15.07.2014
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Am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht das seit 1993 geltende Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Jahrelang hatten Verbände und Initiativen gegen die Mangelversorgung protestiert.

Vor zwei Jahren wurden die Asylbewerberleistungen für verfassungswidrig erklärt. Nun liegt ein neuer Gesetzesentwurf vor. Zwar soll es Verbesserungen geben, allerdings bleibt es bei der medizinischen Mangelversorgung, dem Sachleistungsprinzip und den verfassungswidrigen Leistungskürzungen.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hat­te am 18. Juli 2012 klar­ge­stellt, dass das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz gegen das Grund­recht auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum ver­stößt. Die Leis­tun­gen waren seit 1993 nicht erhöht wor­den. Die Höhe von damals 225 Euro sei „evi­dent unzu­rei­chend“, erklär­ten die Ver­fas­sungs­rich­ter und for­mu­lier­ten die Maxi­me, „die Men­schen­wür­de ist mir­ga­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren“. Seit­her ist eine von den Rich­tern ver­ord­ne­te Über­gangs­re­ge­lung in Kraft, die an die Hartz-IV-Leis­tun­gen ange­lehnt ist.

Nun liegt ein Gesetz­ent­wurf vor, mit dem das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz den Vor­ga­ben der Ver­fas­sungs­rich­ter ange­passt wer­den soll. Nach der Som­mer­pau­se soll der Ent­wurf im Bun­des­tag beschlos­sen wer­den. PRO ASYL setzt sich zusam­men mit den Kir­chen, Wohl­fahrts­ver­bän­den und den Gewerk­schaf­ten für eine Abschaf­fung des Asyl­bLG ein. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les will dage­gen nur eine Mini­mal­lö­sung umset­zen. PRO ASYL hat letz­te Woche eine Stel­lung­nah­me zu dem Ent­wurf  eingereicht.

Anhe­bung der Leis­tun­gen aber das Sach­leis­tungs­pin­zip bleibt

Der Ent­wurf sieht eine Erhö­hung der Leis­tun­gen vor, die­se lie­gen aller­dings unter Hartz-IV Niveau. Bei  einem allein­ste­hen­den Erwach­se­nen beläuft sich die Dif­fe­renz auf 40 Euro. Zudem soll das Sach­leis­tungs­prin­zip bei­be­hal­ten wer­den. Damit kön­nen Flücht­lin­ge wei­ter­hin vor­ran­gig in Sam­mel­la­gern statt Pri­vat­woh­nun­gen unter­ge­bracht wer­den und die dis­kri­mi­nie­ren­de Man­gel­ver­sor­gung mit Essens­pa­ke­ten oder Wert­gut­schei­nen wird wei­ter­hin mög­lich sein. Dies ist umso unver­ständ­li­cher, da das BMAS selbst auf die kos­ten­güns­ti­ge­ren Bar­geld­leis­tun­gen hin­ge­wie­sen hat. Zudem zei­gen posi­ti­ve Bei­spie­le wie in Lever­ku­sen oder Leip­zig, dass eine Unter­brin­gung in Pri­vat­woh­nun­gen die Situa­ti­on für Flücht­lin­ge deut­lich ver­bes­sert, loka­le Kon­flik­te ver­mie­den wer­den und die Stadt­kas­se ent­las­tet wird. 

Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen nur noch für ein Jahr?

Es ist geplant, dass Per­so­nen, die unter das Asyl­bLG fal­len und seit einem Jahr in Deutsch­land leben, Sozi­al­hil­fe gewährt wird. Bis­her muss­te vier Jah­re gewar­tet wer­den. Die­se Ver­kür­zung ist begrü­ßens­wert, aber weder aus­rei­chend noch mit den Vor­ga­ben des Ver­fas­sungs­ge­richts ver­ein­bar. Das BVerfG hat­te die ver­min­der­ten Leis­tun­gen für Asyl­be­wer­ber allen­falls für einen „Kurz­auf­ent­halt“ für recht­mä­ßig erklärt. Ein Zeit­raum von einem Jahr über­schrei­tet dies deut­lich. Von der Sozi­al­hil­fe aus­ge­schlos­sen bleibt zudem grund­sätz­lich, wer „die Dau­er des Auf­ent­halts rechts­miss­bräuch­lich selbst beein­flusst hat“. Dies betrifft zum Bei­spiel gedul­de­te Flücht­lin­ge, die zwar nicht abge­scho­ben wer­den, bei denen aber ange­nom­men wird, dass sie „frei­wil­lig“ aus­rei­sen könn­ten.  Ein gro­ßer Teil der knapp 90.000 Gedul­de­ten dürf­te damit wei­ter­hin dau­er­haft nur Asyl­bLG-Leis­tun­gen erhalten

