09.10.2024
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Foto: PRO ASYL / Louisa Serwuschok

Die Bezahlkarte für Geflüchtete verursacht Umsetzungsprobleme, sie hat massive negative Folgen für Betroffene und bedeutet absurde Mehrarbeit für die Verwaltungen. Erste Gerichtsentscheidungen verurteilen bereits die zum Teil rechtswidrige Praxis. PRO ASYL appelliert an die Länder und Kommunen, den Unsinn mit der Bezahlkarte zu stoppen.

Seit Mona­ten wird die Bezahl­kar­te für Geflüch­te­te als Bau­stein einer ernst­haf­ten Flücht­lings­po­li­tik geprie­sen. Im April 2024 nahm die Bun­des­re­gie­rung die Bezahl­kar­te als eigen­stän­di­ge Mög­lich­keit für die Leis­tungs­ge­wäh­rung ins Gesetz auf. Die Vor­be­rei­tun­gen für eine bun­des­weit ein­heit­li­che Kar­te lau­fen. Das Aus­schrei­bungs­ver­fah­ren ist zwar been­det, die Ver­ga­be­pro­ble­me hören aber damit nicht auf, wie auch netzpolitik.org beschreibt.

Der­weil haben die Län­der Bay­ern und Ham­burg sowie Kom­mu­nen in Sach­sen, Thü­rin­gen und anders­wo längst Fak­ten geschaf­fen, Pilot­pro­jek­te gestar­tet und eige­ne Bezahl­kar­ten­ver­trä­ge mit unter­schied­li­chen Anbie­tern abge­schlos­sen. Erklär­tes Ziel der Bezahl­kar­ten ist die Beschrän­kung der Mög­lich­keit, Bar­geld abzu­he­ben und so Über­wei­sun­gen ins Aus­land täti­gen zu kön­nen. Dabei gibt es Unter­schie­de in Funk­ti­on und Hand­ha­bung der Karten.

Viel­fäl­ti­ge Erfah­run­gen der ers­ten Mona­te zei­gen, was pas­siert, wenn man in Deutsch­land leben­de Men­schen von einem regu­lä­ren Zah­lungs­ver­kehr abzu­schnei­den ver­sucht. Die Lis­te der Pro­ble­me ist lang.

Län­der und Kom­mu­nen prak­ti­zie­ren über­wie­gend eine Bar­geld­be­gren­zung auf 50 Euro pro Per­son pro Monat. Für Min­der­jäh­ri­ge wer­den u.a. in Ham­burg der­zeit sogar nur 10 Euro in bar aus­ge­zahlt – das reicht weder für den Schul­aus­flug noch für den Ein­tritt ins Schwimm­bad. Vie­les kann in Deutsch­land nach wie vor nur in bar bezahlt wer­den: Das gebrauch­te Fahr­rad, der Kuchen beim Gemein­de­fest oder Floh­markt­ein­käu­fe. Wer nicht genug Bar­geld hat, kann nicht güns­tig ein­kau­fen, bleibt von Teil­ha­be aus­ge­schlos­sen und bekommt am Ende nicht das, was er oder sie braucht. In Kla­ge­ver­fah­ren, die die Gesell­schaft für Frei­heits­rech­te (GFF) und PRO ASYL unter­stüt­zen, erkann­ten des­halb die Sozi­al­ge­rich­te in Ham­burg und Nürn­berg an, dass eine pau­scha­le Bar­geld­be­gren­zung auf 50 Euro nicht recht­mä­ßig ist.

  • Wegen der Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te in Ham­burg erhal­ten eine schwan­ge­re Asyl­su­chen­de, ihr Klein­kind und ihr Mann zusam­men nur 110 Euro an abheb­ba­rem Bar­geld. Die Fami­lie kann aber so nicht die nöti­gen lebens­not­wen­di­gen Ein­käu­fe täti­gen, die Bar­geld erfor­dern. Im Juli 2024 erklärt das Sozi­al­ge­richt Ham­burg die Fest­set­zung in einem Eil­be­schluss für rechts­wid­rig und spricht der Fami­lie zunächst einen Bar­geld­be­trag von knapp 270 Euro zu.

Nach den Beschlüs­sen der Sozi­al­ge­rich­te müs­sen die Behör­den prü­fen, ob die Ein­zel­per­so­nen mit der Bezahl­kar­te in ihrer kon­kre­ten Situa­ti­on vor Ort tat­säch­lich ihre exis­ten­zi­el­len Bedürf­nis­se decken kön­nen. So eine indi­vi­du­el­le Prü­fung statt pau­scha­ler Beträ­ge ist alles ande­re als ein­fach und bedeu­tet für die Ver­wal­tun­gen einen nie dage­we­se­nen Mehraufwand.

