18.06.2024
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Video-Standbilder, die zeigen, dass die spanischen Agenten, die auf den um 9.44 Uhr gefilmten Bildern zu sehen sind, die Gewalt sehen konnten, der die Geflüchteten in dem von Marokko kontrollierten Innenhof ausgesetzt waren. 3D-Rekonstruktion des Grenzpostens v. Lighthouse Reports / Border Forensics, 2024.

Zwei Jahre nach dem rassistischen Massaker vom 24. Juni 2022 am Grenzzaun zwischen der marokkanischen Stadt Nador und der spanischen Enklave Melilla legt die PRO ASYL Partnerorganisation Border Forensics neue Beweise für die Verantwortung spanischer und marokkanischer Behörden für den Tod und die Verletzungen zahlreicher Schutzsuchender vor.

Am 24. Juni 2022 ver­such­ten rund 2.000 Men­schen, unter ande­rem aus dem Sudan und Süd­su­dan, die Gren­ze zwi­schen der marok­ka­ni­schen Stadt Nador zu der spa­ni­schen Enkla­ve Mel­il­la zu über­win­den – vie­le mit dem Ziel, einen Asyl­an­trag stel­len zu kön­nen. Dabei gin­gen marok­ka­ni­sche und spa­ni­sche Grenzbeamt*innen mit bru­ta­ler Gewalt gegen sie vor – am Ende wur­den Tote und Schwer­ver­letz­te über­ein­an­der gewor­fen und stun­den­lang auf dem Boden lie­gen gelassen.

Laut marok­ka­ni­schen Behör­den wur­den 23 Todes­fäl­le regis­triert. Die Marok­ka­ni­sche Ver­ei­ni­gung für Men­schen­rech­te (AMDH) geht jedoch von min­des­tens 27 Toten sowie mehr als 70 bis heu­te ver­miss­ten Men­schen aus. Es könn­ten also mehr als 100 Men­schen getö­tet wor­den sein, ohne dass die Schul­di­gen zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wur­den. In Spa­ni­en wur­de das Ereig­nis als »Mel­il­la Mas­sa­ker« bekannt.

Gemein­sam mit den Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen der Toten und Ver­miss­ten for­dern Bor­der Foren­sics und PRO ASYL umfas­sen­de Auf­klä­rung und Gerech­tig­keit. Die Behör­den auf bei­den Sei­ten der Gren­ze müs­sen für die­sen staat­li­chen Gewalt­ex­zess zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Doch spa­ni­sche und marok­ka­ni­sche Behör­den haben bis heu­te kei­ne ernst­haf­ten Ver­su­che unter­nom­men, das Blut­bad auf­zu­klä­ren. Statt­des­sen haben sie ver­hin­dert, dass unab­hän­gi­ge Ermittler*innen Zugang zu wich­ti­gen Bewei­sen erhalten.

Border Forensics: Detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse

Die Inves­ti­ga­tiv-Orga­ni­sa­ti­on Bor­der Foren­sics füllt die­se Auf­klä­rungs­lü­cke. Nach ein­jäh­ri­ger inten­si­ver Recher­che zu den Ereig­nis­sen von vor zwei Jah­ren ver­öf­fent­licht sie heu­te ihren eige­nen unab­hän­gi­gen Unter­su­chungs­be­richt. Der Bericht »The Nador-Mel­il­la Bor­der Trap« (Deutsch: »Die Grenz­fal­le Nador-Mel­il­la«) geht der Fra­ge nach, wie es am 24. Juni 2022 zu die­sem mas­si­ven Gewalt­ex­zess kam. PRO ASYL hat den Bericht mitfinanziert.

Für die Rekon­struk­ti­on setzt Bor­der Foren­sics auf moder­ne Metho­den der visu­el­len, räum­li­chen und sta­tis­ti­schen Ana­ly­se. Unter­schied­li­che Beweis­stü­cke wur­den zuein­an­der in Bezie­hung gesetzt, ins­be­son­de­re die in Marok­ko und Spa­ni­en gesam­mel­ten Zeug*innenaussagen von Über­le­ben­den, Satel­li­ten­bil­der, offi­zi­el­le Doku­men­te und zahl­rei­che Fotos und Vide­os, die von unter­schied­li­chen Akteur*innen auf­ge­nom­men wur­den. Das Ergeb­nis ist eine Kar­tie­rung der Pha­sen des Mas­sa­kers vom 24. Juni 2022.

