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Im Schnellverfahren zurück nach Bulgarien

Kontrolle, Inhaftierung, Abschiebung – das sind die Eckpunkte des beschleunigten Dublin-Verfahrens, das an der österreichischen Grenze erprobt wird. Schon jetzt ist klar: Effektiver Rechtsschutz bleibt dabei auf der Strecke.
Bereits seit 2015 hält die Bundesregierung an Kontrollen zur Grenze nach Österreich fest – rechtswidrig, wie PRO ASYL an verschiedenen Stellen bereits dargelegt hat. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verurteilte jüngst eine im Sommer 2022 stattgefundene Grenzkontrolle und bewertete die pauschale Verlängerung der Grenzkontrollen als rechtwidrig. Er begründete das damit, dass für eine Verlängerung der Grenzkontrollen im Schengen-Raum immer wieder neue Tatsachen vorliegen müssen. Bisher kam es jedoch nur zu einer Neubewertung bei unveränderter Sachlage. Das verstößt gegen den Schengener Grenzkodex.
Im Rahmen eines sogenannten Pilotverfahrens im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion München wird seit Januar 2025 an die Kontrollen ein Dublin-Verfahren unter Haftbedingungen angeknüpft. Demnach sollen asylsuchende Menschen, die zuvor bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, in Haft ihr Asylverfahren durchlaufen und möglichst schnell ins Ersteinreiseland abgeschoben werden. Anstatt also asylsuchende Personen an die Erstaufnahmeeinrichtungen weiter zu verweisen, wo sie dann ihr Asylverfahren durchlaufen, ist ihre unmittelbare Inhaftierung vorgesehen.
Beratende vor Ort beschreiben diese Praxis als nichts Neues – es handelt sich um eine Verstetigung des Vorgehens an der Grenze zu Österreich. Zwar sind in der Theorie im Dublin-Verfahren menschenrechtliche Kontrollmechanismen verankert, jedoch bleiben die anhaltenden Missstände und die von vielen Betroffenen erlebten Menschenrechtsverletzungen regelmäßig außer Acht. Berater*innen bezeichnen gegenüber PRO ASYL solche Dublin-Verfahren in Haft als »aussichtlos«. Das zeigen die Erfahrungen einer jungen Syrerin, die direkt an der Grenze inhaftiert und wenige Wochen später nach abgelehntem Asylantrag nach Bulgarien abgeschoben wurde.
An der deutschen Grenze direkt in die Hafteinrichtung
Eine junge Syrerin flieht Ende 2024 nach Deutschland. Zuvor war sie in Bulgarien, wo ihr Asylantrag trotz des zu diesem Zeitpunkt noch herrschendem Assad-Regimes abgelehnt worden war. Der Zugang zu Rechtsmitteln blieb ihr versperrt, die Situation in Bulgarien ist für Geflüchtete von Entrechtung und Verelendung geprägt. Als sie die deutsch-österreichische Grenze erreicht, wird sie im Rahmen der anhaltenden Grenzkontrollen von der Bundespolizei aufgegriffen und unverzüglich in einer nahegelegenen Abschiebehaftanstalt inhaftiert.
Es handelt sich bei diesem Vorgehen offenbar um keinen Einzelfall, denn Beratungsstellen in Bayern weisen bereits seit einiger Zeit darauf hin, dass es im Anschluss an Grenzkontrollen zur vermehrten Haftanwendung kommt. Die Bundespolizei entscheidet sich immer öfter für diese Maßnahme, wenn ein Abgleich der Daten einer asylsuchenden Person mit der EURODAC-Datenbank ergibt, dass diese bereits in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt hat. Sie begründet die Haft dann mit einer vermeintlichen Fluchtgefahr. Ziel der ausgeweiteten Haftanwendung ist es, Überstellungen in den für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat sicherzustellen und zu beschleunigen. Denn, in Haft erfolgt das dem Asylverfahren vorgeschaltete Dublin-Verfahren zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedsstaats mit verkürzten Fristen. Gemäß Art. 28 Dublin III-VO darf die Überstellungshaft bis zu sechs Wochen betragen. Vieles deutet darauf hin, dass die geschilderte bayerische Praxis seit Jahresbeginn in dem sogenannten Pilotverfahren verstetigt wird.
Haftanwendung auch in vulnerablen Fällen
PRO ASYL liegen Haftbeschlüsse vor, in denen das Kriterium »vermeintliche Fluchtgefahr« für die Haftanwendung weit ausgedehnt wird. Beispielsweise wertet die Bundespolizei groteskerweise immer wieder geäußerte Suizidabsichten als Indiz für eine drohende Flucht. Anstatt Maßnahmen zur Suizidprävention einzuleiten und medizinische Versorgung zu gewährleisten, werden die Betroffenen oft wochenlang in Haft gesteckt, wodurch die psychische Belastung noch größer wird.
Die Linke befragte im Februar die abgewählte Bundesregierung nach besonderen Schutzmechanismen für vulnerable Personengruppen in dem »Pilotverfahren«. Ohne weiter auf die bereits fragliche Identifizierung einzugehen, antwortete die Bundesregierung: »Wird eine solche Person [die besondere Verfahrensgarantien benötigt] festgestellt, handeln die Beamtinnen und Beamten mit größtmöglicher Umsicht und Empathie für die Situation der oder des Betroffenen«. (Drucksache 20/14902, Antwort auf Frage 21c). Inhaftierung also als empathische Maßnahme?