Das heißt aber auch: Die Zahl der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge, die ihr Recht im Ein­zel­fall erstrei­ten müs­sen, wird wei­ter­hin stei­gen. Inzwi­schen kom­men man­che Kom­mu­nen einem Gerichts­ent­scheid durch die Gewäh­rung von mehr Bar­leis­tun­gen zuvor. Das Land Bre­men will für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen und Lebens­si­tua­tio­nen höhe­re Bar­an­tei­le bis zu 120 Euro bewil­li­gen, auch der Deut­sche Städ­te­tag hält die 50-Euro-Ober­gren­ze für zu starr. Auch wenn sich die Lage so für eini­ge ent­schärft, das grund­sätz­li­che Pro­blem aber bleibt: Wer mehr Bar­geld braucht, als von vorn­her­ein zuge­stan­den wird, müss­te wegen jeder Klei­nig­keit beim zustän­di­gen Amt einen Antrag stel­len, bei Ableh­nung einen Wider­spruch schrei­ben und gege­be­nen­falls eine Kla­ge ein­rei­chen. Die­je­ni­gen, die dazu man­gels Unter­stüt­zung nicht in der Lage sind, gehen leer aus.

Die Bezahl­kar­te ist kei­ne Giro-Kar­te, son­dern eine beson­de­re Debit-Kar­te. Die Bezah­lung mit der Kar­te ver­ur­sacht für Ein­zel­händ­ler und Dienst­leis­ter Kos­ten – deut­lich mehr als die Zah­lung mit einer Giro­kar­te, wie etwa der Han­dels­ver­band HDE im Baye­ri­schen Rund­funk bemän­gel­te. Der Bun­des­ver­band der Ver­brau­cher­zen­tra­le stell­te fest: Bis­her akzep­tie­ren nur weni­ge Han­dels­ket­ten die beson­de­re Debit-Kar­te. Vie­len, vor allem klei­ne­ren Geschäf­ten wie Imbis­se oder Bäcke­rei­en, ist die Akzep­tanz der Bezahl­kar­te zu teu­er. Die Betrof­fe­nen lässt das rat­los zurück.

  • in Ham­burg klagt ein Betrof­fe­ner, mit dem die GFF und PRO ASYL ein Ver­fah­ren füh­ren, da er nicht mehr auf dem kos­ten­güns­ti­gen Wochen­markt ein­kau­fen kann, da dort die Bezahl­kar­te nicht akzep­tiert wird.
  • In einer Klein­stadt in Sach­sen fin­det eine Fami­lie, mit der die GFF und PRO ASYL ein Ver­fah­ren füh­ren, kein kos­ten­güns­ti­ges Fri­seur­ge­schäft, bei dem sie mit der Bezahl­kar­te bezah­len kann.
  • Eine schwan­ge­re Frau aus Sach­sen berich­tet, dass sie beim Frau­en­arzt die Mehr­kos­ten für einen Ultra­schall mit der Bezahl­kar­te nicht bezah­len kann, da die Pra­xis kei­ne Bezahl­kar­te akzeptiert.
  • Eine PRO ASYL bekann­te Fami­lie ist in einem klei­nen Ort unter­ge­bracht, in dem es nur ein ein­zi­ges klei­nes Lebens­mit­tel­ge­schäft gibt. Das nimmt aber die Bezahl­kar­te nicht an. Um Lebens­mit­tel für den All­tag zu kau­fen, fährt sie nun mit dem Bus in die nächs­te Stadt. Dafür fal­len jedes Mal zusätz­li­che Kos­ten an.

Für die Aus­zah­lung staat­li­cher, exis­tenz­si­chern­der Leis­tun­gen Gebüh­ren zu ver­lan­gen, ist rechts­wid­rig. Für die behörd­li­che Bar­geld­aus­zah­lung darf schließ­lich auch kein Ent­gelt ver­langt wer­den. Die Bezahl­kar­ten­dienst­leis­ter inter­es­siert dies jedoch wenig. Das gilt ins­be­son­de­re für die Ver­trags­ge­stal­tung des­je­ni­gen Anbie­ters, der künf­ti­ger Ver­trags­part­ner der Bun­des­län­der sein soll.

