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Käse für PRO ASYL

Ungewissheit, existentielle Fragen, Angst – seit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine sind es Hunderte von Mail-Anfragen, die die Kolleg*innen der Einzelfallberatung kompetent beantworten. Die Beratung ist kostenlos und wird finanziert aus Spenden an PRO ASYL. Und manchmal gibt es einen ungewöhnlichen Dank, wie Dirk Morlok berichtet.
Anfang März hat PRO ASYL ein Paket mit einer Auswahl von Käsestücken und dazu eine größere Geldspende bekommen. Wie kam das?
Ja, das war eine Überraschung! Der Käse war der Dank eines Mannes, der sich am ersten Kriegstag bei uns per Mail gemeldet hatte. Ich habe ihn dann angerufen. Seine Frau stammt aus der Ukraine, und sie machten sich große Sorgen um ihre Familie dort. Sie wollten wissen, ob und wie sie über die Grenze kommen, ob sie hierbleiben können, Asylantrag stellen müssen, ob sie privat untergebracht werden können. Ich konnte sie beruhigen, weil sie ja visumsfrei einreisen können und bereits klar war, dass der visumsfreie Aufenthalt von 90 auf 180 Tage verdoppelt werden kann, die Leute also erstmal ein halbes Jahr bei ihren Angehörigen bleiben können. Und irgendwie waren wir dann noch darauf gekommen, dass er eine Käserei hat.
Das Beratungsteam von PRO ASYL, zu dem Du gehörst, hat seit Kriegsbeginn Hunderte Anfragen per Mail bekommen. Ihr lest jede Mail, einige können direkt beantwortet werden, bei komplizierten oder besonders dringenden Fällen meldet Ihr Euch telefonisch. Was waren die Hauptsorgen zu Beginn des Krieges?
Da ging es ebenfalls vor allem um die Fragen, ob und wie Verwandte und Bekannte nach Deutschland kommen können. Viele befürchteten, dass ihre Angehörigen in einer Erstaufnahmestelle oder einer anderen Unterkunft wohnen müssen, wenn sie einen Asylantrag stellen. Doch wir konnten ihnen sagen, dass sie keinen Asylantrag stellen müssen – und in der Regel auch nicht sollten – und bei privater Unterbringung nicht in eine Unterkunft müssen. Da war die Erleichterung groß. Für die visumsfreie Einreise gab es ja zunächst noch eine Bedingung, dass man einen biometrischen Pass haben muss, das war auch eine der ersten politischen Forderungen von PRO ASYL, dass das aufgehoben werden muss.
Haben sich die Anliegen geändert?
Ja, jetzt melden sich viele Menschen, die Verwandte oder Bekannte aufgenommen haben – oder auch spontan Menschen einen Schlafplatz bieten, die sie nicht kennen. Da geht es oft um Fragen zur konkreten Umsetzung des vorübergehenden Schutzstatus nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) wie Arbeitserlaubnis , Geldleistungen, Krankenversicherung oder Unterkunft, wenn jemand nur vorübergehend eine Wohnmöglichkeit hatte. Zwar hat der Rat der EU ja den »vorübergehenden Schutz« für ukrainische Geflüchtete beschlossen, aber bei vielen Fragen fehlen noch die konkreten Umsetzungen und Verfahrensabläufe in Deutschland. Das führt natürlich teilweise zu Nichtwissen und Unsicherheiten auch bei den Behörden. Und die Behörden handeln daher völlig unterschiedlich oder gar nicht.
Und was rätst Du da?
Ich versuche, die Menschen erstmal zu beruhigen und rate manchmal zu etwas Geduld. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Geflüchteten schnell Sicherheit und alles geregelt haben möchten, das macht ja auch Sinn. Aber manche Fragen sind halt noch nicht geklärt. Für diejenigen, die zum Beispiel bei Angehörigen untergebracht und versorgt sind, kann es klüger sein, nicht im Chaos in der Schlange zu stehen und dann trotzdem nicht weiterzukommen. Zumal man den Menschen viele wichtige und sogar existenzielle Fragen ja ganz konkret beantworten kann, was denn nun kommen wird. Auf unserer Website www.proasyl.de versuchen wir, über die neusten Regelungen zu informieren.
Du telefonierst ja viel. In welcher Verfassung sind die Menschen?
Sie sind häufig sehr erschöpft von der Flucht, besorgt und unsicher. Und einige haben auch richtig Angst. Zum Beispiel so genannte Drittstaatsangehörige, die in der Ukraine studiert oder gearbeitet haben, viele kommen aus Nigeria, Marokko, Elfenbeinküste. Ich hatte ein Gespräch mit jemandem, der spontan an einem deutschen Bahnhof einen Studenten aus einem afrikanischen Land aufgenommen hatte – und der hat sich dann tagelang in der Wohnung versteckt, weil er Angst hatte, dass er illegal in Deutschland ist. Ist er aber nicht, zumindest zunächst bis zum 23. Mai nicht. Da habe ich selbst durch den Telefonhörer den Stein vom Herzen fallen gehört, als ich das sagte.
