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So läuft das nicht: Die lange Liste der Probleme mit der Bezahlkarte
Die Bezahlkarte für Geflüchtete verursacht Umsetzungsprobleme, sie hat massive negative Folgen für Betroffene und bedeutet absurde Mehrarbeit für die Verwaltungen. Erste Gerichtsentscheidungen verurteilen bereits die zum Teil rechtswidrige Praxis. PRO ASYL appelliert an die Länder und Kommunen, den Unsinn mit der Bezahlkarte zu stoppen.
Seit Monaten wird die Bezahlkarte für Geflüchtete als Baustein einer ernsthaften Flüchtlingspolitik gepriesen. Im April 2024 nahm die Bundesregierung die Bezahlkarte als eigenständige Möglichkeit für die Leistungsgewährung ins Gesetz auf. Die Vorbereitungen für eine bundesweit einheitliche Karte laufen. Das Ausschreibungsverfahren ist zwar beendet, die Vergabeprobleme hören aber damit nicht auf, wie auch netzpolitik.org beschreibt.
Derweil haben die Länder Bayern und Hamburg sowie Kommunen in Sachsen, Thüringen und anderswo längst Fakten geschaffen, Pilotprojekte gestartet und eigene Bezahlkartenverträge mit unterschiedlichen Anbietern abgeschlossen. Erklärtes Ziel der Bezahlkarten ist die Beschränkung der Möglichkeit, Bargeld abzuheben und so Überweisungen ins Ausland tätigen zu können. Dabei gibt es Unterschiede in Funktion und Handhabung der Karten.
Vielfältige Erfahrungen der ersten Monate zeigen, was passiert, wenn man in Deutschland lebende Menschen von einem regulären Zahlungsverkehr abzuschneiden versucht. Die Liste der Probleme ist lang.
Länder und Kommunen praktizieren überwiegend eine Bargeldbegrenzung auf 50 Euro pro Person pro Monat. Für Minderjährige werden u.a. in Hamburg derzeit sogar nur 10 Euro in bar ausgezahlt – das reicht weder für den Schulausflug noch für den Eintritt ins Schwimmbad. Vieles kann in Deutschland nach wie vor nur in bar bezahlt werden: Das gebrauchte Fahrrad, der Kuchen beim Gemeindefest oder Flohmarkteinkäufe. Wer nicht genug Bargeld hat, kann nicht günstig einkaufen, bleibt von Teilhabe ausgeschlossen und bekommt am Ende nicht das, was er oder sie braucht. In Klageverfahren, die die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und PRO ASYL unterstützen, erkannten deshalb die Sozialgerichte in Hamburg und Nürnberg an, dass eine pauschale Bargeldbegrenzung auf 50 Euro nicht rechtmäßig ist.
- Wegen der Einführung der Bezahlkarte in Hamburg erhalten eine schwangere Asylsuchende, ihr Kleinkind und ihr Mann zusammen nur 110 Euro an abhebbarem Bargeld. Die Familie kann aber so nicht die nötigen lebensnotwendigen Einkäufe tätigen, die Bargeld erfordern. Im Juli 2024 erklärt das Sozialgericht Hamburg die Festsetzung in einem Eilbeschluss für rechtswidrig und spricht der Familie zunächst einen Bargeldbetrag von knapp 270 Euro zu.
Nach den Beschlüssen der Sozialgerichte müssen die Behörden prüfen, ob die Einzelpersonen mit der Bezahlkarte in ihrer konkreten Situation vor Ort tatsächlich ihre existenziellen Bedürfnisse decken können. So eine individuelle Prüfung statt pauschaler Beträge ist alles andere als einfach und bedeutet für die Verwaltungen einen nie dagewesenen Mehraufwand.
Das heißt aber auch: Die Zahl der betroffenen Flüchtlinge, die ihr Recht im Einzelfall erstreiten müssen, wird weiterhin steigen. Inzwischen kommen manche Kommunen einem Gerichtsentscheid durch die Gewährung von mehr Barleistungen zuvor. Das Land Bremen will für bestimmte Personengruppen und Lebenssituationen höhere Baranteile bis zu 120 Euro bewilligen, auch der Deutsche Städtetag hält die 50-Euro-Obergrenze für zu starr. Auch wenn sich die Lage so für einige entschärft, das grundsätzliche Problem aber bleibt: Wer mehr Bargeld braucht, als von vornherein zugestanden wird, müsste wegen jeder Kleinigkeit beim zuständigen Amt einen Antrag stellen, bei Ablehnung einen Widerspruch schreiben und gegebenenfalls eine Klage einreichen. Diejenigen, die dazu mangels Unterstützung nicht in der Lage sind, gehen leer aus.