  • In Ham­burg kos­tet eine Bar­ab­he­bung am Auto­ma­ten mit der Bezahl­kar­te zwei Euro. Die Betrof­fe­nen wer­den des­halb auch hier auf Super­märk­te und Dro­ge­rien ver­wie­sen, die die Kar­te anneh­men. Vie­le geben aller­dings Bar­geld auch nur dann her­aus, wenn für einen Min­dest­bei­trag ein­ge­kauft wird. Zudem kos­tet auch die Nut­zung der Kar­te ab der 21. Buchung im Monat acht Cent – vor allem grö­ße­ren Fami­li­en, die – rechts­wid­ri­ger Wei­se – nur eine Kar­te für alle Fami­li­en­mit­glie­der bekom­men haben, zah­len so zusätz­lich drauf.
  • Soll­ten bei der Bezahl­kar­te künf­tig (ein­zel­ne) Ein­käu­fe per »E‑Commerce« erlaubt wer­den, fal­len dafür Gebüh­ren von 10 bzw. 15 Cent an. In Mona­ten, in denen die Betrof­fen kei­ne Zah­lung vom Amt erhal­ten, wie wenn sie z.B. einer bezahl­ten Beschäf­ti­gung nach­ge­hen, wird eine Gebühr von 1,50 fällig.
  • Im Unstrut-Hai­nich-Kreis in Thü­rin­gen sol­len sich die Geflüch­te­ten den monat­li­chen Bar­geld­an­teil von 50€ in einem Geschäft aus­zah­len las­sen. Auch hier ver­lan­gen vie­le Geschäf­te, dass für min­des­tens 10€ ein­ge­kauft wer­den muss, damit eine Aus­zah­lung erfol­gen kann – eini­ge ver­wei­gern die Aus­ga­be gleich ganz.
  • In Bay­ern muss­ten Geflüch­te­te, die vor Ein­füh­rung der Kar­te bereits ein Bank­kon­to hat­ten, die­ses nun kün­di­gen – denn auch bei Kon­to­leer­stand müs­sen Kon­to­füh­rungs­ge­büh­ren gezahlt wer­den. Die ist mit dem ohne­hin zu knap­pen Bar­be­trag unmöglich.

Vie­le Kar­ten sind mit Absicht tech­nisch so mani­pu­liert, dass sie nur im Wohn­ort der Betrof­fe­nen bzw. inner­halb eines bestimm­ten ört­li­chen Radi­us funktionieren.

  • Im Baye­ri­schen Schleh­dorf gibt es nur einen ein­zi­gen Dorf­la­den, der aber die Bezahl­kar­te nicht akzep­tiert. Die nächs­te Ein­kaufs­mög­lich­keit liegt im zwei Kilo­me­ter ent­fern­ten Groß­weil. Das liegt aber hin­ter der Land­kreis­gren­ze und weil der Land­kreis Bad Tölz die Bezahl­kar­te auf das Kreis­ge­biet ein­ge­schränkt hat, muss­te eine allein­er­zie­hen­de Mut­ter mit klei­nen Kin­dern zum Ein­kau­fen mit dem Bus zu einem teu­ren Ein­kaufs­markt oder in die Kreis­stadt Bad Tölz fah­ren, was mehr als eine Stun­de dau­ert. Erst nach Inter­ven­ti­on einer Ehren­amt­li­chen beim Baye­ri­schen Innen­mi­nis­te­ri­um hob die Stadt Bad Tölz die regio­na­le Beschrän­kung der Kar­te auf.
  • Eine Mut­ter fuhr bis­lang aus dem Dorf, in dem sie unter­ge­bracht ist, zu einem Super­markt ins nahe Mün­chen, wo sie Lebens­mit­tel aus der Hei­mat bil­lig ein­kau­fen kann. Dies ist nun unmög­lich, da ihre Bezahl­kar­te in Mün­chen nicht mehr gilt.
  • Eine Frau aus Mei­nin­gen in Thü­rin­gen besucht regel­mä­ßig ihre Schwes­ter in Erfurt. Dort funk­tio­niert aber ihre Bezahl­kar­te nicht und sie ist dort somit mittellos.

Wenn Men­schen zu ers­ten Mal eine Bezahl­kar­te erhal­ten, müs­sen sie oft lan­ge dar­auf war­ten, dass der vom Amt »gebuch­te« Betrag auch tat­säch­lich auf der Kar­te ankommt. Dadurch haben Men­schen tage- oder wochen­lang kei­ner­lei finan­zi­el­le Mittel.