Wie werden die Drittstaatsangehörigen an der Grenze und hier behandelt?
Ich höre immer wieder, dass es zunächst Schwierigkeiten an den Grenzen gab, weil jemand aufgrund seines Aussehens zunächst nicht durchgelassen wurde. Wenn Menschen noch nicht in Deutschland sind und Angst vor solchen rassistischen »Kontrollen« haben, beraten wir die Menschen, was sie konkret tun können, um nicht zurückgewiesen zu werden. Sie fliehen ja vor demselben Krieg wie Ukrainer*innen. Und PRO ASYL interveniert in manchen Fällen auch und prangert solche Ungerechtigkeiten öffentlich an.
Ein großes Problem in Deutschland ist, wenn die Menschen dazu aufgefordert werden, einen Asylantrag zu stellen oder ein Gesuch um eine Unterkunft oder Essen als Asylantrag gewertet wird. Vom Asylantrag raten wir in der Regel dringend ab. Ein Asylverfahren ist für die meisten Menschen wie die Studierenden eine Sackgasse, da sie ja meistens im Herkunftsland nicht verfolgt wurden, sondern ausgereist waren, um zu studieren. Hier empfehle ich den Menschen, sich in den nächsten Wochen mit Hochschulen oder Studierendenvertretungen in Verbindung zu setzen, nach Studienplätzen und ‑möglichkeiten zu suchen.
Wie kann es für die Studierenden weitergehen?
Ich hoffe, und das sage ich den Ratsuchenden auch, dass es bald zumindest Übergangsregelungen geben wird, wie das Studium in Deutschland fortgesetzt werden kann. Ohne diese wird es nicht gehen. Und die Ungewissheit, was nach dem 23. Mai kommt oder wie sie bis dahin »überleben« können, ist sehr, sehr belastend für die Menschen. Viele haben gar kein Geld mehr, alles ist in den Studienplatz in der Ukraine geflossen – und ist nun weg. Sie stehen vor einer Katastrophe, wenn es keine Regelungen und Programme für diese Menschen gibt, um ihr Studium hier fortsetzen oder beenden zu können.
Welche Probleme haben die Menschen ohne ukrainischen Pass noch?
Da sind zum Beispiel binationale Ehepaare wie ukrainisch-russische Paare. Das kann meist geregelt werden. Schwieriger ist es für unverheiratete Paare. Und vereinzelt kontaktieren uns Deserteure aus der Ukraine, Russland und Belarus. Dabei geht es natürlich erstmal um die Frage der Einreise, die im Unterschied zu Menschen aus der Ukraine nicht visumsfrei ist. Politisch fordert PRO ASYL, dass diese Deserteure nach Deutschland einreisen dürfen und hier Schutz bekommen.
Und es melden sich vermehrt Menschen, die nach abgelehntem Asylverfahren aus Deutschland in die Ukraine abgeschoben worden waren und nun ein Einreiseverbot haben. Je länger der Krieg dauert, desto differenzierter werden auch die Probleme und Anfragen.
Das heißt, Du und deine Kolleg*innen seid sehr gefordert: Ihr müsst Euch ständig über die neuesten Regelungen informieren und mit sehr besorgten Ratsuchenden sprechen, ihnen raten und sie beruhigen. Dafür braucht es neben starken Nerven auch viel Erfahrung.
Ja, das stimmt wohl. In die Zukunft sehen können wir zwar leider nicht, aber wir sehen es trotzdem als unsere Aufgabe an, den Menschen Einschätzungen und mögliche Perspektiven zumindest für die mittelfristige Zukunft zu zeigen. Dafür ist Erfahrung natürlich hilfreich. Durch die sich ständig ändernden Problemlagen der Menschen erkennen wir aber auch, wo welche Regelungen fehlen und entwickeln so Ideen für die politischen Forderungen von PRO ASYL mit.
Du führst den ganzen Tag Beratungsgespräche und beantwortet Mails. Gibt es dennoch ein Telefonat, das Dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ja, ein Gespräch geht mir nicht aus dem Kopf. Ungefähr drei Wochen vor dem Kriegsausbruch meldete sich ein Mann, dessen 78 Jahre alte ukrainische Mutter zu Besuch in Deutschland war. Er war sehr aufgeregt und sagte, auf keinen Fall könne er seine Mutter in das Krisengebiet zurückschicken. Er hatte aber auch Angst, dass sie in ein Asyllager müsste, wenn sie einen Asylantrag stellen würde. Da würde er eher mit ihr in die Illegalität gehen, sagte er. Das fand ich sehr krass und mir selbst wurde sehr bewusst, wie dramatisch die Situation in der Ukraine doch schon war.
(wr/dmo)