Die Bezahlkarte ist keine Giro-Karte, sondern eine besondere Debit-Karte. Die Bezahlung mit der Karte verursacht für Einzelhändler und Dienstleister Kosten – deutlich mehr als die Zahlung mit einer Girokarte, wie etwa der Handelsverband HDE im Bayerischen Rundfunk bemängelte. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale stellte fest: Bisher akzeptieren nur wenige Handelsketten die besondere Debit-Karte. Vielen, vor allem kleineren Geschäften wie Imbisse oder Bäckereien, ist die Akzeptanz der Bezahlkarte zu teuer. Die Betroffenen lässt das ratlos zurück.
- in Hamburg klagt ein Betroffener, mit dem die GFF und PRO ASYL ein Verfahren führen, da er nicht mehr auf dem kostengünstigen Wochenmarkt einkaufen kann, da dort die Bezahlkarte nicht akzeptiert wird.
- In einer Kleinstadt in Sachsen findet eine Familie, mit der die GFF und PRO ASYL ein Verfahren führen, kein kostengünstiges Friseurgeschäft, bei dem sie mit der Bezahlkarte bezahlen kann.
- Eine schwangere Frau aus Sachsen berichtet, dass sie beim Frauenarzt die Mehrkosten für einen Ultraschall mit der Bezahlkarte nicht bezahlen kann, da die Praxis keine Bezahlkarte akzeptiert.
- Eine PRO ASYL bekannte Familie ist in einem kleinen Ort untergebracht, in dem es nur ein einziges kleines Lebensmittelgeschäft gibt. Das nimmt aber die Bezahlkarte nicht an. Um Lebensmittel für den Alltag zu kaufen, fährt sie nun mit dem Bus in die nächste Stadt. Dafür fallen jedes Mal zusätzliche Kosten an.
Für die Auszahlung staatlicher, existenzsichernder Leistungen Gebühren zu verlangen, ist rechtswidrig. Für die behördliche Bargeldauszahlung darf schließlich auch kein Entgelt verlangt werden. Die Bezahlkartendienstleister interessiert dies jedoch wenig. Das gilt insbesondere für die Vertragsgestaltung desjenigen Anbieters, der künftiger Vertragspartner der Bundesländer sein soll.
- In Hamburg kostet eine Barabhebung am Automaten mit der Bezahlkarte zwei Euro. Die Betroffenen werden deshalb auch hier auf Supermärkte und Drogerien verwiesen, die die Karte annehmen. Viele geben allerdings Bargeld auch nur dann heraus, wenn für einen Mindestbeitrag eingekauft wird. Zudem kostet auch die Nutzung der Karte ab der 21. Buchung im Monat acht Cent – vor allem größeren Familien, die – rechtswidriger Weise – nur eine Karte für alle Familienmitglieder bekommen haben, zahlen so zusätzlich drauf.
- Sollten bei der Bezahlkarte künftig (einzelne) Einkäufe per »E‑Commerce« erlaubt werden, fallen dafür Gebühren von 10 bzw. 15 Cent an. In Monaten, in denen die Betroffen keine Zahlung vom Amt erhalten, wie wenn sie z.B. einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, wird eine Gebühr von 1,50 fällig.
- Im Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen sollen sich die Geflüchteten den monatlichen Bargeldanteil von 50€ in einem Geschäft auszahlen lassen. Auch hier verlangen viele Geschäfte, dass für mindestens 10€ eingekauft werden muss, damit eine Auszahlung erfolgen kann – einige verweigern die Ausgabe gleich ganz.
- In Bayern mussten Geflüchtete, die vor Einführung der Karte bereits ein Bankkonto hatten, dieses nun kündigen – denn auch bei Kontoleerstand müssen Kontoführungsgebühren gezahlt werden. Die ist mit dem ohnehin zu knappen Barbetrag unmöglich.
Viele Karten sind mit Absicht technisch so manipuliert, dass sie nur im Wohnort der Betroffenen bzw. innerhalb eines bestimmten örtlichen Radius funktionieren.