  • Ein Geflüch­te­ter berich­tet aus dem Unstrut-Hai­nich-Kreis: »In den ers­ten zwei Mona­ten klapp­te die Buchung auf die Bezahl­kar­te ein­fach nicht. Wir haben gewar­tet und muss­ten uns Geld lei­hen. Nach eini­ger Zeit hat das Amt dann doch wie­der Bar­geld ausgezahlt.«
  • Auch die Fami­lie, die in Ham­burg spä­ter erfolg­reich gegen die Bezahl­kar­te klag­te, muss­te auf ihre ers­te Zuwen­dung wochen­lang war­ten. Ihr blieb nichts ande­res übrig, als sich Geld zu lei­hen. Als das Geld end­lich nach­ge­zahlt wur­de, lan­de­te der nach­ge­zahl­te Betrag kom­plett auf der Bezahl­kar­te – die Fami­lie durf­te aber nur 110 Euro in bar abhe­ben. So war die Rück­zah­lung der Schul­den unmöglich.

Immer wie­der ver­sa­gen die Kar­ten tech­nisch beim Bezahl­vor­gang – was die Betrof­fe­nen in beschä­men­de Situa­tio­nen bringt und dazu füh­ren kann, dass sie nicht ein­mal mehr die nötigs­ten Lebens­mit­tel kau­fen kön­nen. Um einen Feh­ler behe­ben zu las­sen, müs­sen die Betrof­fe­nen einen Behör­den­ter­min machen, auf den sie, trotz aku­ter Geld­not, tage­lang war­ten. Die Feh­ler­su­che und ‑behe­bung ist dann eine zusätz­li­che Auf­ga­be der ohne­hin viel­be­schäf­tig­ten Verwaltung.

  • Ein Betrof­fe­ner erzählt, dass sei­ne Bezahl­kar­te drei Mona­te gar nicht und im Anschluss nur unzu­ver­läs­sig funk­tio­nier­te. Die Bezahl­kar­te ver­sag­te bei­spiels­wei­se im Super­markt an der Kas­se, so dass kei­ne Lebens­mit­tel gekauft wer­den konn­ten. Nun brau­chen er und sei­ne Frau drin­gend einen Ter­min bei der Ham­bur­ger Migra­ti­ons­be­hör­de. Den bekom­men sie aber nur im Online­sys­tem, diens­tags und don­ners­tags vor acht Uhr und nur, »wenn man schnell genug ist.«

Wenn man nur sehr wenig Geld zum Leben hat, behel­fen sich vie­le damit, bestimm­te Din­ge online bil­li­ger ein­kau­fen. Doch Über­wei­sun­gen und Abbu­chun­gen von der Bezahl­kar­te sind regel­mä­ßig nicht mög­lich oder nicht erlaubt. In einer Welt, in der digi­ta­le Finanz­strö­me all­täg­lich sind, hat das dras­ti­sche Folgen.

  • Ein Klä­ger aus Sach­sen berich­tet, er brau­che ein Han­dy, kön­ne aber kein güns­ti­ges im Inter­net bestellen.
  • Eine Fami­lie aus Ham­burg möch­te für ihre Kin­der güns­ti­ge Baby­klei­dung im Inter­net bestel­len. Auch das ist nicht möglich.
  • Ein Mann aus Ham­burg kann mit sei­ner Bezahl­kar­te kei­nen Han­dy­ver­trag abschlie­ßen. In sei­ner Not kauft er eine Pre­paid-Kar­te mit weit­aus höhe­ren Ver­bin­dungs­ge­büh­ren. Der Kon­takt zu Fami­lie und Freun­den wird dadurch nicht nur teu­er, son­dern auch kom­pli­ziert. Da er die Kar­te man­gels Kon­to­ver­bin­dung auch nicht digi­tal auf­la­den kann, kauft er sich nun monat­lich eine neue Kar­te mit neu­er Nummer.
  • Eine Frau im thü­rin­gi­schen Greiz kann das Essens­geld nicht an die Kita über­wei­sen und sam­melt so monat­lich Schul­den an.
  • Ver­schie­de­ne Eltern berich­ten, man­gels Mög­lich­kei­ten der Über­wei­sung und digi­ta­lem Geld­trans­fer, die Mit­tags­ver­pfle­gung in der Kita oder Schu­le für ihre Kin­der nicht mehr bezah­len zu können.
  • Schul­bü­cher oder das jähr­li­che Kopier­geld für die Schu­le, deren hohe Kos­ten den monat­li­chen Bar­be­trag über­stei­gen, müs­sen von den Betrof­fe­nen oft in bar bezahlt wer­den, weil auch Bil­dungs­kos­ten erst nach Vor­la­ge der Rech­nung vom Amt erstat­tet wer­den. Dies ist für vie­le Eltern von Schul­kin­dern nicht mehr möglich´und sie kön­nen die Bücher nicht kaufen.
  • Auch für die monat­li­chen Raten an die Rechts­an­wäl­tin sind vie­le Geflüch­te­te drin­gend auf eine Über­wei­sungs­mög­lich­keit ange­wie­sen. Denn für die Zah­lung mit der Bezahl­kar­te oder für eine monat­li­che Bar­geld­über­ga­be ist der Weg zu weit und zu teu­er, da die Anwält*innen häu­fig in wei­ter ent­fern­ten Städ­ten arbeiten.

