01.09.2017
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Najem Al Khalaf kam vor drei Jahren nach Deutschland und studiert mittlerweile Fotografie. Er sagt: »Ich verteidige Deine Werte« Foto: Tim Wegner

Najem Al Khalaf (23) flüchtete im Sommer 2012 aus Idlib in der Nähe von Aleppo, Syrien. Er lebt seit Juli 2014 in Deutschland.

PRO ASYL: Najem, du warst sehr jung, als du die ers­ten Erfah­run­gen mit dem für sei­ne Bru­ta­li­tät und Fol­te­run­gen berüch­tig­ten syri­schen Regime gemacht hast.

Najem Al Khal­af: Ich war 18 Jah­re alt und stu­dier­te im Liba­non Poli­tik­wis­sen­schaft und Jour­na­lis­mus. An der Gren­ze wur­de ich von syri­schen Beam­ten durch­sucht. Mei­ne Stu­di­en­bü­cher kamen ihnen ver­däch­tig vor. Sie nah­men mich fest und brach­ten mich in ein Geheim­dienst­ge­fäng­nis in Damaskus.

Was geschah dann?

Unge­fähr 37 Tage war ich im Gefäng­nis. Unter ande­rem war ich auch in einem Gefäng­nis für poli­ti­sche Inhaf­tier­te unter­ge­bracht. Das heißt »Alfai­ha«. Hier wur­de ich von Beginn an geschla­gen. Ich bin mit ver­bun­de­nen Hän­den die Trep­pe run­ter­ge­tre­ten wor­den. Dies muss­te ich Tag für Tag ertragen.

Ich muss­te mit anse­hen, wie ein Mann, der in der glei­chen Zel­le wie ich unter­ge­bracht war, an den Fol­gen der Fol­ter gestor­ben ist. Der Leich­nam wur­de ein­fach wei­te­re Tage in mei­ner Zel­le mit ande­ren Gefan­ge­nen liegengelassen.

Irgend­wann wur­de ich zum Ver­hör geru­fen. Mei­ne Augen waren ver­bun­den. Der Offi­zier sag­te mir, ich müs­se jetzt sofort mei­nen Mili­tär­dienst ableis­ten. Es sei denn, mei­ne Fami­lie wür­de mich direkt bei ihm frei­kau­fen. Ich durf­te dann mei­nen Vater anru­fen – er wuss­te zu dem Zeit­punkt nicht, ob ich über­haupt noch lebe.

Wie bist du schließ­lich rausgekommen?

Mein Vater hat gezahlt. Als ich frei­kam, hat­te ich nur noch 500 Lira in der Tasche, das sind drei bis vier Euro. Damit muss­te ich es von Damas­kus bis nach Hau­se schaf­fen. Im Gefäng­nis hat­ten sie mir alles weg­ge­nom­men. Mei­nen Com­pu­ter, mein Geld, mei­ne Uhr, mei­ne Klei­dung. Ich ging zu einem Bus­bahn­hof und habe über­all gefragt, ob mich jemand mit­nimmt. Ich war in einer schreck­li­chen Ver­fas­sung. Ich traf einen Bus­fah­rer aus einem Nach­bar­dorf, der nahm mich dann mit.

Aber auch da warst du noch nicht in Sicherheit?

Nein! Schon auf dem Rück­weg gab es Pro­ble­me: Unter­wegs war eine gro­ße Stra­ßen­sper­re. Die Sol­da­ten hol­ten mich aus dem Bus. Sie sahen mir an, dass ich direkt aus dem Gefäng­nis kom­me – an mei­nen Schu­hen fehl­ten die Schnür­sen­kel, die neh­men sie Gefan­ge­nen immer ab. Auch spä­ter wur­de ich über­wacht und obser­viert. Offen­bar galt ich den syri­schen Ver­fol­gungs­be­hör­den als verdächtig…

Najem, wir machen jetzt mal einen gro­ßen Sprung zu dei­ner aktu­el­len Situa­ti­on in Deutsch­land. Du hast all die­se Gewalt erlebt und hät­test jeden Anlass, dich jetzt mal nur um dich selbst zu küm­mern – trotz­dem machst du Fil­me über Flücht­lin­ge und hältst Vor­trä­ge. Warum?