Die bis­lang umfas­sends­te Rekon­struk­ti­on der Ereig­nis­se lie­fert neue Bewei­se für die Ver­ant­wor­tung spa­ni­scher und marok­ka­ni­scher Behör­den sowie der Euro­päi­schen Uni­on, die die­se poli­tisch und finan­zi­ell unter­stützt, für den Tod und die Ver­let­zun­gen zahl­rei­cher Schutzsuchender.

Die foren­si­sche Ana­ly­se zeigt, dass die vie­len Toten und Ver­mis­sen nicht die Fol­ge eines Unfalls sind.

Kein Unfall: Grenzposten wird zur tödlichen Falle 

Die foren­si­sche Ana­ly­se zeigt, dass die vie­len Toten und Ver­mis­sen nicht die Fol­ge eines Unfalls sind. Im Gegen­teil: Marok­ka­ni­sche Grenzbeamt*innen lie­ßen am 24. Juni 2022 bewusst zu, dass Schutz­su­chen­de sich der Gren­ze näher­ten, um die­se dann unter Andro­hung von Gewalt zum Grenz­über­gang Bar­rio-Chi­no zu drän­gen – Bor­der Foren­sics spricht von einer regel­rech­ten »Stra­te­gie«.

Der Vergleich zwischen den Satellitenbildern vom 16. und 23. Juni 2022 zeigt den Einsatz von Militärfahrzeugen, Bussen, Zelten und anderer Ausrüstung. Satellitenbilder, aufgenommen um 10:59 UTC am 16. Juni 2022 und um 11:09 UTC am 23. Juni 2022. Google Earth Bild ©2022 Maxar Technologies.
Der Ver­gleich zwi­schen den Satel­li­ten­bil­dern vom 16. und 23. Juni 2022 zeigt den Ein­satz von Mili­tär­fahr­zeu­gen, Bus­sen, Zel­ten und ande­rer Aus­rüs­tung. Satel­li­ten­bil­der, auf­ge­nom­men um 10:59 UTC am 16. Juni 2022 und um 11:09 UTC am 23. Juni 2022. Goog­le Earth Bild ©2022 Maxar Technologies.

Ein­ge­kes­selt, und ohne eine Mög­lich­keit, den Innen­hof des Grenz­pos­tens wie­der zu ver­las­sen, waren die Schutz­su­chen­den stun­den­lang der Gewalt marok­ka­ni­scher und spa­ni­scher Grenzbeamt*innen aus­ge­setzt, die unter ande­rem Stei­ne, Schlag­stö­cke und Gum­mi­ge­schos­se ein­set­zen. Eini­ge ver­such­ten, der bru­ta­len Gewalt zu ent­kom­men, indem sie den bis zu 10 Meter hohen Zaun hin­auf­klet­ter­ten, vie­le von ihnen fie­len her­un­ter und ver­letz­ten sich schwer.

Die Unter­su­chung nennt drei Grün­de, die dazu führ­ten, dass der Bar­rio-Chi­no-Grenz­pos­ten zu einer töd­li­chen Fal­le wur­de und vie­le Men­schen star­ben: der inten­si­ve Ein­satz von Trä­nen­gas auf engs­tem Raum, Schlä­ge durch marok­ka­ni­sche Grenzbeamt*innen und die kol­lek­ti­ve Panik beim Ver­such des Grenzübertritts.

Verantwortung marokkanischer und spanischer Behörden für Gewaltexzess 

Durch die Zeug*innenaussagen von Über­le­ben­den des Mas­sa­kers wird deut­lich, dass die meis­ten Todes­fäl­le auf die extre­me phy­si­sche Gewalt durch marok­ka­ni­sche Grenzbeamt*innen zurück­zu­füh­ren sind. Vie­le der Täter beschimpf­ten ihre Opfer wäh­rend­des­sen zudem ras­sis­tisch. Doch anstatt die für das Mas­sa­ker Ver­ant­wort­li­chen zu ermit­teln, nutzt Marok­ko das eige­ne Jus­tiz­sys­tem, um Über­le­ben­de in ihren Rech­ten zu beschnei­den und zu kri­mi­na­li­sie­ren: Meh­re­re Dut­zend Men­schen, die der Gewalt aus­ge­setzt waren, wur­den selbst wegen angeb­li­cher Gewalt­ta­ten und ande­rer Ver­ge­hen zu Haft­stra­fen verurteilt.

Der Bericht zeigt, dass auch spa­ni­sche Sicher­heits­kräf­te an dem Tag zahl­rei­che Gewalt­ta­ten und Rechts­ver­let­zun­gen began­gen haben, etwa indem sie auf­ge­grif­fe­ne Schutz­su­chen­de unmensch­lich und ernied­ri­gend behan­delt haben. Die jetzt vor­lie­gen­den Ergeb­nis­se der Unter­su­chung offen­ba­ren zudem, dass spa­ni­sche Grenzbeamt*innen Schutz­su­chen­de zurück nach Marok­ko gedrängt haben, obwohl sie wuss­ten, dass die­se dort extre­mer Gewalt aus­ge­setzt sein würden.

