ihnen Sicher­heit zu bie­ten. Allein für das zwei­te Bun­des­pro­gramm zur Auf­nah­me syri­scher Flücht­lin­ge stell­ten in Deutsch­land leben­de Men­schen Anträ­ge für 76.000 Syre­rin­nen und Syrer – auf 5.000 Auf­nah­me­plät­ze. Dar­aus geht her­vor, dass trotz der nun zuge­sag­ten wei­te­ren 10.000 Auf­nah­me­plät­ze rund 60.000 Men­schen vor ver­schlos­se­nen Gren­zen stehen.

Vie­len bleibt nur die Flucht über das Meer

Das hat fata­le Fol­gen: Vie­le der Flücht­lin­ge wer­den ver­su­chen, sich auf eige­ne Faust zu ihren Ver­wand­ten nach Deutsch­land durch­zu­schla­gen. Dabei müs­sen sie lebens­ge­fähr­li­che Flucht­rou­ten auf sich neh­men. Die Flucht­we­ge über die Land­gren­zen von der Tür­kei nach Grie­chen­land und Bul­ga­ri­en sind ver­sperrt. Die Flucht von Liby­en über das zen­tra­le Mit­tel­meer nach Ita­li­en ist lebens­ge­fähr­lich, eben­so die Über­fahrt von der Tür­kei über die Ägä­is nach Grie­chen­land. Auf allen Flucht­rou­ten dro­hen die Flücht­lin­ge Opfer soge­nann­ter Push-Backs zu wer­den, bei denen Grenz­schüt­zer der EU-Staa­ten die Schutz­su­chen­den oft unter bru­ta­lem Gewalt­ein­satz völ­ker­rechts­wid­rig zurückweisen.

Naher Osten: Flücht­lings­zah­len stei­gen wei­ter an

In den Erst­auf­nah­me­staa­ten blei­ben kön­nen die Schutz­su­chen­den oft nicht: Im Liba­non leben bei 4,4 Mil­lio­nen Ein­woh­nern  mitt­ler­wei­le über eine Mil­li­on syri­sche Flücht­lin­ge, oft in Not und Elend. Auch in Jor­da­ni­en, der Tür­kei, in Ägyp­ten und in Liby­en ist die Situa­ti­on der Schutz­su­chen­den schwie­rig bis lebens­be­droh­lich. Ins­ge­samt sind in den Erst­auf­nah­me­staa­ten rund 2.8 Mil­lio­nen syri­sche Flücht­lin­ge regis­triert. Im Irak, wohin sich eben­so Men­schen aus Syri­en geflüch­tet haben, sind aktu­ell zusätz­lich rund 500.000 Men­schen vor dem Vor­rü­cken der isla­mis­ti­schen ISIL-Mili­zen auf der Flucht.

So wich­tig jeder ein­zel­ne Auf­nah­me­platz für die kon­kret Betrof­fe­nen  ist – ange­sichts der Dimen­sio­nen der syri­schen Flücht­lings­kri­se ist die Zahl der über 20.000 syri­schen Flücht­lin­ge, die Deutsch­land auf­nimmt, bescheiden.

Deutsch­land kon­ter­ka­riert sei­ne posi­ti­ve Rol­le bei der Auf­nah­me syri­scher Flüchtlinge

Dazu kommt, dass die posi­ti­ve Rol­le, die Deutsch­land in der EU bei der Auf­nah­me syri­scher Flücht­lin­ge spielt, durch Deutsch­lands kata­stro­pha­le Rol­le bei der Flücht­lings­ab­wehr der EU kon­ter­ka­riert wird. Die Bun­des­re­gie­rung drängt seit lan­ger Zeit die EU-Mit­glied­staa­ten am Ran­de der Uni­on dazu, ihre Gren­zen dicht zu hal­ten. Zudem beharrt sie auf der Dub­lin-III-Ver­ord­nung, nach der jener EU-Staat für einen Flücht­ling ver­ant­wort­lich ist, der ihn hat ein­rei­sen las­sen. Das führt dazu, dass EU-Rand­staa­ten, die nicht bereit sind, Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz zu über­neh­men, ein gestei­ger­tes Inter­es­se haben, Schutz­su­chen­de an ihren Gren­zen abzu­weh­ren, sei es durch Zäu­ne oder Push-Backs.

Vor allem führt die Dub­lin-III-Rege­lung dazu, dass Flücht­lin­ge, die die Flucht nach Euro­pa bewäl­ti­gen, in EU-Grenz­staa­ten wie Bul­ga­ri­en, Grie­chen­land oder Ita­li­en hän­gen blei­ben – oft in Not und Elend – aber nicht wei­ter­rei­sen dür­fen, selbst wenn sie in ande­ren EU-Staa­ten Anknüp­fungs­punk­te wie etwa Ver­wand­te oder Freun­de haben. Schla­gen Sie sich nach Deutsch­land oder in ande­re EU-Staa­ten durch, droht ihnen die Abschie­bung zurück in den EU-Staat, den sie zuerst betre­ten haben. PRO ASYL for­dert daher die Aus­set­zung der Dub­lin-Ver­ord­nung. Flücht­lin­ge soll­ten das Recht erhal­ten, sich frei zu ent­schei­den, wo sie in Euro­pa leben wollen.

 Syri­en-Kon­fe­renz: Scheck­buch­po­li­tik statt Flücht­lings­auf­nah­me (29.10.14)

 Zur Auf­nah­me 10.000 wei­te­rer syri­scher Flücht­lin­ge (13.06.14)