Die Arbeits­grup­pe der Län­der dis­ku­tier­te schon im Novem­ber 2023, dass die Rück­ga­be von gekauf­ter Ware nicht gegen Bar­geld erfol­gen dür­fe. Dass eine Rück­zah­lung des Kauf­be­trags aber jeden­falls an die Kar­te mög­lich sein muss, wur­de vom Land Nie­der­sach­sen ange­mahnt. Das fand aber letz­ten Endes kei­nen Ein­gang in die gemein­sa­men Min­dest­an­for­de­run­gen der Län­der (hier zu den »Stan­dards« der Län­der in der Aus­schrei­bung). Im Ergeb­nis wird eine Rück­ga­be von fälsch­li­cher­wei­se gekauf­ter Ware unmög­lich gemacht.

  • Ein Mann woll­te ein gekauf­tes Han­dy zurück­ge­ben. Der Markt konn­te aber kein Bar­geld her­aus­ge­ben da dies bei Zah­lun­gen mit der Bezahl­kar­te nicht mög­lich ist. Auch eine Rück­bu­chung auf die Bezahl­kar­te ist aus­ge­schlos­sen. Rekla­ma­tio­nen und Rück­ga­ben sind also unmöglich.

Beson­ders hart trifft es Men­schen, die bereits ein Kon­to besit­zen, das durch die Umstel­lung auf die Bezahl­kar­te aber plötz­lich nicht mehr nutz­bar ist. Ver­trä­ge, etwa für das Han­dy, müs­sen ersatz­los gekün­digt wer­den – und zwar sofort, obwohl das frist­los nicht mög­lich ist. Last­schrif­ten plat­zen, zusätz­li­che Bank- und Mahn­ge­büh­ren sind die Fol­ge. Unter Umstän­den lau­fen Kon­to­ge­büh­ren für ein nicht mehr nutz­ba­res Kon­to auf.

  • Ein jun­ger Mann besaß ein Bank­kon­to und ein Abon­ne­ment des Deutsch­land-Tickets. Als der säch­si­sche Erz­ge­birgs­kreis im Juli 2024 sei­ne Sozi­al­leis­tun­gen auf die Bezahl­kar­te umstellt, platz­te die Last­schrift der Deut­schen Bahn. Weder eine Bar­zah­lung noch eine Über­wei­sung sind mög­lich. Die Deut­sche Bahn sperrt in der Regel zudem die Deutsch­land­ti­ckets für meh­re­re Wochen, wenn die Zah­lung nicht recht­zei­tig erfolgt. Als der Mann bei einer Bera­tungs­stel­le vor­stel­lig wur­de, hat­ten sich bereits Mahn­be­schei­de über 400 Euro ange­häuft. Die Bera­te­rin riet ihm zwar zur Kla­ge, aber er hat zu gro­ße Angst, dass sich das nega­tiv auf sein Asyl­ver­fah­ren aus­wir­ken könnte.
  • Im Ober­all­gäu in Bay­ern platz­ten die Last­schrif­ten einer Fami­lie mit drei Kin­dern, unter ande­rem für die Han­dy­ver­trä­ge. Seit­dem tür­men sich Schul­den auf, zudem ent­ste­hen Folgekosten.
  • Eine Fami­lie aus Sach­sen kann seit zwei Mona­ten ihre Strom­rech­nung nicht mehr bezah­len, da dies nur per Über­wei­sung mög­lich ist. Auf die Bit­ten um Abhil­fe und Über­wei­sung reagiert das Amt bis­her nicht einmal.
  • Eine wei­te­re Fami­lie aus Sach­sen, die seit knapp fünf Jah­ren in Deutsch­land in einer Woh­nung lebt und auf die Bezahl­kar­te umge­stellt wur­de, kann ihren Tele­fon- und Inter­net­ver­trag nicht mehr bezah­len, eben­so wenig wie den Sport­ver­ein der Kinder.