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Die Mög­lich­keit, einen Asyl­an­trag zu stel­len, wur­de ihnen de fac­to ver­wehrt – ein Ver­stoß gegen inter­na­tio­na­les Recht. Die spa­ni­sche Staats­an­walt­schaft hat halb­her­zi­ge Ermitt­lun­gen zu mög­li­chen Ver­stö­ßen durch spa­ni­sche Grenzbeamt*innen noch im Jahr 2022 eingestellt.

Der Bericht rekon­stru­iert dar­über hin­aus, dass die meis­ten Men­schen in dem von Marok­ko kon­trol­lier­ten Hof des Grenz­pos­tens gestor­ben sind. Die­ser befin­det sich jedoch – anders, als in offi­zi­el­len Dar­stel­lun­gen behaup­tet – auf spa­ni­schem Territorium.

3D-Rekonstruktion des Grenzpostens v. Lighthouse Reports. Border Forensics, 2024.
3D-Rekon­struk­ti­on des Grenz­pos­tens v. Light­house Reports. Bor­der Foren­sics, 2024.

Anti-Schwarzer Rassismus: Zugang zu Asylverfahren de facto versperrt

Laut einem Bericht der spa­ni­schen Staats­an­walt­schaft gelang es am 24. Juni 2022 von den fast 2.000 Per­so­nen, die ver­such­ten, den Grenz­zaun zu über­que­ren, nur 134 Men­schen, nach Mel­il­la ein­zu­rei­sen und Asyl zu bean­tra­gen. Meh­re­re Hun­der­te Schutz­su­chen­de wur­den, obwohl sie den Grenz­zaun bereits über­quert hat­ten, von spa­ni­schen und marok­ka­ni­schen Beamt*innen ohne indi­vi­du­el­le Ver­fah­ren umge­hend zurück­ge­scho­ben – eine rechts­wid­ri­ge Pra­xis, die »hot returns« genannt wird, und lei­der längst All­tag an der spa­nisch-marok­ka­ni­schen Gren­ze ist. Sofor­ti­ge kol­lek­ti­ve Abschie­bun­gen an der Gren­ze, bei denen Schutz­er­su­chen igno­riert wer­den, ver­sto­ßen unter ande­rem gegen das Non-Refou­le­ment-Gebot, das in meh­re­ren euro­päi­schen und inter­na­tio­na­len Kon­ven­tio­nen ver­brieft ist.

»Ver­such ‚Asyl‘ zu sagen, wenn du inmit­ten einer Wol­ke aus Schüs­sen und Trä­nen­gas stehst.«

Geflüch­te­ter bei einer Demo nach dem Massaker

Schwar­zen Geflüch­te­ten in Marok­ko wird der Zugang zu Asyl­ver­fah­ren in der Euro­päi­schen Uni­on de fac­to ver­sperrt. Denn wegen der mas­si­ven Repres­sio­nen gegen Schwar­ze Men­schen in der Grenz­re­gi­on ist es ihnen in der Pra­xis unmög­lich, sich dem Grenz­über­gang namens Beni-Ensar zu nähern, an dem das Stel­len eines Asyl­an­trags theo­re­tisch mög­lich sein soll­te. Ihnen blei­ben in der Regel nur drei Mög­lich­kei­ten, die größ­ten­teils lebens­ge­fähr­lich sind: Mit einem Boot die Über­fahrt über das Mit­tel­meer wagen, sich in Fahr­zeu­gen ver­ste­cken, um über den Grenz­pos­ten zu gelan­gen, oder über den bis zu 10 Meter hohen Grenz­zaun klet­tern, wie dies am 24. Juni 2022 gesche­hen ist.

Kontinuität der Gewalt in der Grenzregion Nador-Melilla

Eine Stär­ke der Unter­su­chung liegt dar­in, dass Bor­der Foren­sics nicht bei der detail­lier­ten Rekon­struk­ti­on der Ereig­nis­se vom 24. Juni 2022 ste­hen bleibt, son­dern auch die struk­tu­rel­len Bedin­gun­gen in den Blick nimmt, die das Mas­sa­ker erst ermög­lich­ten: etwa die kolo­ni­al gepräg­te Situa­ti­on an der Gren­ze Nador-Mel­il­la, die euro­päi­sche und spa­ni­sche Exter­na­li­sie­rung der Grenz­kon­trol­le, die Migra­ti­ons­di­plo­ma­tie zwi­schen Spa­ni­en, Marok­ko und der EU in den Mona­ten vor dem 24. Juni, die Grenz­ar­chi­tek­tur, den all­täg­li­chen Anti-Schwar­zen Ras­sis­mus und die Straf­lo­sig­keit für die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ins­be­son­de­re gegen Schwar­ze Men­schen ver­üb­te Gewalt im Grenzgebiet.

