19.02.2022
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In Gedenken an die Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020. Foto: Initiative 19. Februar

Die Opfer und ihre Namen ins Zentrum rücken: #SayTheirNames. Das gelingt der »Initiative 19. Februar Hanau« seit zwei Jahren. Doch mit der Erinnerung müssen sich Aufklärung und Konsequenzen verbinden, sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative. Behörden und Gesellschaft müssen die Existenz von strukturellem Rassismus anerkennen und bekämpfen.

Zum zwei­ten Jah­res­tag des ras­sis­tisch moti­vier­ten Anschlags in Hanau for­dert die »Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau« Erin­ne­rung, Auf­klä­rung, Gerech­tig­keit, Kon­se­quen­zen. Ist Erin­ne­rung die Basis?

Die Initia­ti­ve hat sich damals sehr schnell nach dem ras­sis­ti­schen Anschlag gebil­det und auch die­se zen­tra­len For­de­run­gen ent­wi­ckelt. Seit­dem arbei­ten wir par­al­lel an Erin­ne­rung, Auf­klä­rung, Gerech­tig­keit und  Kon­se­quen­zen. Wir erin­nern an den 19. Febru­ar und an die Tat. Aber mit der Erin­ne­rung müs­sen sich Auf­klä­rung, Auf­ar­bei­tung und Kon­se­quen­zen ver­bin­den, sonst ist sie nicht voll­stän­dig. Wir müs­sen uns klar machen, was pas­siert ist, war­um es nicht ver­hin­dert wur­de und was die Gesell­schaft damit zu tun hat.

Und wir haben schon früh, 48 Stun­den nach dem Anschlag, mit #Say­TheirNa­mes dar­auf gedrun­gen, die neun Opfer in den Mit­tel­punkt zu stel­len, nicht den Täter.

Seit­dem sind die Namen und Bil­der der neun Ermor­de­ten, acht Män­ner und eine Frau, an vie­len Stel­len, an den Stra­ßen und auf Plät­zen eben­so wie im Inter­net und auf Social Media-Platt­for­men,  zu sehen: Kaloyan Vel­kov, Fatih Sara­çoğ­lu, Sedat Gür­büz, Vili Vio­rel Păun, Gök­han Gül­te­kin, Mer­ce­des Kier­pacz, Fer­hat Unvar, Ham­za Kur­to­vić und Said Nesar Hash­e­mi. Funk­tio­niert #Say­TheirNa­mes?

Ja, wir haben die Opfer ins Zen­trum der  Öffent­lich­keit rücken kön­nen. Und weil die Initia­ti­ve 19. Febru­ar eine Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ist, kom­men die Stim­men der Ange­hö­ri­gen und über­le­ben­den Opfer hin­zu. Nie­mand hat sich zurück­ge­zo­gen, seit zwei Jah­ren kämp­fen sie kon­ti­nu­ier­lich für Auf­klä­rung, spre­chen bei Ver­an­stal­tun­gen, geben Inter­views, leis­ten Lob­by-Arbeit und haben den Unter­su­chungs­aus­schuss im Hes­si­schen Land­tag mit erkämpft. Und sie haben immer wie­der Fra­gen gestellt an Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker, Behör­den und ande­re Betei­lig­te. Aber sie haben kei­ne Ant­wor­ten bekom­men, nie­mand will zuge­ben, dass Feh­ler pas­siert sind, wel­che Behör­den und Struk­tu­ren ver­sagt haben: schon bei der gan­zen Rei­he von ras­sis­ti­schen Anschlä­gen vor Hanau, am Tat­abend selbst und in den Wochen und Mona­ten danach. Des­halb ist die Öffent­lich­keit unser stärks­tes Instru­ment, alles, was wir inzwi­schen wis­sen, ist durch die Ange­hö­ri­gen und die Medi­en ans Tages­licht gekommen.

Auch des­halb bit­tet die Initia­ti­ve der­zeit um Spen­den, 100.000 Euro sol­len zusam­men­kom­men, um mit Hil­fe von foren­si­schen Unter­su­chun­gen den Tat­her­gang lücken­los auf­zu­klä­ren. Zudem tagt der Unter­su­chungs­aus­schuss des Hes­si­schen Land­tags seit Anfang Dezem­ber 2021. Wird dort Auf­klä­rung geleistet?

Das kann ich noch nicht sagen. Bis­her gab es erst fünf Ter­mi­ne, bei den ers­ten vier haben Ange­hö­ri­ge und über­le­ben­de Opfer berich­tet, am fünf­ten Tag berich­te­te ein Gut­ach­ter über den Täter. Aber ich habe den Ein­druck, dass die Koali­ti­on aus CDU und Grü­nen ver­sucht, vie­les zu rela­ti­vie­ren. Das schlie­ße ich aus den Fra­gen, die sie den Ange­hö­ri­gen gestellt haben.

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Nun steht mit dem 19. Febru­ar 2022 der zwei­te Jah­res­tag des Mord­an­schlags an, vie­le Gedenk­fei­ern und Ver­an­stal­tun­gen sind geplant. Reicht das?

