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Europäischer Gerichtshof setzt hohe Hürden für Wohnsitzauflage
Flüchtlingen künftig den Wohnsitz vorschreiben, das will Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Doch mit dem gestrigen Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) hohe Hürden für eine Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte und Flüchtlinge aufgestellt.
Unbeirrt von hohen rechtlichen Hürden, die der EuGH für eine Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte in seinem gestrigen Urteil gesetzt hat, beharrt Innenminister de Maizière auf einer Wohnsitzauflage für Flüchtlinge und subsidiär Geschützte. »Ich halte eine Wohnortzuweisung für Flüchtlinge für dringend erforderlich, damit es vor allem in Ballungsräumen nicht zur Ghettobildung kommt«, so de Maizière den Medien gegenüber. SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sieht im Urteil des EuGH gar eine »gute Grundlage« für ein künftiges Gesetz, das Flüchtlingen den Wohnsitz vorschreiben soll. Für den Deutschen Städtetag legitimiert die Entscheidung des EuGH eine Wohnsitzauflage aus sozialpolitischen Gründen: Damit lasse sich die Verteilung von Sozialkosten auf Kommunen besser regeln.
Eine genaue Lektüre des Urteils verdeutlicht: Von einer rechtlichen Weichenstellung für neue Gesetzesverschärfungen, wie die Große Koalition oder der Deutsche Städtetag etwa das Urteil auslegen, kann keine Rede sein. Vielmehr hat der EuGH eine Wohnsitzauflage an hohe Auflagen geknüpft. Aus PRO ASYL-Sicht sind Wohnsitzauflagen für subsidiär Geschützte und Flüchtlinge europarechtlich höchst problematisch.
Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte: Worum geht es?
Unter einer Wohnsitzauflage wird das Verbot verstanden, sich in einem anderen als den vorgeschriebenen Wohnort niederzulassen. Bis 2008 gab es in Deutschland Wohnsitzauflagen für anerkannte Flüchtlinge. Doch das BVerwG entschied damals, dass diese gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstießen (Art. 26 und Art. 23 GFK). Darauf wurde die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge abgeschafft – für subsidiär Geschützte blieb sie jedoch bestehen.
Am 25. September 2014 legte das BVerwG dem EuGH die Frage vor, ob Wohnsitzauflagen für subsidiär Geschützte zulässig seien. Gestern hat der EuGH ein Urteil gefällt. Maßstab war neben der Genfer Flüchtlingskonvention auch die EU-Qualifikationsrichtlinie (Art. 33, Art. 29), die die Voraussetzungen für den internationalen Schutz sowie die Rechte von Anerkannten regelt.
Der EuGH urteilt: Keine Wohnsitzauflage wegen Kostenverteilung!
Eine Beschränkung der freien Wohnsitzwahl ist laut EuGH nicht zulässig, wenn der Zweck die gleichmäßige Verteilung der Kosten für Sozialleistungen ist. Denn eine Wohnsitzauflage zur gleichmäßigen Verteilung der Kosten für Sozialleistungen wäre nur dann zulässig, wenn man auch eigenen Staatsangehörigen und anderen Drittstaatsangehörigen eine solche Auflage auferlegt. Dies ist in Deutschland aktuell nicht der Fall. Das Recht, innerhalb von Deutschland den Wohnsitz frei zu wählen, haben auch deutsche Sozialhilfeempfänger.
Dabei verweist der EuGH sowohl auf Art. 33 der Richtlinie, der die Bewegungsfreiheit gewährleistet, als auch auf Art. 29 der Richtlinie, der den gleichberechtigten Zugang zu den Sozialleistungen garantiert.
Die Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte als Instrument zur gleichmäßigen Verteilung der Kosten für Sozialleistungen, wie sie etwa der Deutsche Städtetag begrüßt, ist schlicht unzulässig.
Wohnsitzauflage aus integrationspolitischen Gründen?
Weiterhin geht der EuGH auch auf die Frage ein, ob aus integrationspolitischen Gründen eine Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte rechtlich zulässig wäre. Eine Begründung könnte hierfür die Vermeidung von sozialen Brennpunkten sein. Hierzu stellt der EuGH fest, dass bei einer solchen Zielsetzung zwar kein Gleichbehandlungsanspruch mit Deutschen bestehe, aber dafür mit anderen vergleichbaren Drittstaatsangehörigen.
Im deutschen Recht findet sich jedoch keine Pflicht für andere Drittstaatsangehörige – ohne humanitären Aufenthaltstitel – aus integrationspolitischen Gründen einer Wohnsitzverpflichtung nachzukommen. Eine Ungleichbehandlung von subsidiär Geschützten wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie einen viel höheren Integrationsbedarf als andere Gruppen hätten. Das ist nicht der Fall. Fakt ist: Was Integration angeht, befinden sich international Schutzberechtigte in der gleichen Situation wie andere MigrantInnengruppen. Sie müssen gleichermaßen Deutsch lernen, sich in den Arbeitsmarkt integrieren und Teilhabemöglichkeiten erhalten.
Wohnsitzauflagen verhindern Integration!
Jenseits der Rechtsfragen sind Wohnsitzauflagen auch politisch nicht sinnvoll. Erst die freie Wohnsitzwahl ermöglicht es, dass sich die Betroffenen dort niederlassen, wo etwa Verwandte ihnen die Integration erleichtern können. Gerade neu Eingereiste sind auf Netzwerke angewiesen, die ihnen Wohnungen oder Jobs vermitteln können. Es macht auch Sinn, einen Wohnort nach den Jobperspektiven zu wählen. Studien zeigen, dass die ersten Jahre des Aufenthalts für die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt entscheidend sind. Wenn man durch eine Wohnsitzauflage jedoch den Aufenthalt in Regionen mit ohnehin hoher Arbeitslosigkeit erzwingt, ist dies integrationspolitisch kontraproduktiv.