Zuneh­mend sehen Ver­ant­wort­li­che vor Ort ein, dass bestimm­te Über­wei­sun­gen sicher­ge­stellt wer­den müs­sen. Sie geben den Inhaber*innen der Bezahl­kar­ten des­halb die Mög­lich­keit, Über­wei­sun­gen an bestimm­te Empfänger*innen oder Last­schrif­ten per Frei­schal­tung von IBAN-Num­mern zu täti­gen. Die­se so genann­te »White­list« ist auch im bun­des­wei­ten Ver­fah­ren vor­ge­se­hen. Das führt zu einer Ent­las­tung an bestimm­ten Stel­len, aller­dings auch zu einem absur­den Ver­wal­tungs­auf­wand. Bestimm­te Über­wei­sungs­zie­le wie Sprach­kurs­an­bie­ter oder Stadt­kas­sen wer­den »von Amts wegen« in das Über­wei­sungs­sys­tem ein­ge­pflegt, vie­le ande­re aber müs­sen ein­zeln hin­zu­ge­fügt wer­den. In eini­gen Orten müs­sen die Betrof­fe­nen für jede neue Über­wei­sung im Amt vor­stel­lig wer­den, in ande­ren wer­den kom­mu­nal bezahl­te Sozialarbeiter*innen auf­ge­for­dert, in den Unter­künf­ten IBANs, Über­wei­sungs­ziel und ‑zweck von den Betrof­fe­nen abzu­fra­gen. Am Ende ent­schei­den die Ämter in jedem Ein­zel­fall, ob die Über­wei­sung »frei­schal­tungs­wür­dig« ist.

  • Im Land­kreis Ober­all­gäu wen­det sich ein Mann mit sei­nen lau­fen­den Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen an die Sozi­al­be­hör­de. Die Mit­ar­bei­te­rin schal­tet dar­auf­hin eini­ge IBANs frei, erklärt ihm aber, das gin­ge nur rück­wir­kend, für alte Ver­pflich­tun­gen. Er dür­fe kei­ne neu­en Ver­trä­ge abschlie­ßen und es sei­en auch kei­ne Raten­zah­lun­gen möglich.
  • In einer Kom­mu­ne in Sach­sen stellt ein Hin­weis­blatt klar: »In der Regel sind Online-Käu­fe aus­ge­schlos­sen. Aus­nah­men bestehen grund­sätz­lich nur für Ver­trä­ge im öffent­li­chen Nah­ver­kehr oder Mobilfunkverträge.«

Wenn die Sozi­al­be­hör­de eine IBAN auf Bit­te der ein­zel­nen Karteninhaber*innen frei­schal­tet, müs­sen die Betrof­fe­nen gegen­über Ämtern oder Sozialarbeiter*innen ihre per­sön­li­chen, teils sogar beson­ders sen­si­blen und geschütz­ten Daten bloß­le­gen. Bei­spiels­wei­se Ein­kaufs- und Auf­ent­halts­or­te, Leis­tun­gen für medi­zi­ni­sche oder psy­cho­lo­gi­sche Behand­lun­gen oder reli­giö­se Prak­ti­ken. Zum Teil ver­lan­gen Behör­den für die Frei­schal­tung sogar die Vor­la­ge von Rech­nun­gen. Aus Sicht des Bran­den­bur­ger Lan­des­be­auf­trag­ten für Daten­schutz begeg­net ein sol­ches White­list-Ver­fah­ren gra­vie­ren­den daten­schutz­recht­li­chen Beden­ken. Der Ham­bur­gi­sche Daten­schutz­be­auf­trag­te kri­ti­sier­te schon früh mit deut­li­chen Wor­ten die Mög­lich­keit zur Kon­to­ein­sicht durch die Behör­den sowie die feh­len­de Rechts­grund­la­ge zur Offen­le­gung bzw. Ver­wen­dung der AZR-Num­mer (Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter) der Betroffenen.

