02.08.2024
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Die Asylum Information Database (AIDA) ist eine Datenbank mit Länderberichten zu EU-Ländern sowie der Türkei, Serbien, Großbritannien und der Schweiz. Foto: Kartendaten © 2024 Google, INEGI

Der AIDA-Länderbericht des Europäischen Flüchtlingsrats für Deutschland informiert über das Asylsystem sowie die Praxis und Gesetzesänderungen 2023. Damit ist er eine wichtige Quelle für alle, die europaweit für den Flüchtlingsschutz arbeiten. PRO ASYL gibt einen kurzen Einblick in den Bericht.

Der dies­jäh­ri­ge Bericht zeigt: Die Lage von Geflüch­te­ten in Deutsch­land hat sich in vie­len Berei­chen auch 2023 nicht ver­bes­sert. Und es zeich­net sich ab: Zahl­rei­che Geset­zes­än­de­run­gen, vor allem zu Abschie­bun­gen und Abschie­be­haft, wer­den die Rech­te Geflüch­te­ter noch wei­ter beschränken.

Die Asyl­um Infor­ma­ti­on Data­ba­se (AIDA) ist eine vom Euro­päi­schen Flücht­lings­rat (Euro­pean Coun­cil on Refu­gees and Exi­les, ECRE), ver­wal­te­te Daten­bank mit Län­der­be­rich­ten zu EU-Län­dern sowie der Tür­kei, Ser­bi­en, Groß­bri­tan­ni­en und der Schweiz. Mit der Zusam­men­stel­lung wesent­li­cher Infor­ma­tio­nen zum The­ma Asyl will ECRE, in dem auch PRO ASYL ver­netzt ist, zur Ver­bes­se­rung der Asyl­po­li­tik und ‑pra­xis in Euro­pa und der Situa­ti­on von Asyl­su­chen­den bei­tra­gen. Die frei zugäng­li­chen Infor­ma­tio­nen sol­len die poli­ti­sche Arbeit und die recht­li­che Ver­tre­tung von Geflüch­te­ten auf natio­na­ler und euro­päi­scher Ebe­ne unter­stüt­zen. Ins­be­son­de­re in Dub­lin-Ver­fah­ren sind sie damit eine zen­tra­le Erkenntnisquelle.

Der AIDA-Län­der­be­richt zu Deutsch­land wird jähr­lich aktua­li­siert und berei­tet Ent­wick­lun­gen in den The­men­fel­dern Asyl­ver­fah­ren, Auf­nah­me­be­din­gun­gen, Inhaf­tie­rung von Asyl­su­chen­den und Inhalt des inter­na­tio­na­len Schut­zes auf.

Eine Über­sicht über den 240 Sei­ten star­ken eng­lisch­spra­chi­gen Bericht für 2023:

Asylstatistik und Hauptherkunftsländer: Weiterhin hohe Schutzquote 

Die Asyl­sta­tis­tik für 2023 zeigt, dass die Haupt­her­kunfts­län­der der nach Deutsch­land geflo­he­nen Men­schen wei­ter­hin Staa­ten mit anhal­ten­den Krie­gen und Kon­flik­ten sind. Die­sen Men­schen steht ein Schutz­sta­tus zu, und ent­spre­chend war die berei­nig­te Schutz­quo­te mit cir­ca 70 Pro­zent ver­gleichs­wei­se hoch. Wenn zur Begrün­dung der GEAS-Reform in der EU pro­kla­miert wird, dass damit die Zah­len der Geflüch­te­ten gesenkt wer­den, ist dies irre­füh­rend: Ein Groß­teil der Men­schen, die in Deutsch­land und in der EU um Asyl suchen, haben einen aner­kann­ten Fluchtgrund.

