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»Diese Gesellschaft muss sich an die Seite der Betroffenen von Rechtsextremismus stellen«
Die »Initiative 19. Februar Hanau« fordert seit vier Jahren Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen. Bis heute habe niemand Verantwortung übernommen für die Versäumnisse von Politik und Behörden, sagt Newroz Duman von der Initiative. Die Gesellschaft müsse zeigen, dass sie auf der Seite von Betroffenen von Rechtsextremismus stehe.
Als »Initiative 19. Februar Hanau« ist es euch gelungen, die Namen der Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt zu machen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.
Ab dem zweiten Tag nach dem Anschlag haben wir die Namen der Opfer in den Mittelpunkt gestellt. Wir wussten von Betroffenen von anderen rassistischen Anschlägen, etwa denen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), wie wichtig das ist. Denn in Deutschland gibt es eine lange Tradition, dass die Täter im Vordergrund stehen, während die Geschichten und Stimmen der Opfer verdrängt werden. Mit #SayTheirNames haben wir versucht, das zu ändern.
Was bedeutet Erinnerung für euch?
Erinnern heißt verändern. Denn Erinnern bedeutet auch, auf Versäumnisse aufmerksam zu machen. Aus diesem Grund hängt Erinnerung eng mit unseren Forderungen nach Gerechtigkeit und Konsequenzen zusammen. Erinnerung bedeutet, dass es in unserer aller Verantwortung liegt, diese Gesellschaft zu verändern. Behörden, Politik und Medien haben dabei eine besondere Verantwortung. Erinnern ist eine alltägliche Arbeit und findet eben nicht nur einmal im Jahr statt.
»Erinnern ist eine alltägliche Arbeit und findet eben nicht nur einmal im Jahr statt.«
Als Initiative habt ihr in den letzten Jahren extrem viel erreicht: Ihr habt selbst zu Abläufen in der Tatnacht recherchiert, Gedenkveranstaltungen organisiert, Ausstellungen mit Stimmen der Betroffenen erarbeitet, einen Landtagsuntersuchungsausschuss im Hessischen Landtag erkämpft. Wo steht ihr heute, vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag: Wurden eure Forderungen nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen umgesetzt?
Wir waren es, die Familien der Getöteten und Unterstützende, die in den vergangenen vier Jahren Aufklärungsarbeit geleistet haben, und nicht der Staat. Die Polizei und das Innenministerium haben die Aufklärungsarbeit blockiert, ignoriert und vertuscht. Wir haben alles Mögliche ausprobiert, damit Politik und Behörden endlich ihre Fehler und Versäumnisse eingestehen und daraus Konsequenzen ziehen. So gab es nur aufgrund unseres Drucks einen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag.
Und wie beurteilt ihr den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der im November 2023 veröffentlicht wurde?
Wir akzeptieren den Bericht nicht als Abschlussbericht, denn viele Fragen bleiben unbeantwortet. Für die CDU war es die ganze Zeit wichtiger, den damaligen Innenminister und die Polizei zu schützen, als die Aufklärungsarbeit voranzutreiben. Außerdem wurden keine Konsequenzen gezogen: Bis heute haben Landesregierung und Polizei keinerlei Fehler zugegeben und somit auch keine Verantwortung übernommen. Niemand hat gesagt: »Wir haben versagt.« Die politisch Verantwortlichen wurden befördert oder in den Ruhestand geschickt. Auch aus diesem Grund sagen wir: Das ist kein Abschlussbericht
»Solange man die Ursachen von Rassismus nicht bekämpft, […] bleibt Rassismus Normalzustand.«
Wie geht es den Angehörigen und Überlebenden heute? Fühlen sie sich sicher in Hanau?
Die meisten Angehörigen und Betroffenen haben kein Vertrauen in den Staat. Das kann und darf man auch nicht erwarten: Die Polizei hat dreieinhalb Jahre gebraucht, um sich mit den Betroffenen zu treffen und ihre Fragen zu beantworten. Auch der damalige Innenminister Peter Beuth hat sich dreieinhalb Jahre entzogen und war nicht für die Menschen da.
Als sich der Vater des Täters den Familien der Opfer genähert hat, wurden Angehörige und Überlebende nicht gefragt, ob sie Schutz brauchen. Gleichzeitig haben Politik und Polizei überhaupt nichts zur Aufklärung beigetragen, sondern vor allem geschwiegen und vertuscht. Vertrauen kann es erst geben, wenn es Gerechtigkeit gibt.