Auch die Kon­fe­renz der Daten­schutz­auf­sichts­be­hör­den des Bun­des und der Län­der hat – neben ande­rer Kri­tik – fest­ge­hal­ten, dass die Wei­ter­ga­be der AZR-Num­mer an nicht-staat­li­che Stel­len rechts­wid­rig ist. Das geschieht aber regel­mä­ßig, wenn das Pri­vat­un­ter­neh­men, dass die Bezahl­kar­te ver­kauft, Zugriff auf die Num­mer erhält. Über die AZR-Num­mer ist der Zugang zu höchst­per­sön­li­chen und hoch­sen­si­blen Daten mög­lich, das Recht der Betrof­fe­nen auf Schutz der per­sön­li­chen Daten ist hier in Gefahr.

  • Eine Ber­li­ner Anwäl­tin hat einen Man­dan­ten aus dem Mär­kisch-Oder­land-Kreis in Bran­den­burg. Um sei­ne Raten auf­recht erhal­ten zu kön­nen, muss er dem Amt den Anwalts­na­men, Höhe und Erläu­te­run­gen zum Ver­wen­dungs­zweck der monat­li­chen Über­wei­sung ange­ben und per Unter­schrift die Rich­tig­keit der Daten ver­si­chern. Eini­ge Tage spä­ter mel­det sich die Behör­de bei der Anwäl­tin. Sie wird auf­ge­for­dert, dem Amt ihren Man­dats­ver­trag offen zu legen.
  • Im Land­kreis Greiz in Thü­rin­gen sind laut FAQ der Pres­se­stel­le auf der Kar­te neben dem Namen des Nut­zers die per­sön­li­che AZR-Num­mer – offen­bar für jeden sicht­bar (!) – vermerkt.

Ver­schie­dent­lich wird berich­tet, dass die der Bezahl­kar­te zuge­ord­ne­ten Han­dy-Apps feh­ler­haft arbei­ten oder die Tools (noch) nicht funk­tio­nie­ren. Trotz des absur­den Auf­wands, mit dem Land­krei­se eine »White­list« für Über­wei­sun­gen in Aus­nah­me­fäl­len füh­ren, klap­pen Über­wei­sun­gen nicht oder dau­ern zu lange.

  • Um den bestehen­den tech­ni­schen Pro­ble­men zu begeg­nen, muss das baye­ri­sche Sys­tem in ver­schie­de­ner Hin­sicht neu jus­tiert und ange­passt wer­den, wie aus dem Rund­schrei­ben der Staats­re­gie­rung an die Initia­ti­ven hervorgeht.
  • Im Erz­ge­birgs­kreis heißt es wochen­lang, die Über­wei­sungs­wün­sche sei­en gemel­det, dem Kre­dit­in­sti­tut aber feh­le die Funk­ti­on, die­se ein­zu­ar­bei­ten. Der Anbie­ter der Kar­ten und die Behör­de arbei­te­ten dar­an. Wie lan­ge es daue­re, kön­ne nie­mand sagen. Wäh­rend­des­sen wach­sen die Schul­den der Betrof­fe­nen. Eine Ehren­amt­li­che sagt: »Nach außen wird sug­ge­riert, es funk­tio­nie­re alles pri­ma, aber intern geste­hen die Landkreismitarbeiter*innen ein, dass kaum etwas funk­tio­niert und der Auf­wand viel grö­ßer ist als behauptet.«

Vie­ler­orts müs­sen Geflüch­te­te Monat für Monat per­sön­lich im Amt erschei­nen, um über­haupt Leis­tun­gen zu erhal­ten. Eine Arbeits­er­leich­te­rung, die angeb­lich mit der Kar­te ver­bun­den sein soll, ist das kei­nes­wegs. Zudem zah­len die Geflüch­te­ten für die Mel­de­pro­ze­dur auch noch drauf.

  • Die Asyl­su­chen­den im bran­den­bur­gi­schen Land­kreis Mär­kisch Oder­land zum Bei­spiel müs­sen monat­lich in das abge­le­ge­ne Sozi­al­amt rei­sen, um die Bezahl­kar­te vor Ort auf­la­den zu las­sen. Die manu­el­le Auf­la­dung kos­tet den Land­kreis nicht nur Arbeit, son­dern auch zusätz­li­che Gebühren.
  • In Greiz in Thü­rin­gen wird trotz Kar­te der Bar­be­trag wei­ter­hin nur im Amt aus­ge­zahlt, eine Aus­zah­lung per Kar­te ist nicht mög­lich. Der Land­kreis recht­fer­tigt das Ver­fah­ren: Das »per­sön­li­che Erschei­nen der Asyl­su­chen­den zum regu­lä­ren monat­li­chen Aus­zah­lungs­tag gewähr­leis­tet zudem ein erheb­li­ches Maß an Kon­trol­le über den Personenkreis.«
  • Im säch­si­schen Erz­ge­birgs­kreis ver­an­lasst das Amt die Auf­la­dung zwar digi­tal, den­noch müs­sen auch hier die Betrof­fe­nen vor­stel­lig wer­den, um im kom­men­den Monat ver­sorgt zu sein – und zwar bis spä­tes­tens bis zur Monats­mit­te, weil die digi­ta­le Auf­la­dung bis zu zwei Wochen dau­ert. In der Pra­xis funk­tio­niert nicht ein­mal das. Betrof­fe­ne erhal­ten ihre Leis­tun­gen sel­ten pünkt­lich. Und die monat­li­che Fahrt etwa vom säch­si­schen Schwar­zen­berg bis zur Mel­de­stel­le in Anna­berg und zurück kos­tet im ÖPNV 15,60 Euro.