Veränderungen bei den Dublin Überstellungen in 2023 

Durch eine Anfra­ge von PRO ASYL nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz wur­de öffent­lich, dass das Bun­des­amt für Migra­ti­on (BAMF) 2023 erst­mals wie­der Men­schen bestimm­ter Staats­an­ge­hö­rig­kei­ten nach Grie­chen­land über­stellt hat – drei Über­stel­lun­gen fan­den im letz­ten Jahr statt. Seit 2011 waren die Dub­lin-Über­stel­lun­gen nach Grie­chen­land auf­grund eines Urteils des Euro­päi­schen Men­schen­rechts­ge­richts­ho­fes wegen der schlech­ten huma­ni­tä­ren Lage dort ein­ge­stellt. Außer­dem stell­te Deutsch­land in 2023 sei­ne meis­ten Über­stel­lungs­an­fra­gen an Kroa­ti­en, das erst zum 1. Janu­ar 2023 dem Schen­gen­raum bei­getre­ten war.

Georgien und Republik Moldau als sichere Herkunftsländer

Im Jahr 2023 wur­den Geor­gi­en und die Repu­blik Mol­dau als siche­re Her­kunfts­län­der ein­ge­stuft. Bereits die Ein­stu­fung wur­de von zahl­rei­chen NGOs, unter ande­rem von PRO ASYL, mit Blick auf die Rech­te von Min­der­hei­ten wie LGBTIQ+-Menschen kri­ti­siert. Gera­de mit Blick auf die aktu­el­len Geset­zes­än­de­run­gen und die Pro­tes­te in Geor­gi­en dage­gen bestehen wei­ter­hin erheb­li­che Zwei­fel an der Sicher­heit von Min­der­hei­ten, aber auch mit Blick auf die nega­ti­ve Ent­wick­lung des Rechtsstaates.

Lage in (Not-)Unterkünften verschärfte sich

Bereits seit Beginn des Ukrai­ne­kriegs ver­schärf­te sich die Situa­ti­on in den regu­lä­ren Unter­künf­ten und in den Behelfs­un­ter­künf­ten für geflüch­te­te Men­schen. Ins­be­son­de­re aus den grö­ße­ren Städ­ten wur­de immer wie­der gemel­det, dass die Kapa­zi­tä­ten aus­ge­schöpft sind, NGOs berich­ten von men­schen­un­wür­di­gen Zustän­den in den Unter­künf­ten, von Ver­zö­ge­run­gen bei der Regis­trie­rung und ein­ge­schränk­tem Zugang zu Gesund­heits- und Sozi­al­ver­sor­gung. Gera­de mit Blick auf das Feu­er im März 2024 in der Unter­kunft in Ber­lin Tegel ist unver­ständ­lich, war­um der bereits seit zwei Jah­ren bestehen­den Kri­tik an den Zustän­den in den Unter­künf­ten nicht nach­ge­kom­men wurde.

Abschiebehaft: Unmenschliche Behandlung hinter Stacheldraht

Wie auch in den letz­ten Jah­ren doku­men­tiert der AIDA-Bericht auch Bedin­gun­gen in aus­ge­wähl­ten Abschie­be­haft­an­stal­ten in Deutsch­land. Dabei zeigt sich immer wie­der: Abschie­be­haft wird nicht nur häu­fig ohne aus­rei­chen­den Grund ange­ord­net, die Haft­be­din­gun­gen sind auch vie­ler­orts alles ande­re als ange­mes­sen: Bei psy­chi­schen Pro­ble­men wird häu­fig Iso­la­ti­ons­haft ver­hängt, statt ange­mes­se­ne Ver­sor­gung bereit­zu­stel­len; der Zugang zu Sozi­al­ar­bei­ten­den und Helfer*innen ist oft erschwert. Mit dem soge­nann­ten Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz wur­den die Mög­lich­kei­ten, Men­schen in Haft zu neh­men, außer­dem deut­lich aus­ge­wei­tet. Wie sich die gleich­zei­tig ein­ge­führ­te Bei­ord­nung von Pflichtanwält*innen in der Pra­xis aus­wir­ken wird, bleibt abzuwarten.