Ihr fordert dazu auf, »den rassistischen Normalzustand im Alltag, in Behörden, Politik, Medien und in den Sicherheitsapparaten konsequent zu bekämpfen«. Denn dieser Zustand sei der Nährboden, auf dem der Hass der Täter überhaupt erst gedeihen könne. Wie genau stellt ihr euch das vor?
Es reicht nicht aus, zu erklären, dass man Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus bekämpfen möchte. Behörden müssen das auch unter Beweis stellen, indem sie entsprechend handeln. Solange man die Ursachen von Rassismus nicht bekämpft, und solange zum Beispiel rechtsextreme Chat-Gruppen in Hessen und anderswo nicht konsequent strafrechtlich verfolgt werden, bleibt Rassismus Normalzustand.
Viele Politiker*innen sprechen nur von Alltagsrassismus, also Diskriminierung auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit Rassismus gehört jedoch, auch institutionellen Rassismus zu thematisieren, etwa in Polizeibehörden. Das wäre dringend nötig.
Der vierjährige Jahrestag des rassistischen Anschlags findet in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem sich der Diskurs seit Monaten massiv nach rechts verschoben und die Hetze gegen Geflüchtete zugenommen hat. Gleichzeitig gibt es seit einigen Wochen Demonstrationen in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus und die AfD, bei denen auch Kritik an den demokratischen Parteien laut wird. Wie blickt ihr auf diese Demonstrationen?
Es ist gut, dass in der Gesellschaft etwas in Bewegung gekommen ist und dass Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Aber wir wissen auch, dass Rechtsextremismus nicht allein mit schönen Plakaten und Demonstrationen bekämpft werden kann. Wir dürfen das nicht getrennt voneinander betrachten: Dass der rassistische Anschlag von Hanau möglich war, hat mit dem gesellschaftlichen und politischen Klima hier zu tun. Und das hat auch, aber eben nicht nur, mit der AfD zu tun.
Wie kann man sich solidarisch mit Überlebenden und Angehörigen von Opfern rassistischer Gewalt zeigen?
Sich solidarisch zu zeigen heißt für mich zuallererst, den Betroffenen zuzuhören, sich an Gedenkveranstaltungen zu beteiligen, die Geschichten der Betroffenen weiterzuerzählen, #SayTheirNames weiterzuverbreiten und nicht zuzulassen, dass das Gedenken vereinnahmt wird.
Vier Jahre, das ist eine lange Zeit. Wie macht ihr als »Initiative 19. Februar Hanau« weiter?
Der Laden am Heumarkt, einer der Tatorte des 19. Februar, ist für die meisten Angehörigen weiterhin einer der zentralen Orte, an dem wir uns gemeinsam organisieren, Strategien entwickeln und überlegen, wie wir weitermachen. Wir kämpfen weiter für echte Konsequenzen. Und natürlich ist unser Vorortsein auch ein Kampf gegen das Vergessen.
Dazu tragen auch unsere Projekte bei: Die Ausstellung »Three Doors« von Forensic Architecture zu dem Attentat 2020 in Hanau und dem Tod Oury Jallohs 2005 in einer Gefängniszelle in Dessau ist ab März in Stuttgart, ab Mai in Würzburg zu sehen. Und wir haben ein Theaterstück zu Hanau, das bundesweit auf Tour ist und Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit leistet.
Dieses Jahr ladet ihr zum ersten Mal bundesweit zur Gedenkdemonstration in Hanau ein. Warum?
Vor allem in der Politik denken viele, dass mit dem Ende des Untersuchungsausschusses alles aufgearbeitet und damit abgeschlossen ist. Doch für uns gibt es keinen Schlussstrich. Das wollen wir mit der Demonstration am Samstag noch einmal zeigen. Wir werden nicht vergessen, dass Vili Viorel den Notruf nicht erreichen konnte. Dass der Notausgang der »Arena Bar«, einem der Tatorte, verschlossen war. Und wie die Polizei mit den Angehörigen der Opfer umgegangen ist, dass sie zum Bespiel direkt nach der Tat sogenannte Gefährder-Ansprachen durchgeführt hat.
Newroz Duman ist Teil der »Initiative 19. Februar Hanau«, in der sich Angehörige der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags am 19. Februar 2020 in Hanau zusammengeschlossen haben. Sie war neun Jahre Mitglied im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL.
Die bundesweite Gedenkdemonstration startet am Samstag, 17. Februar 2024 um 14 Uhr in Hanau-Kesselstadt am Kurt-Schumacher-Platz. Am und um den 19. Februar 2024 finden an verschiedenen Orten dezentrale Kundgebungen, Demos und Gedenkveranstaltungen statt unter dem Motto #Hanauistüberall.
(hk)