Zugleich wird auch die Gewalt ana­ly­siert, der Über­le­ben­de des 24. Juni sowie die Fami­li­en der Opfer fast zwei Jah­re nach dem Ereig­nis wei­ter­hin aus­ge­setzt sind. Bis heu­te sind vie­le Tote und Ver­miss­te nicht iden­ti­fi­ziert und Fami­li­en der Opfer wer­den mas­siv bei Ver­su­chen behin­dert, ihre Ange­hö­ri­gen aus­fin­dig zu machen. Zudem wur­den Über­le­ben­de, vie­le von ihnen suda­ne­si­sche Asyl­su­chen­de, von der marok­ka­ni­schen Jus­tiz ver­folgt und in unfai­ren Ver­fah­ren ohne Beweis­grund­la­ge verurteilt.

»Unse­re Rekon­struk­ti­on der Ereig­nis­se bestä­tigt auf erschre­cken­de Wei­se die Ana­ly­se der Black Stu­dies, wonach „der Schwar­ze Tod kein Ereig­nis, son­dern ein Kon­ti­nu­um ist.«

Bor­der Forensics

Zwangsumsiedlungen und verweigerte Gesundheitsversorgung

Bereits unmit­tel­bar nach dem Mas­sa­ker setz­te sich die Gewalt fort, als marok­ka­ni­sche Behör­den Hun­der­te zum Teil schwer ver­letz­te Über­le­ben­de – unter ande­rem mit Kno­chen­brü­chen, einem ver­lo­re­nen Auge oder stark blu­tend – unter Anwen­dung mas­si­ver Gewalt mit Bus­sen in ver­schie­de­ne Regio­nen Marok­kos zwangs­um­sie­del­ten und dort ohne jede Ver­sor­gung zurückließen.

Über­le­ben­de berich­ten, dass eini­ge Schutz­su­chen­de noch wäh­rend der stun­den­lan­gen Bus­fahr­ten star­ben oder weni­ge Tage spä­ter ihren Ver­let­zun­gen erla­gen. Trotz zum Teil lebens­be­droh­li­cher Wun­den wur­de vie­len Über­le­ben­den der Zugang zu marok­ka­ni­schen Kran­ken­häu­sern und Gesund­heits­diens­ten ver­wehrt bezie­hungs­wei­se erschwert.

Für umfassende Aufklärung und ein Ende der Grenzgewalt

Das Mas­sa­ker von Nador-Mel­il­la zählt auf­grund der mas­si­ven phy­si­schen Gewalt, der ras­sis­ti­schen und ent­mensch­li­chen­den Taten und der gro­ßen Zahl an Toten und Ver­schwun­de­nen zu den schwers­ten Ver­bre­chen, die in den letz­ten Jahr­zehn­ten an den euro­päi­schen Gren­zen ver­übt wur­den. Gleich­zei­tig steht der 24. Juni 2022 für die seit Jah­ren zuneh­men­de Bru­ta­li­sie­rung des Grenz­schut­zes sowie die Nor­ma­li­sie­rung der im Namen der Abschot­tungs­po­li­tik began­ge­nen Rechtsverletzungen.

Gedenkfeier von Überlebenden, Border Forensics
Gedenk­fei­er von Über­le­ben­den, Bor­der Forensics 

Gemein­sam mit den Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen der Toten und Ver­miss­ten for­dern Bor­der Foren­sics und PRO ASYL umfas­sen­de Auf­klä­rung und Gerech­tig­keit. Die Behör­den auf bei­den Sei­ten der Gren­ze müs­sen für die­sen staat­li­chen Gewalt­ex­zess zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den, die Straf­lo­sig­keit muss ein Ende haben. Die inhaf­tier­ten Über­le­ben­den müs­sen aus den Gefäng­nis­sen ent­las­sen und die Toten und Ver­miss­ten identifiziert .

