15.03.2022
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PRO ASYL hat seit Kriegsbeginn Hunderte Anfragen bekommen. Wo immer möglich, leisten unsere Berater*innen praktische Unterstützung. Auf dem Bild Dirk Morlok im Gespräch.

Ungewissheit, existentielle Fragen, Angst – seit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine sind es Hunderte von Mail-Anfragen, die die Kolleg*innen der Einzelfallberatung kompetent beantworten. Die Beratung ist kostenlos und wird finanziert aus Spenden an PRO ASYL. Und manchmal gibt es einen ungewöhnlichen Dank, wie Dirk Morlok berichtet.

Anfang März hat PRO ASYL ein Paket mit einer Aus­wahl von Käse­stü­cken und dazu eine grö­ße­re  Geld­spen­de  bekom­men. Wie kam das?

Ja, das war eine Über­ra­schung! Der Käse war der Dank eines Man­nes, der sich am ers­ten Kriegs­tag bei uns per Mail gemel­det hat­te. Ich habe ihn dann ange­ru­fen. Sei­ne Frau stammt aus der Ukrai­ne,  und sie mach­ten sich gro­ße Sor­gen um ihre Fami­lie dort. Sie woll­ten wis­sen, ob und wie sie über die Gren­ze kom­men, ob sie hier­blei­ben kön­nen, Asyl­an­trag stel­len müs­sen, ob sie pri­vat unter­ge­bracht wer­den kön­nen. Ich konn­te sie beru­hi­gen, weil sie ja visums­frei ein­rei­sen kön­nen und bereits klar war, dass der visums­freie Auf­ent­halt von 90 auf 180 Tage ver­dop­pelt wer­den kann, die Leu­te also erst­mal ein hal­bes Jahr bei ihren Ange­hö­ri­gen blei­ben kön­nen. Und irgend­wie waren wir dann noch  dar­auf gekom­men, dass er eine Käse­rei hat.

Das Bera­tungs­team von PRO ASYL, zu dem Du gehörst, hat seit Kriegs­be­ginn Hun­der­te Anfra­gen per Mail bekom­men. Ihr lest jede Mail, eini­ge kön­nen direkt beant­wor­tet wer­den, bei kom­pli­zier­ten oder beson­ders drin­gen­den Fäl­len mel­det Ihr Euch tele­fo­nisch. Was waren die Haupt­sor­gen zu Beginn des Krieges?

Da ging es eben­falls vor allem um die Fra­gen, ob und wie Ver­wand­te und Bekann­te nach Deutsch­land kom­men kön­nen. Vie­le befürch­te­ten, dass ihre Ange­hö­ri­gen in einer Erst­auf­nah­me­stel­le oder einer ande­ren  Unter­kunft woh­nen müs­sen, wenn sie einen Asyl­an­trag stel­len. Doch wir konn­ten ihnen sagen, dass sie kei­nen Asyl­an­trag stel­len müs­sen – und in der Regel auch nicht soll­ten – und  bei pri­va­ter Unter­brin­gung nicht in eine Unter­kunft müs­sen. Da war die Erleich­te­rung groß. Für die visums­freie Ein­rei­se gab es ja zunächst noch eine Bedin­gung, dass man einen bio­me­tri­schen Pass haben muss, das war auch eine der ers­ten poli­ti­schen For­de­run­gen von PRO ASYL, dass das auf­ge­ho­ben wer­den muss.

Haben sich die Anlie­gen geändert?

Ja, jetzt mel­den sich vie­le Men­schen, die Ver­wand­te oder Bekann­te auf­ge­nom­men haben – oder auch spon­tan Men­schen einen Schlaf­platz  bie­ten, die sie nicht ken­nen. Da geht es oft um Fra­gen zur kon­kre­ten Umset­zung des vor­über­ge­hen­den Schutz­sta­tus nach Para­graf 24 Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­ent­haltG) wie  Arbeits­er­laub­nis , Geld­leis­tun­gen, Kran­ken­ver­si­che­rung oder Unter­kunft, wenn jemand nur vor­über­ge­hend  eine Wohn­mög­lich­keit hat­te.  Zwar hat der Rat der EU ja den  »vor­über­ge­hen­den Schutz« für ukrai­ni­sche Geflüch­te­te beschlos­sen, aber bei vie­len Fra­gen feh­len noch die kon­kre­ten Umset­zun­gen und Ver­fah­rens­ab­läu­fe in Deutsch­land. Das führt natür­lich teil­wei­se zu Nicht­wis­sen und Unsi­cher­hei­ten auch bei den Behör­den. Und die Behör­den han­deln daher völ­lig unter­schied­lich oder gar nicht.