Verzögerungen beim diesjährigen AIDA-Bericht zu Deutschland

Der Län­der­be­richt zu Deutsch­land erscheint nor­ma­ler­wei­se im April des Fol­ge­jah­res. Die­ses Jahr erfolg­te die Ver­öf­fent­li­chung spä­ter. Grün­de waren zum einen der Ver­lust des Frak­ti­ons­sta­tus der Lin­ken im Bun­des­tag, der den Zugang zu Infor­ma­tio­nen behin­dert, zum ande­ren wird natio­na­len Behör­den durch den Haupt­fi­nan­zier der Daten­bank, die EU-Kom­mis­si­on, seit 2024 ein Recht auf Stel­lung­nah­me eingeräumt.

Wie bereits der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Diet­rich Thrän­hardt berich­te­te, stell­ten die regel­mä­ßi­gen Klei­nen Anfra­gen im Bun­des­tag durch die Frak­ti­on DIE LINKE eine wich­ti­ge Quel­le für die Doku­men­ta­ti­on von Ver­än­de­run­gen inner­halb der deut­schen Asyl­po­li­tik dar. Vie­le der ange­frag­ten Infor­ma­tio­nen sind sonst nicht öffent­lich zugäng­lich. Nach­dem die Lin­ke Anfang des Jah­res ihren Frak­ti­ons­sta­tus ver­lo­ren hat­te und damit zunächst kein vol­les Fra­ge­recht mehr hat­te, wur­de im März 2024 ent­schie­den, sowohl der Lin­ken als auch dem Bünd­nis Sarah Wagen­knecht als Grup­pen vol­les Fra­ge­recht zu gewähren.

Der AIDA-Bericht ver­sucht, einen mög­lichst umfang­rei­chen Über­blick über die Zah­len und Ver­än­de­run­gen inner­halb der deut­schen Asyl­po­li­tik zu geben, inklu­si­ve spe­zi­fi­scher Infor­ma­tio­nen etwa zu Flug­ha­fen­ver­fah­ren, soge­nann­ten siche­ren Her­kunfts­län­dern, Dub­lin-Ver­fah­ren und Abschie­be­haft. Gera­de um Ver­än­de­run­gen über die Jah­re dar­stel­len zu kön­nen und eine Ver­gleich­bar­keit mit ande­ren EU-Staa­ten zu gewähr­leis­ten, waren und sind die regel­mä­ßi­gen und umfang­rei­chen Anfra­gen wichtig.

Neu: Nationale Behörden dürfen Stellung nehmen 

Ab den Berich­ten für 2023 hat die EU-Kom­mis­si­on, deren Migra­ti­ons­fond die AIDA-Daten­bank maß­geb­lich finan­ziert, für die jewei­li­gen natio­na­len Behör­den ein Recht auf Stel­lung­nah­me zu den Län­der­be­rich­ten ein­ge­führt. Der aktua­li­sier­te z AIDA-Län­der­be­richt über Deutsch­land wur­de des­halb dem BAMF über­mit­telt. Die deut­schen Behör­den ant­wor­te­ten mit Kom­men­ta­ren, die von den Autorin­nen und dem Euro­päi­schen Flücht­lings­rat ECRE vor der Ver­öf­fent­li­chung berück­sich­tigt wur­den. Dies ermög­lich­te einer­seits Klar­stel­lun­gen zu aktu­el­len Ent­wick­lun­gen und Prak­ti­ken des BAMF, führ­te aber auch zur Ver­zö­ge­rung des Veröffentlichungsprozesses.

Der AIDA-Deutsch­land­be­richt 2023 wur­de von den Wis­sen­schaft­le­rin­nen Tere­sa Fach­in­ger, Pau­la Hoff­mey­er-Zlot­nik und Mar­le­ne Stil­ler ver­fasst und von ECRE redak­tio­nell bear­bei­tet und her­aus­ge­ge­ben. Der voll­stän­di­ge Bericht ist auf Eng­lisch hier verfügbar.

(wj, mz, wr)