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Erfolg: Instrumentalisierungsverordnung ist erst mal vom Tisch!
Heute sollte in Brüssel über die Instrumentalisierungsverordnung und damit über eine Abkehr vom Flüchtlingsschutz an den EU-Außengrenzen abgestimmt werden. Auch durch Druck der Zivilgesellschaft wurde die Abstimmung verhindert. Doch die Gefahr ist nicht gebannt, denn Vorschläge wie der »New Pact« werden weiter diskutiert.
Vor einem Jahr, im Dezember 2021, machte die Europäische Kommission einen extrem problematischen Vorstoß: Im Falle einer »Instrumentalisierung von Migration« durch Drittstaaten solle ein Sonderasylrecht greifen. Der Vorschlag für eine solche Instrumentalisierungsverordnung richtet sich dabei nicht gegen diese Drittstaaten, sondern zielt einzig und allein darauf, die Rechte von schutzsuchenden Menschen zu beschneiden (siehe hierzu auch einen Gastbeitrag von PRO ASYL und medico international). Dabei sind diese vorgeschlagenen Einschnitte so schwerwiegend, dass sie Flüchtlingsschutz und Menschenrechte an den Außengrenzen aushebeln würden.
Abstimmung kann in letzter Minute verhindert werden
Die tschechische Ratspräsidentschaft wollte bis Ende 2022 eine politische Einigung zwischen den Mitgliedstaaten erreichen und am 8. Dezember eine gemeinsame Position im Rat verabschieden, um dann mit dem Europaparlament zu verhandeln. Schon im September kritisierte ein europäisches Bündnis von 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen die Verordnung. Am 6. Dezember forderten dann 35 deutsche Organisationen die Bundesregierung eindringlich auf, sich gegen die Instrumentalisierungsverordnung zu stellen.
Dieser Einsatz hatte Erfolg: In letzter Minute kommt es nicht zur Abstimmung über die Instrumentalisierungsverordnung! Einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, hatten schon seit Monaten Bedenken angemeldet und äußerten diese wohl erneut bei einer vorbereitenden Sitzung am 7. Dezember. Gleichzeitig gibt es auch Mitgliedstaaten wie Polen, denen der Entwurf noch nicht weit genug zu gehen scheint. Es gibt also keine ausreichende Mehrheit für den Entwurf.
Trotz dieser positiven Entwicklung ist aber der Flüchtlingsschutz in Europa weiterhin in Gefahr: Die Reformvorschläge zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem wie der »New Pact on Migration and Asylum« sind äußerst problematisch. Hierzu gehört zum Beispiel der Vorschlag für eine Asylverfahrensverordnung, die verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen vorsieht.
PRO ASYL wird die Entwicklungen in Brüssel weiter im Blick behalten und sich für einen starken Flüchtlingsschutz in Europa einsetzen!
Worum geht es bei der Instrumentalisierungsverordnung?
Seit Jahren verüben Mitgliedstaaten der Europäischen Union an den Außengrenzen der EU schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen. Statt frierenden Menschen in den Urwäldern zu Belarus medizinisch zu helfen und ihr Asylverfahren einzuleiten, prügeln polnische Grenzschützer sie über die Grenze zurück. Statt Menschen aus Seenot zu retten, drängt die griechische Küstenwache schutzsuchende Menschen auf der Ägäis Richtung Türkei.
»»Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und gibt so denen, die es derzeit an den Außengrenzen brechen, recht.««
Genau dieses Verhalten soll mit der Instrumentalisierungsverordnung noch belohnt werden, wie PRO ASYL mit anderen Menschen- und Kinderrechtsorganisationen sowie Wohlfahrtsverbänden und humanitären und entwicklungspolitischen Organisationen im gemeinsamen Statement vom 6. Dezember formulierte: »Die Instrumentalisierungsverordnung droht, an den Außengrenzen den schon bestehenden Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und gibt so denen, die es derzeit an den Außengrenzen brechen, recht.«
Die Instrumentalisierungsverordnung (von statewatch geleakter Kompromisstext vom 4. November 2022) würde diesen Rechtsverstößen an den Außengrenzen kein Ende setzen, sondern:
- Rechtswidrigen Pushbacks Vorschub leisten, da unter anderem asylsuchende Menschen für bis zu vier Wochen nicht registriert werden müssen und verstärkte Abschottungsmaßnahmen an den Grenzen durch den Schengener Grenzkodex aktiviert werden.
- Dafür sorgen, dass alle Menschen, die einen Asylantrag stellen, für bis zu fünf Monate an den Außengrenzen inhaftiert werden – auch Traumatisierte, Menschen mit Behinderungen, Familien und allein fliehende Kinder.
- Die humanitäre Krise an den Außengrenzen verschärfen, indem Unterbringungs- und Aufnahmestandards unter das erträgliche Minimum gesenkt werden. Notwendige unabhängige rechtliche Beratung oder ärztliche und psychologische Unterstützung werden absehbar nicht möglich sein.
Wie es mit der Instrumentalisierungsverordnung nun weiter geht hängt davon ab, welche Priorität Schweden als nächste Ratspräsidentschaft dem Vorschlag zuordnet.
Die Definition, wann eine Instrumentalisierung vorliegt, ist zudem sehr vage und wurde bereits mit der Einigung über die Reform des Schengener Grenzkodex beschlossen: Auf Antrag des vermeintlich von einer Instrumentalisierung betroffenen Mitgliedstaats soll nach Empfehlung der Kommission der Rat mit Mehrheitsbeschluss über die Anwendung der Verordnung entscheiden.
Wie geht es jetzt weiter?
Dass es am 8. Dezember keine Mehrheit für eine Verhandlungsposition im Rat der EU gab, ist wichtig.
Wie es mit der Instrumentalisierungsverordnung nun weiter geht hängt davon ab, welche Priorität Schweden als nächste Ratspräsidentschaft dem Vorschlag zuordnet. Die Ratspräsidentschaft priorisiert und organisiert Ratssitzungen und Treffen auf technischer Ebene. Dadurch entscheiden sie letztlich, mit welchen Reformvorschlägen der Kommission es zwischen den Mitgliedstaaten voran geht und mit welchen nicht.
(wj)