- Im Bayerischen Schlehdorf gibt es nur einen einzigen Dorfladen, der aber die Bezahlkarte nicht akzeptiert. Die nächste Einkaufsmöglichkeit liegt im zwei Kilometer entfernten Großweil. Das liegt aber hinter der Landkreisgrenze und weil der Landkreis Bad Tölz die Bezahlkarte auf das Kreisgebiet eingeschränkt hat, musste eine alleinerziehende Mutter mit kleinen Kindern zum Einkaufen mit dem Bus zu einem teuren Einkaufsmarkt oder in die Kreisstadt Bad Tölz fahren, was mehr als eine Stunde dauert. Erst nach Intervention einer Ehrenamtlichen beim Bayerischen Innenministerium hob die Stadt Bad Tölz die regionale Beschränkung der Karte auf.
- Eine Mutter fuhr bislang aus dem Dorf, in dem sie untergebracht ist, zu einem Supermarkt ins nahe München, wo sie Lebensmittel aus der Heimat billig einkaufen kann. Dies ist nun unmöglich, da ihre Bezahlkarte in München nicht mehr gilt.
- Eine Frau aus Meiningen in Thüringen besucht regelmäßig ihre Schwester in Erfurt. Dort funktioniert aber ihre Bezahlkarte nicht und sie ist dort somit mittellos.
Wenn Menschen zu ersten Mal eine Bezahlkarte erhalten, müssen sie oft lange darauf warten, dass der vom Amt »gebuchte« Betrag auch tatsächlich auf der Karte ankommt. Dadurch haben Menschen tage- oder wochenlang keinerlei finanzielle Mittel.
- Ein Geflüchteter berichtet aus dem Unstrut-Hainich-Kreis: »In den ersten zwei Monaten klappte die Buchung auf die Bezahlkarte einfach nicht. Wir haben gewartet und mussten uns Geld leihen. Nach einiger Zeit hat das Amt dann doch wieder Bargeld ausgezahlt.«
- Auch die Familie, die in Hamburg später erfolgreich gegen die Bezahlkarte klagte, musste auf ihre erste Zuwendung wochenlang warten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich Geld zu leihen. Als das Geld endlich nachgezahlt wurde, landete der nachgezahlte Betrag komplett auf der Bezahlkarte – die Familie durfte aber nur 110 Euro in bar abheben. So war die Rückzahlung der Schulden unmöglich.
Immer wieder versagen die Karten technisch beim Bezahlvorgang – was die Betroffenen in beschämende Situationen bringt und dazu führen kann, dass sie nicht einmal mehr die nötigsten Lebensmittel kaufen können. Um einen Fehler beheben zu lassen, müssen die Betroffenen einen Behördentermin machen, auf den sie, trotz akuter Geldnot, tagelang warten. Die Fehlersuche und ‑behebung ist dann eine zusätzliche Aufgabe der ohnehin vielbeschäftigten Verwaltung.
- Ein Betroffener erzählt, dass seine Bezahlkarte drei Monate gar nicht und im Anschluss nur unzuverlässig funktionierte. Die Bezahlkarte versagte beispielsweise im Supermarkt an der Kasse, so dass keine Lebensmittel gekauft werden konnten. Nun brauchen er und seine Frau dringend einen Termin bei der Hamburger Migrationsbehörde. Den bekommen sie aber nur im Onlinesystem, dienstags und donnerstags vor acht Uhr und nur, »wenn man schnell genug ist.«
Wenn man nur sehr wenig Geld zum Leben hat, behelfen sich viele damit, bestimmte Dinge online billiger einkaufen. Doch Überweisungen und Abbuchungen von der Bezahlkarte sind regelmäßig nicht möglich oder nicht erlaubt. In einer Welt, in der digitale Finanzströme alltäglich sind, hat das drastische Folgen.
- Ein Kläger aus Sachsen berichtet, er brauche ein Handy, könne aber kein günstiges im Internet bestellen.
- Eine Familie aus Hamburg möchte für ihre Kinder günstige Babykleidung im Internet bestellen. Auch das ist nicht möglich.
- Ein Mann aus Hamburg kann mit seiner Bezahlkarte keinen Handyvertrag abschließen. In seiner Not kauft er eine Prepaid-Karte mit weitaus höheren Verbindungsgebühren. Der Kontakt zu Familie und Freunden wird dadurch nicht nur teuer, sondern auch kompliziert. Da er die Karte mangels Kontoverbindung auch nicht digital aufladen kann, kauft er sich nun monatlich eine neue Karte mit neuer Nummer.
- Eine Frau im thüringischen Greiz kann das Essensgeld nicht an die Kita überweisen und sammelt so monatlich Schulden an.