Und was rätst Du da?

Ich ver­su­che, die Men­schen erst­mal zu beru­hi­gen und rate manch­mal zu etwas Geduld. Ich kann sehr gut ver­ste­hen, dass die Geflüch­te­ten schnell Sicher­heit und  alles gere­gelt haben möch­ten, das macht ja auch Sinn. Aber man­che Fra­gen sind halt noch nicht geklärt. Für die­je­ni­gen, die zum Bei­spiel bei Ange­hö­ri­gen unter­ge­bracht und ver­sorgt sind, kann es klü­ger sein, nicht im Cha­os in der  Schlan­ge zu ste­hen und dann trotz­dem nicht wei­ter­zu­kom­men. Zumal man den Men­schen vie­le wich­ti­ge und sogar exis­ten­zi­el­le Fra­gen ja ganz kon­kret beant­wor­ten kann, was denn nun kom­men wird. Auf unse­rer Web­site www.proasyl.de ver­su­chen wir, über die neus­ten Rege­lun­gen zu informieren.

Du tele­fo­nierst ja viel. In wel­cher Ver­fas­sung sind die Menschen?

Sie sind häu­fig sehr erschöpft von der Flucht, besorgt und unsi­cher. Und eini­ge haben auch rich­tig Angst. Zum Bei­spiel so genann­te Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge, die in der Ukrai­ne stu­diert oder gear­bei­tet haben, vie­le kom­men aus Nige­ria, Marok­ko, Elfen­bein­küs­te. Ich hat­te ein Gespräch mit jeman­dem, der spon­tan an einem deut­schen Bahn­hof einen Stu­den­ten aus einem afri­ka­ni­schen Land auf­ge­nom­men hat­te – und der hat sich dann tage­lang in der Woh­nung ver­steckt, weil er Angst hat­te, dass er ille­gal in Deutsch­land ist. Ist er aber nicht, zumin­dest zunächst bis zum 23. Mai nicht. Da habe ich selbst durch den  Tele­fon­hö­rer den Stein vom Her­zen fal­len gehört, als ich das sagte.

Wie wer­den die Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen an der Gren­ze und hier behandelt?

Ich höre immer wie­der, dass es zunächst Schwie­rig­kei­ten an den Gren­zen gab, weil jemand auf­grund sei­nes Aus­se­hens zunächst nicht durch­ge­las­sen wur­de.  Wenn Men­schen noch nicht in Deutsch­land sind und Angst vor sol­chen ras­sis­ti­schen »Kon­trol­len« haben, bera­ten wir die Men­schen, was sie kon­kret tun kön­nen, um nicht zurück­ge­wie­sen zu wer­den. Sie flie­hen ja vor dem­sel­ben Krieg wie Ukrainer*innen. Und PRO ASYL inter­ve­niert in man­chen Fäl­len auch und pran­gert sol­che Unge­rech­tig­kei­ten öffent­lich an.

Ein gro­ßes Pro­blem in Deutsch­land ist, wenn die Men­schen dazu auf­ge­for­dert  wer­den, einen Asyl­an­trag zu stel­len oder ein Gesuch um eine Unter­kunft oder Essen als Asyl­an­trag gewer­tet wird. Vom Asyl­an­trag raten wir in der Regel drin­gend ab. Ein Asyl­ver­fah­ren ist für die meis­ten Men­schen wie die Stu­die­ren­den  eine Sack­gas­se, da sie ja meis­tens im Her­kunfts­land nicht ver­folgt wur­den, son­dern aus­ge­reist waren, um zu stu­die­ren.  Hier emp­feh­le ich den Men­schen, sich in den nächs­ten Wochen mit Hoch­schu­len oder Stu­die­ren­den­ver­tre­tun­gen in Ver­bin­dung zu set­zen, nach Stu­di­en­plät­zen und ‑mög­lich­kei­ten zu suchen.

Wie kann es für die Stu­die­ren­den weitergehen?

