02.03.2016

Flüchtlingen künftig den Wohnsitz vorschreiben, das will Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Doch mit dem gestrigen Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) hohe Hürden für eine Wohnsitzauflage für subsidiär Geschützte und Flüchtlinge aufgestellt.

Unbe­irrt von hohen recht­li­chen Hür­den, die der EuGH für eine Wohn­sitz­auf­la­ge für sub­si­di­är Geschütz­te in sei­nem gest­ri­gen Urteil gesetzt hat, beharrt Innen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re auf einer Wohn­sitz­auf­la­ge für Flücht­lin­ge und sub­si­di­är Geschütz­te. »Ich hal­te eine Wohn­ort­zu­wei­sung für Flücht­lin­ge für drin­gend erfor­der­lich, damit es vor allem in Bal­lungs­räu­men nicht zur Ghet­to­bil­dung kommt«, so de Mai­ziè­re den Medi­en gegen­über. SPD-Innen­ex­per­te Burk­hard Lisch­ka sieht im Urteil des EuGH gar eine »gute Grund­la­ge« für ein künf­ti­ges Gesetz, das Flücht­lin­gen den Wohn­sitz vor­schrei­ben soll. Für den Deut­schen Städ­te­tag legi­ti­miert die Ent­schei­dung des EuGH eine Wohn­sitz­auf­la­ge aus sozi­al­po­li­ti­schen Grün­den: Damit las­se sich die Ver­tei­lung von Sozi­al­kos­ten auf Kom­mu­nen bes­ser regeln.

Eine genaue Lek­tü­re des Urteils ver­deut­licht: Von einer recht­li­chen Wei­chen­stel­lung für neue Geset­zes­ver­schär­fun­gen, wie die Gro­ße Koali­ti­on oder der Deut­sche Städ­te­tag etwa das Urteil aus­le­gen, kann kei­ne Rede sein. Viel­mehr hat der EuGH eine Wohn­sitz­auf­la­ge an hohe Auf­la­gen geknüpft. Aus PRO ASYL-Sicht sind Wohn­sitz­auf­la­gen für sub­si­di­är Geschütz­te und Flücht­lin­ge euro­pa­recht­lich höchst problematisch.

Wohn­sitz­auf­la­ge für sub­si­di­är Geschütz­te: Wor­um geht es?

Unter einer Wohn­sitz­auf­la­ge wird das Ver­bot ver­stan­den, sich in einem ande­ren als den vor­ge­schrie­be­nen Wohn­ort nie­der­zu­las­sen. Bis 2008 gab es in Deutsch­land Wohn­sitz­auf­la­gen für aner­kann­te Flücht­lin­ge. Doch das BVerwG ent­schied damals, dass die­se gegen die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on ver­stie­ßen (Art. 26 und Art. 23 GFK). Dar­auf wur­de die Wohn­sitz­auf­la­ge für aner­kann­te Flücht­lin­ge abge­schafft – für sub­si­di­är Geschütz­te blieb sie jedoch bestehen.

Am 25. Sep­tem­ber 2014 leg­te das BVerwG dem EuGH die Fra­ge vor, ob Wohn­sitz­auf­la­gen für sub­si­di­är Geschütz­te zuläs­sig sei­en. Ges­tern hat der EuGH ein Urteil gefällt. Maß­stab war neben der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on auch die EU-Qua­li­fi­ka­ti­ons­richt­li­nie (Art. 33, Art. 29), die die Vor­aus­set­zun­gen für den inter­na­tio­na­len Schutz sowie die Rech­te von Aner­kann­ten regelt.

Der EuGH urteilt: Kei­ne Wohn­sitz­auf­la­ge wegen Kostenverteilung!

