06.10.2011
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Will mit dem libyschen Übergangsrat fortsetzen, was er einst mit Diktator Gaddafi einfädelte: Italiens Außenminister Franco Frattini (PDL). Foto: flickr / Guiseppe Nicoloro <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/">(CC BY-NC-SA 2.0)</a>

Nach dem arabischen Frühling versuchen EU-Staaten ihre Kooperation mit den Staaten Nordafrikas wieder aufzunehmen. Das Ziel lautet nach wie vor: Flüchtlinge abwehren.

Jah­re­lang hat­te Euro­pa mit den dik­ta­to­ri­schen Regi­men der Mit­tel­meer­an­rai­ner­staa­ten zusam­men­ge­ar­bei­tet: Die kor­rup­ten Regie­run­gen der nord­afri­ka­ni­schen Staa­ten beka­men tech­ni­sche Aus­rüs­tung für die Kon­trol­le der Gren­zen, finan­zi­el­le Hil­fen und poli­ti­sche Aner­ken­nung. Dafür hiel­ten sie Flücht­lin­ge aus ande­ren Staa­ten sowie eige­ne Staats­bür­ger von der Fahrt nach Euro­pa ab.

Seit den Umstür­zen in der Regi­on ist die Koope­ra­ti­on teils zum Erlie­gen gekom­men: Der Bür­ger­krieg in Liby­en und die Revo­lu­ti­on in Tune­si­en sorg­ten dafür, dass dort Boo­te mit Flücht­lin­gen und Migran­ten nach Euro­pa able­gen konn­ten. Doch die Bemü­hun­gen von Sei­ten Ita­li­ens und der Euro­päi­schen Uni­on, die Zusam­men­ar­beit mit den nord­afri­ka­ni­schen Staa­ten zum Zweck der Flucht- und Migra­ti­ons­ver­hin­de­rung wie­der­her­zu­stel­len, lau­fen bereits auf Hochtouren.

Bereits im April 2011 gelang es Ita­li­en, ein Rück­über­nah­me­ab­kom­men mit der tune­si­schen Über­gangs­re­gie­rung zu schlie­ßen – die in Ita­li­en ankom­men­den tune­si­schen Boots­flücht­lin­ge sol­len so schnell wie mög­lich wie­der abge­scho­ben wer­den. Im Juni folg­te ein Abkom­men zur Bekämp­fung irre­gu­lä­rer Migra­ti­on mit dem liby­schen Über­gangs­rat. Inte­rims­re­gie­rungs­chef Mah­moud Jibril beton­te, dass der Über­gangs­rat frü­he­re Abkom­men Liby­ens mit Ita­li­en respek­tie­ren wer­de. Außen­mi­nis­ter Fran­co Frat­ti­ni stat­te­te der liby­schen Über­gangs­re­gie­rung am 30. Sep­tem­ber erneut einen Besuch ab, um über die Reak­ti­vie­rung des ita­lie­nisch-liby­schen Freund­schafts­ab­kom­mens von 2008 zu ver­han­deln, das vor allem auf Migra­ti­ons- und Flucht­ab­wehr zielt.

Auch die EU bekräf­tig­te in unter­schied­li­chen Stel­lung­nah­men, dass die Koope­ra­ti­on mit den süd­li­chen Mit­tel­meer­an­rai­ner­staa­ten drin­gend inten­si­viert wer­den müs­se. Ins­be­son­de­re die Absicht, mit Tune­si­en eine soge­nann­te Mobi­li­täts­part­ner­schaft abzu­schlie­ßen, wur­de mehr­fach betont. Inte­gra­ler Bestand­teil die­ser „Part­ner­schaf­ten“ ist die Zusam­men­ar­beit bei der Migra­ti­ons­kon­trol­le. Außer­dem kün­dig­te der Aus­schuss für Aus­wär­ti­ge Ange­le­gen­hei­ten des Euro­päi­schen Par­la­ments bereits Mit­te März 2011 an, die Ver­hand­lun­gen über ein Rah­men­ab­kom­men mit Liby­en fort­zu­set­zen, sobald eine neue Regie­rung im Amt sei.

In Tune­si­en scheint jedoch klar, dass die Wei­ter­füh­rung der Abschot­tungs­po­li­tik Euro­pas die Errun­gen­schaf­ten der demo­kra­ti­schen Revo­lu­tio­nen gefähr­den. Meh­di Mab­rouk, ein Migra­ti­ons­for­scher aus Tunis, meint: „Die tief lie­gen­den Grün­de der tune­si­schen Revo­lu­ti­on sind sozia­le: Die Arbeits­lo­sig­keit und die pre­kä­re Lage der Jugend­li­chen. Migran­tin­nen und Migran­ten nicht zu akzep­tie­ren, ist eine expli­zi­te und impli­zi­te Sank­ti­on gegen die tune­si­sche Revo­lu­ti­on. Und das im Wis­sen, dass die EU den Dik­ta­tor groß­zü­gig finan­ziert hat.“

Wenn Euro­pa den demo­kra­ti­schen Wan­del in Nord­afri­ka tat­säch­lich aner­ken­nen und unter­stüt­zen sowie die vie­len töd­li­chen Tra­gö­di­en im Mit­tel­meer been­den will, muss es aus Sicht von PRO ASYL sei­ne Flücht­lings- und Migra­ti­ons­po­li­tik von Grund auf ändern. Dazu gehö­ren  auch Ausbildungs‑, und Stu­di­en­plät­ze in Euro­pa und lega­le Migra­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Die Staa­ten im Umbruch dür­fen nicht zu „Tür­ste­hern Euro­pas“ degra­diert werden.

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