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„Revision“ – Die Anonymität der Toten an Europas Grenzen
Die filmische Dokumentation rekonstruiert einen Kriminalfall um zwei rumänische Flüchtlinge, die im Nirgendwo des deutschen Grenzgebiets tot aufgefunden wurden.
Mecklenburg-Vorpommern, Juni 1992. Auf einem Feld in der Nähe der Grenze zu Polen finden Vorbeikommende die Leichen zweier Männer, erschossen. Die Polizei wird später zwei Jäger dafür verantwortlich machen, die behaupten, sie hätten die Männer für Wildschweine gehalten. Der Zwischenfall ereignet sich zwei Monate vor den Überfällen in Rostock-Lichtenhagen.
Die beiden Getöteten sind die Flüchtlinge Grigore Velcu und Eudache Caldera. Sie gehören der Roma-Minderheit in Rumänien an. Einer von ihnen befindet sich auf der Rückkehr zu seiner Familie, die in einer Unterkunft für Asylsuchende bei Rostock lebt. Nach der Schändung des Grabes seiner Mutter in Deutschland hat er in Rumänien Papiere für die Überführung ihres Leichnams besorgt.
Rätselhafte Todesumstände
Erst sieben Jahre später fällt ein Gericht das Urteil über die beiden Jäger: Freispruch. Filmemacher Philip Scheffner erfährt bei seinen Recherchen: Das Feld, in dem die beiden Flüchtlinge erschossen wurden, brennt nur Stunden nach der Tat aus. Einer der beiden Männer war möglicherweise noch am Leben, als die Täter sich davon machten.
Doch die Ermittlungen werden schlampig geführt. Die Angehörigen der Toten werden nicht angehört. Erst 20 Jahre später erfahren sie durch den Berliner Filmemacher Näheres über die Todesumstände von Grigore Velcu und Eudache Caldera, und dass es den Prozess gegeben hat.
Was ist die Geschichte der beiden Männer? Warum starben sie? Es sind Fragen, auf die angesichts der mehr als 18 000 Menschen, die zwischen 1988 und 2012 an Europas Außengrenzen starben, eine Antwort aussteht. „Revision“ ist ein Film über ein kollektives Verschweigen und eine kollektive Unterlassung von Hilfe, von Nachforschungen, wie sie auch heute jeden Tag an den Außengrenzen Europas stattfindet.
Täglich Tote an Europas Außengrenzen
Täglich sterben Menschen bei dem Versuch, vor Elend und Verfolgung nach Europa zu fliehen. Sie sterben am Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla. Sie sterben auf Minenfeldern vor der griechisch-türkischen Grenze. Die immer stärkere Abschottung der Grenzen Europas zwingt Flüchtlinge auf immer gefährlichere Wege. Allein 2011 starben mehr als 2500 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Ihre Namen, ihre Geschichten bleiben in Europa unbekannt.
„Revision“ wirkt durch alle Erzählebenen hindurch wie ein Brennglas, das sich auf den menschenverachtenden Umgang mit Asylsuchenden richtet und den Rassismus im Umgang mit ihnen auf schmerzhafte Weise sichtbar macht. Der Film beschäftigt sich mit einem Vorgang von vor 20 Jahren. Doch bei den Gesprächen des Regisseurs mit den Angehörigen der Toten tritt eine Ignoranz der Öffentlichkeit in Deutschland zu Tage, die an die Ermittlungen gegen den NSU erinnert, bei denen Opfer zu Tätern gemacht wurden.
Philip Scheffner versucht mit seinem Film, den vermeintlich namenlosen Gestorbenen und ihren Familien einen Platz in der Geschichtsschreibung zu geben.
Der Film „Revision“ wird am 21. September 2012 um 20.30 Uhr im Filmforum Höchst gezeigt. PRO ASYL lädt zu einem anschließenden Gespräch mit den Regisseur ein.
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