Ich hof­fe, und das sage ich den Rat­su­chen­den auch, dass es bald zumin­dest Über­gangs­re­ge­lun­gen geben wird, wie das Stu­di­um in Deutsch­land fort­ge­setzt wer­den kann. Ohne die­se wird es nicht gehen. Und die Unge­wiss­heit, was nach dem 23. Mai kommt oder wie sie bis dahin »über­le­ben« kön­nen, ist sehr, sehr belas­tend für die Men­schen. Vie­le haben gar kein Geld mehr, alles ist in den Stu­di­en­platz in der Ukrai­ne geflos­sen – und ist nun weg. Sie ste­hen vor einer Kata­stro­phe, wenn es kei­ne Rege­lun­gen und Pro­gram­me für die­se Men­schen gibt, um ihr Stu­di­um hier fort­set­zen oder been­den zu können.

Wel­che Pro­ble­me haben die Men­schen ohne ukrai­ni­schen Pass noch?

Da sind zum Bei­spiel bina­tio­na­le Ehe­paa­re wie ukrai­nisch-rus­si­sche Paa­re. Das kann meist gere­gelt wer­den. Schwie­ri­ger ist es für unver­hei­ra­te­te Paa­re. Und ver­ein­zelt kon­tak­tie­ren uns Deser­teu­re aus der Ukrai­ne, Russ­land und Bela­rus. Dabei geht es natür­lich erst­mal um die Fra­ge der Ein­rei­se, die im Unter­schied zu Men­schen aus der Ukrai­ne nicht visums­frei ist. Poli­tisch for­dert PRO ASYL, dass die­se Deser­teu­re nach Deutsch­land ein­rei­sen dür­fen und hier Schutz bekommen.

Und es mel­den sich ver­mehrt Men­schen, die nach abge­lehn­tem Asyl­ver­fah­ren aus Deutsch­land in die Ukrai­ne abge­scho­ben wor­den waren und nun ein Ein­rei­se­ver­bot haben. Je län­ger der Krieg dau­ert, des­to dif­fe­ren­zier­ter wer­den auch die Pro­ble­me und Anfragen.

Das heißt, Du und dei­ne Kolleg*innen seid sehr gefor­dert: Ihr müsst Euch stän­dig über die neu­es­ten Rege­lun­gen infor­mie­ren und mit sehr besorg­ten Rat­su­chen­den spre­chen, ihnen raten und sie beru­hi­gen. Dafür braucht es neben star­ken Ner­ven auch viel Erfahrung.

Ja, das stimmt wohl. In die Zukunft sehen kön­nen wir zwar lei­der nicht, aber wir sehen es trotz­dem als unse­re Auf­ga­be an, den Men­schen Ein­schät­zun­gen und mög­li­che Per­spek­ti­ven zumin­dest für die mit­tel­fris­ti­ge Zukunft zu zei­gen. Dafür ist Erfah­rung natür­lich hilf­reich. Durch die sich stän­dig ändern­den Pro­blem­la­gen der Men­schen erken­nen wir aber auch, wo wel­che Rege­lun­gen feh­len und ent­wi­ckeln so Ideen für die poli­ti­schen For­de­run­gen von PRO ASYL mit.

Du führst den gan­zen Tag Bera­tungs­ge­sprä­che und beant­wor­tet Mails. Gibt es den­noch ein Tele­fo­nat,  das Dir beson­ders  im Gedächt­nis geblie­ben ist?

Ja, ein Gespräch geht mir nicht aus dem Kopf. Unge­fähr drei Wochen vor dem Kriegs­aus­bruch mel­de­te sich ein Mann, des­sen 78 Jah­re alte ukrai­ni­sche Mut­ter zu Besuch in Deutsch­land war. Er war sehr auf­ge­regt und sag­te, auf kei­nen Fall kön­ne er sei­ne Mut­ter in das Kri­sen­ge­biet zurück­schi­cken. Er hat­te aber  auch Angst, dass sie in ein Asyl­la­ger müss­te, wenn sie einen Asyl­an­trag stel­len wür­de. Da wür­de er eher mit ihr in die Ille­ga­li­tät gehen, sag­te er. Das fand ich sehr krass und mir selbst wur­de sehr bewusst, wie dra­ma­tisch die Situa­ti­on in der Ukrai­ne doch schon war.

(wr/dmo)