Auf jeden Fall ist es wich­tig, am 19. Febru­ar an die Tat zu erin­nern. Aber die Erin­ne­rung nur an einem Jah­res­tag reicht nicht aus. Die Erin­ne­rung muss ganz unter­schied­lich gestal­tet wer­den, sie muss in der gan­zen Gesell­schaft und im All­tag Platz fin­den. Nur wenn wir sie über­all leben­dig hal­ten, kön­nen wir die Gesell­schaft ver­än­dern. Denn alle müs­sen Ver­ant­wor­tung übernehmen.

Wie soll die Gesell­schaft die Erin­ne­rung umset­zen und Ver­ant­wor­tung übernehmen?

Zum Bei­spiel im Bil­dungs­sys­tem. Dort muss die Kon­ti­nui­tät und Tra­di­ti­on des rech­ten Ter­rors in Deutsch­land the­ma­ti­siert wer­den. Und auch der struk­tu­rel­le Ras­sis­mus gehört auf die Lehr­plä­ne. Denn der Täter von Hanau war kein Ein­zel­tä­ter im luft­lee­ren Raum, er hat sich ernährt aus der gesell­schaft­li­chen Het­ze, die über­all gegen­wär­tig ist. Auch ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits­markt und racial pro­fil­ing müs­sen sicht­bar gemacht wer­den. Und es geht auch um Geset­ze. Da müs­sen Fra­gen beant­wor­tet wer­den: Wel­che Men­schen wer­den von Geset­zen aus­ge­schlos­sen? Sind wirk­lich alle Men­schen gleich­be­rech­tigt? Wer­den alle gleich behan­delt? Da gibt es sehr vie­le Men­schen in Deutsch­land, die das ver­nei­nen. Auch unter den Opfern und Ange­hö­ri­gen sind vie­le, die wis­sen, wie es ist, von der Poli­zei kon­trol­liert zu wer­den, nur wegen der Haut­far­be oder Haarfarbe.

Kön­nen Sie beschrei­ben, wel­che Rol­le der struk­tu­rel­le Ras­sis­mus für den Anschlag in Hanau mit allen sei­nen Fol­gen spielt?

Das reicht schon wei­ter zurück. Zum Bei­spiel: Wie­so konn­te der Täter sei­ne Waf­fen behal­ten? Er war den Behör­den bekannt, aber sei­ne Äuße­run­gen wur­den nicht ernst genom­men. Und 2017 gab es einen Vor­fall am Jugend­zen­trum in der Nähe des zwei­ten Tat­orts und des Täter­hau­ses: Ein bewaff­ne­ter Mann bedroh­te die Jugend­li­chen dort. Doch die alar­mier­ten Poli­zis­ten haben als ers­tes die Jugend­li­chen dort aus­ein­an­der­ge­nom­men, der Bewaff­ne­te wur­de nicht gefun­den. Und in der Tat­nacht: Ein Schwer­ver­letz­ter wur­de nach sei­nem Aus­weis gefragt. Der Umgang mit den Opfern und Ange­hö­ri­gen hat struk­tu­rel­le Hin­ter­grün­de. Struk­tu­rel­ler Ras­sis­mus exis­tiert, das müs­sen wir nicht mehr belegen.

Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser will vor Ostern einen Akti­ons­plan gegen Rechts­extre­mis­mus vor­le­gen. Wie muss der Ihrer Ansicht nach aussehen?

Da gibt es vie­le Punk­te. Ein paar Bei­spie­le: Das Waf­fen­recht muss geän­dert wer­den, viel zu vie­le Ras­sis­ten in Deutsch­land dür­fen legal Waf­fen besit­zen. Zudem kämp­fen wir für Opfer­ent­schä­di­gungs­ge­set­ze. Opfer und Ange­hö­ri­ge von rechts­ter­ro­ris­ti­schen Taten müs­sen sozi­al und finan­zi­ell unter­stützt wer­den, lang­fris­tig und unkom­pli­ziert. Außer­dem muss es in den Behör­den grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen geben: Sie müs­sen ihrem eige­nen Ver­sa­gen nach­ge­hen. Und sie müs­sen sich mit der lan­gen Geschich­te des rech­ten Ter­rors in Deutsch­land und mit ihrer eige­nen Rol­le dabei aus­ein­an­der­set­zen – und Kon­se­quen­zen ziehen.

New­roz Duman ist Spre­che­rin der »Initia­ti­ve 19. Febru­ar Hanau«, in der sich Ange­hö­ri­ge der Opfer des ras­sis­tisch moti­vier­ten Anschlags am 19. Febru­ar 2020 in Hanau zusam­men­ge­schlos­sen haben. Sie ist zudem Mit­glied im Vor­stand der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft PRO ASYL und bekannt durch ihre Arbeit bei »Jugend­li­che ohne Gren­zen« (JoG), einem Zusam­men­schluss jun­ger Flüchtlinge.

(wr)