08.12.2022
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Justice & Home Affairs Council der EU im Dezember 2022. Foto: Europäische Union

Heute sollte in Brüssel über die Instrumentalisierungsverordnung und damit über eine Abkehr vom Flüchtlingsschutz an den EU-Außengrenzen abgestimmt werden. Auch durch Druck der Zivilgesellschaft wurde die Abstimmung verhindert. Doch die Gefahr ist nicht gebannt, denn Vorschläge wie der »New Pact« werden weiter diskutiert.

Vor einem Jahr, im Dezem­ber 2021, mach­te die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on einen extrem pro­ble­ma­ti­schen Vor­stoß: Im Fal­le einer »Instru­men­ta­li­sie­rung von Migra­ti­on« durch Dritt­staa­ten sol­le ein Son­der­asyl­recht grei­fen. Der Vor­schlag für eine sol­che Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung rich­tet sich dabei nicht gegen die­se Dritt­staa­ten, son­dern zielt ein­zig und allein dar­auf, die Rech­te von schutz­su­chen­den Men­schen zu beschnei­den (sie­he hier­zu auch einen Gast­bei­trag von PRO ASYL und med­ico inter­na­tio­nal). Dabei sind die­se vor­ge­schla­ge­nen Ein­schnit­te so schwer­wie­gend, dass sie Flücht­lings­schutz und Men­schen­rech­te an den Außen­gren­zen aus­he­beln würden.

Abstimmung kann in letzter Minute verhindert werden

Die tsche­chi­sche Rats­prä­si­dent­schaft woll­te bis Ende 2022 eine poli­ti­sche Eini­gung zwi­schen den Mit­glied­staa­ten errei­chen und am 8. Dezem­ber eine gemein­sa­me Posi­ti­on im Rat ver­ab­schie­den, um dann mit dem Euro­pa­par­la­ment zu ver­han­deln. Schon im Sep­tem­ber kri­ti­sier­te ein euro­päi­sches Bünd­nis von 60 zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen die Ver­ord­nung. Am 6. Dezem­ber for­der­ten dann 35 deut­sche Orga­ni­sa­tio­nen die Bun­des­re­gie­rung ein­dring­lich auf, sich gegen die Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung zu stellen.

Die­ser Ein­satz hat­te Erfolg: In letz­ter Minu­te kommt es nicht zur Abstim­mung über die Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung! Eini­ge Mit­glied­staa­ten, dar­un­ter Deutsch­land, hat­ten schon seit Mona­ten Beden­ken ange­mel­det und äußer­ten die­se wohl erneut bei einer vor­be­rei­ten­den Sit­zung am 7. Dezem­ber. Gleich­zei­tig gibt es auch Mit­glied­staa­ten wie Polen, denen der Ent­wurf noch nicht weit genug zu gehen scheint. Es gibt also kei­ne aus­rei­chen­de Mehr­heit für den Entwurf.

Trotz die­ser posi­ti­ven Ent­wick­lung ist aber der Flücht­lings­schutz in Euro­pa wei­ter­hin in Gefahr: Die Reform­vor­schlä­ge zum Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tem wie der »New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um« sind äußerst pro­ble­ma­tisch. Hier­zu gehört zum Bei­spiel der Vor­schlag für eine Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung, die ver­pflich­ten­de Grenz­ver­fah­ren unter Haft­be­din­gun­gen vorsieht.

Was ist eigentlich der New Pact on Migration and Asylum?

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PRO ASYL wird die Ent­wick­lun­gen in Brüs­sel wei­ter im Blick behal­ten und sich für einen star­ken Flücht­lings­schutz in Euro­pa einsetzen!

Worum geht es bei der Instrumentalisierungsverordnung?

Seit Jah­ren ver­üben Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on an den Außen­gren­zen der EU schwer­wie­gends­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Statt frie­ren­den Men­schen in den Urwäl­dern zu Bela­rus medi­zi­nisch zu hel­fen und ihr Asyl­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten, prü­geln pol­ni­sche Grenz­schüt­zer sie über die Gren­ze zurück. Statt Men­schen aus See­not zu ret­ten, drängt die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che schutz­su­chen­de Men­schen auf der Ägä­is Rich­tung Türkei.