Schnellverfahren auf Kosten des Rechtsschutzes
Kurz nachdem die junge Syrerin inhaftiert wurde, wird PRO ASYL auf den Fall aufmerksam und stellt ihr, vom PRO ASYL-Rechtshilfefonds bezuschusst, eine Rechtsanwältin zur Seite. Auch von anderen Organisationen im In- und Ausland, etwa dem Münchner Flüchtlingsrat und der in Bulgarien arbeitenden Organisation No Name Kitchen, erhält sie umfangreiche Unterstützung, unter anderem in Form von Berichten, die eindrücklich ihre Vulnerabiltät belegen. Das sind Ausgangsbedingungen, wie sie nur selten in Haft vorliegen. Vielen Betroffenen ist es aufgrund der verkürzten Fristen und des erschwerten Zugangs zu Beratungsangeboten in Haft nicht möglich, Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen und ihre Asylverfahren entsprechend qualifiziert zu betreiben. Im Fall der jungen Syrerin ist das anders. Dennoch wird ihr Asylantrag – trotz dazwischenliegender Feiertage – in nur zwanzig Tagen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als »unzulässig« abgelehnt, mit dem Hinweis, dass Bulgarien weiterhin für ihr Asylverfahren zuständig sei.
Nach knapp sechs Wochen in deutscher Haft wird die junge Frau nach Bulgarien überstellt. Die Befürchtungen werden wahr, sie wird von den bulgarischen Behörden direkt wieder inhaftiert.
Dabei kann das BAMF oder das Gericht von einem Selbsteintritt Gebrauch machen oder Abschiebungsverbote anordnen, wenn einer Person im anderen EU-Staat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Bei einem Selbsteintritt wird der Asylantrag in Deutschland erneut inhaltlich geprüft. Bei einem Abschiebungsverbot folgt für die betroffene Person eine Aufenthaltserlaubnis. Die Gründe für ein Abschiebungsverbot können systematischer oder anhand des Einzelfalls begründeter Natur sein.
Trotz der im Fall der jungen Syrerin bei Gericht vorgelegten detaillierten Beweise und Berichte, die die unmenschliche Behandlung in Bulgarien sowie die systematischen Mängel in ihrem Asylverfahren in Bezug auf ihre Person belegen, schützt auch das Gericht sie nicht vor der Abschiebung nach Bulgarien. Es stellt sich die Frage: Wenn selbst in so einem ausführlich dokumentierten und engagiert begleiteten Fall kein Rechtsschutz gewährt wird, wann dann?
Zurück in Bulgarien und wieder in Haft
Nach knapp sechs Wochen in deutscher Haft wird die junge Frau nach Bulgarien überstellt. Die Befürchtungen werden wahr, sie wird von den bulgarischen Behörden direkt wieder inhaftiert. Diese Praxis ist gängig. Nach Auskunft der Rechtsberatungsstelle Foundation for Access to Rights (FAR) wird die Mehrheit der Rücküberstellten und zuvor abgelehnten Asylsuchenden für bis zu 18 Monate in den Abschiebehaftzentren Busmantsi oder Lyubimets inhaftiert. Die Bedingungen dort sind menschenunwürdig. Im September 2024 waren Vertreter*innen verschiedener Kirchenasylnetzwerke vor Ort. Sie dokumentierten Gewaltanwendung, unzureichende hygienische Bedingungen und den fehlenden Zugang zu medizinischer Behandlung in Abschiebehaft. Auch »psychologische oder psychiatrische Unterstützung gibt es in den Haftzentren nur in den dringenden Notfällen«, heißt es in dem Bericht.
Nur ein Vorgeschmack im Zeichen der angekündigten »Asylwende«
Weder in Bulgarien noch in Deutschland erhielt die junge Syrerin im Asylverfahren den dringend benötigten Schutz. Trotz ihrer bekannten Vulnerabilität wurde sie an der deutschen Grenze inhaftiert, womit eine dramatische Verschlechterung ihres Zustands in Kauf genommen wurde. Angesichts der schnellen Ablehnung ihres Asylbegehrens besteht der starke Verdacht, dass ihre im Asylverfahren vorgebrachten Belege für die systemischen Schwachstellen Bulgariens im Allgemeinen und die individuellen Umstände ihres Falles im Speziellen nicht ordentlich geprüft wurden. Der Fall der jungen Syrerin zeigt die eklatanten Mängel des als »Pilotverfahrens« bezeichneten Vorgehens auf, das für Schutzsuchende meist wie eine gegenläufige Einbahnstraße fungiert: Ziel ist es, die Betroffenen so schnell wie möglich zurück in den zuständigen Dublin-Staat zu befördern – individuelle Schutzbelange sind dabei nachrangig.
In der aktuellen Debatte zu Zuwanderungsbegrenzung und Zurückweisungen an den Grenzen kommen Schicksale wie das der jungen Syrerin nicht vor. Dabei zeigt ihr Fall eindrücklich: Immer stärkere Abschottungsmaßnahmen und eine Vermischung des Sicherheitsdiskurses mit dem Recht auf Asyl führen dazu, dass Schutzbedürftigen zunehmend der Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren und zu effektivem Rechtsschutz verwehrt wird.
(tc, mz)