01.09.2025
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Foto: PRO ASYL/ Jonas Bickmann

Ramin Mohabat (36) kommt aus Afghanistan. 2015 ist der Journalist nach Deutschland geflohen. Wir treffen ihn in einem Café in der Hofheimer Altstadt. Während unseres Interviews winkt er vielen Menschen, die vorbeigehen, lächelt Bekannten zu. Schnell wird klar: Vor uns sitzt einer, der wirklich angekommen ist.

Zehn Jahre ist es her, seit Sie nach Deutschland gekommen sind. Was war Ihr erster Eindruck von diesem Land?

Es war ein Schock. Ich hat­te nicht damit gerech­net, mit 8.000 Leu­ten in einem Flücht­lings­camp unter­ge­bracht zu wer­den. Das war in Gie­ßen, und ich habe zusam­men mit rund fünf­hun­dert ande­ren Geflüch­te­ten in einem rie­si­gen Zelt geschla­fen. Ich habe mir ja gedacht, dass es schwie­rig wer­den wür­de, aber sol­che Zustän­de hat­te ich nicht erwar­tet. Es war eine Kata­stro­phe. Ich war so froh, als ich irgend­wann in einem Wohn­wa­gen über­nach­ten und die Tür hin­ter mir zuzie­hen konnte.

Aber da war auch eine gro­ße Erleich­te­rung in mir. Deutsch­land war mein Ziel, und ich bin zuerst über Pas­sau ein­ge­reist. Als ich das end­lich geschafft hat­te, konn­te ich auf­at­men. Da war mein ers­ter Gedan­ke: »Hier kann mich nie­mand töten.«

»Damals durf­ten Afgha­nen wie ich kei­nen staat­li­chen Deutsch­kurs besuchen.« 

Was war für Sie nach Ihrer Ankunft besonders schwierig?

Die Spra­che zu ler­nen war schwer. Damals durf­ten Afgha­nen wie ich kei­nen staat­li­chen Deutsch­kurs besu­chen. Also habe ich mir selbst Deutsch bei­gebracht, mit­hil­fe von You­tube. Und ich habe einen Sozi­al­ar­bei­ter um Hil­fe gebe­ten, weil ich unbe­dingt die Spra­che ler­nen woll­te. 2017 habe ich dann end­lich über die Volks­hoch­schu­le einen Platz in einem Deutsch­kurs bekom­men. Und dann gab es auch noch die Deutsch­kur­se, die Ehren­amt­li­che ange­bo­ten haben. Zeit­wei­se habe ich vor­mit­tags, nach­mit­tags und abends je einen Kurs besucht.

Welches Gefühl hat Sie während der ersten Monate in Deutschland begleitet?

Ich hat­te kei­ne Angst mehr, das war das Wich­tigs­te. In Afgha­ni­stan habe ich Jour­na­lis­mus stu­diert und als Jour­na­list gear­bei­tet. Als Repor­ter war ich im gan­zen Land unter­wegs und als Nach­rich­ten­spre­cher in mei­ner Hei­mat Herat sehr bekannt. Außer­dem habe ich Demos für Frau­en­rech­te und gegen die Tali­ban orga­ni­siert. Des­halb haben sie mich verfolgt.

Fühlt sich Deutschland inzwischen nach Heimat für Sie an – oder nach Exil?

Deutsch­land fühlt sich ein­hun­dert Pro­zent nach Hei­mat an. Ich kann mir nicht vor­stel­len, zurück nach Afgha­ni­stan zu gehen. Dort ist mir alles viel zu reli­gi­ös und kon­ser­va­tiv. Ich habe mit Reli­gi­on nichts am Hut. Hof­heim ist mei­ne Hei­mat, hier lebe ich seit 2017 und ken­ne jeden Stein, jede Ecke, jeden Baum. Ich weiß, wo es zum Son­nen­un­ter­gang beson­ders schön ist, wo man ein gutes Rad­ler trin­ken und wo ich mit mei­nem Sohn Eis essen gehen kann.

»Man kann die Erin­ne­run­gen nicht ein­fach wegretuschieren!« 

Erzählen Sie uns von Ihrer Familie. 

Ich lebe mit mei­ner Part­ne­rin, einer Deut­schen, und unse­rem gemein­sa­men Sohn zusam­men. Er ist zwei­ein­halb. Im August ver­gan­ge­nen Jah­res sind wir umge­zo­gen und haben ein altes Haus reno­viert. Das war viel Arbeit, vor allem, weil ich ja auch noch mei­ne Arbeit sowie zwei Neben­jobs habe. Mei­ne Eltern und Brü­der leben seit drei Jah­ren auch in Deutsch­land. Sie haben für die NATO gear­bei­tet und waren nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban in gro­ßer Gefahr. Seit sie hier in Sicher­heit sind, ist Herat end­gül­tig abge­hakt für mich.

Dieses Abhaken war sicher nicht einfach; in Afghanistan haben Sie Schlimmes erlebt. Einmal wurden Sie von den Taliban gekidnappt, ein andermal haben Sie gesehen, wie ein Mann geköpft wurde, bloß weil er Hazara war und westliche Kleidung trug. Verfolgen diese Bilder Sie noch?