»»Euro­päi­sches Recht muss wie­der ange­wen­det wer­den – die vor­ge­leg­te Ver­ord­nung ver­biegt aber das Recht und gibt so denen, die es der­zeit an den Außen­gren­zen bre­chen, recht.««

State­ment von 35 Organisationen

Genau die­ses Ver­hal­ten soll mit der Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung noch belohnt wer­den, wie PRO ASYL mit ande­ren Men­schen- und Kin­der­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen sowie Wohl­fahrts­ver­bän­den und huma­ni­tä­ren und ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen im gemein­sa­men State­ment vom 6. Dezem­ber for­mu­lier­te: »Die Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung droht, an den Außen­gren­zen den schon bestehen­den Aus­nah­me­zu­stand recht­lich zu zemen­tie­ren. Das kön­nen und wol­len wir nicht hin­neh­men. Euro­päi­sches Recht muss wie­der ange­wen­det wer­den – die vor­ge­leg­te Ver­ord­nung ver­biegt aber das Recht und gibt so denen, die es der­zeit an den Außen­gren­zen bre­chen, recht.«

Die Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung (von sta­te­watch gele­ak­ter Kom­pro­miss­text vom 4. Novem­ber 2022) wür­de die­sen Rechts­ver­stö­ßen an den Außen­gren­zen kein Ende set­zen, sondern:

  • Rechts­wid­ri­gen Push­backs Vor­schub leis­ten, da unter ande­rem asyl­su­chen­de Men­schen für bis zu vier Wochen nicht regis­triert wer­den müs­sen und ver­stärk­te Abschot­tungs­maß­nah­men an den Gren­zen durch den Schen­ge­ner Grenz­ko­dex akti­viert werden.
  • Dafür sor­gen, dass alle Men­schen, die einen Asyl­an­trag stel­len, für bis zu fünf Mona­te an den Außen­gren­zen inhaf­tiert wer­den – auch Trau­ma­ti­sier­te, Men­schen mit Behin­de­run­gen, Fami­li­en und allein flie­hen­de Kinder.
  • Die huma­ni­tä­re Kri­se an den Außen­gren­zen ver­schär­fen, indem Unter­brin­gungs- und Auf­nah­me­stan­dards unter das erträg­li­che Mini­mum gesenkt wer­den. Not­wen­di­ge unab­hän­gi­ge recht­li­che Bera­tung oder ärzt­li­che und psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung wer­den abseh­bar nicht mög­lich sein.

Wie es mit der Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung nun wei­ter geht hängt davon ab, wel­che Prio­ri­tät Schwe­den als nächs­te Rats­prä­si­dent­schaft dem Vor­schlag zuordnet.

Die Defi­ni­ti­on, wann eine Instru­men­ta­li­sie­rung vor­liegt, ist zudem sehr vage und wur­de bereits mit der Eini­gung über die Reform des Schen­ge­ner Grenz­ko­dex beschlos­sen: Auf Antrag des ver­meint­lich von einer Instru­men­ta­li­sie­rung betrof­fe­nen Mit­glied­staats soll nach Emp­feh­lung der Kom­mis­si­on der Rat mit Mehr­heits­be­schluss über die Anwen­dung der Ver­ord­nung entscheiden.

Wie geht es jetzt weiter?

Dass es am 8. Dezem­ber kei­ne Mehr­heit für eine Ver­hand­lungs­po­si­ti­on im Rat der EU gab, ist wichtig.

Wie es mit der Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung nun wei­ter geht hängt davon ab, wel­che Prio­ri­tät Schwe­den als nächs­te Rats­prä­si­dent­schaft dem Vor­schlag zuord­net. Die Rats­prä­si­dent­schaft prio­ri­siert und orga­ni­siert Rats­sit­zun­gen und Tref­fen auf tech­ni­scher Ebe­ne. Dadurch ent­schei­den sie letzt­lich, mit wel­chen Reform­vor­schlä­gen der Kom­mis­si­on es zwi­schen den Mit­glied­staa­ten vor­an geht und mit wel­chen nicht.

(wj)