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Wer als Asylsuchender nach Ungarn kommt, wird systematisch inhaftiert. Trotzdem werden Flüchtlinge aus Deutschland dorthin abgeschoben - so will es die Dublin-III-Verordnung. Jetzt soll sich für Syrer etwas ändern. Doch nicht alle sind geschützt. Foto: UNHCR/B. Szandelszky

Zahlreiche Medien berichteten, dass Deutschland die Abschiebungen von Syrern in andere EU-Länder gestoppt hat. Die Aussagen stimmen jedoch nur teilweise. Einige Fakten zur Aufklärung.

Der Tages­spie­gel, die Tages­schau, Spie­gel Online und wei­te­re Medi­en berich­te­ten, dass Abschie­bun­gen für die Flücht­lings­grup­pe der Syre­rin­nen und Syrer im Rah­men von Dub­lin-III aus­ge­setzt sei­en. Auch inter­na­tio­nal wur­den die Berich­te breit rezi­piert. Die offi­zi­el­le Stel­lung­nah­me des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge rela­ti­viert jedoch die­se Annah­men.

Die Dub­lin-III-Ver­ord­nung regelt in der EU die Zustän­dig­keit von Mit­glieds­staa­ten für Asyl­ver­fah­ren. Dem­nach müs­sen Flücht­lin­ge ihre Asyl­an­trä­ge in dem Mit­glieds­staat stel­len, in dem sie zum ers­ten Mal euro­päi­schen Boden betre­ten haben, also in der Regel Staa­ten an den Außen­gren­zen wie Ungarn, Bul­ga­ri­en, Grie­chen­land oder Ita­li­en. Die Aus­set­zung der Dub­lin-Ver­fah­ren für Syrer/innen wäre vor die­sem Hin­ter­grund nach der Aus­set­zun­gen von Dub­lin-Rück­schie­bun­gen nach Grie­chen­land ein wei­te­rer fun­da­men­ta­ler Schritt gewesen.

PRO ASYL liegt die offi­zi­el­le Sprach­re­ge­lung des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) in die­ser Sache vor. Sie lautet:

„Dub­lin-Ver­fah­ren syri­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger wer­den zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge wei­test­ge­hend fak­tisch  nicht wei­ter ver­folgt. Die noch nicht abge­schlos­se­nen Ver­fah­ren wer­den in Deutsch­land bear­bei­tet. Es han­delt sich bei der Neu­re­ge­lung um eine Leit­li­nie des Bun­des­am­tes, nicht um eine for­mal bin­den­de Vor­ga­be. Bereits in der Ver­gan­gen­heit hat das Bun­des­amt sehr genau geprüft, ob huma­ni­tä­re Grün­de dafür vor­lie­gen, dass Deutsch­land die Asyl­ver­fah­ren über­neh­men kann. So gab es bis Ende Juli nur 131 Über­stel­lun­gen von Syrern in Rah­men der Dublin-Verordnung.“

Leit­li­nie statt Anordnung

PRO ASYL erkennt in die­ser Sprach­re­ge­lung kei­ne gene­rel­le Aus­set­zung der Abschie­bun­gen von Syrer/innen nach der Dub­lin-III-Ver­ord­nung. Den­noch ist zu erwar­ten, dass die Dub­lin-Ver­fah­ren für Syrer/innen in den weit über­wie­gen­den Fäl­len ein­ge­stellt wer­den und Deutsch­land die Zustän­dig­keit für die Prü­fung des Asyl­an­trags über­nimmt. Erfreu­lich ist vor die­sem Hin­ter­grund, dass die Leit­li­nie auch aktu­ell lau­fen­de Dub­lin-Ver­fah­ren umfasst und nicht nur zukünf­ti­ge Fäl­le betrifft.

Bei die­ser Sprach­re­ge­lung han­delt es sich laut dem BAMF um eine Leit­li­nie des Bun­des­amts und nicht um eine for­mal bin­den­de Vor­ga­be. Des­we­gen ist die­se Ent­schei­dung nicht mit der Aus­set­zung der Abschie­bun­gen nach Grie­chen­land zu ver­glei­chen, die seit 2010 exis­tiert. Bezüg­lich Grie­chen­lands gibt es durch den Bun­des­in­nen­mi­nis­ter eine Anwei­sung an das BAMF, im Rah­men von Dub­lin-III kei­ne Auf­nah­me- oder Wie­der­auf­nah­me­ge­su­che zu stel­len. Die Leit­li­nie für den Umgang mit syri­schen Flücht­lin­gen ist kei­ne ver­bind­li­che Anwei­sung, son­dern soll eine Hand­lungs­emp­feh­lung an die Mitarbeiter/innen des BAMF sein. Dies kann bedeu­ten, dass es in Ein­zel­fäl­len durch­aus zu Rück­über­stel­lun­gen kom­men kann, wie der Wort­laut „wei­test­ge­hend“ erah­nen lässt. Bei­spiels­wei­se dürf­te die Ent­schei­dung für einen syri­schen Flücht­ling, der nach Schwe­den über­stellt wer­den soll, anders aus­fal­len als für einen syri­schen Flücht­ling, für des­sen Antrag Bul­ga­ri­en oder Ungarn zustän­dig ist. Die Flücht­lin­ge haben bei einer Leit­li­nie zudem kei­nen Rechts­an­spruch gegen­über einer for­mal bin­den­den Vorgabe.

Kein Schutz für Flücht­lin­ge mit Aner­ken­nung im EU-Ausland

Wei­ter­hin ist klar­zu­stel­len, dass die Leit­li­nie nur für Flücht­lin­ge im Dub­lin-Ver­fah­ren gilt. Syri­sche Flücht­lin­ge, die in einem ande­ren Mit­glieds­staat der EU eine Flücht­lings­an­er­ken­nung haben, sind hier­von nicht begünstigt.

Das BAMF lässt sich mit die­ser Leit­li­nie die Mög­lich­keit offen, den Umgang mit syri­schen Flücht­lin­gen im Dub­lin-Sys­tem jeder­zeit zu ändern. Die Leit­li­nie ist aber den­noch ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung und wird die Situa­ti­on vie­ler syri­scher Flücht­lin­ge ver­bes­sern. Die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on und der Men­schen­rechts­kom­mis­sar des Euro­pa­rats haben die Leit­li­nie als Abschie­bungs­stopp inter­pre­tiert und begrüßt.

Dabei zeigt die aktu­el­le Situa­ti­on wie dys­funk­tio­nal die Dub­lin-Ver­ord­nung ist und dass sie zu einer erheb­li­chen Belas­tung an den EU-Außen­gren­zen führt, wie die Flücht­lings­kri­se auf den grie­chi­schen Inseln ver­deut­licht. Für das Jahr 2014 gab es bei 35.115 Über­nah­me­ersu­chen an ande­re Mit­glieds­staa­ten durch Deutsch­land nur 4.772 tat­säch­lich erfolg­te Über­stel­lun­gen. Das ers­te Halb­jahr 2015 ver­zeich­net 1.901 Über­stel­lun­gen bei 23.935 Anfra­gen, was einem Anteil von 7,9 Pro­zent ent­spricht. Für das BAMF bedeu­tet die Aus­set­zung der Dub­lin-Über­stel­lun­gen von Syrer/innen daher eine Redu­zie­rung der Arbeits­be­las­tung ange­sichts der erhöh­ten Asyl­pro­gno­se auf 800.000 Anträ­ge im Jahr 2015.