Ver­bes­se­run­gen für Per­so­nen mit Aufenthaltserlaubnis

Per­so­nen mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach §25 Abs. 5, bei­spiels­wei­se Men­schen die wegen einer Erkran­kung nicht zurück­keh­ren kön­nen, sol­len in Zukunft Hartz-IV erhal­ten. Wei­ter­hin soll es jedoch Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen für Opfer von Men­schen­han­del und bestimm­te Grup­pen von Bür­ger­kriegs­flücht­lin­gen geben, so etwa syri­sche Flücht­lin­ge, die über Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me Schutz gefun­den haben. Es ist bereits völ­lig inak­zep­ta­bel, dass sowohl Asyl­su­chen­den als auch Gedul­de­ten eine gleich­be­rech­tig­te Ver­sor­gung und ver­schie­de­ne Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­te, bei­spiels­wei­se bestimm­te Leis­tun­gen zur Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on, ver­wei­gert wer­den. Lan­ge Dul­dungs­zei­ten und die Dau­er der Asyl­ver­fah­ren zei­gen, dass es sich nicht um Kurz­zeit­auf­ent­häl­ti­ge im Sin­ne der Vor­ga­ben der Ver­fas­sungs­rich­ter han­delt. Bei Per­so­nen mit einer Auf­ent­halts­er­laub­nis ist dies noch offensichtlicher.

Nöti­gung zur „frei­wil­li­gen Aus­rei­se“ durch Leistungskürzungen 

Es ist vor­ge­se­hen, dass die Leis­tun­gen wei­ter­hin auf das zum Über­le­ben Nötigs­te gekürzt wer­den kön­nen. Dies ist regel­mä­ßig der Fall, wenn gedul­de­te Flücht­lin­ge kei­nen Pass bei der Aus­län­der­be­hör­de abge­ben. Die Fol­ge: Sank­ti­on durch Leis­tungs­kür­zung. PRO ASYL – wie auch ver­schie­de­ne Lan­des­so­zi­al­ge­rich­te – sieht die Rege­lung als ver­fas­sungs­wid­rig an. Sie ver­stößt gegen die Pflicht des Staa­tes, ein men­schen­wür­di­ges Leben sicher­zu­stel­len. Die Ver­fas­sungs­rich­ter hat­ten klar­ge­stellt, dass Flücht­lin­gen ein sozio­kul­tu­rel­les Exis­tenz­mi­ni­mum zusteht, dies dür­fe nicht aus migra­ti­ons­po­li­ti­schen Erwä­gun­gen ein­ge­schränkt wer­den. Doch genau dies ist der Fall: Gedul­de­te Flücht­lin­ge sol­len durch Leis­tungs­kür­zun­gen zur „frei­wil­li­gen Aus­rei­se“ genö­tigt werden.

Bei­be­hal­tung der medi­zi­ni­schen Notversorgung

Flücht­lin­ge sol­len auch wei­ter­hin kei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung erhal­ten. Die medi­zi­ni­sche Not­ver­sor­gung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes soll auch künf­tig auf­recht erhal­ten blei­ben. Nur bei „aku­ten Erkran­kun­gen und Schmerz­zu­stän­den“ soll eine Behand­lung geneh­migt wer­den. Flücht­lin­gen wer­den auf die­ser Basis etwa Psy­cho­the­ra­pien, Prä­ven­tiv­be­hand­lun­gen durch Fach­ärz­te, bestimm­te Medi­ka­men­te, Heil- und Hilfs­mit­tel wie Bril­len oder Krü­cken ver­wei­gert. Flücht­lin­ge in Lagern bekom­me immer wie­der ledig­lich Schmerz­mit­tel, ohne dass eine Dia­gno­se und eine spe­zi­fi­sche Behand­lung statt­fin­den. Sehr häu­fig sind zudem umständ­li­che Pro­ze­du­ren nötig, um einen Kran­ken­schein zu erhal­ten. Hier­durch kommt es zu erheb­li­chen Ver­zö­ge­run­gen bei der ärzt­li­chen Ver­sor­gung und zu Fäl­len unter­las­sen­der Hil­fe­leis­tung, denen das Gesetz Vor­schub leistet.

Stel­lung­nah­me von PRO ASYL zum Ent­wurf eines Geset­zes zur Ände­rung des
Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes und des Sozialgerichtsgesetzes

Wei­te­re Stel­lung­nah­men zum Gesetzesentwurf:

Stel­lung­nah­me des Flücht­lings­rat Ber­lin
Stel­lung­nah­me des Deut­schen Anwalts­ver­eins
Stel­lung­nah­me der Ver­ei­ni­gung demo­kra­ti­scher Juris­tin­nen und Juris­ten
Stel­lung­nah­me des Bun­des­wei­ten Koor­di­nie­rungs­kreis gegen Men­schen­han­del
Stel­lung­nah­me der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft der Frei­en Wohl­fahrts­pfle­ge
Stel­lung­nah­me der Bun­des­ärz­te­kam­mer