Das ver­folgt mich immer noch. Man kann das nicht ein­fach weg­re­tu­schie­ren. Aber ich habe gelernt, damit zu leben. Was mir hilft, ist Wald­ba­den. Min­des­tens drei Mal in der Woche gehe ich in den Wald, da kom­me ich run­ter, da habe ich mei­ne Ruhe. In den ers­ten Jah­ren in Deutsch­land war ich bei einem The­ra­peu­ten, aber er konn­te mir nicht hel­fen. Jah­re­lang habe ich schlecht geschla­fen. Da bin ich oft die gan­ze Nacht durch Hof­heim und Dieden­ber­gen gelau­fen, nur um nicht wach im Bett lie­gen zu müs­sen. Was mir auch hilft, ist Lesen und Medi­tie­ren. Dank­bar sein. Es geht mir so gut.

Neben der Natur ist auch die Fotografie ein Halt für Sie…

Ja, in Afgha­ni­stan war ich Kriegs­fo­to­graf, aber in Deutsch­land habe ich beschlos­sen, nur die schö­nen Din­ge zu foto­gra­fie­ren. Als Natur­fo­to­graf braucht man Geduld. Manch­mal war­te ich stun­den­lang, bis mir ein Eis­vo­gel vor die Lin­se kommt. Wenn ich mit mei­ner Kame­ra unter­wegs bin, ver­ges­se ich die gan­ze Welt.

Die Fotografie ist nicht nur ein Hobby für Sie, richtig?

Stimmt. Haupt­be­ruf­lich arbei­te ich zwar als Schul- und Teil­ha­be­as­sis­tent an einer Schu­le. Ich beglei­te und betreue ein autis­ti­sches Kind im All­tag. Das ist eine sehr schö­ne Auf­ga­be. Aber neben­be­ruf­lich arbei­te ich als Foto­graf, ers­tens für die Stadt Hof­heim, zwei­tens für eine Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft. Ich will der Stadt, die mir zur Hei­mat gewor­den ist, etwas zurück­ge­ben. Das mache ich durch mei­ne Bilder.

Welche Begegnungen haben Sie besonders berührt – und welche entsetzt?

Vie­le Men­schen, die mich am Anfang unter­stützt haben, sind inzwi­schen wie Fami­lie für mich. Micha­el und Bar­ba­ra zum Bei­spiel. Micha­el war mein ers­ter Deutsch­leh­rer, und seit­dem sind wir gute Freun­de. Mein Sohn ist ein Mal in der Woche bei den bei­den und fühlt sich sehr wohl dort. Ja, es gab auch blö­de Begeg­nun­gen, ver­let­zen­de Kom­men­ta­re im Zug oder so, aber dar­über möch­te ich nicht sprechen.

Welches ist Ihr Lieblingsort in Ihrer deutschen Heimatstadt?

Am Türm­chen bin ich sehr ger­ne, das gehör­te frü­her zur Hof­hei­mer Stadt­mau­er und war auch mal eine Syn­ago­ge. Heu­te ist es ein Lokal. Vor allem zu Son­nen­auf­gang ist es toll dort. Ich lie­be die Alt­stadt hier, die­se gan­ze Geschichte.

Was ist das Schönste, das Sie bisher in Deutschland gesehen haben?

Da gibt es so vie­le schö­ne Orte. Mün­chen, Dres­den, Köln… Auch Kas­sel gefällt mir. In Bay­ern bin ich beson­ders ger­ne, wegen der Ber­ge. Ich kom­me auch aus einem ber­gi­gen Land. Mein Traum ist es, mal eine lan­ge Deutsch­land­rei­se zu machen und alles zu fotografieren.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: »Mir hier ein neues Leben aufzubauen, wäre so viel einfacher gewesen, wenn…«

… nicht der gan­ze Papier­kram, die­se Büro­kra­tie wäre!

Wenn Sie auf all das zurückblicken, was Sie in den letzten zehn Jahren geschafft haben, worauf sind Sie besonders stolz?

Auf mei­ne Deutsch­kennt­nis­se bin ich stolz. Außer­dem dar­auf, dass ist es geschafft habe, eine Fami­lie zu grün­den. Und wie­der see­lisch gesund zu wer­den, das ist wichtig.

Was möchten Sie den Menschen in Deutschland zurufen?

Es ist sehr gefähr­lich gera­de. Die Geschich­te wie­der­holt sich, wenn so vie­le Deut­sche wei­ter die Rech­ten wäh­len. Ihr wisst nicht, wie es ist, in einer Dik­ta­tur zu leben! Ich weiß es. Die poli­ti­sche Situa­ti­on macht mir Angst, aber ich tue was dage­gen, ich enga­gie­re mich beim Bünd­nis »MTK – Dei­ne Stim­me gegen rechts«. Ich fin­de, jeder muss gegen Rechts auf­ste­hen und sei­ne Mei­nung sagen. Denn was ihr und eure Eltern in den letz­ten acht­zig Jah­ren geschafft haben, steht gera­de auf dem Spiel.

Ramin Moha­bat wur­de mit Mit­teln des PRO ASYL-Rechts­hil­fe­fonds unter­stützt, erfolg­reich gegen einen zunächst nega­ti­ven Bescheid des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge vor­zu­ge­hen. Bereits 2017 gab er PRO ASYL ein Inter­view über sei­ne dama­li­ge Lebens­si­tua­ti­on: »Wenn du Angst hast, lernst du nicht«.

(er)