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Warum 10.000 Aufnahmeplätze für syrische Kriegsflüchtlinge in Deutschland lange nicht ausreiche
Weitere 10.000 syrische Flüchtlinge dürfen nach Deutschland kommen. Das hat die Innenministerkonferenz in Bonn entschieden. Das klingt großzügig, ist es aber nicht: Rund 60.000 syrische Schutzsuchende, die in Deutschland Angehörige haben, stehen weiterhin vor verschlossenen Grenzen.
Im europäischen Vergleich steht Deutschland bestens da: Mit mittlerweile insgesamt über 23.500 Aufnahmeplätzen für syrische Flüchtlinge steht Deutschland in der EU einsam an der Spitze: Andere EU-Staaten nehmen weitaus weniger Flüchtlinge auf, und 14 der 28 EU-Staaten keinen einzigen. Dennoch ist das Engagement Deutschlands bei der Flüchtlingsaufnahme unbefriedigend – aus mehreren Gründen:
In Deutschland lebten bereits vor dem syrischen Bürgerkrieg über 33.000 syrische Staatsangehörige und eine unbekannte Zahl von Deutschen mit syrischen Wurzeln – die größte syrische Exilgemeinde in Europa. Seit Ausbruch des Krieges in Syrien versuchen viele dieser Menschen verzweifelt Angehörige, die sich noch in Syrien befinden oder in Nachbarstaaten geflohen sind, zu sich zu holen, um ihnen Sicherheit zu bieten. Allein für das zweite Bundesprogramm zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge stellten in Deutschland lebende Menschen Anträge für 76.000 Syrerinnen und Syrer – auf 5.000 Aufnahmeplätze. Daraus geht hervor, dass trotz der nun zugesagten weiteren 10.000 Aufnahmeplätze rund 60.000 Menschen vor verschlossenen Grenzen stehen.
Vielen bleibt nur die Flucht über das Meer
Das hat fatale Folgen: Viele der Flüchtlinge werden versuchen, sich auf eigene Faust zu ihren Verwandten nach Deutschland durchzuschlagen. Dabei müssen sie lebensgefährliche Fluchtrouten auf sich nehmen. Die Fluchtwege über die Landgrenzen von der Türkei nach Griechenland und Bulgarien sind versperrt. Die Flucht von Libyen über das zentrale Mittelmeer nach Italien ist lebensgefährlich, ebenso die Überfahrt von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland. Auf allen Fluchtrouten drohen die Flüchtlinge Opfer sogenannter Push-Backs zu werden, bei denen Grenzschützer der EU-Staaten die Schutzsuchenden oft unter brutalem Gewalteinsatz völkerrechtswidrig zurückweisen.
Naher Osten: Flüchtlingszahlen steigen weiter an
In den Erstaufnahmestaaten bleiben können die Schutzsuchenden oft nicht: Im Libanon leben bei 4,4 Millionen Einwohnern mittlerweile über eine Million syrische Flüchtlinge, oft in Not und Elend. Auch in Jordanien, der Türkei, in Ägypten und in Libyen ist die Situation der Schutzsuchenden schwierig bis lebensbedrohlich. Insgesamt sind in den Erstaufnahmestaaten rund 2.8 Millionen syrische Flüchtlinge registriert. Im Irak, wohin sich ebenso Menschen aus Syrien geflüchtet haben, sind aktuell zusätzlich rund 500.000 Menschen vor dem Vorrücken der islamistischen ISIL-Milizen auf der Flucht.
So wichtig jeder einzelne Aufnahmeplatz für die konkret Betroffenen ist – angesichts der Dimensionen der syrischen Flüchtlingskrise ist die Zahl der über 20.000 syrischen Flüchtlinge, die Deutschland aufnimmt, bescheiden.
Deutschland konterkariert seine positive Rolle bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge
Dazu kommt, dass die positive Rolle, die Deutschland in der EU bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge spielt, durch Deutschlands katastrophale Rolle bei der Flüchtlingsabwehr der EU konterkariert wird. Die Bundesregierung drängt seit langer Zeit die EU-Mitgliedstaaten am Rande der Union dazu, ihre Grenzen dicht zu halten. Zudem beharrt sie auf der Dublin-III-Verordnung, nach der jener EU-Staat für einen Flüchtling verantwortlich ist, der ihn hat einreisen lassen. Das führt dazu, dass EU-Randstaaten, die nicht bereit sind, Verantwortung für den Flüchtlingsschutz zu übernehmen, ein gesteigertes Interesse haben, Schutzsuchende an ihren Grenzen abzuwehren, sei es durch Zäune oder Push-Backs.
Vor allem führt die Dublin-III-Regelung dazu, dass Flüchtlinge, die die Flucht nach Europa bewältigen, in EU-Grenzstaaten wie Bulgarien, Griechenland oder Italien hängen bleiben – oft in Not und Elend – aber nicht weiterreisen dürfen, selbst wenn sie in anderen EU-Staaten Anknüpfungspunkte wie etwa Verwandte oder Freunde haben. Schlagen Sie sich nach Deutschland oder in andere EU-Staaten durch, droht ihnen die Abschiebung zurück in den EU-Staat, den sie zuerst betreten haben. PRO ASYL fordert daher die Aussetzung der Dublin-Verordnung. Flüchtlinge sollten das Recht erhalten, sich frei zu entscheiden, wo sie in Europa leben wollen.
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