Die schreck­li­chen Din­ge, die ich per­sön­lich erlebt habe, haben mich auch stär­ker gemacht: Ich kann ande­ren hel­fen. Flücht­lin­ge, die hier­hin nach Deutsch­land kom­men, haben ihre Träu­me und Zie­le, sie möch­ten etwas schaf­fen. Dabei kann ich sie unter­stüt­zen. Und ich ver­su­che den Deut­schen zu erklä­ren, wie es Flücht­lin­gen geht. Ich möch­te ihnen erklä­ren, was den Syrern vom syri­schen Regime ange­tan wur­de, was sie erlei­den mussten.

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Foto: Tim Wegner

Du hast unglaub­lich schnell Deutsch gelernt, obwohl du ja noch mit­ten im Asyl­ver­fah­ren bist. Du hast einen Stu­di­en­platz bekom­men. Wie ging das alles?

Am Anfang war es hart. Ich lag im Kran­ken­haus und war völ­lig am Ende. Ich habe mir dann gesagt: »Du musst das, was du erlebt hast, jetzt hin­ter dir lassen.«

Und wie hast du so schnell Deutsch gelernt?

An mei­nem zwei­ten Tag im Flücht­lings­wohn­heim habe ich recher­chiert, wo es Sprach- und Inte­gra­ti­ons­kur­se gibt. Ich habe mir sofort zwei Kur­se aus­ge­sucht – einer war vor­mit­tags, der ande­re abends. Bezahlt habe ich das von den 320 Euro, die ich monat­lich vom Sozi­al­amt bekam. Hin­zu kam die Fahr­kar­te. Der Rest muss­te zum Leben ausreichen.

Und jetzt hast du einen Studienplatz?

Ja, ich habe die Sprach- und Auf­nah­me­prü­fun­gen gemacht und bin an der Uni.

Wie finan­zierst du das?

Als Stu­dent darf ich neben­bei 450 Euro im Monat ver­die­nen – davon lebe ich. Weil ich stu­die­re, habe ich kei­nen Anspruch auf Unter­stüt­zung vom Sozi­al­amt – von dort bekom­me ich nur Geld, wenn ich das Stu­di­um wie­der auf­ge­be. Und BAföG bekom­me ich nicht, weil mein Asyl­ver­fah­ren noch läuft.

Noch­mals einen Schwenk zurück: Du selbst warst ja im Liba­non. Nun gibt es hier in Deutsch­land Leu­te, die sagen: War­um kom­men die Flücht­lin­ge aus dem Liba­non, aus Jor­da­ni­en oder der Tür­kei nach Deutsch­land – sie waren dort doch in Sicherheit.

Ich kann nur über den Liba­non spre­chen. Als Flücht­ling kannst du auf der Stra­ße umge­bracht wer­den, ohne dass dem Täter etwas geschieht. In den Camps gibt es nur wenig zu essen, die Pro­ble­me sind rie­sig. Bei Kämp­fen zwi­schen Schii­ten und Sun­ni­ten wer­den vie­le getö­tet. Ein Teil mei­ner Fami­lie lebt im Liba­non, es geht ihnen bes­ser, als den meis­ten Flücht­lin­gen – mein Vater hat dort gute geschäft­li­che Kon­tak­te. Aber es ist nicht sicher.

»In Bul­ga­ri­en gibt es kein Auf­nah­me­sys­tem, kei­ne Ver­sor­gung, kei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung, kei­ne Woh­nung – nichts.«

Najem Al Khal­af zu sei­ner Flucht über Bulgarien 

Du kamst über das EU-Land Bul­ga­ri­en nach Deutsch­land? Wie ging es dir dort?

In Bul­ga­ri­en gibt es kein Auf­nah­me­sys­tem, kei­ne Ver­sor­gung, kei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung, kei­ne Woh­nung – nichts. Wenn du stirbst, egal. Die meis­ten Bul­ga­ren sind selbst arm, sie kön­nen also kaum etwas abge­ben. Du kannst dort noch nicht mal die Spra­che ler­nen, weil es kei­ne Kur­se gibt. Sechs Mona­te war ich dort. Ich wur­de beklaut, mit dem Mes­ser bedroht und beraubt.

