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EuGH stärkt die Rechte von unbegleiteten Minderjährigen!
In einer Entscheidung gegen die Niederlande stellte der EuGH am 14. Januar 2021 fest, dass gegenüber unbegleiteten Minderjährigen keine Rückkehrentscheidung getroffen werden darf, wenn ihre Abschiebung nicht möglich ist. Auch die deutsche Praxis muss sich jetzt ändern.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit der Entscheidung TQ gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid am 14. Januar 2021 die Rechte von unbegleiteten Minderjährigen deutlich gestärkt.
TQ, ein unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender aus Guinea, stellte mit etwas mehr als 15 Jahren einen Asylantrag in den Niederlanden. Dieser wurde vollständig abgelehnt, womit der Jugendliche als vollziehbar ausreisepflichtig und im Sinne der Rückführungsrichtlinie als „illegal“ aufhältig galt.
Ähnlich stellt sich die Situation in Deutschland dar. Hier wird die Ablehnung eines Asylantrages in aller Regel mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung verbunden (vgl. § 34 Abs. 2 AsylG). Die Betroffenen, auch unbegleitete Minderjährige, leben dann bis zur Abschiebung mit einer sogenannten Duldung in Deutschland.
EuGH: Große Unsicherheit durch Rückkehr-entscheidung widerspricht Kindeswohl
Für die Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen gelten jedoch recht hohe Anforderungen nach der Rückführungsrichtlinie. So muss insbesondere geprüft werden, ob der/die Minderjährige bei Rückkehr von einem Mitglied der Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung in Obhut genommen werden kann. Da dies häufig nicht garantiert werden kann, warten die niederländischen – sowie auch die deutschen – Behörden mit der Abschiebung häufig bis zur Volljährigkeit. Ob die Abschiebung überhaupt möglich ist, wird aber erst nach der Rückkehrentscheidung beurteilt.
Die Möglichkeit der Abschiebung muss zwingend vor der Rückkehrentscheidung geprüft werden, sagt der EuGH.
Ein niederländisches Gericht legte dem EuGH im Fall von TQ die Frage vor, ob dieses Vorgehen europarechtskonform ist. Und der EuGH entschied: Nein! Insbesondere mit Bezug auf das Kindeswohl, das in allen Schritten des Verfahrens zu berücksichtigen ist, stellte der EuGH fest, dass die Möglichkeit der Abschiebung zwingend vor der Rückkehrentscheidung geprüft werden muss. Wenn eine Abschiebung nicht möglich ist, dann darf auch keine Rückkehrentscheidung ergehen. Denn die Rückkehrentscheidung würde den/die Minderjährige*n in große Unsicherheit stoßen, was dem Kindeswohl widerspricht, wenn die Abschiebung gar nicht zeitnah durchgeführt werden kann:
»Der fragliche unbegleitete Minderjährige würde somit in eine Situation großer Unsicherheit hinsichtlich seiner Rechtsstellung und seiner Zukunft versetzt, insbesondere in Bezug auf seine Schulausbildung, seine Verbindung zu einer Pflegefamilie oder die Möglichkeit, in dem betreffenden Mitgliedstaat zu bleiben.« (Rn. 53)
»Eine solche Situation liefe der in Art. 5 Buchst. a der Richtlinie 2008/115 und Art. 24 Abs. 2 der Charta vorgesehenen Anforderung zuwider, dass das Wohl des Kindes in allen Stadien des Verfahrens zu berücksichtigen ist.« (Rn. 54)
Was heißt dies für unbegleitete Minderjährige in Deutschland?
Die Auslegung des europäischen Rechts durch den EuGH ist für alle Mitgliedstaaten bindend, also nicht nur für den Mitgliedstaat, gegen den das Verfahren geführt wurde. Auch Deutschland muss seine Praxis entsprechend jetzt prüfen und ändern, um die Einhaltung des Kindeswohls entsprechend der Entscheidung zu garantieren.
Die Auslegung des europäischen Rechts durch den EuGH ist für alle Mitgliedstaaten bindend, also nicht nur für den Mitgliedstaat, gegen den das Verfahren geführt wurde.
Fest steht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Ablehnung des Asylantrags eines/einer unbegleiteten Minderjährigen nicht mehr direkt eine Rückkehrentscheidung treffen darf, ohne vorher die Möglichkeit der tatsächlichen Abschiebung geprüft zu haben. Wenn eine solche Abschiebung nicht möglich ist, könnte den Minderjährigen nun eine Aufenthaltserlaubnis zustehen, da auch die deutsche Duldung wohl nicht dem Maß an Sicherheit entspricht, das sich der EuGH vorstellt. Wie genau diese neue Rechtsprechung nun sinnvoll im Kontext der deutschen Rechtslage umgesetzt werden sollte, bedarf noch einer eingehenden Analyse.
Weitere Infos zum Thema Abschiebung und unbegleitete Minderjährige sind beim Flüchtlingslingsrat Niedersachsen zu finden.
(wj/pva)