- Verschiedene Eltern berichten, mangels Möglichkeiten der Überweisung und digitalem Geldtransfer, die Mittagsverpflegung in der Kita oder Schule für ihre Kinder nicht mehr bezahlen zu können.
- Schulbücher oder das jährliche Kopiergeld für die Schule, deren hohe Kosten den monatlichen Barbetrag übersteigen, müssen von den Betroffenen oft in bar bezahlt werden, weil auch Bildungskosten erst nach Vorlage der Rechnung vom Amt erstattet werden. Dies ist für viele Eltern von Schulkindern nicht mehr möglich´und sie können die Bücher nicht kaufen.
- Auch für die monatlichen Raten an die Rechtsanwältin sind viele Geflüchtete dringend auf eine Überweisungsmöglichkeit angewiesen. Denn für die Zahlung mit der Bezahlkarte oder für eine monatliche Bargeldübergabe ist der Weg zu weit und zu teuer, da die Anwält*innen häufig in weiter entfernten Städten arbeiten.
Die Arbeitsgruppe der Länder diskutierte schon im November 2023, dass die Rückgabe von gekaufter Ware nicht gegen Bargeld erfolgen dürfe. Dass eine Rückzahlung des Kaufbetrags aber jedenfalls an die Karte möglich sein muss, wurde vom Land Niedersachsen angemahnt. Das fand aber letzten Endes keinen Eingang in die gemeinsamen Mindestanforderungen der Länder (hier zu den »Standards« der Länder in der Ausschreibung). Im Ergebnis wird eine Rückgabe von fälschlicherweise gekaufter Ware unmöglich gemacht.
- Ein Mann wollte ein gekauftes Handy zurückgeben. Der Markt konnte aber kein Bargeld herausgeben da dies bei Zahlungen mit der Bezahlkarte nicht möglich ist. Auch eine Rückbuchung auf die Bezahlkarte ist ausgeschlossen. Reklamationen und Rückgaben sind also unmöglich.
Besonders hart trifft es Menschen, die bereits ein Konto besitzen, das durch die Umstellung auf die Bezahlkarte aber plötzlich nicht mehr nutzbar ist. Verträge, etwa für das Handy, müssen ersatzlos gekündigt werden – und zwar sofort, obwohl das fristlos nicht möglich ist. Lastschriften platzen, zusätzliche Bank- und Mahngebühren sind die Folge. Unter Umständen laufen Kontogebühren für ein nicht mehr nutzbares Konto auf.
- Ein junger Mann besaß ein Bankkonto und ein Abonnement des Deutschland-Tickets. Als der sächsische Erzgebirgskreis im Juli 2024 seine Sozialleistungen auf die Bezahlkarte umstellt, platzte die Lastschrift der Deutschen Bahn. Weder eine Barzahlung noch eine Überweisung sind möglich. Die Deutsche Bahn sperrt in der Regel zudem die Deutschlandtickets für mehrere Wochen, wenn die Zahlung nicht rechtzeitig erfolgt. Als der Mann bei einer Beratungsstelle vorstellig wurde, hatten sich bereits Mahnbescheide über 400 Euro angehäuft. Die Beraterin riet ihm zwar zur Klage, aber er hat zu große Angst, dass sich das negativ auf sein Asylverfahren auswirken könnte.
- Im Oberallgäu in Bayern platzten die Lastschriften einer Familie mit drei Kindern, unter anderem für die Handyverträge. Seitdem türmen sich Schulden auf, zudem entstehen Folgekosten.
- Eine Familie aus Sachsen kann seit zwei Monaten ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen, da dies nur per Überweisung möglich ist. Auf die Bitten um Abhilfe und Überweisung reagiert das Amt bisher nicht einmal.
- Eine weitere Familie aus Sachsen, die seit knapp fünf Jahren in Deutschland in einer Wohnung lebt und auf die Bezahlkarte umgestellt wurde, kann ihren Telefon- und Internetvertrag nicht mehr bezahlen, ebenso wenig wie den Sportverein der Kinder.