Gab es für dich einen spe­zi­el­len Grund, nach Deutsch­land zu kommen?

Es hat sich so erge­ben. Ich hat­te viel über Deutsch­land gele­sen, bevor ich hier­her­ge­kom­men bin. Ich woll­te unbe­dingt stu­die­ren und mir ein eige­nes Leben aufbauen.

Wie lief bis­her dein Asylverfahren?

Extrem schwie­rig. Weil ich über Bul­ga­ri­en gekom­men bin, habe ich bis jetzt kei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis. Ich weiß, dass es kom­pli­ziert ist, aber ich kon­zen­trie­re mich lie­ber auf mein Stu­di­um und dar­auf, etwas aus mei­nem Leben zu machen.

Du lebst jetzt seit drei Jah­ren hier in Unsicherheit?

Ich bin im Juli 2014 nach Deutsch­land gekom­men. Es gibt vie­le Din­ge, die ich bis heu­te nicht darf – zum Bei­spiel ver­rei­sen. Ich habe mei­ne Fami­lie schon seit Jah­ren nicht gesehen.

»Es zählt für mich nicht, wel­chen Glau­ben du hast. Mir ist wich­tig, wie du dich ande­ren Men­schen gegen­über ver­hältst. Jeder Mensch hat den­sel­ben Wert, auch jeder Flüchtling.«

Du bist in der aktu­el­len PRO ASYL-Kam­pa­gne zu sehen mit dem Motiv »Ich ver­tei­di­ge Dei­ne Wer­te«. Das heißt: Du enga­gierst dich für die gemein­sa­men Wer­te unse­rer demo­kra­ti­schen Gesellschaft.

Ich habe selbst erlebt wie es ist, wenn mensch­li­che Wer­te nichts mehr gel­ten. Ich habe einen mus­li­mi­schen Hin­ter­grund, ich glau­be an Gott. Aber es zählt für mich nicht, wel­chen Glau­ben du hast. Mir ist wich­tig, wie du dich ande­ren Men­schen gegen­über ver­hältst. Jeder Mensch hat den­sel­ben Wert, auch jeder Flücht­ling. Und eigent­lich sind alle Men­schen Flücht­lin­ge, denn die Erde gehört nie­man­dem. Alle Men­schen sind gleich, es gibt kei­nen Unterschied.

Was erwar­test du von der Poli­tik in Deutsch­land? Was kann Deutsch­land tun, um den Flücht­lin­gen zu helfen?

Die Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sind schlimm. Die Men­schen haben oft alles ris­kiert, um zu flie­hen. Was meinst du wie schreck­lich es ist, wenn dir dann jemand sagt: »Du kannst nicht blei­ben, hier ist das Flug­zeug nach Afghanistan«?

Ich fin­de außer­dem, dass es in vie­len Fäl­len zu lan­ge dau­ert, bis du als Flücht­ling aner­kannt wirst. Mein Bru­der ist jetzt schon seit 19 Mona­ten hier und war­tet immer noch auf sein Verfahren.

Das nächs­te Pro­blem ist die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung. Wenn du zum Bei­spiel eine ein­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis hast, darf dei­ne Fami­lie nicht zu dir kom­men. Die sitzt dann wei­ter in Syri­en oder im Liba­non fest.

Ja, es gibt vie­les, was sich ändern muss. Aber was ist mit dir – was wünschst du dir für dich selbst?

Ich hät­te ger­ne bald mei­ne Auf­ent­halts­er­laub­nis und möch­te mei­ne Ver­lob­te hei­ra­ten. Dann möch­te ich mei­ne Fami­lie im Liba­non besu­chen – wir sind jetzt seit sechs Jah­ren getrennt. Ansons­ten habe ich mit der Foto­gra­fie genau das gefun­den, was ich unbe­dingt auch in Zukunft machen will.

Inter­view: Andrea Kothen & Gün­ter Burkhardt