»Es muss end­lich Gerech­tig­keit geben, die jun­gen Men­schen müs­sen aus den Gefäng­nis­sen ent­las­sen und die Ver­miss­ten müs­sen iden­ti­fi­ziert werden.[…]«

Mousta­pha Ali Ibra­him, Über­le­ben­der des Massakers

Mit der neu­en Stu­die schafft Bor­der Foren­sics nun die Grund­la­ge für Kla­gen. Es ist zu hof­fen, dass  Über­le­ben­de sowie die Fami­li­en der Ver­stor­be­nen und Ver­schwun­de­nen Spa­ni­en und Marok­ko wegen der Gewalt­tä­tig­keit, den For­men der Inhaf­tie­rung und dem Feh­len von ernst­zu­neh­men­den Ermitt­lun­gen vor Gericht brin­gen wer­den. PRO ASYL wird auch in Zukunft an der Sei­te der Über­le­ben­den stehen.

(hk)

Die inter­na­tio­na­le Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on Bor­der Foren­sics mit Sitz in Genf wur­de 2021 als Inves­ti­ga­tiv-Agen­tur gegrün­det. Mit inno­va­ti­ven Metho­den der räum­li­chen und visu­el­len Ana­ly­se unter­su­chen und doku­men­tie­ren unter ande­rem Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Doku­men­tar­fil­men­de, Architekt*innen und Statistiker*innen Gewalt gegen Migrant*innen an den Gren­zen. PRO ASYL und Bor­der Foren­sics arbei­ten zusam­men, seit 2021 unter­stützt PRO ASYL die Arbeit von Bor­der Foren­sics regel­mä­ßig auch finanziell.

Mehr als ein Jahr lang hat Bor­der Foren­sics zusam­men mit der spa­ni­schen Orga­ni­sa­ti­on Irí­dia (Zen­trum für die Ver­tei­di­gung der Men­schen­rech­te) und der Marok­ka­ni­schen Ver­ei­ni­gung für Men­schen­rech­te (AMDH) sowie wei­te­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­ren auf bei­den Sei­ten der Gren­ze minu­ti­ös die Ereig­nis­se wäh­rend des Mas­sa­kers vom 24. Juni 2022 rekon­stru­iert. Dabei wur­de sie von der PRO ASYL Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on Euro­päi­sches Zen­trum für Ver­fas­sungs- und Men­schen­rech­te (ECCHR) bera­ten.

Die Unter­su­chung »The Nador-Mel­il­la Bor­der Trap« wur­de von med­ico inter­na­tio­nal, der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung, der Robert Bosch Stif­tung, der Stadt Genf, dem Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds und PRO ASYL finan­zi­ell unterstützt.

Die Orga­ni­sa­ti­on Bor­der Foren­sics for­mu­liert auf Grund­la­ge der Erkennt­nis­se ihrer Unter­su­chung eini­ge Emp­feh­lun­gen, die ihrer Mei­nung nach umge­setzt wer­den müs­sen, wenn die Gewalt an der Gren­ze zwi­schen Nador und Mel­il­la ein Ende haben soll.

Zunächst sol­le der Grenz­zaun, der die Enkla­ve Mel­il­la umgibt, abge­baut wer­den. Dar­über hin­aus emp­fiehlt die Orga­ni­sa­ti­on eine grund­le­gen­de Neu­aus­rich­tung der euro­päi­schen Migra­ti­ons­po­li­tik sowie der Bezie­hun­gen zwi­schen Euro­pa und dem Glo­ba­len Süden: Die EU und ihre Mit­glied­staa­ten, so Bor­der Foren­sics, soll­ten ins­be­son­de­re alle poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen und Ver­ein­ba­run­gen – wie Han­dels­ab­kom­men, Waf­fen­ex­por­te oder die Unter­stüt­zung von Dik­ta­tu­ren – ein­stel­len, die asym­me­tri­sche Bezie­hun­gen zwi­schen Euro­pa und dem Glo­ba­len Süden auf­recht­erhal­ten und dazu bei­tra­gen, dass sich vie­le Men­schen auf die Flucht bege­ben müssen.

Die EU dür­fe ihre Grenz­kon­trol­le nicht län­ger durch Exter­na­li­sie­rung an Nicht-EU-Staa­ten aus­la­gern. Und die Staa­ten des Glo­ba­len Südens, ein­schließ­lich Marok­kos, soll­ten auf­hö­ren, das Leben von Migrant*innen für poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Zwe­cke zu instru­men­ta­li­sie­ren. Zudem emp­fiehlt Bor­der Foren­sics Euro­pa und Nord­afri­ka eine ver­tie­fen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit Ursa­chen des euro­päi­schen bezie­hungs­wei­se des nord­afri­ka­ni­schen Ras­sis­mus. Abschlie­ßend betont Bor­der Foren­sics, dass das Recht auf Bewe­gungs­frei­heit einer jeden Per­son anzu­er­ken­nen sei.