Eine Beschrän­kung der frei­en Wohn­sitz­wahl ist laut EuGH nicht zuläs­sig, wenn der Zweck die gleich­mä­ßi­ge Ver­tei­lung der Kos­ten für Sozi­al­leis­tun­gen ist. Denn eine Wohn­sitz­auf­la­ge zur gleich­mä­ßi­gen Ver­tei­lung der Kos­ten für Sozi­al­leis­tun­gen wäre nur dann zuläs­sig, wenn man auch eige­nen Staats­an­ge­hö­ri­gen und ande­ren Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen eine sol­che Auf­la­ge auf­er­legt. Dies ist in Deutsch­land aktu­ell nicht der Fall. Das Recht, inner­halb von Deutsch­land den Wohn­sitz frei zu wäh­len, haben auch deut­sche Sozialhilfeempfänger.

Dabei ver­weist der EuGH sowohl auf Art. 33 der Richt­li­nie, der die Bewe­gungs­frei­heit gewähr­leis­tet, als auch auf Art. 29 der Richt­li­nie, der den gleich­be­rech­tig­ten Zugang zu den Sozi­al­leis­tun­gen garantiert.

Die Wohn­sitz­auf­la­ge für sub­si­di­är Geschütz­te als Instru­ment zur gleich­mä­ßi­gen Ver­tei­lung der Kos­ten für Sozi­al­leis­tun­gen, wie sie etwa der Deut­sche Städ­te­tag begrüßt, ist schlicht unzulässig.

Wohn­sitz­auf­la­ge aus inte­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Gründen?

Wei­ter­hin geht der EuGH auch auf die Fra­ge ein, ob aus inte­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den eine Wohn­sitz­auf­la­ge für sub­si­di­är Geschütz­te recht­lich zuläs­sig wäre. Eine Begrün­dung könn­te hier­für die Ver­mei­dung von sozia­len Brenn­punk­ten sein. Hier­zu stellt der EuGH fest, dass bei einer sol­chen Ziel­set­zung zwar kein Gleich­be­hand­lungs­an­spruch mit Deut­schen bestehe, aber dafür mit ande­ren ver­gleich­ba­ren Drittstaatsangehörigen.

Im deut­schen Recht fin­det sich jedoch kei­ne Pflicht für ande­re Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge – ohne huma­ni­tä­ren Auf­ent­halts­ti­tel – aus inte­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den einer Wohn­sitz­ver­pflich­tung nach­zu­kom­men. Eine Ungleich­be­hand­lung von sub­si­di­är Geschütz­ten wäre nur dann gerecht­fer­tigt, wenn sie einen viel höhe­ren Inte­gra­ti­ons­be­darf als ande­re Grup­pen hät­ten. Das ist nicht der Fall. Fakt ist: Was Inte­gra­ti­on angeht, befin­den sich inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­te in der glei­chen Situa­ti­on wie ande­re Migran­tIn­nen­grup­pen. Sie müs­sen glei­cher­ma­ßen Deutsch ler­nen, sich in den Arbeits­markt inte­grie­ren und Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten erhalten.

Wohn­sitz­auf­la­gen ver­hin­dern Integration!

Jen­seits der Rechts­fra­gen sind Wohn­sitz­auf­la­gen auch poli­tisch nicht sinn­voll. Erst die freie Wohn­sitz­wahl ermög­licht es, dass sich die Betrof­fe­nen dort nie­der­las­sen, wo etwa Ver­wand­te ihnen die Inte­gra­ti­on erleich­tern kön­nen. Gera­de neu Ein­ge­reis­te sind auf Netz­wer­ke ange­wie­sen, die ihnen Woh­nun­gen oder Jobs ver­mit­teln kön­nen. Es macht auch Sinn, einen Wohn­ort nach den Job­per­spek­ti­ven zu wäh­len. Stu­di­en zei­gen, dass die ers­ten Jah­re des Auf­ent­halts für die nach­hal­ti­ge Inte­gra­ti­on in den Arbeits­markt ent­schei­dend sind. Wenn man durch eine Wohn­sitz­auf­la­ge jedoch den Auf­ent­halt in Regio­nen mit ohne­hin hoher Arbeits­lo­sig­keit erzwingt, ist dies inte­gra­ti­ons­po­li­tisch kontraproduktiv.