FAZIT: Die Bezahlkarte bedeutet nichts als Ärger, Kosten und Arbeit

Die Bezahl­kar­te bringt für vie­le Betei­lig­te nichts als eine Men­ge Ärger, Kos­ten und Arbeit im All­tag. Sie setzt geflüch­te­te Men­schen viel­fäl­ti­gen Zumu­tun­gen aus, macht Ein­käu­fe unmög­lich oder umständ­lich, ver­ur­sacht zusätz­li­che Gebüh­ren, bringt dro­hen­de Ver­schul­dung und nicht zuletzt Auf­wand in den Behör­den mit sich. Staat­lich bezahl­te Sozialarbeiter*innen müs­sen Fra­gen beant­wor­ten, Zah­lungs­pro­ble­me lösen oder – daten­schutz­wid­rig – pri­va­te Über­wei­sungs­num­mern einsammeln.

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Von der Zivil­ge­sell­schaft orga­ni­sier­te Tausch­ak­ti­on in Ham­burg. Foto: PRO ASYL / Loui­sa Serwuschok

Zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven in Ham­burg, Nürn­berg, Mün­chen und an immer mehr Orten ver­hel­fen Geflüch­te­ten durch Tausch und Bar­geld zum Not­wen­digs­ten, auch der poli­ti­sche Wider­stand der Initia­ti­ven (zum Bei­spiel in Leip­zig) wächst. Nicht zuletzt beschäf­ti­gen sich auch die Ver­wal­tun­gen mit den dis­kri­mi­nie­ren­den Umstän­den einer Bezahl­kar­te. Neben kri­ti­schen Stim­men aus der Ver­wal­tung wie z.B. im Ilm­kreis haben sich Städ­te wie Stein­furt oder Müns­ter zum Nut­zen der Bezahl­kar­te kri­tisch geäu­ßert. Durch die Berück­sich­ti­gung von Ein­zel­fall­be­dar­fen wird der kom­mu­na­le Auf­wand noch anstei­gen, statt zu entlasten.

Die ein­zi­gen Gewin­ner der Bezahl­kar­te sind die Kar­ten­ver­käu­fer und die Kon­zer­ne Visa Inc. oder Mas­ter­Card Inc.

5 Mio.

€ pro­gnos­ti­zier­te Kos­ten für die Bezahl­kar­te in Berlin

366.000

€ kos­te­te die Aus­ga­be von Sozi­al­leis­tun­gen bisher

Die ein­zi­gen Gewin­ner der Bezahl­kar­te sind die Kar­ten­ver­käu­fer und die Kon­zer­ne Visa Inc. oder Mas­ter­Card Inc. Die Kos­ten­last der Bezahl­kar­te – in Ber­lin wer­den Kos­ten von fünf Mil­lio­nen Euro statt wie bis­her 366.000 Euro für die Aus­ga­be der Sozi­al­leis­tung ver­an­schlagt – trägt der Staat.

Rein gar nichts bringt die Bezahl­kar­te dage­gen für Inte­gra­ti­on und ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben. In einer Zeit um sich grei­fen­der poli­ti­scher Pole­mik, von Angrif­fen auf Demo­kra­tie und Ver­fas­sung, wäre das Geld und die Ener­gie, die in die Bezahl­kar­te flie­ßen, wesent­lich bes­ser in Inte­gra­ti­ons­po­li­tik und Demo­kra­tie­för­de­rung ange­legt. Oder in Inves­ti­tio­nen im Bereich Schu­le und Woh­nen. PRO ASYL appel­liert an Län­der und Kom­mu­nen, den Unsinn mit der Bezahl­kar­te zu stoppen.

(ak)