Zunehmend sehen Verantwortliche vor Ort ein, dass bestimmte Überweisungen sichergestellt werden müssen. Sie geben den Inhaber*innen der Bezahlkarten deshalb die Möglichkeit, Überweisungen an bestimmte Empfänger*innen oder Lastschriften per Freischaltung von IBAN-Nummern zu tätigen. Diese so genannte »Whitelist« ist auch im bundesweiten Verfahren vorgesehen. Das führt zu einer Entlastung an bestimmten Stellen, allerdings auch zu einem absurden Verwaltungsaufwand. Bestimmte Überweisungsziele wie Sprachkursanbieter oder Stadtkassen werden »von Amts wegen« in das Überweisungssystem eingepflegt, viele andere aber müssen einzeln hinzugefügt werden. In einigen Orten müssen die Betroffenen für jede neue Überweisung im Amt vorstellig werden, in anderen werden kommunal bezahlte Sozialarbeiter*innen aufgefordert, in den Unterkünften IBANs, Überweisungsziel und ‑zweck von den Betroffenen abzufragen. Am Ende entscheiden die Ämter in jedem Einzelfall, ob die Überweisung »freischaltungswürdig« ist.
- Im Landkreis Oberallgäu wendet sich ein Mann mit seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen an die Sozialbehörde. Die Mitarbeiterin schaltet daraufhin einige IBANs frei, erklärt ihm aber, das ginge nur rückwirkend, für alte Verpflichtungen. Er dürfe keine neuen Verträge abschließen und es seien auch keine Ratenzahlungen möglich.
- In einer Kommune in Sachsen stellt ein Hinweisblatt klar: »In der Regel sind Online-Käufe ausgeschlossen. Ausnahmen bestehen grundsätzlich nur für Verträge im öffentlichen Nahverkehr oder Mobilfunkverträge.«
Wenn die Sozialbehörde eine IBAN auf Bitte der einzelnen Karteninhaber*innen freischaltet, müssen die Betroffenen gegenüber Ämtern oder Sozialarbeiter*innen ihre persönlichen, teils sogar besonders sensiblen und geschützten Daten bloßlegen. Beispielsweise Einkaufs- und Aufenthaltsorte, Leistungen für medizinische oder psychologische Behandlungen oder religiöse Praktiken. Zum Teil verlangen Behörden für die Freischaltung sogar die Vorlage von Rechnungen. Aus Sicht des Brandenburger Landesbeauftragten für Datenschutz begegnet ein solches Whitelist-Verfahren gravierenden datenschutzrechtlichen Bedenken. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte kritisierte schon früh mit deutlichen Worten die Möglichkeit zur Kontoeinsicht durch die Behörden sowie die fehlende Rechtsgrundlage zur Offenlegung bzw. Verwendung der AZR-Nummer (Ausländerzentralregister) der Betroffenen.
Auch die Konferenz der Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat – neben anderer Kritik – festgehalten, dass die Weitergabe der AZR-Nummer an nicht-staatliche Stellen rechtswidrig ist. Das geschieht aber regelmäßig, wenn das Privatunternehmen, dass die Bezahlkarte verkauft, Zugriff auf die Nummer erhält. Über die AZR-Nummer ist der Zugang zu höchstpersönlichen und hochsensiblen Daten möglich, das Recht der Betroffenen auf Schutz der persönlichen Daten ist hier in Gefahr.
- Eine Berliner Anwältin hat einen Mandanten aus dem Märkisch-Oderland-Kreis in Brandenburg. Um seine Raten aufrecht erhalten zu können, muss er dem Amt den Anwaltsnamen, Höhe und Erläuterungen zum Verwendungszweck der monatlichen Überweisung angeben und per Unterschrift die Richtigkeit der Daten versichern. Einige Tage später meldet sich die Behörde bei der Anwältin. Sie wird aufgefordert, dem Amt ihren Mandatsvertrag offen zu legen.
- Im Landkreis Greiz in Thüringen sind laut FAQ der Pressestelle auf der Karte neben dem Namen des Nutzers die persönliche AZR-Nummer – offenbar für jeden sichtbar (!) – vermerkt.
Verschiedentlich wird berichtet, dass die der Bezahlkarte zugeordneten Handy-Apps fehlerhaft arbeiten oder die Tools (noch) nicht funktionieren. Trotz des absurden Aufwands, mit dem Landkreise eine »Whitelist« für Überweisungen in Ausnahmefällen führen, klappen Überweisungen nicht oder dauern zu lange.
- Um den bestehenden technischen Problemen zu begegnen, muss das bayerische System in verschiedener Hinsicht neu justiert und angepasst werden, wie aus dem Rundschreiben der Staatsregierung an die Initiativen hervorgeht.
- Im Erzgebirgskreis heißt es wochenlang, die Überweisungswünsche seien gemeldet, dem Kreditinstitut aber fehle die Funktion, diese einzuarbeiten. Der Anbieter der Karten und die Behörde arbeiteten daran. Wie lange es dauere, könne niemand sagen. Währenddessen wachsen die Schulden der Betroffenen. Eine Ehrenamtliche sagt: »Nach außen wird suggeriert, es funktioniere alles prima, aber intern gestehen die Landkreismitarbeiter*innen ein, dass kaum etwas funktioniert und der Aufwand viel größer ist als behauptet.«
Vielerorts müssen Geflüchtete Monat für Monat persönlich im Amt erscheinen, um überhaupt Leistungen zu erhalten. Eine Arbeitserleichterung, die angeblich mit der Karte verbunden sein soll, ist das keineswegs. Zudem zahlen die Geflüchteten für die Meldeprozedur auch noch drauf.
- Die Asylsuchenden im brandenburgischen Landkreis Märkisch Oderland zum Beispiel müssen monatlich in das abgelegene Sozialamt reisen, um die Bezahlkarte vor Ort aufladen zu lassen. Die manuelle Aufladung kostet den Landkreis nicht nur Arbeit, sondern auch zusätzliche Gebühren.
- In Greiz in Thüringen wird trotz Karte der Barbetrag weiterhin nur im Amt ausgezahlt, eine Auszahlung per Karte ist nicht möglich. Der Landkreis rechtfertigt das Verfahren: Das »persönliche Erscheinen der Asylsuchenden zum regulären monatlichen Auszahlungstag gewährleistet zudem ein erhebliches Maß an Kontrolle über den Personenkreis.«
- Im sächsischen Erzgebirgskreis veranlasst das Amt die Aufladung zwar digital, dennoch müssen auch hier die Betroffenen vorstellig werden, um im kommenden Monat versorgt zu sein – und zwar bis spätestens bis zur Monatsmitte, weil die digitale Aufladung bis zu zwei Wochen dauert. In der Praxis funktioniert nicht einmal das. Betroffene erhalten ihre Leistungen selten pünktlich. Und die monatliche Fahrt etwa vom sächsischen Schwarzenberg bis zur Meldestelle in Annaberg und zurück kostet im ÖPNV 15,60 Euro.
FAZIT: Die Bezahlkarte bedeutet nichts als Ärger, Kosten und Arbeit
Die Bezahlkarte bringt für viele Beteiligte nichts als eine Menge Ärger, Kosten und Arbeit im Alltag. Sie setzt geflüchtete Menschen vielfältigen Zumutungen aus, macht Einkäufe unmöglich oder umständlich, verursacht zusätzliche Gebühren, bringt drohende Verschuldung und nicht zuletzt Aufwand in den Behörden mit sich. Staatlich bezahlte Sozialarbeiter*innen müssen Fragen beantworten, Zahlungsprobleme lösen oder – datenschutzwidrig – private Überweisungsnummern einsammeln.
Zivilgesellschaftliche Initiativen in Hamburg, Nürnberg, München und an immer mehr Orten verhelfen Geflüchteten durch Tausch und Bargeld zum Notwendigsten, auch der politische Widerstand der Initiativen (zum Beispiel in Leipzig) wächst. Nicht zuletzt beschäftigen sich auch die Verwaltungen mit den diskriminierenden Umständen einer Bezahlkarte. Neben kritischen Stimmen aus der Verwaltung wie z.B. im Ilmkreis haben sich Städte wie Steinfurt oder Münster zum Nutzen der Bezahlkarte kritisch geäußert. Durch die Berücksichtigung von Einzelfallbedarfen wird der kommunale Aufwand noch ansteigen, statt zu entlasten.
Die einzigen Gewinner der Bezahlkarte sind die Kartenverkäufer und die Konzerne Visa Inc. oder MasterCard Inc.
Die einzigen Gewinner der Bezahlkarte sind die Kartenverkäufer und die Konzerne Visa Inc. oder MasterCard Inc. Die Kostenlast der Bezahlkarte – in Berlin werden Kosten von fünf Millionen Euro statt wie bisher 366.000 Euro für die Ausgabe der Sozialleistung veranschlagt – trägt der Staat.
Rein gar nichts bringt die Bezahlkarte dagegen für Integration und ein friedliches Zusammenleben. In einer Zeit um sich greifender politischer Polemik, von Angriffen auf Demokratie und Verfassung, wäre das Geld und die Energie, die in die Bezahlkarte fließen, wesentlich besser in Integrationspolitik und Demokratieförderung angelegt. Oder in Investitionen im Bereich Schule und Wohnen. PRO ASYL appelliert an Länder und Kommunen, den Unsinn mit der Bezahlkarte zu stoppen.
(ak)